„Gerade in ländlichen Räumen ist es wichtig, mit dem Begriff Feminismus zu arbeiten“

Stefania Pitscheider Soraperra im Gespräch mit Anita Moser über Entwicklungen, Herausforderungen und Teilhabestrategien des Frauenmuseum Hittisau

Das seit 20 Jahren bestehende Frauenmuseum Hittisau ist im Bregenzerwald in Vorarlberg beheimatet – und damit weltweit das einzige Haus dieser Art in einer ländlichen Umgebung. Die Aufgabe des Museums ist, Frauengeschichte und Kulturschaffen von Frauen zu dokumentieren, zu erforschen und sichtbar zu machen und dabei auch breite Bevölkerungskreise vor Ort einzubinden. Welche Strategien kultureller Teilhabe dabei zum Einsatz kommen, zeigt Stefania Pitscheider Soraperra, seit 2009 Direktorin des Museums, im folgenden Gespräch auf. Sie gibt außerdem Einblicke in die Entwicklung des Hauses, in kulturpolitische Herausforderungen und in die Rolle des Museums als Ort der Ermächtigung von Frauen sowie als „Ort der Reibung“. Schwierige Aspekte – etwa die patriarchalen Strukturen, „die hier vielleicht ausgeprägter sind als anderswo“, oder Unterfinanzierung – kommen ebenfalls zur Sprache.

 

Kulturarbeit im ländlichen Raum gewinnt zusehends an Aufmerksamkeit. Die Stärkung von Kunst und Kultur in ländlichen Gebieten wird auch in dem partizipativ erarbeiteten und 2018 präsentierten Kulturentwicklungsplan des Landes Salzburg als einer der zentralen zukünftigen kulturpolitischen Schwerpunkte benannt.

Das finde ich sehr wichtig. Denn ich bin davon überzeugt, dass es eine kulturelle Nahversorgung braucht. Das Urbane und das Ländliche rücken mit den heutigen Kommunikationsmöglichkeiten zunehmend zusammen. Es ist auch dringend notwendig, dass man den Kulturbegriff erweitert und Kultur als etwas Gesellschaftsimmanentes sieht.

 

Von welchem Kulturbegriff gehen Sie im Frauenmuseum aus?

Wir begreifen Kunst und Kultur als etwas, das das Leben und die Gesellschaft durchdringt. Kultur spielt auf sehr vielen Ebenen eine entscheidende Rolle. Kulturarbeit und die Möglichkeit in Kulturprozessen zu partizipieren, halte ich für sehr wichtig, auch für die Lebensqualität. Das ist gerade für den ländlichen Raum von großer Bedeutung und dort für Frauen ganz besonders. Expertinnen und Experten sind sich einig: Wenn die Frauen abwandern, sterben ländliche Regionen. Ich war vor einiger Zeit im Bergell in der reichen Schweiz. Die Ersten, die von dort weggegangen sind, waren gut ausgebildete junge Frauen. Es bleiben nur mehr Fassadendörfer. Sie sind zwar sehr schön, und reiche Menschen aus Mailand oder Zürich kaufen die Häuser, aber es ist kein Leben mehr dort.

 

Die Soziologinnen Tatjana Fischer und Gerlind Weber haben bereits 2010 in Bezug auf die Steiermark eine Studie gemacht, die das bestätigt: Es sind in erster Linie junge, gut ausgebildete Frauen, die abwandern. Das führt nicht nur zu einer Überalterung, sondern auch dazu, dass patriarchale Strukturen noch stärker werden. Braucht es gerade in ländlichen Räumen verstärkt feministische Kulturarbeit?

Ja. Gerade dort ist es wichtig, mit dem Begriff Feminismus zu arbeiten. Manchmal ist das aber nicht so einfach, denn es gibt einige Kunst- und Kulturvermittlerinnen auf dem Land, die sagen, dass sie natürlich für Gleichbehandlung und Gleichberechtigung auf allen Ebenen sind, aber nicht Feministin genannt werden wollen. Da muss viel Überzeugungs- und Erklärungsarbeit geleistet werden. Was ist Feminismus überhaupt? Was bedeutet das? Zu den Kulturvermittlerinnen sage ich oft: „Eigentlich ist das, was du hier jeden Tag tust, eminent feministische Arbeit.“ Wenn ich Johanna Dohnals Definition von Feminismus heranziehe, können sie dann alle mit. Sie sagte 2004: „Ich denke, es ist Zeit, daran zu erinnern: Die Vision des Feminismus ist nicht eine ‚weibliche Zukunft‘. Es ist eine menschliche Zukunft. Ohne Rollenzwänge, ohne Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn.“

