Nicht wie ein UFO in einer Region landen

Andrea Hummer im Gespräch mit Anita Moser über Möglichkeiten und Grenzen kultureller Teilhabe beim Festival der Regionen

Seit 1993 findet das oberösterreichische Festival der Regionen alle zwei Jahre außerhalb städtischer Ballungsräume zu jeweils wechselnden Themen statt. Mit dem Ansatz, soziale Fragen und alltägliche Lebenswelten mit zeitgenössischer Kunst zu bearbeiten, zielt das Festival auf den Dialog zwischen der Bevölkerung vor Ort und lokalen, regionalen und internationalen Künstler*innen ab. Wie werden solche Dialoge in Gang gesetzt? Und wodurch verhindert? Andrea Hummer, seit 2018 kaufmännische Leiterin des Festivals, spricht über verschiedene Ansätze, kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, Menschen in der Region für Kunst- und Kulturprojekte zu begeistern und in diese einzubinden. Dabei betont sie, dass ein Festival versuchen kann, breite Zugänge zu schaffen, es notgedrungen aber auch immer wieder scheitert, weil vielfach umfassendere politische Lösungen fehlen.

 

Welche Rolle kann – oder sollte – ein Format wie das Festival der Regionen in ländlichen Regionen haben?

Unser Ziel war von Anfang an, die kulturellen Initiativen am Land zu stärken. Das war die Gründungsidee des Festivals der Regionen vor etwa 26 Jahren. Wir versuchen seither, vor allem auch Gegenwartskunst und neue Kulturformate in ländliche Regionen zu bringen. Es soll auch Kunst und Kultur jenseits der traditionellen Einrichtungen und Initiativen ihren Platz finden. In diesem Zusammenhang ist es wichtig festzuhalten, dass ländliche Regionen keine Wüsten sind, was Kunst und Kultur betrifft. Das ist uns bei unserer Arbeit auch immer bewusst. Kulturschaffende und Kulturinitiativen am Land leisten wertvolle Arbeit. Sie sind die kulturellen Nahversorger und bringen unter anderem neue künstlerische und kulturelle Impulse in den ländlichen Raum. Sie initiieren inhaltliche Auseinandersetzungen mit verschiedensten Themen und binden die lokale Bevölkerung ein. Am Land haben traditionelle Kunst- und Kulturvereine einen viel höheren Stellenwert als im urbanen Raum. Kulturelle Initiativen, die sich auf politische und inhaltliche Auseinandersetzungen sowie neue künstlerische Formate konzentrieren, haben es in diesem Umfeld oft schwer. Das ist eine große Herausforderung für das Festival, aber gleichzeitig unser Ziel, neue Impulse zu setzen bzw. zu verstärken.

Als Festival könnte man leicht Gefahr laufen, wie ein UFO in einer Region zu landen, wenn die – die bestehenden Ansätze und die vielfältigen kulturellen Aktivitäten vor Ort ignorierende – Devise lauten würde, Kultur in die Region bringen zu wollen. Genau das wollen wir nicht. Wir wollen das, was vor Ort ist, aufgreifen und gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung weiterentwickeln. Aber wir wollen auch Impulse von außen in die Regionen bringen.

 

„Was sind die Besonderheiten einer Region? Wo liegen besondere Bedürfnisse? Ausgehend von solchen Fragen entwickeln sich Ideen für das Thema.“

 

Das Festival findet zu jeweils unterschiedlichen Themen statt. Wie kommt ihr zu diesen?

Das jeweilige Thema hat in unterschiedlicher Intensität mit der Region zu tun. Der erste Schritt, unmittelbar nach jedem Festival, ist sich zu überlegen, wo das nächste Festival stattfinden soll. Dann beginnt eine Phase der Netzwerk- und Recherchearbeit. Was sind die Besonderheiten einer Region? Wo liegen besondere Bedürfnisse? Ausgehend von solchen Fragen entwickeln sich Ideen für das Thema. Darauf folgt ein interner Diskussionsprozess der künstlerischen Leitung mit dem Vorstand und der Geschäftsführung und anschließend wird das Thema in Zusammenarbeit mit den wichtigsten Playern vor Ort, Bürgermeistern und Initiativen, weiterentwickelt und endgültig festgelegt.

