Das Projekt Coding da Vinci: „Ein einziger großer Experimentierraum.“

Im Grunde ist Coding da Vinci ein einziger großer Experimentierraum.“

Philippe Genêt im Interview mit Anita Thanhofer

Der Kultur-Hackathon Coding da Vinci findet seit 2014 statt und ermöglicht es Kulturinstitutionen in Zusammenarbeit mit Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft, basierend auf digitalen Datensets, Ideen für Kulturräume der Zukunft zu entwickeln und umzusetzen. Im Herbst 2020 findet in Niedersachsen bereits die zehnte Ausgabe von Coding da Vinci statt. Im Interview gewährt Philippe Genêt, seit April 2019 Koordinator der Geschäftsstelle von Coding da Vinci, Einblicke in diesen digitalen Experimentierraum.


Bevor wir in das Thema Coding da Vinci einsteigen, würde ich Sie bitten, kurz etwas über sich und über Ihren beruflichen Background zu erzählen und auch zu Ihrer Verbindung zu dem Projekt.

 

Mein Name ist Philippe Genêt und ich leite die Geschäftsstelle von Coding da Vinci in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt. Ich persönlich komme aus dem Projektmanagement sowie aus der Buchbranche. Ich habe früher beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels gearbeitet und dort Projekte wie den Deutschen Buchpreis und den Vorlesewettbewerb des Deutschen Buchhandels geleitet. Ich bin dann über einen kleinen Umweg an die Nationalbibliothek gekommen und freue mich, wieder in der Kultur zu arbeiten, aber auch an der Schnittstelle zwischen Kultur und digitaler Welt. Das ist ein aufregendes und spannendes Feld, das mich sehr interessiert.

 

Welche Idee liegt dem Projekt Coding da Vinci zugrunde und was war die Ausgangslage?

 

Coding da Vinci wurde 2014 von den Gründerinstitutionen aus der Taufe gehoben. Das sind die Deutsche Digitale Bibliothek, Wikimedia Deutschland, digiS – das Forschungs- und Kompetenzzentrum Digitalisierung in Berlin – und die Open Knowledge Foundation. Diese Einrichtungen schlossen sich mit dem Ziel zusammen, einen Raum zu schaffen, in dem Kulturinstitutionen und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten können, um gemeinsam den Kulturraum der Zukunft zu gestalten. Dabei spielten und spielen Aspekte wie offene Daten, Teilhabe, Vermittlung und die Erschließung neuer Ziel- und Interessensgruppen eine große Rolle.

Die Ausgangsidee war es, einen Hackathon zu veranstalten. Dieser fand dann gleich 2014 erstmals in Berlin statt. Kulturinstitutionen brachten offene Datensätze mit, für die im Zuge dieses Hackathons Nutzungsszenarien entstehen sollten. Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft, also freiwillige bzw. ehrenamtliche Hacker*innen, Coder*innen, Designer*innen, Künstler*innen etc. oder Kulturinteressierte im Allgemeinen konnten als Teilnehmende zu dieser Veranstaltung kommen und ihre Ideen in lauffähige Prototypen umsetzen.

Bei diesem Format ist es seither geblieben. Es hat zwei Vorteile: Für die Kulturinstitutionen ist es ein überschaubarer Rahmen, in dem sie alle Aspekte des offenen Zur-Verfügung-Stellens von Daten durchspielen können. Sie können an dem Prozess der Verwendung der Daten teilhaben, sich aktiv einbringen, Menschen aus der Technikwelt kennenlernen, Kontakte knüpfen, Netzwerke schaffen und so weiter. Das ist ein Lernprozess für Kulturinstitutionen, der mittelfristig auch viele weitere Prozesse in Gang setzen soll, sodass es am Ende selbstverständlich ist, dass Zivilgesellschaft und Kulturinstitutionen auf Basis offener Daten zusammenarbeiten. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sich die Zivilgesellschaft einbringen kann. Die Menschen werden von Kulturkonsument*innen zu Kulturschaffenden, indem sie gemeinsam mit Kulturinstitutionen aktiv werden und kreativ mit deren Daten arbeiten.