 

„Ich bin überzeugt davon, dass die Arbeit, die passiert, um das Frauenmuseum aufrechtzuerhalten, bezahlte Arbeit sein muss.“

 

Außenansicht des Museums. Foto: Ines Agostinelli

Das Frauenmuseum wurde 2000 gegründet. Wie hat es sich über die Jahre verändert?

Eröffnet wurde das Frauenmuseum 2000, die Arbeit daran hat 1999 begonnen. Damals wollte die Gemeinde ein Feuerwehr- und Kulturhaus errichten, und zwar mit einer musealen Einrichtung – denn jede Gemeinde, die etwas auf sich hält, hat auch ein Museum. Ich glaube, die meisten Menschen haben damals in Richtung Heimatmuseum gedacht. Interessanterweise war es das Land Vorarlberg, das einen anderen Weg eröffnet hat. Es wollte kein weiteres Heimatmuseum kofinanzieren und meinte, dass sich Hittisau etwas anderes einfallen lassen müsse. Das war die Stunde von Elisabeth Stöckler, die das Museum gegründet hat. Sie hat der Gemeinde ein Konzept für ein Frauenmuseum vorgelegt, das ohne Gegenstimme durchgegangen ist, was mir bis heute wie ein kleines Wunder vorkommt.

In Bezug auf die Personalsituation hat es im Frauenmuseum damit begonnen, dass Elisabeth Stöckler eine Halbtagsstelle hatte und die anderen Mitarbeiterinnen ehrenamtlich gearbeitet haben. Der nächste Schritt war, dass alle im Museum arbeitenden Frauen Honorarnoten gestellt und kleine Aufwandsentschädigungen erhalten haben. Es hat sich gezeigt, dass das wichtig ist, auch um die Motivation aufrechtzuerhalten. Elisabeth Stöckler war acht Jahre am Haus und wollte sich schließlich beruflich verändern. Die Arbeit im Museum war einfach sehr fordernd. Ich sage immer, sie war über viele Jahre die eigentliche Sponsorin dieses Hauses, weil sie sehr viel Zeit und Energie für wenig Geld investiert hat. Die Kulturvermittlerinnen sind schließlich zum Bürgermeister marschiert und haben gesagt: „Entweder ist die nächste Leiterin ganztags angestellt oder wir hören auf.“

Als ich 2009 begonnen habe, hatte ich also eine andere Ausgangsposition. Ich bin überzeugt davon, dass die Arbeit, die passiert, um das Frauenmuseum aufrechtzuerhalten, bezahlte Arbeit sein muss. Deshalb war der nächste Schritt, alle Kulturvermittlerinnen geringfügig anzustellen. Geringfügigkeit ist zweischneidig und kann für Frauen auch eine Falle sein, das ist mir bewusst. In der Genese des Hauses war es aber ein großer Schritt. Es war ein Kampf, dorthin zu kommen. Wir teilen uns das Haus mit der Feuerwehr und dem Musikverein – und da heißt es immer, dass die anderen Leben und Häuser retten, und zwar ehrenamtlich. Wir mussten klarmachen, dass Bereitschaftsdienst und die Aufrechterhaltung eines Betriebs zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind – und dass die Arbeit im Frauenmuseum bezahlt werden muss. Nicht zuletzt, weil Frauen ohnehin den Löwenanteil an unbezahlter Arbeit für die Gesellschaft leisten, etwa in den Familien oder in der Pflege. Das war ein langer, schwieriger Prozess, vor allem auf Gemeindeebene, letztlich aber erfolgreich. Seit mittlerweile sechs Jahren gibt es neben meiner eine zweite 70-Prozent-Stelle. Jetzt stehen wir an der Schwelle zur nächsten Entwicklung: Wir brauchen eine zusätzliche Person für Marketing, Vermittlung und Koordinierung.