 

Beim letzten Festival beispielsweise, das unter dem Motto Soziale Wärme in der Region Perg-Strudengau stattfand, war das Thema ein wenig abstrakter als in manchen anderen Regionen. Dort befindet sich die „Bewusstseinsregion“ um die Konzentrationslager Mauthausen und Gusen, in der versucht wird, die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus aufrechtzuerhalten und auf Kontinuitäten hinzuweisen. Das war für uns ein zentraler Ausgangspunkt der Überlegungen in Bezug auf das Thema. Die „Bewusstseinsregion“ hat sich in der Flüchtlingsfrage 2015 bis heute sehr hervorgetan. Viele haben die Geflüchteten wohlwollend empfangen und begleitet und tun es immer noch. Das war für uns ein besonderer Ausdruck sozialer Wärme und es war naheliegend, dieses Thema in der Region zu platzieren. Gleichzeitig war uns dieses Thema gesellschaftspolitisch ein Anliegen, in einer Zeit, in der soziale Kälte überhandnimmt. Wie kann man dem entgegensteuern? Wie fühlen sich die Menschen in einem Klima sozialer Kälte? Dabei haben wir die Erkenntnis gewonnen, dass die Menschen sich nach sozialer Wärme sehnen – nicht nur für sich selbst, sondern durchaus in einem solidarischen Sinn auch für andere. Das hat uns eigentlich überrascht, weil wir das aufgrund der politischen Entwicklung der vergangenen Jahre in Österreich und darüber hinaus anders eingeschätzt hätten.

 

„Die Gütigen“ (hier mit Rosa Prodromou) von Elli Papakonstantinou. Foto: Nick Mangafas

 

„Wir haben Menschen, die Geld haben, aufgefordert großzügig zu sein und etwas mehr zu geben, um denjenigen den Besuch zu ermöglichen, die nichts oder wenig geben können.“

 

Der Dialog mit der Bevölkerung ist ein wichtiger Aspekt. Durch welche Aktivitäten, Angebote und Formate ermöglicht das Festival Teilhabe für verschiedene Anspruchsgruppen?

Uns ist wichtig, Barrierefreiheit – die oft auf Rollstuhlgerechtigkeit enggeführt wird – in einem erweiterten Sinn zu begreifen und Bedürfnisse verschiedenster Personengruppen aufzugreifen. Zum einen versuchen wir, darauf Rücksicht zu nehmen, dass Menschen oft deshalb nicht in der Lage sind, kulturelle Veranstaltungen zu besuchen, weil sie am oder unter dem Existenzminimum leben. Wir wollen niemanden ausschließen, unsere Veranstaltungen zu besuchen, weil er oder sie kein Geld hat. Daher haben wir 2019 erstmals das Pay-as-you-can-Prinzip eingeführt. Das heißt, wir haben Menschen, die Geld haben, aufgefordert großzügig zu sein und etwas mehr zu geben, um denjenigen den Besuch zu ermöglichen, die nichts oder wenig geben können.

Ein wesentlicher Punkt dabei war, dass sich niemand beobachtet fühlen oder seine Armut outen musste. Wir haben einfach Spendenboxen aufgestellt. Dabei haben wir bewusst nicht von Spenden gesprochen, weil wir eine soziale Verantwortung mit ansprechen und das Bewusstsein dafür wecken wollten, dass es bestimmte Gründe hat, wenn jemand mehr Geld hat als andere. Dieser Aspekt war uns wichtig. Die Erfahrung hat jedenfalls gezeigt, dass wir mehr eingenommen haben als beim Festival davor, wo es noch fixe Veranstaltungspreise gab. Vielleicht lag es auch am Thema. Vielleicht funktioniert es bei einem anderen Thema nicht so gut. Das wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.