Bereits 2014 war Coding da Vinci ziemlich erfolgreich. Bis heute sind große Kulturinstitutionen dabei, die zum Teil schon viel Erfahrung im Bereich Digitalisierung und im Umgang mit offenen Daten haben. Es finden sich aber auch sehr kleine Institutionen unter den Teilnehmenden, für die das Neuland ist und die in diesem Bereich erste Schritte gehen. Das stellt eine schöne Mischung dar und hier können alle voneinander lernen.

Seit 2016 findet Coding da Vinci regional statt. Das heißt, 2016 ging es erstmals außerhalb von Berlin weiter. Die Veranstaltung in Berlin richtete sich an Teilnehmende und Kulturinstitutionen aus dem ganzen Bundesgebiet. Die Nordausgabe 2016 in Hamburg war hingegen eine regionale Ausgabe, bei der der Fokus auf regionalen Institutionen und Teilnehmenden lag. Diese Änderung geschah vor dem Hintergrund der Überlegung, dass Netzwerke regional viel einfacher herzustellen sind, weil sich Menschen vor Ort potenziell einfacher über den Weg laufen können. Das hat sich als sehr erfolgreich herausgestellt. Es folgten Ausgaben in Leipzig (Ost), im Rhein-Main-Gebiet, jetzt zuletzt in Süddeutschland und in Westfalen-Ruhrgebiet. Die nächste Ausgabe wird länderübergreifend in der Region Saar-Lor-Lux stattfinden. Seit 2019 wird Coding da Vinci auch von der Kulturstiftung des Bundes unterstützt.

Welche theoretischen oder methodischen Bezugspunkte in der Entwicklung des Projektes Coding da Vinci waren wichtig?

 

Was diesen Aspekt anbelangt, kann ich nicht so viel sagen, weil ich bei der Entstehung nicht dabei war. Ich kam erst später 2019 dazu. Das Veranstaltungsformat des Hackathons war 2014 ja noch nicht so verbreitet, wie es heute ist. Insofern war das Format an sich das, worauf man sich geeinigt hat, um in einem niedrigschwelligen, spielerischen Rahmen kreativ und unbefangen an die Umsetzung herangehen zu können. Der Ansatz war, allen Beteiligten einen möglichst offenen, gemeinschaftlichen Prozess zu ermöglichen, ohne unnötige Hürden.

 

In unserem Forschungsprojekt interessieren wir uns unter anderem besonders für Aspekte der Vermittlung. Was bedeutet Vermittlungsarbeit für Sie als Grundhaltung?

 

Im Rahmen von Coding da Vinci kann das sehr viel Verschiedenes bedeuten, weil sehr viele Perspektiven aufeinandertreffen. Aus Sicht der Kulturinstitutionen geht es wohl vorrangig darum, die Sammlungen und Bestände, die man hat, an ein bestimmtes ‑ oder eben auch nicht bestimmtes ‑ Publikum zu vermitteln. Vermittlungsarbeit aus Sicht der Teilnehmenden leisten wir auf einer anderen Ebene, indem wir die beiden Welten der Kultur und der Technik zusammenbringen und über den Hackathon einen Kommunikationsrahmen schaffen. Es geht darum, dass man miteinander spricht, dass man die jeweils andere Welt kennenlernt und einander besser versteht. Das ist auch eine der großen Leistungen von Coding da Vinci.

 

Welche Rolle nehmen Sie während dieses Projektes ein?

 

Die Geschäftsstelle ist eher eine Metaorganisation. Das heißt, wir beraten hauptsächlich regionale Veranstalter*innenteams, die den jeweiligen Hackathon durchführen, was insofern sinnvoll ist, als dass sie die Gegebenheiten vor Ort kennen. Es ist unmöglich, von außerhalb ein Community-Projekt zu installieren. Das scheitert schon an der Idee. Das heißt, wir bieten einerseits Unterstützung hinsichtlich der Infrastruktur. Wir haben ein Tool-Kit für Regionalveranstalter*innen. Sie bekommen von uns beispielsweise Templates für Drucksachen, aber auch alles, was Abläufe betrifft, etwa wann welche Einladungen rausgehen sollen. Andererseits beraten wir sie kontinuierlich. Grundsätzlich sind die Veranstalter*innen vor Ort aber selbstständig. Im Grunde sollen sie das Projekt ja zu ihrem machen. Wichtig ist uns auch die Zusammensetzung der lokalen Teams: Sie sollen zu gleichen Teilen aus Vertreter*innen der Open Data- und Creative-Tech-Communities und aus Kulturinstitutionen zusammengesetzt sein. Auf diese Weise sind alle Kompetenzen und Netzwerke bereits im Veranstalter*innenteam vereint. Das heißt, aus Vermittlungssicht sind wir eigentlich eher der Mediator des Formats und die tatsächliche Umsetzung findet bei den Regionalveranstalter*innen vor Ort statt.