Neben den personellen Veränderungen gab es auch strukturelle. Es hat sich ziemlich schnell gezeigt, dass es sehr mühsam ist, quasi als Abteilung der Gemeinde zu arbeiten. Man ist mit dem Haus Teil der Kameralistik, was schwierig ist, und man muss sich dauernd gegenüber 18 Gemeindemandataren erklären, von denen viele überhaupt nichts anfangen können mit dem, was hier passiert. Daher haben wir schon damals, als ich hier zu arbeiten begonnen habe, eine Ausgliederung aus der Gemeinde angestrebt. 2018 ist das Frauenmuseum schließlich in eine autonome Trägerschaft übergegangen. In diese entsenden die Gemeinde und das Land Vorarlberg je drei Personen, und die Obfrau unserer Fördergesellschaft ist auch Teil davon. Die Struktur ist viel klarer geworden. Für mich persönlich ist die Arbeit mehr geworden, trotzdem ist es aber eine ganz andere Arbeit, weil es nun ein Gremium mit sieben Menschen gibt, die ein großes Interesse daran haben, dass sich dieses Haus gut entwickelt.

 

Ausstellung „Gestickte Moral“. Foto: Ines Agostinelli

 

Heißt das auch, dass man inhaltlich anders arbeiten kann, weil die Nähe zur Gemeinde nicht mehr so stark ist?

Ich hatte bei meinem Arbeitsbeginn gar nicht erwartet, dass es keinerlei politische Interventionsversuche geben würde – es hat sie aber tatsächlich nie gegeben. Ein einziges Mal gab es einen Aufschrei, als Christian Fiala einen Vortrag über das heikle Thema Abtreibung halten hätte sollen. Es gab in Kirchenkreisen großen Protest und man sagte, dass man zum Bischof und zum Landeshauptmann gehen würde. Die Aufregung passierte, nachdem der Vortrag ohnehin schon wegen Krankheit abgesagt worden war. Das war das erste und einzige Mal, dass es wegen inhaltlicher Fragen richtig emotional geworden ist. Und das, obwohl viele Themen nicht so bequem sind. Emotional wurde es aber oft auf einer anderen Ebene, nämlich immer dann, wenn es um Geld ging.

 

„Ein Museum muss sich mit dem Ort, wo es sich befindet, in Beziehung setzen.“

 

Welche Rolle hat das Frauenmuseum in einer Gemeinde wie Hittisau? Oder allgemeiner gefragt, welche Aufgaben haben Museen in Gemeinden bzw. können sie im besten Fall haben?

Das ist eine sehr wichtige Frage. Museen können ganz unterschiedliche Aufgaben erfüllen – sie gehen von Repräsentation bis hin zu einer Bedienung eines Marktes. Wir glauben, dass ein Museum ein Ort der Diskussion, der Auseinandersetzung und der Reibung sein soll. Ein Museum muss sich mit dem Ort, wo es sich befindet, in Beziehung setzen. Zu Beginn waren wir das Frauenmuseum. Irgendwann haben wir aber begriffen, dass wir uns auch über den ländlichen Raum definieren und deswegen nennen wir uns jetzt selbstbewusst Frauenmuseum Hittisau, weil dieser Ort ganz entscheidend ist.

Dieses Sich-In-Beziehung-Setzen ist nicht einfach. Man muss Strategien entwickeln. Am schwierigsten ist das in der Gemeinde selbst, also das ganze nahe Umfeld zu erreichen. Es ist viel direkte Vermittlungsarbeit notwendig. In der Region ist es schon einfacher. Je weiter man sich entfernt, desto leichter ist es.

 

Was sind Strategien, Formate oder Zugänge, um die Menschen zu erreichen?

Einerseits setzen wir stark auf partizipative Formate. Unsere nächste Ausstellung ist zum Thema Geburtskultur, letztes Jahr hatten wir eine Ausstellung zum Thema Pflege. Das sind Themen, die viele Menschen betreffen, ob jung, alt, Gepflegte oder Pflegende. Deshalb nehmen viele Menschen an unseren Open Spaces im Vorfeld teil, um sich aktiv in den Entwicklungsprozess einer Ausstellung einzubringen. Wir bieten andererseits auch kleinere Formate an – etwa Erzählcafés oder Projektschmieden – und haben Plattformen gegründet, zu denen wir alle wichtigen Stakeholder in der Region eingeladen haben. Dabei entstehen nachhaltige Beziehungen, denn wer schon einmal einen Schritt ins Museum gewagt hat, kommt immer wieder.