Eine wichtige Frage war und ist für uns auch, wie wir Menschen erreichen können, die physisch oder psychisch besondere Bedürfnisse haben. Wir haben beispielsweise bei jedem Informationsabend und auch bei Aufführungen eine Übersetzung in ÖGS (Österreichische Gebärdensprache) angeboten. Es war uns klar, dass eine solche Initiative nicht sofort dazu führt, dass die Gehörlosen voll mitmachen, aber wir wollten auf diese – oft vergessene – Personengruppe aufmerksam machen und ihr die Möglichkeit zur Beteiligung geben. Punktuell haben wir Gehörlose damit erreicht, was wir als wunderbaren Erfolg verbuchen. Natürlich gab es ihrerseits Vorbehalte, die man nicht von einem Tag auf den anderen auflösen kann. Im Bereich der Kultur gibt es noch nicht sehr viele Initiativen, die ihre Bedürfnisse aufgreifen. Wir wollen einen Beitrag leisten, das zu erreichen.

Darüber hinaus haben wir fast alle Veranstaltungsorte für Rollstühle zugänglich gemacht. Bis auf das Stadttheater Grein, wo das aus Denkmalschutzgründen nicht möglich war, haben wir sämtliche Veranstaltungsorte so ausgestattet, dass es für Rollstuhlfahrer*innen möglich war, diese zu besuchen. Wir hatten auch Behindertenbusse bei unseren Projektfahrten. Diese sind nicht über die Maßen angenommen worden, aber ich glaube, es sollte Grundprinzip sein, an verschiedenste Bedürfnisse zu denken.

Zusätzlich haben wir versucht, Geflüchtete auf der Projektebene einzubinden, was uns allerdings nicht wirklich gelungen ist. Wir hätten auch die Möglichkeit der Übersetzung in Farsi oder Paschto angeboten. Da kann man sich durchaus noch weitere Strategien überlegen. Auf der Ebene der Zusammenarbeit ist es uns aber sehr wohl gelungen, Geflüchtete anzusprechen. Sie haben uns unterstützt und auch Kulturveranstaltungen besucht. Das hat zum Beispiel beim Volxfest zu einem wunderbaren Bild geführt: Dort wurde stark mit traditionellen Gruppen vor Ort zusammengearbeitet und zahlreiche Menschen sind in Tracht erschienen. Auch Personen in afghanischer Tracht waren dabei.

 

Es sollte ermöglicht werden, dass Geflüchtete leben, überleben und arbeiten können. Das ist nicht gegeben und Kultur ist nicht der zentrale Anker, wo man ansetzen kann.“

 

Die Einbindung hat auf der Projektebene nicht so gut funktioniert. Gibt es Vermutungen wieso?

Einerseits liegt es daran, dass Geflüchtete noch immer in Heimen untergebracht sind. Es ist relativ schwierig, sie aus den Heimen ‚herauszuholen‘ und sie für Kultur zu begeistern. Wir haben versucht, etwas mit der „Bewusstseinsregion“ zu entwickeln und die Geflüchteten in die Erarbeitung eines Projekts einzubeziehen. Es war uns wichtig, nicht nur etwas mit Geflüchteten oder gar nur für sie etwas zu machen, sondern es sollte etwas aus ihren Bedürfnissen, die sie selbst artikulieren entstehen. Dass dabei nichts herausgekommen ist, ist teilweise ein Scheitern unsererseits, aber auch dem geschuldet, dass die Situation von Geflüchteten in Österreich immer noch katastrophal ist. Man kann nicht hergehen und sagen: „Jetzt sind wir mit dem Festival da und alles ist super.“ Grundsätzlich ist es eher das Ziel der Geflüchteten, am Leben teilhaben zu dürfen und in die Arbeitswelt integriert zu sein. Es sollte ermöglicht werden, dass Geflüchtete leben, überleben und arbeiten können. Das ist nicht gegeben und Kultur ist nicht der zentrale Anker, wo man ansetzen kann. Wir können nach Kräften auf die Situation der Geflüchteten aufmerksam machen. Aber in ihrer Situation ein volles Interesse am kulturellen Leben zu erwarten, wäre etwas viel verlangt.