Welche Rolle spielt Kommunikation im Projekt Coding da Vinci?

 

Eine zentrale. Kommunikation ist im Prinzip alles. Deswegen gibt es nicht nur den Kick-Off und die Preisverleihung, wie es bei Hackathons sonst immer ist, sondern es gibt im Vorfeld des Kick-Offs zahlreiche Info-Veranstaltungen für Kulturinstitutionen. Wir beginnen tatsächlich bei Adam und Eva und erklären zum Beispiel, was offene Lizenzen, offene Daten, Meta-Daten oder Meta-Daten-Formate sind. Es werden Fragen behandelt wie: „Wie muss man die Daten auf einem Hackathon präsentieren?“, „Auf welches Publikum trifft man da?“, „Was kann passieren?“, „Was kann schlimmstenfalls passieren?“ Wir machen das, um die wichtigsten Kenntnisse und Informationen in Vorbereitung auf die tatsächliche Veranstaltung zu vermitteln und dann alle auf die Reise mitnehmen zu können. Das heißt, Kommunikation beginnt bei unserem Projekt schon sehr früh.

Darüber hinaus erfordert es viel persönliche Kommunikation, Teilnehmende für den Hackathon zu akquirieren. Community-Kontakte herzustellen braucht die persönliche Kommunikation. Da kann man noch so viele E-Mails schreiben: Sie werden niemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Es geht hier um persönliche Beziehungen, um das Wecken von Interesse, um das Schaffen von Vertrauen und um Verbindlichkeit.

Auf dem Kick-Off selbst und danach geht es dann ausschließlich um Kommunikation. Zunächst geht es um die nachvollziehbare Präsentation der Datensätze. Die daran anschließende Entwicklung von Ideen passiert im Gespräch miteinander. Diese werden schließlich auf der Bühne gepitcht. Im Rahmen der auf den Kick-Off folgenden Phase formieren sich Teams, die das Projekt kommunikativ weiterentwickeln. Es gibt bei Coding da Vinci, anders als bei anderen Hackathons, eine sehr lange Sprintphase von sechs bis zehn Wochen. Das sind Wochen, in denen die Ideen, die beim Kick-Off entstanden sind, zu lauffähigen Prototypen weiterentwickelt werden, die man zeigen kann. Auch sie werden wieder einem Publikum präsentiert – über diverse kommunikative Mittel.

Findet Kommunikation vor, während oder nach dem Hackathon auch im digitalen Raum statt? Oder in den sozialen Netzwerken? Wenn ja, wie empfinden Sie diese Formen der Kommunikation?

 

Ja. Sehr viel Kommunikation findet online statt. Natürlich gibt es eine Projektwebsite, über die Datensätze vorgestellt werden, ebenso wie die Projekte selbst. Sie sind dann dauerhaft auf unserer Website abzurufen. Wir pflegen einen Twitter-Account, weil wir Twitter als das soziale Medium identifiziert haben, über das wir am effektivsten unsere Zielgruppen erreichen. Abgesehen davon läuft auch sehr viel der Kommunikation innerhalb der Projektteams online. Wir bieten zwar Meet-Ups an, aber die Hauptkommunikation findet über E-Mail, Slack oder andere virtuelle Tools statt. Manchmal arbeiten die Gruppen auch in digitalen Labs und die meisten nutzen GitHub. Wir haben auch ein HackDash, wo man das Fortschreiten der Projekte verfolgen kann. Die Internet-Infrastruktur ist für ein kollaboratives Arbeiten über Distanzen sehr wichtig.

Mit wem gestalten Sie das Projekt Coding da Vinci und in welcher Weise?