Eine andere nicht unwichtige Strategie sind Aufrufe, die wir machen, wenn wir für eine Ausstellung Objekte suchen. Es gibt Menschen, die uns Objekte schenken oder uns diese leihweise zur Verfügung stellen. Wir nennen das unsere „dislozierte Sammlung“, das heißt, diese Objekte kommen zu uns, werden erfasst, dokumentiert, fotografiert, historisch eingeordnet und gehen in einem anderen Status zurück, als sie gekommen sind, weil sie mit Geschichte und Bedeutung angereichert sind. Konservatorisch halte ich das für kein Problem. Erstens sind es keine Objekte von sehr hohem finanziellen Wert und zweitens werden die Sachen anders behandelt, nachdem sie zurückgehen. Auch da entsteht eine nachhaltige Beziehung.

 

Ausstellung „Frauenwahlrecht“. Foto: Lutz Werner

 

Es gibt auch ein monatliches Frauencafé, das angeboten wird.

Das ist daraus entstanden, dass plötzlich viele Geflüchtete hier waren, in Hittisau waren es immerhin fünf Prozent. Es waren auch viele Familien mit Kindern dabei. Wir haben uns überlegt, wie man die Frauen integrieren könnte. Wie kann es einen Raum geben, der anders funktioniert? Wie kann man sie mit den Leuten in Beziehung bringen, die schon länger hier leben? Zu Beginn hieß es Begegnungscafé. Es war eine gezielte Maßnahme, um ein Inklusionsklima zu schaffen. Jetzt ist es ein Frauencafé, und es ist offener geworden. Die Frauen aus Afghanistan, aus dem Irak und Syrien kommen immer noch – und die bereits länger hier wohnenden Frauen kommen inzwischen auch. Am Anfang haben wir das Frauencafé mit Kinderbetreuung angeboten. Inzwischen finden die Frauen, dass ein gewisser Freiraum förderlich für die Gespräche ist und es besser wäre, wenn die Kinder woanders betreut wären. Deshalb machen wir das Frauencafé am Vormittag, wenn die Schul- und Kindergartenkinder nicht da sind, sondern nur die Kleinkinder. Das funktioniert eigentlich ganz gut. Es ist vor allem für die zugezogenen Frauen sehr wichtig, dass es das gibt.

 

Gibt es Personen, die bis jetzt nicht teilhaben konnten? Haben Sie Vermutungen, warum?

Es gibt Menschen in Hittisau, die noch nie bei uns waren. Es ist eine Herausforderung dahingehend zu überlegen, wie wir diese Menschen erreichen können. Seit der Pflegeausstellung versuchen wir aktiver die Frage anzugehen, wie wir damit umgehen, wenn jemand die Sprache nicht kann oder beeinträchtigt ist und zum Beispiel an Demenz erkrankt ist. Wir haben diesbezüglich ein starkes Bewusstsein und entsprechende Angebote. Es gibt aber natürlich viel Luft nach oben. Manchmal habe ich das Gefühl, wir agieren wie eine Realsimulation von einem großen Museum – und das ist oft sehr nahe an der Selbstausbeutung.

 

Es ist wahrscheinlich auch eine finanzielle Frage, was man – beispielsweise baulich – machen kann?

Eben. Es ist immer ein Arbeiten am Limit. Wir haben sehr wenig Raum und keine wirklichen Entwicklungsmöglichkeiten, aber wir haben immerhin ein barrierefreies Haus. Natürlich versuchen wir, auch aktiv Inklusionsmaßnahmen zu setzen, indem wir zum Beispiel Führungen auf Farsi oder Arabisch anbieten. Wir haben einen Behindertenparkplatz, wir versuchen auch, möglichst in einfacher Sprache zu schreiben. Wir schauen, dass die Punktgröße so ist, dass sie gut lesbar ist. Wir versuchen, alle diese Dinge zu machen, aber darüber hinaus ist noch ganz viel möglich.

 

Gibt es Diversity-Konzepte, mit denen Sie arbeiten, oder andere Ansätze, damit Vielfalt auf unterschiedlichsten Ebenen, beispielsweise in Bezug auf das Personal, repräsentiert wird?