 

„Genau“ – Eröffnungskonzert der Bürger*innen von Ondamarela. Foto: Nick Mangafas

 

Bleiben wir bei der letzten Ausgabe des Festivals: Wo funktionierte Teilhabe gut?

Wir haben viele Künstlerinnen und Künstler eingeladen, die partizipativ arbeiten. Wir hatten über 100 Workshops im Vorfeld des Festivals und haben mit den Leuten vor Ort Projekte auf verschiedenen Ebenen entwickelt. Teilhabe kann in unterschiedlichen Intensitäten und auf mehreren Ebenen stattfinden.

Es sollte zum Beispiel ein Männerchor beim Theaterstück Die Gütigen mitmachen. Es war relativ schwierig, einen dafür zu begeistern, aber mit viel Überzeugungsarbeit ist es uns gelungen. Das war eine Form der Partizipation, bei der vorgegeben war, was der Chor unter Anleitung einer Künstlerin und eines Künstlers zu tun hat. Die Mitglieder konnten in Bezug auf Einzelheiten schon mitsprechen, diskutieren und etwas verändern, aber im Wesentlichen war der Rahmen vorgegeben.

Anders war es zum Beispiel bei Ondamarela, unserem Eröffnungskonzert. Die beiden Künstler – einer aus Portugal, einer aus England – setzten auf eine intensivere Form der Partizipation: Sie haben in zahlreichen Workshops im Vorfeld gemeinsam mit Mitwirkenden aus der Bevölkerung die Texte, die Musik und den gesamten Ablauf entwickelt. Das heißt, da war tatsächlich jede Person, die mitgemacht hat, sowohl in den Gestaltungsprozess als auch in die Aufführung eingebunden. Das ist eine sehr intensive Form der Partizipation.

 

„Bei Partizipation finde ich einen emanzipatorischen Gedanken zentral.“

 

Beim Ansatz der Partizipation ist uns wichtig, dass die Leute mitmachen, weil sie Spaß daran haben, dass etwas durch ihr Mitwirken entsteht und/oder weil sie etwas bewegen wollen.

Wir – ich und auch Airan Berg als künstlerischer Leiter – sind der Ansicht, dass es wichtig ist, dass sich bei den Menschen etwas verändert: ihr Verhalten, ihr Denken, ihre Zugänge. Das ist beispielsweise beim Chor, den ich erwähnt habe, sehr augenscheinlich gelungen. Die Sänger haben gesagt, sie würden in Zukunft sofort mitmachen, wenn jemand mit etwas Neuem kommt. Das ist ein schöner Erfolg.

 

Wie haben die Menschen von den Workshops erfahren?

Durch sehr viel Kommunikationsarbeit auf verschiedensten Kanälen: insbesondere über Social Media sowie die Tages- und Wochenmedien in der Region. Vor allem mit den Workshops zielen wir hauptsächlich auf ein regionales Publikum ab, während wir mit dem Festival selbst auch ein überregionales Publikum gewinnen möchten. Die Workshops sind immer in die jeweilige Gegend eingebettet und dementsprechend nutzen wir viele Kanäle: Bürgermeisterbriefe, Gemeindezeitungen, Wochen- und Tagesmedien vor Ort, Freies Radio, Freie Fernsehstationen, Social Media, Mundpropaganda und vieles mehr.

 

Wer sind die Personen, die nicht zum Festival kommen, die nicht teilhaben konnten?