 

An Coding da Vinci sind einerseits Kulturinstitutionen beteiligt, andererseits zivilgesellschaftliche Institutionen, aber auch Einzelpersonen. Wie bereits angesprochen, ist es besonders wichtig, dass diese Gruppen im regionalen Veranstalter*innenteam schon zu möglichst gleichen Teilen repräsentiert sind und in ihre jeweilige Peer-Group hineinwirken können. Sowohl Kulturinstitutionen als auch zivilgesellschaftliche Institutionen aus der Open-Data und Creative-Tech-Community verfügen schließlich über Netzwerke. Communities muss man in Bezug auf Letztere eigentlich sagen, denn sie sind divers und wenig organisiert. Gerade deshalb ist von Anfang an großes kommunikatives Engagement wichtig.

 

Wie wurden oder werden Menschen einbezogen? Wie können sie sich an dem Projekt beteiligen?

 

Die Kulturinstitutionen schicken Repräsentant*innen zum Hackathon, um ihre Kulturdaten vorzustellen und idealerweise am Entstehungsprozess der Projekte mitzuwirken. Das müssen sie nicht, aber es hat sich gezeigt, dass es für die Qualität der Projekte von großem Vorteil ist. Die Teilnehmenden rekrutieren sich hauptsächlich über Meet-Ups, User-Groups und andere Treffpunkte für kreative, kultur- und technikaffine Menschen. Diese Gruppen sind sehr divers. Sie bestehen ebenso aus Hacker*innen wie aus Kulturbegeisterten, die einfach einmal online etwas mit Kultur machen wollen. Letztere müssen nicht zwingend Kenntnisse haben, was etwa Programmiersprachen betrifft. Sie bringen dann einfach Ideen ein und im Rahmen eines solchen Projektes gibt es auch sehr viele Tätigkeiten, die nicht unbedingt Programmierkenntnisse erfordern. Beteiligen können sich grundsätzlich alle, die sich beteiligen wollen. Jede*r ist eingeladen, sich anzumelden, zum Kick-Off zu kommen und sich in der Form einzubringen, die er oder sie möchte.

Wurden im Rahmen des Projekts konkret Initiativen gesetzt, um Diversität zu fördern?

 

Diesbezüglich kann ich Beispiele nennen. Es gab bei Coding da Vinci Süd 2019 eine Kooperation mit dem Goethe-Institut, die eine Delegation aus dem globalen Süden miteingebracht hat. Teilnehmende sind aus Ländern wie Indonesien, Brasilien, Côte d’Ivoire, Senegal usw. nach München gekommen, um am Kick-Off teilzunehmen. Sie blieben erfreulicherweise nicht in einer Gruppe, sondern haben – auf verschiedene Gruppen verteilt – Projekte mitentwickelt. Das hat sich tatsächlich gemischt. Diese Erfahrung haben wir während der Hackathons immer gemacht. Das sind sehr offene Veranstaltungen, die das Bilden von interdisziplinären und in diesem Fall interkulturellen Teams befördern. Mit dem gerade anstehenden Hackathon in der Region Saar-Lor-Lux haben wir ein länderübergreifendes Event, das Frankreich, Luxemburg und Deutschland zusammenbringt. Das ist zwar eine Initiative im Kleinen, aber wenn man die Region kennt, weiß man, dass sie sich geschichtlich gesehen nicht immer grün waren. Insofern sind solche übergreifenden Projekte auch immer etwas, das Brücken baut und Verbindungen stärkt.

Welche Räume entstanden für das Projekt Coding da Vinci?

 

Speziell für Coding da Vinci entstanden keine Räume. Das Projekt nutzt bestehende Räume, um dort Veranstaltungen durchzuführen. Das können sehr unterschiedliche Räume sein. Coding da Vinci Saar-Lor-Lux nutzt tatsächlich einen Inkubator, also ein Lab, einen Co-Creation-Space bzw. einen dritten Ort, wenn man so möchte. Es gibt den Technoport in Esch sur Alzette, wo der Kick-Off stattfinden wird. Das ist auch außerhalb der Veranstaltung ein Ort, der offen für alle ist und an den man hinkommen, Menschen treffen und Ideen umsetzen kann. Coding da Vinci Süd fand in einer öffentlichen Bibliothek während der Öffnungszeiten, an einem Samstag, statt, in der Stadtbibliothek am Gasteig in München. Es war ganz normales Publikum da und nebenher lief der Hackathon. Das hat sehr gut funktioniert und den Hackathon auch nach außen geöffnet und gezeigt, dass solche Prozesse nicht immer nur im stillen Kämmerlein unter Ausschluss der Öffentlichkeit passieren, sondern tatsächlich auch mitten in der Gesellschaft stattfinden können. Je offener und flexibler die Räume für Coding da Vinci sind, desto besser.