Das passiert eher auf der Praxisebene, nicht so sehr auf der Konzeptebene – und spiegelt sich schon in der Art, wie das Team zusammengesetzt ist. Es besteht aus 20 Frauen, die Jüngste ist 16, die Älteste ist 76. Irma ist letztes Jahr quasi in Pension gegangen und jetzt gerade 90 geworden. Die Frauen haben sehr unterschiedliche Backgrounds, eine hat zum Beispiel Gender Studies studiert, eine andere ist Bäuerin. Wir hatten eine Syrerin im Team, die inzwischen weggezogen ist und studiert. Wir überlegen jetzt, dass eine der geflüchteten oder zugezogenen Frauen das Frauencafé übernimmt und dabei geringfügig angestellt wird. Das heißt, die Offenheit ist durchaus da. Generell ist unser Team für eine ländliche Region sehr gemischt. Eine kommt aus Dänemark, andere aus Deutschland und der Schweiz, ich bin ladinischer Muttersprache und italienische Staatsbürgerin.

 

„Ich finde es unerlässlich, über den Tellerrand hinauszuschauen.“

 

Was ist das Spezifische, wenn man Kulturarbeit in ländlichen Räumen macht?

Ich halte das duale Arbeiten für ganz entscheidend. Auf der einen Seite geht es darum, den Ort und alle, die hier wohnen, gut im Blick zu haben. Gleichzeitig ist eine Nabelschau nicht produktiv. Ich finde es unerlässlich, sich mit dem, was es weit draußen gibt, in Beziehung zu setzen, über den Tellerrand hinauszuschauen. Erst in der Beziehung zum Anderen können wir verstehen, wer wir sind, was wir sind und was wir hier tun. Für uns ist es zum Beispiel wichtig zu fragen, wie es Frauen in Afrika geht. Man muss intersektionale Dinge im Blick haben, um wirklich gut arbeiten zu können.

Eine „Mia san mia“-Haltung halten wir für nicht sehr produktiv. Das ist auch mit dem Team ausverhandelt. Was die Arbeit aber schwierig macht, sind die patriarchalen Strukturen, mit denen wir es zu tun haben und die hier vielleicht ausgeprägter sind als anderswo. Mittlerweile glaube ich, dass die Anzahl an offenen Menschen oder an Menschen, die bereit sind, anders zu agieren, in urbanen Räumen prozentuell nicht höher ist als in ländlichen Räumen, in absoluten Zahlen aber schon. Das heißt, du musst dir hier die Partnerinnen und Partner bewusst suchen – vielleicht mehr als in Großstädten oder Städten, wo sich Szenen bilden.

 

Ausstellung „Frauenwahlrecht“. Foto: Lutz Werner

 

Ist Mobilität ein Thema?

Ja, Mobilität ist ein großes Thema im ländlichen Raum. In den Diskussionen um CO2-Steuern hat man gesehen, welche Projektionen es in Bezug auf Mobilität im ländlichen Raum gibt. Mobilität ist entscheidend – und ich staune immer wieder, wie sehr die Menschen bereit sind, in Bewegung zu bleiben und in Bewegung zu gehen. Man muss sagen, dass dafür die Rahmenbedingungen in Vorarlberg sehr gut sind. Es ist ein kleines, überschaubares Land. Die Busnetze sind gut, jede halbe Stunde gibt es einen Bus nach Hittisau. Es geht recht flott von Dornbirn und von Bregenz. Die Gegend ist schön, man kann auch gut essen, weshalb es vielleicht mehr Motivation gibt, sich nach Hittisau zu begeben.

 

Was bräuchte es von kulturpolitischer Seite, damit Kulturarbeit in ländlichen Räumen gestärkt wird?

Geld ist sehr wichtig. An dem dreht und wendet sich viel. Mich persönlich ärgert immer, dass das Frauenmuseums ein praktisches Feigenblatt ist, mit dem man glaubt, das Thema gendersensible Kulturarbeit im ländlichen Raum abgedeckt zu haben. Aber wir sind schwer unterfinanziert. Unser Maßstab ist das jüdische Museum in Hohenems, das ausgezeichnete Arbeit macht – dort ist das Budget dreimal höher. Da möchten wir hin. Bei uns ist es in den letzten 20 Jahren zwar mehr geworden, aber es ist einfach zu wenig da. Der Gender Pay Gap spiegelt sich auch in der Art und Weise, wie Fraueninstitutionen finanziert sind.