Gerade beim Thema Soziale Wärme war es relativ klar, wen wir damit nicht erreichen würden. Es gibt eine Menge Leute, die eher nicht „sozial warm“ denken und agieren, sei es im Zusammenhang mit Migration und Flucht, sei es in der sozialen Frage. Wir haben mit diesem Thema natürlich eher Interessierte oder Indifferente erreicht. Es ist für mich in Ordnung, wenn gewisse Menschen nicht dabei sein wollen. Da geht es also nicht um einen aktiven Ausschluss, sondern um eine realistische Einschätzung, wen wir mit dem Festival nicht erreichen. Dagegen anzukämpfen oder sich gar inhaltlich verbiegen, würde keinen Sinn machen.

Natürlich gibt es auch ein Gefälle in der Rezeption von Kunst und Kultur zwischen Menschen mit mehr Geld, und jenen, die weniger Geld haben – das kann man auch mit „pay as you can“ nicht so einfach ausgleichen. Das hängt mit vielen verschiedenen Dingen zusammen, beispielsweise mit Bildung, die ja in vielen Fällen sozusagen vererbt wird. Um ökonomische Ungleichheit und darauf basierende Ausschlüsse zu lösen, bedarf es einer viel umfassenderen Politik, die ein Festival nicht leisten kann. Das geht in die Kulturpolitik, die Sozialpolitik und auch in die Flüchtlingspolitik.

Wir können versuchen, Zugänge herzustellen, aber es gibt Dinge, an denen wir notgedrungen scheitern. Wichtig ist es trotzdem, darüber nachzudenken und sie mitzudenken. Auch Gesundheits- und Behindertenpolitik können wir nicht ändern. Wir können nur versuchen, mit unseren kleinen, begrenzten Möglichkeiten zu agieren und die bestmögliche Arbeit zu leisten.

 

„Volxfest“ von Simon Mayer und Teresa Distelberger. Foto: Nick Mangafas

 

„… bei der Tradition ansetzen im Bewusstsein, dass auch sie sich verändert.“

 

Gibt es weitere Gründe der Nicht-Teilhabe?

Es gibt ein potenzielles Publikum, das sich eher in traditioneller Kultur zuhause fühlt und einem innovativen, künstlerischen Festival am Puls der Zeit manchmal skeptisch gegenübersteht. Wir haben versucht, Formate zu schaffen, die speziell Traditionsvereine eingebunden haben, wie 2019 zum Beispiel das Volxfest. Dabei ging es darum, bei der Tradition anzusetzen im Bewusstsein, dass auch sie sich verändert und nichts ist, was stehenbleibt. Mit einzelnen Projekten konnten wir an Traditionsvereine wie Goldhaubengruppen andocken und sie aktiv ins Festival einbinden. Wir sehen das als Erfolg und sind überzeugt, dass diese Involvierung auf verschiedensten Ebenen etwas Positives bewirkt hat.

Ein weiterer Punkt ist, dass es ein reichhaltiges Angebot an Kunst und Kultur gibt, auch am Land. Die Leute sind sehr aktiv, etwa in Gesangsvereinen oder in der Blasmusik. Unser Festival findet in einem Zeitraum statt, in dem viele Aktivitäten wie Blasmusikwettbewerbe oder Gesangsvereinstreffen stattfinden. Das ist natürlich ein Ausschlussgrund, weil die Menschen dann weder an den Projekten teilnehmen können noch als Publikum erscheinen. Damit hat man sowohl in der Stadt als auch am Land zu kämpfen. Am Land vielleicht noch mehr, weil so viele Menschen in Vereinen aktiv sind. Das war mir so nicht bewusst.

Außerdem gibt es natürlich Leute in der Region, die zum Arbeiten in die Stadt fahren, in die VOEST zum Beispiel. Sie fangen in der Früh an zu arbeiten und kommen dann heim zum Essen und Schlafen. Sie haben oft nicht mehr die Energie, Kulturveranstaltungen zu besuchen.

