Im Gespräch mit Oliver Parodi vom Quartier Zukunft

Das ‚Ganze‘ im Blick behalten

Wie das Quartier Zukunft – Labor Stadt globale Fragen mit dem lokalen Leben zusammenbringt

Oliver Parodi im Gespräch mit Elke Zobl und Katharina Anzengruber

Interview am 22.07.2020

Das Quartier Zukunft – Labor Stadt ist ein Reallabor, das vom Karlsruher Institut für Technologie in Kooperation mit der Stadt Karlsruhe getragen wird. In Reallaboren als Experimentierräume in der Wirklichkeit forschen Menschen aus der Wissenschaft gemeinsam mit Akteur*innen aus der Zivilbevölkerung zu gesellschaftlich wichtigen Themen einer nachhaltigen Entwicklung. Im Rahmen von Quartier Zukunft sind Einwohner*innen und Akteur*innen der Karlsruher Oststadt dazu eingeladen, ihren Stadtteil und ihre Zukunft nachhaltig zu gestalten. Lokale Fragestellungen liegen demnach im Fokus, wobei diese immer auch mit globalen Ereignissen in Verbindung stehen. Im Interview mit Elke Zobl und Katharina Anzengruber spricht Oliver Parodi, Initiator und Leiter des Quartier Zukunft über Voraussetzungen, die vorgefunden werden müssen, um Reallabore sinnvoll umsetzen zu können, über Merkmale dieser transdisziplinären Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen sowie über die Chancen, aber auch die Herausforderungen, mit denen man in der Reallabor-Arbeit konfrontiert ist. Darüber hinaus gewährt er konkrete Einblicke in das Quartier Zukunft: beginnend bei der Ausgangsidee für das Labor bis hin zu den gegenwärtigen Plänen für dessen Weiterentwicklung.


Bitte könnten Sie zunächst kurz skizzieren, worum es sich beim Projekt Quartier Zukunft – Labor Stadt handelt: Was waren die Ideen und Visionen, die Sie geleitet haben, als Sie das Projekt ins Leben riefen? Wie war die Ausgangslage? Wie sind Sie das Projekt angegangen? Und wie stellt es sich heute dar?

 

In Bezug auf die Entstehung von Quartier Zukunft und meine Motivation dahinter muss man wissen, dass ich ursprünglich aus der Nachhaltigkeitsforschung komme und vor Start des Projektes tief in der theoretischen und konzeptionellen Nachhaltigkeitsforschung drinnen steckte. Das war mir mit der Zeit etwas zu theoretisch. Ich hatte Nachhaltigkeit in aller Tiefe durchdrungen und gleichzeitig bemerkte ich, dass sie draußen in der Welt kaum umgesetzt wird dass der Zug sozusagen noch in die andere Richtung fährt. Ich wollte Nachhaltigkeit auch praktisch umsetzen, sodass ich 2011 die Idee zu Quartier Zukunft – Labor Stadt gebar. Das war mir auch vor dem Hintergrund wichtig, dass das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), an dem ich damals schon arbeitete, meines Erachtens eine Verantwortung für die Region hat. Das KIT ist eine riesige Forschungseinrichtung mit etwa 10.000 Mitarbeiter*innen, einer der größten Arbeitgeber und ein riesiger Wissenstanker. Es war mir wichtig, dass dort letztlich auch Wissen produziert wird, das in der Region Anwendung findet. So kam die Idee zustande, mit einem Reallabor ganz konkret in Karlsruhe nachhaltige Entwicklung anzustoßen, und zwar in einem Quartier. Als Projektgebiet bzw. als Reallaborgebiet suchten wir uns einen Stadtteil aus, nämlich die Karlsruher Oststadt. Dort wollten wir versuchen, in einem langfristigen partizipativen Prozess – gemeinsam getragen von Stadt und Wissenschaft – den bestehenden Stadtteil in Richtung Nachhaltigkeit zu entwickeln. Das war und ist die Zielrichtung. So etwas geht nicht von heute auf morgen und nicht sofort in allen Bereichen. Wir wollten einmal mit dem Versuch starten, unterschiedliche Allianzen zwischen der Wissenschaft und der Stadtgesellschaft zu bilden, die Beiträge für eine nachhaltige Entwicklung der Oststadt liefern. Das war zunächst nur eine Idee, eine Vision, die noch vor dem In-Gang-Kommen eines Reallabordiskurses geboren wurde. Als Quartier Zukunft – Labor Stadt an den Start ging, gab es den Begriff Reallabor noch nicht. Zumindest nicht im jetzigen Kontext. Es war Uwe Schneidewind, der diesen Begriff in die Debatte eingebracht hat. Wir haben uns getroffen, er hat mir von seiner Reallaboridee berichtet und zu seiner Verwun­de­rung habe ich ihm daraufhin von unserem Projekt in Karlsruhe erzählt. In weiterer Folge ergaben sich dann schöne Kooperationen.