Wir wollen aber nicht immer die Bittstellerinnen sein. Es war irgendwann notwendig, zu sagen: „Entweder ihr finanziert uns weiter, oder wir stellen uns zur Diskussion für andere Gemeinden. Bei all dem, was wir mitbringen, finden wir garantiert in kurzer Zeit fünf Gemeinden in Vorarlberg, die bereit sind, uns dieses Geld zu geben und ein Haus zur Verfügung zu stellen.“

Wir haben ein Selbstbewusstsein entwickeln müssen, um der Gemeindepolitik gegenüber zu vermitteln, dass wir ein Geschäft für sie sind und nicht andersrum, und zu sagen: „Jeder Euro, den ihr investiert, bringt der Gemeinde mindestens vier weitere Euro.“ Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass Kultur sich tragen und wirtschaftlich etwas bringen muss, aber im Fall unseres Museums ist es so, dass es für die Gemeinde lukrativ ist. Das wird einerseits auf der Werbe- und Kommunikationsebene sichtbar, wenn man zum Beispiel im Rahmen einer Äquivalenzanalyse alle redaktionellen Beiträge, in denen Hittisau vorkommt, aufzeigt. Andererseits achten wir auch darauf, das Geld, das uns zur Verfügung steht, lokal und regional auszugeben. Außerdem bekommen wir zusätzliche Förderungen und Subventionen von anderen Stellen. Das heißt, in die Gemeinde kommt über unser Museum Geld, das es sonst nicht geben würde. Wir haben auch abgefragt, wie viel Geld unsere Besucherinnen und Besucher im Ort lassen. Es sind ungefähr 14.000 Personen pro Jahr – wenn jede im Schnitt 35 Euro im Ort lässt, ist das insgesamt viel Geld.

Kultur darf ruhig etwas kosten, aber in unserem Fall entschieden wir uns dazu, anders zu argumentieren, weil das Ringen um Finanzierung schon zwei Jahre gedauert hatte und das Museum immer wieder zum Spielball der Lokalpolitik wurde.

 

„Kultur ist mindestens so wichtig wie Straßenbau, Mobilität oder Landwirtschaft.“

 

Abgesehen von mehr Geld, was bräuchte es darüber hinaus von der Kulturpolitik?

Es braucht ein breites Bewusstsein auf politischer Ebene, dass Kulturarbeit mehr ist, als Veranstaltungen zu machen. Kultur gehört zu den tiefen Bedürfnissen von Menschen. Es ist sehr wichtig, dahingehend eine Nahversorgung zu sichern. Das muss die Politik begreifen. Kultur ist mindestens so wichtig wie Straßenbau, Mobilität oder Landwirtschaft.

 

Wie kommt ihr zu den Inhalten eurer Ausstellungen oder Projekte? Gibt es Prozesse mit der Bevölkerung, wo diese generiert werden?

Wir sammeln immer Themen, haben aber kein standardisiertes Prozedere dafür, wie das passiert. Eigenproduktionen sind für uns und den Ort wichtiger als Projekte, die wir von außen holen. Weil aber unsere finanziellen und zeitlichen Ressourcen begrenzt sind – für eine gute Ausstellung brauchen wir zwei Jahre –, können wir nicht immer Eigenproduktionen machen. Gerade bei diesen ist es sehr wichtig hinzuhören, was das Team sagt. Wir haben eine Altenpflegerin im Team und sie sagte, dass Pflege ein Thema sei, das hauptsächlich Frauen betrifft. „Können wir da einmal hinschauen?“, fragte sie. Das fing dann an zu gären und daraus entstand die Pflegeausstellung. Prinzipiell werden alle Themen im Team diskutiert, bei den Sonderprojekten gibt es Unterteams.

 

Welche Rolle spielen digitale Möglichkeiten der kulturellen Teilhabe? Gibt es Angebote dazu?

Wir würden in dem Bereich gerne sehr viel machen, aber wir stoßen sehr schnell an unsere Grenzen. Wir merken, dass selbst die Bestückung von sozialen Medien nicht einfach ist. Das Interesse und die Offenheit sind aber absolut da und auch das Bewusstsein, dass es sehr wichtig ist.

 

Gibt es ein Projekt, bei dem Ihrer Meinung nach kulturelle Teilhabe sehr gut funktioniert hat?