 

Wenn man als Festivalveranstalter*in über Teilhabe nachdenkt, auf welchen Ebenen passiert das? Wir haben vom Publikum gesprochen, vom Thema und von den Projekten. In der Organisation selbst spielt Teilhabe vermutlich auch eine wichtige Rolle?

Man sollte immer die Frage mitdenken, welche gesellschaftlichen Gruppierungen in der eigenen Organisation repräsentiert sind. Mittlerweile sind in Kulturorganisationen viele Frauen eingebunden. Aber immer noch gibt es ein Gefälle, auf welchen Ebenen sie mitwirken. Selbst im Kulturbereich sind sie weniger an den gut bezahlten Schaltstellen zu finden als bei ausführenden bzw. unbezahlten Tätigkeiten. Auch Migrant*innen oder Geflüchtete sind viel zu selten in die Organisationen eingebunden – oft nicht einmal in den unbezahlten Bereichen wie zum Beispiel Vorstandstätigkeiten und noch weniger in bezahlten oder gar gut bezahlten Positionen. Bei einer Organisation in der Größenordnung des Festivals der Regionen hat man nicht sehr viel Spielraum. Aber wir versuchen, diese Dinge zu berücksichtigen, also dass auch Frauen in Entscheidungspositionen sitzen, dass wir Menschen mit Migrationshintergrund miteinbeziehen und Ähnliches. Aber natürlich ist das ein Anliegen, das noch lange nicht erfüllt ist bzw. das immer im Werden bleiben wird.

 

„Vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen“ von Andreas Gruber. Foto: Nick Mangafas

 

„Eine andere Herausforderung ist die Erreichbarkeit. An der sind wir sehr oft gescheitert.“

 

Wo siehst du die größten Unterschiede zwischen dem städtischen und dem ländlichen Raum?

Ich glaube, dass es in Ballungszentren mehr Publikum gibt, also mehr Personen, die am Abend Zeit und Lust haben, auf eine Kulturveranstaltung zu gehen, während es am Land mehr Menschen gibt, die selbst Produzentinnen und Produzenten sind. Dort gibt es aber aus unterschiedlichen Gründen, wie vorher schon gesagt, weniger Publikum.

Eine andere Herausforderung ist die Erreichbarkeit. An der sind wir sehr oft gescheitert. Zum Beispiel haben wir für unser Eröffnungskonzert im Rahmen von Soziale Wärme viele Workshops an Schulen durchgeführt, wo wir großartige Erfahrungen mit den Schülerinnen und Schülern gemacht haben. Es war unglaublich, wie schnell sie von Ondamarela begeistert waren. Es hätten sicher viele bei diesem Projekt mitgemacht, wäre da nicht die Frage der Erreichbarkeit gewesen. Am Land müssen Schülerinnen und Schüler oft von ihren Eltern irgendwohin gebracht werden. Man kann zwar im Vorfeld, in der Schule, mit ihnen arbeiten, aber ob sie dann tatsächlich zur Aufführung kommen können, ist fraglich. Die Eltern sind verständlicherweise nicht immer bereit, sie – zusätzlich zum Reitunterricht oder Kindertheater – zu noch einer weiteren Veranstaltung zu bringen. Mobilität ist ein großes Thema am Land.

 

In Salzburg findet 2021 ein neues für den ländlichen Raum konzipiertes Festival statt. Was sind deine drei wichtigsten Empfehlungen für so ein Festival?

Wir sind mit unserem Festival jedes Mal in einer völlig anderen Region. Wir stellen uns manchmal die Frage, ob es nicht klug wäre, eine Region zweimal oder dreimal zu bespielen oder mit dem Festival zwei Jahre später in die Nachbarregion zu gehen. Man erzielt idealerweise positive Effekte in einer Region, die man für das nächste Festival nutzen könnte und kann auf Mitwirkende, Publikum und Netzwerke zurückgreifen. Es ist ziemlich zeitraubend, jedes Mal wieder alles von Neuem aufzubauen.