2012 starteten wir dann in die konkrete Umsetzung. Wir suchten uns den Stadtteil aus, der uns für das Reallabor Quartier Zukunft als bestgeeignet erschien. Um das zu ermitteln, ließen wir eine wissenschaftliche Analyse über Karlsruhe laufen. Auf diese Weise kamen wir auf die Oststadt und fingen daraufhin an, quasi in den Stadtraum hineinzurufen. Wir traten dort auf und informierten alle 14.000 Haushalte in diesem Stadtteil darüber, dass es uns jetzt gibt und dass wir ein Nachhaltigkeitsprojekt starten. Wir forderten die Bewohner*innen auch von Beginn an dazu auf, bei Interesse mitzumachen. Es ist ein Leitmotiv unseres Projektes und unsere Überzeugung, dass Nachhaltigkeit letztendlich nur gemeinsam vorangebracht oder umgesetzt werden kann. Wir möchten weder von oben herab fordernd handeln noch von Seiten des KIT kommend irgendetwas installieren. So etwas wäre zum Scheitern verurteilt. Es war uns von Anfang an klar, dass wir im Dialog mit der Stadtgesellschaft arbeiten möchten.

Ich könnte stundenlang über die darauffolgenden acht Jahre berichten. Vielleicht aber noch ein bis zwei Sätze dazu, wie wir jetzt dastehen. Das Quartier Zukunft hat sich weiterentwickelt. Es war bisher immer projektfinanziert. Es ist uns gelungen, immer wieder Projektgelder zu akquirieren und immer mehr und unterschiedliche Themen zu bedienen. Wir sind mit dem Gedanken gestartet, Nachhaltigkeit umfassend und ganzheitlich umzusetzen bzw. sie zumindest so zu betrachten. Das heißt, wir haben uns nicht auf einen Sektor oder auf ein Thema versteift oder zu sehr darauf fokussiert. Wir haben zum Beispiel nicht gesagt, dass wir spezifisch etwas zu Ernährung, Energie- oder Klimawandel machen möchten. Unser Ansatz ist tatsächlich der, dass die Stadtgesellschaft letztlich insgesamt transformiert werden muss. Das heißt, dass in allen Lebensbereichen etwas passieren muss. Dem wollten wir uns widmen und das machen wir nach wie vor. Es geht natürlich nicht immer alles parallel, sondern wir setzen Schwerpunkte. Das ‚Ganze‘ versuchen wir aber zumindest im Blick zu behalten. Inzwischen laufen einige Unterprojekte etwa Klimaschutz gemeinsam wagen1 oder Energietransformation im Dialog2 parallel, und das Quartier Zukunft ist personell und finanziell gewachsen.

Wie sind diese Teilprojekte entstanden? Wie wurden die Ideen dazu entwickelt? Sind auch die Projekte selbst in Kommunikation bzw. im Dialog mit der Stadtgesellschaft oder mit verschiedenen Institutionen gemeinsam konzipiert und eingereicht worden oder eher vom Kernteam ausgegangen?

Wir haben den Dialog mit der Stadtgesellschaft sehr ernst genommen. Wer den Dialog startet, ist dabei zunächst einmal unerheblich. Quartier Zukunft funktioniert so, dass manchmal wir mit einer Idee in die Stadtgesellschaft gehen und beispielsweise sagen: „Wir sollten doch einmal etwas zu Ernährung machen.“ Oder: „Lasst uns doch einmal ein Reparaturcafé aufbauen.“ In diesem Fall geht die Initiative zwar von uns aus, die Frage ist dennoch, was als Antwort aus der Stadtgesellschaft kommt. Wenn eine Idee auf Resonanz trifft, kann man etwas daraus machen, wenn nicht, dann nicht. In gleicher Weise gibt es aber auch andere Projekte und Aktivitäten, die von Seiten der Stadtgesellschaft kommen und an uns herangetragen werden: „Lasst uns doch etwas zu Mietpreiserhöhung machen.“ Oder: „Lasst uns doch etwas zu Energiemanagement im Quartier machen.“ Gerade sind zum Beispiel Solarzellen auf Dächern aktuell. In diesem Fall entscheiden dann wir, ob der jeweilige Vorschlag zu uns passt. Wenn ja, versuchen wir, gemeinsam etwas daraus zu machen. Wichtig ist der gelingende Dialog. Man muss sich verstehen und gemeinsam an einer Idee arbeiten.