Ein sehr gutes Beispiel für ein gelungenes Projekt ist die Pflegeausstellung. Das ist natürlich auch ein Thema, das so viele Menschen betrifft. Das Thema der Ausstellung im Sommer ist die Geburtskultur; da ist es ähnlich. Das ist ein so universelles Thema, ob jung, ob alt, geboren sind wir alle. Wir alle haben eine Vorstellung davon und deswegen gibt es auch ein großes Interesse und eine große Lust, sich da einzubringen.

 

Ausstellung „pflege das leben“. Foto: Ines Agostinelli

 

Meinen Sie mit dem Einbringen, dass die Menschen Objekte zur Verfügung stellen?

Zum Beispiel, aber nicht nur. Wir veranstalten auch Open Spaces, wo es darum geht, die Fragen abzuholen, die die Leute haben. Was interessiert sie wirklich an dem Thema? Wo drückt der Schuh? Wenn es um Geburtskultur geht, geht es um Designerbabys oder Abtreibung oder Hausgeburten? Und um die Frage: Wie sollen unsere Kinder geboren werden? Bei diesen Veranstaltungen ist sehr gut zu sehen, wo es viel Interesse gibt oder wo Menschen viele Ideen haben. Es geht darum, diese abzuholen und zu schauen, wie sie sich mit dem Ausstellungskonzept decken, das parallel entworfen wird. Wir stellen uns immer die Frage, wie wir die angesprochenen Themen integrieren, wie wir sie dokumentieren können und wir die Prozesse in der Ausstellung sichtbar machen können.

Teilhabe passiert auch über Interviews. Gerade bei der Pflege haben wir sehr viele Interviews mit Betroffenen gemacht – Ich glaube, es waren 35.  Pflegerinnen aus der Slowakei waren genauso dabei wie Menschen mit beginnender Demenz oder die Eltern einer Tochter mit Angelman-Syndrom, die ihr Kind schon viele Jahre pflegen. Auch ein Mann, der seine Frau dreißig Jahre lang jeden Abend vom Pflegebett im Wohnzimmer in das gemeinsame Ehebett im Schlafzimmer gebracht hat, hat seine Geschichte erzählt. Wenn es darum geht zu schauen, wer eine Geschichte erzählen kann, spielen die Frauen in unserem Team eine wichtige Rolle, weil sie die Leute kennen, auf sie zugehen, sie motivieren.

 

Wie viele Personen nehmen an so einem Open Space teil?

Beim letzten waren es ungefähr 90. Es war eine große, professionell moderierte Veranstaltung – und die Fragen, die aus diesem Pool von Menschen kamen, waren sehr markant. Aus dem Open Space sind schließlich zwölf Themen hervorgegangen. Jenen Menschen, die aktiv ein Thema einbringen, ist dieses meistens ein großes Anliegen, das sie diskutieren möchten. Es gibt auch Leute, die solche Formate für Informationen nutzen und beispielsweise wissen möchten, ob es eine Möglichkeit gibt, in einer Alten-WG in einem Dorf zu leben, wenn sie in 20 Jahren so weit sind. Das sind auch interessante Fragen und oft kommen auch interessante Lösungsvorschläge.

 

„Diese Frauen verändern die Gesellschaft und den ländlichen Raum durch ihre Arbeit im Museum.“

 

Sie werden später noch im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung an unserem Programmbereich Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion über Selbstermächtigung durch Kulturarbeit sprechen. Haben Teilhabeformate, wie die eben beschriebenen, Aspekte der Selbstermächtigung?

Ja, das würde ich schon sagen. Mit der im Vortragstitel angesprochenen Selbstermächtigung beziehe ich mich aber ganz besonders auf unser Vermittlerinnenteam. Die Arbeit im Kulturbereich und im Museum spielt eine sehr wichtige Rolle für diese Frauen. Insgesamt waren es in den 20 Jahren des Bestehens des Frauenmuseums 70 Frauen, die hier gearbeitet haben. Wir sind jetzt gerade dabei, sie sichtbar zu machen:  Es wird von jeder ein Porträt geben. Diese Frauen verändern die Gesellschaft und den ländlichen Raum durch ihre Arbeit im Museum. Diese Frauen haben alle Familien – dort passiert etwas, das zieht weite Kreise.