 

Sind auch digitale Räume entstanden?

 

Ja, natürlich. Ein solcher Raum ist die Website, die sehr viel Webspace für Datensets und Projekte zur Verfügung stellt. Natürlich gibt es dort auch einen Ort, an dem Coding da Vinci beheimatet ist. Ansonsten sind die Räume auch im Digitalen sehr divers und von Vernetzung geprägt. Die Arbeit an den Projekten läuft hauptsächlich über GitHub, also einen bereits bestehenden Raum. Hier nutzen die jeweiligen Teilnehmenden ihre eigenen Accounts. Darüber hinaus gibt es Repositorien für Datensets der verschiedenen Kulturinstitutionen, die auf der Website zusammengeführt werden, falls sie eigene haben. Man verlinkt die diversen Orte, denn man muss ja nicht alles doppelt machen.

 

Haben diese Räume, von denen Sie gerade gesprochen haben, etwas mit einem Experimentierraum gemeinsam?

 

Im Grunde ist Coding da Vinci ein einziger großer Experimentierraum. Ohne das Projekt kleiner erscheinen zu lassen, als es ist, ist es eine Spielwiese für alle Beteiligten, die zusammenkommen und das tun, worauf sie Lust haben. Und zwar mit offenem Ausgang. Es ist auch nicht Ziel des Projekts, tatsächlich marktreife Produkte zu entwickeln, sondern es geht wirklich um die spielerische Herangehensweise. Es geht um das Ausprobieren der eigenen Fähigkeiten, es geht um den kreativen Umgang mit vorhandenem kulturellem Material und für Kulturinstitutionen geht es oftmals um die ersten Gehversuche in der digitalen Sphäre.

Welche Methoden und Formate der Vermittlung werden beim Projekt Coding da Vinci spezifisch eingesetzt?

 

Wir haben einerseits die bereits angesprochenen Info-Veranstaltungen für die Kulturinstitutionen, die dem Kick-Off vorgelagert sind. Das sind klassische Informationsvermittlungsformate wie Präsentationen, Gespräche oder Frage-Antwort-Settings. Beim Kick-Off selbst ist es die Aufgabe für Kulturinstitutionen, ihre Daten zu präsentieren. Das ist für viele eine große Herausforderung, weil wir ihnen im ersten Schritt nur eine Minute Zeit dafür geben. Das ist die sogenannte One-Minute-Madness, in der alle Kulturinstitutionen in direkter Folge ihre Datensets auf den Punkt bringen sollen, um Lust zu machen und Interesse zu wecken. Daraufhin gibt es noch ausführlichere Slots zur Vorstellung der Datensets. Am Ende des Prozesses, bei der Preisverleihung, stehen die Präsentationen der Projekte, die wiederum als Kurzpräsentationen von fünf bis sieben Minuten über die Bühne gehen. Andererseits gibt es aber im Anschluss daran einen Marktplatz, wo man die Projekte tatsächlich ausprobieren und mit den Entwickler*innen ins Gespräch kommen kann.

Vermittlung geschieht aber auch innerhalb der entstehenden Projekte, von denen viele vermittelnden Charakter haben. Um ein aktuelles Beispiel zu nennen, gibt es gegenwärtig ein Projekt, das Demokratie erLeben heißt. Das Team hat sich einer Datensammlung des Archivs der Arbeiterjugendbewegung angenommen, die in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts Zeltlager durchgeführt hat, die sich Kinderrepublik nannten. Dabei ging es darum, der Jugend durch eigenes Erleben demokratische Strukturen zu vermitteln. Das Team hat sich der Fotos dazu – es ist hauptsächlich Bildmaterial, das zur Verfügung steht – angenommen und über Storytelling, Animation und Videos eine Website gestaltet, die die Arbeit der Arbeiterjugendbewegung sehr anschaulich und sehr niedrigschwellig vermittelt.

Unsere Aufgabe ist es auch, die Idee von Open-Data und von einem offenen Zugang zu Kulturerbe einem breiteren Publikum nahezubringen. Das geschieht über Öffentlichkeitsarbeit, über die einzelnen Veranstaltungen, über Vorträge und so weiter.