Etwas anderes ist die Größe der Region. In der Leader-Region Perg-Strudengau beispielsweise fährt man von einem Ende bis zum anderen etwa zwei Stunden mit dem Auto oder mit dem Bus. Der öffentliche Verkehr ist am Land oft problematisch. Wir haben daher Shuttledienste eingerichtet, aber diese kann man nicht so gestalten, dass die ganze Region bedient wird. Insofern wäre eine Anregung für das Festival in Salzburg, mit einem relativ kompakten, kleinen Gebiet zu beginnen. Man kann dann immer noch größer werden.

Auf der Programmebene ist der Weg des Festivals der Regionen ein interessanter – und es wäre sicher gut darüber nachzudenken, ob das in Salzburg auch funktionieren könnte: Wir treten nicht als Importeur von Kulturprojekten auf. Wir finden es wesentlich, die Bevölkerung mit ihren Bedürfnissen in die Programmentwicklung und in die Programmgestaltung einzubinden. Ich glaube, sowohl in Oberösterreich als auch in Salzburg ist es für ein Festival im ländlichen Raum wichtig, dass etwas bleibt – durch die aktive Einbindung der Bevölkerung bereits in der Programmgestaltung ist das eher gewährleistet. Wir haben aus diesem Grund unser Konzept bei der Ausschreibung für das Festival der Regionen 2021 umgestellt. Wir haben die Künstler*innen eingeladen, nicht wie bisher fertige Projekte einzureichen, sondern sich als „KulturNaut*innen“ zu bewerben. Die ausgewählten Künstler*innen werden über längere Zeiträume gemeinsam mit der Bevölkerung vor Ort Projekte entwickeln und dann beim Festival umsetzen.

 

„Die Gütigen“ (hier mit Blaine L. Reininger und Liedertafel Naarn) von Elli Papakonstantinou. Foto: Nick Mangafas

 

„Eigentlich ist aber die Politik gefragt: Wollen wir, dass Kunst und Kultur stattfinden können und wenn wir das wollen, wie können wir das am besten ermöglichen, erleichtern und Zugänge schaffen?“

 

Was braucht es von kulturpolitischer Seite, damit man in ländlichen Räumen bestmöglich arbeiten kann? Was ist die Rolle von Kulturverwaltungen in diesem Zusammenhang?

Ich glaube, dass die Rahmenbedingungen von der Kulturpolitik vorgegeben werden. Natürlich hat die Verwaltung Spielräume, die sie nutzen kann. Eigentlich ist aber die Politik gefragt, die für sich klar definieren muss: Wollen wir, dass Kunst und Kultur stattfinden können und wenn wir das wollen, wie können wir am besten ermöglichen, erleichtern und Zugänge schaffen?

In Linz hat man es gegenwärtig zum Beispiel mit der Situation zu tun, dass die Budgets stagnieren, wenn nicht sogar zurückgehen. Das heißt, dass bestehende Initiativen finanziell mehr schlecht als recht ausgestattet werden. Neue Initiativen haben es besonders schwer. In den ländlichen Regionen ist es ähnlich oder noch schlimmer. Ich glaube, viele würden sich eine Weiterentwicklung am Land wünschen, aber dafür müssten verstärkt Gelder für neue Initiativen freigemacht werden – für junge Menschen, die ihre eigenen Ideen haben, um ihre Entwicklung zu fördern.