Für die Mitarbeit in unserer Institution ist es nicht relevant, welche Ausbildung die Frauen haben, ob sie nun ein Universitätsstudium oder eine Berufsausbildung haben. Es ist auch nicht so, dass die Institution sie ermächtigen muss zu sprechen. Es ist nicht relevant, wie lange sie beim Museum sind oder wo sie im ohnehin sehr flach gehaltenen Organigramm stehen. Das Einzige, was von den Mitarbeiterinnen verlangt wird, ist eine tiefe Auseinandersetzung mit den Themen. Dadurch ermächtigen sie sich selbst zu sprechen und mit dem Publikum in Beziehung zu treten. Es gibt von einer Kulturvermittlerin immer so etwas wie eine Einführung. Es gibt Hard Facts, die stimmen müssen, aber darüber hinaus ist der Zugang der einzelnen Vermittlerinnen zum Thema ein ganz individueller. Ich finde, es geht gut auf, weil die Frauen sich ausnahmslos ganz intensiv mit jedem Thema auseinandersetzen. Es ist ein Wachsen an der Auseinandersetzung mit den Themen und das finde ich fantastisch.

 

Also hat das Frauenmuseum eine Ankerfunktion für viele Frauen im Ort?

Die hat es ganz sicher. Die Frauen kommen ja alle aus der Region. Manche kommen aus Familien, die seit Jahrhunderten dort sind und andere sind aus familiären oder sonstigen Gründen zugezogen und haben nach einer Möglichkeit gesucht, da anzudocken. Für beide ist es gut und beide finden sich darin.

 

Ausstellung „Ich am Gipfel“. Foto: Ines Agostinelli

 

Könnte man sagen, dass das Frauenmuseum auch so etwas wie eine Gegenkultur oder Alternativkultur bietet?

Nein. Das würde ich mir wünschen. Für manche Frauen, die zugezogen sind, ist es sicher ein Ort, wo sie in unserer doch sehr konservativen, patriarchal geprägten Gesellschaft ein bisschen etwas Anderes leben können. Zum Teil ist es so, dass die Frauen auch aus diesen Strukturen kommen und am Anfang vielleicht affirmativer damit umgehen, aber durch die Auseinandersetzung mit anderen Lebensrealitäten schließlich eine kritische oder differenziertere Haltung entwickeln.

 

Gibt es im Ort besondere Allianzen über den Kulturbereich hinaus, die für die Arbeit wichtig sind?

Der Tourismus und der Handel haben inzwischen verstanden, dass wir wichtig für die Ortschaft sind. Da erlebe ich eine wachsende Unterstützung. Gerade im ländlichen Raum sind Kooperationen generell sehr wichtig. In Vorarlberg gibt es ein sehr hohes Maß an Kooperationswillen zwischen den Institutionen, auch mit einer Handschlagqualität. Das vorarlberg museum – das wichtigste Museum und zudem eine Landeseinrichtung – hat ein starkes Selbstverständnis als Primus inter Pares. Es gibt von ihm viel Unterstützung und die Bereitschaft zur Einbindung auch kleinerer Institutionen – und das auf Augenhöhe. Ich finde diese Kooperation wichtig, weil Vereinzelung natürlich auch die Gefahr der Verstummung birgt.

 

Was sind die größten Herausforderungen in der alltäglichen Arbeit?

Für mich ist es eine große Herausforderung, zu schauen, dass die Kommunikationswege nach innen und außen gut funktionieren und hier die Balance zu halten. Es ist auch eine Herausforderung, mit der Arbeit nicht über die Stränge zu schlagen. Wir tendieren dazu, immer sehr viel zu tun, sehr viel zu wollen und dann auch sehr schnell in einen Bereich zu kommen, wo es zu viel wird, auch weil das Geld nicht da ist. Das Geld zu lukrieren und die ganzen verwaltungstechnischen Dinge sind manchmal große Herausforderungen, ebenso die Balance zwischen Work und Life zu halten. Sie betrifft nicht nur mich, sondern alle im Museum.

Anita Moser, Stefania Pitscheider Soraperra ( 2020): „Gerade in ländlichen Räumen ist es wichtig, mit dem Begriff Feminismus zu arbeiten“. Stefania Pitscheider Soraperra im Gespräch mit Anita Moser über Entwicklungen, Herausforderungen und Teilhabestrategien des Frauenmuseum Hittisau. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/gerade-in-laendlichen-raeumen-ist-es-wichtig-mit-dem-begriff-feminismus-zu-arbeiten/