 

Was denken Sie über Kommunikations- und Vermittlungsmöglichkeiten im digitalen Raum? Wo könnten Potenziale, aber auch Schwächen liegen?

 

Ich sehe die Chancen von Vermittlung im digitalen Raum darin, dass er wenig Hürden aufweist, sofern man ihn richtig nutzt. Selbstverständlich muss man dabei auf Barrierefreiheit, oder zumindest Barrierearmut achten. Er bietet die Möglichkeit, mit geringen Mitteln potenziell ein breites Publikum ansprechen zu können. Der Zugang ist niedrigschwellig und für viele Menschen gegeben. Hierin spiegelt sich aber auch der Nachteil. Mit klassischen kommunikativen Mitteln wie Veröffentlichungen oder Videos kann man zwar viele Menschen erreichen, allerdings sehr wenig individuellen Zuschnitt der Vermittlung gewährleisten. Das heißt, man streut mit der Gießkanne und hofft, dass die Botschaft ankommt. In analogen Formaten, in denen man persönlich auf Menschen trifft, ist es viel einfacher, Vermittlung durch die Interaktion individueller zu gestalten. Das geht in sozialen Medien besser, weil dort die Möglichkeit zur Interaktion besteht. Auch dort ist sie aber eingeschränkt, weil man sich nicht gegenübersteht und nonverbale Reaktionen oft unter den Tisch fallen. Man weiß ja, dass in sozialen Medien häufig Missverständnisse entstehen, weil Elemente wie Humor und Ironie oft nicht funktionieren. Das heißt, es gibt ein großes Potenzial in der digitalen Sphäre für Vermittlungsarbeit. Ich finde aber, dass sie umso mehr Sorgfalt in der Aufbereitung der Inhalte erfordert. Man darf sich auch nicht der Illusion hingeben, dass man eine einzige Aufbereitung oder eine Art der Vermittlung zur Verfügung stellt und damit sein Werk getan hat.

Gibt es Bezüge in dem Projekt Coding da Vinci, die zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Themen passen?

 

Ja, die gibt es. Für das Gesamtprojekt ist es sehr schwer zu sagen. Selbstverständlich sollen wir grundsätzlich auf nachhaltige Projekte und Entwicklungen achten. Das sind auch Vorgaben der Kulturstiftung des Bundes. Das ist aber, glaube ich, nicht die Zielrichtung Ihrer Frage. Innerhalb der Hackathons gibt es immer wieder inhaltliche Bezüge/Rückbezüge von Kulturerbe auf aktuelle Themen, wobei das natürlich ein Stück weit durch die zur Verfügung gestellten Daten gesteuert ist. Wir haben beispielsweise seit Kurzem auch ein Stipendienprogramm, das ausgewählte Teilnehmende dabei unterstützt, ihre Projekte weiter voranzutreiben. Innerhalb dieses Programms haben wir ein Projekt, das als Spiele-Safari gestartet ist. Das Team adaptierte Daten der Freien Universität Erlangen, etwa alte anatomische Tierzeichnungen, Chamäleons etc. und entwickelte damit vorerst Mini-Spiele, die über eine Website zugänglich waren. Für das Stipendium bewarb es sich mit dem Ziel, diese Bilder bzw. Bildwelten in Videos und Animationen zu überführen, sie auf Fragen wie Umwelt- und Klimaschutz anzuwenden und über Social Media zu verbreiten, um damit auf aktuelle Umweltthemen aufmerksam zu machen. Ich finde, das ist eine schöne Möglichkeit, eine Brücke zu schlagen, zwischen Kulturerbe und dem, was es uns heute noch sagen kann. Solche Fragen und Fragestellungen gibt es immer wieder, denn die Menschen von heute schauen mit dem Wissen von heute auf das Kulturerbe und entwickeln dann auch zeitgemäße Ideen. Das Projekt Demokratie erLebenist darüber hinaus auch eine Initiative, die sich mit einem nach wie vor aktuellen Thema beschäftigt. „Was ist Demokratie? Wie können wir Demokratie erhalten? Wie können wir das Wissen und Bewusstsein für Demokratie vermitteln?“ Coding da Vinci stellt aktuelle Bezüge also nicht nur auf der technischen Ebene, sondern vielfach auch inhaltlich her und bedient sich dabei alter Kulturdaten.

Danke für das Interview! Das waren sehr wertvolle Einblicke, die Sie uns gewährt haben.