Es gibt kulturpolitische Überlegungen in Hinblick auf die Schaffung besserer Rahmenbedingungen, aber es gibt da immer noch genug zu verbessern. Als Beispiel möchte ich die „Lustbarkeitsabgabe“ anführen, die oft noch für Kulturveranstaltungen mit Musik und Tanz eingehoben wird. Die Stadt Perg hat diese abgeschafft. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Denn man sollte froh sein, wenn die Menschen ihre privaten Räume verlassen und in einen Kommunikationsraum mit anderen treten, und das nicht noch extra besteuern. Auf bürokratischer Ebene, etwa was Genehmigungen betrifft, gibt es auch Hürden, die man reduzieren könnte. Natürlich ist Sicherheit wichtig, aber das könnte auch ein wenig kooperativer funktionieren, als das derzeit oft der Fall ist. Wir haben zwar in Perg-Strudengau durchwegs gute Erfahrungen gemacht, aber es gibt auch andere Fälle. Ich habe kürzlich in einer größeren Stadt eine Veranstaltung organisiert, wo die Kommunikation mit den Behörden dermaßen kräftezehrend war, dass ich verstehen kann, wenn manchen die Lust vergeht, etwas zu veranstalten – mehr Miteinander wäre wünschenswert. Im Vordergrund sollte stehen, Kulturveranstaltungen zu ermöglichen, bei denen Menschen zusammenkommen und gemeinsam tanzen, feiern, diskutieren und mehr können.

 

Spielen digitale Möglichkeiten der kulturellen Teilhabe beim Festival der Regionen eine Rolle, zum Beispiel Aufzeichnungen?

Wir hatten mit Dorf TV, dem Freien Fernsehsender in Oberösterreich, eine Kooperation und stellten für deren Projekt Durchlauferhitzer Geld zur Verfügung. Dorf TV war sehr begeistert vom Festival und hat über unsere Vereinbarungen hinaus Sendungen gemacht. Diese sind im Online-Archiv zu finden. Wir versuchen auch mit den Freien Radios zusammenzuarbeiten. Das Radio B138 ist zum Beispiel aus dem Festival der Regionen heraus entstanden.

Es ist uns wichtig, die Freien Medien als Partner zu stärken, weil das auch Kulturinitiativen sind. Das Festival der Regionen hat in diese Richtung immer wieder Impulse gesetzt.

 

„Wir sind auf einem sehr intensiven Level von Partizipation gelandet.“

 

Das Festival der Regionen gibt es nun seit einem Vierteljahrhundert. Wie hat es sich über die Jahre verändert hat?

Es hat sich enorm viel verändert. Das liegt unter anderem auch daran, dass der finanzielle Rahmen viel kleiner ist als zu Beginn. Damals war es noch möglich, ganz Oberösterreich zu bespielen. Das ist zwei oder drei Festivals lang passiert, war aber logistisch sehr aufwändig. Dass das möglich war, lag sicher vor allem am Geld, aber auch am speziellen Spirit in den Initiativen, für die das Festival gegründet worden war.

Eine weitere Änderung ist die verstärkte Internationalisierung. Das Festival der Regionen von 2019 war die erste Ausgabe, bei der es ein EU-Projekt gab. Airan Berg hat gemeinsam mit einem Kollegen, Tile von Damm, Centriphery eingereicht. Das ist ein Projekt, bei dem es um regionale Mythen und ihre Weiterentwicklung geht. Es ist von der EU finanziert und wird noch bis 2022 mit neun Partnern aus ganz Europa umgesetzt. Diese Hinwendung zu Europa ist eine Veränderung.

Ich habe außerdem den Eindruck, dass die Partizipation beim letzten Festival stärker geworden ist. Das Festival der Regionen war immer partizipativ, aber die über 100 Workshops, mit denen wir ein halbes Jahr vor dem Festival begonnen haben, waren 2019 eine neue Qualität. Wir sind auf einem sehr intensiven Level von Partizipation gelandet.

 

Anita Moser, Andrea Hummer ( 2020): Nicht wie ein UFO in einer Region landen. Andrea Hummer im Gespräch mit Anita Moser über Möglichkeiten und Grenzen kultureller Teilhabe beim Festival der Regionen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/nicht-wie-ein-ufo-in-einer-region-landen/