Sie haben jetzt lokale Themen angesprochen, die vor Ort entstehen. Wir diskutieren im Rahmen unseres Projektes die Verbindung von lokal und global. Wie verbinden Sie diese beiden Ebenen in Ihren Realexperimenten bzw. in Ihrer Arbeit im Allgemeinen?

 

Das ist eine gute Frage. Eine Besonderheit unseres Reallabors ist, dass es auf einem ausgearbeiteten Konzept nachhaltiger Entwicklung fußt. Das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), dem ich angehöre, betreibt seit mehr als 25 Jahren Nachhaltigkeitsforschung. Dort entstand auch ein wissenschaftlich-ethisch fundiertes Nachhaltigkeitskonzept, das sehr empfehlenswert ist: das Integrative Konzept Nachhaltiger Entwicklung. Das haben wir als Basis und auch als Pfund dabei. Wir operieren vor dem Hintergrund dieses Konzepts. Das heißt, wir haben mit unseren Fragestellungen oder mit unserer normativen Ausrichtung die globale Perspektive per se schon an Bord. Es geht letztlich um globale Themen. Die Frage ist, wie sich diese Themen lokal manifestieren oder widerspiegeln. Wir machen keine Projekte, die nicht zumindest das Potenzial haben, einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung zu leisten. Es geht uns also nicht um bloße Innovation. Nicht alles, was im Stadtraum Karlsruhe neu ist, wird von uns aufgegriffen. Wir schauen schon sehr genau, dass das, was passiert, zumindest potenziell Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten kann. Um in unserem Reallabor realisiert zu werden, muss es aber auch einen lokalen Bezug geben. Es ist wichtig für unsere Reallaborarbeit, dass sich globale Anliegen auch an konkreten, lokalen Dingen umsetzen lassen.

Könnten Sie ein Beispiel dazu geben, wie man eine globale Frage mit einem lokalen Anliegen verbindet?

Das müsste man hoffentlich an jedem Beispiel durchexerzieren können. Aber bleiben wir doch bei dem Beispiel Reparaturcafé. Das ist eine ganz konkrete lokale Initiative. Im Hintergrund stehen aber globale Fragestellungen von Konsum, Überkonsum, Ressourcenverbrauch oder Umweltverschmutzung, die damit einhergehen, wenn wir Dinge produzieren und vorzeitig wieder wegschmeißen. Es ist auch eine weitere Komponente dabei, nämlich die Hilfe zur Selbsthilfe. Also der Erwerb von Kompetenzen, um Dinge selbst zu reparieren. Diese werden bei Reparaturcafés auch weitergegeben. Ich würde sagen, dass es sich hierbei um global bedeutsame Aspekte handelt. Sie spiegeln sich in konkreten Aktionen vor Ort – in dem Falle einem Reparaturcafé – wider.

Dieses Reparaturcafé haben wir 2013 in Karlsruhe initiiert und regelmäßig durchgeführt. Inzwischen ist es in einen eigenständigen Verein übergegangen und existiert unabhängig von uns. Gleichzeitig sind wir mit Fragebögen und Interviews an die Menschen herangetreten, die es genutzt haben und haben gefragt: „Warum kommen Sie zum Reparaturcafé?“ Oder: „Was ist Ihnen dabei wichtig?“ Wir haben also auch versucht zu ermitteln, warum die lokale Bevölkerung dort hingeht. Energietransformation im Dialog ist ein weiteres Unterprojekt, das man dahingehend in den Blick nehmen könnte. Da geht es z.B. um eine Aktivität mit dem Ziel, doppelt so viele Solarzellen in Karlsruhe auf die Dächer zu bringen, wie momentan vorhanden sind. Das ist wieder ein lokales Anliegen. Man muss Vermieter*innen, Mieter*innen, Stadtverwaltung und Unternehmen davon überzeugen, Photovoltaik-Anlagen anzubringen. Gleichzeitig stecken dahinter die global bedeutsamen Themen Klimawandel, Ressourcenschonung und nachhaltige Nutzung von Energien. Ich hoffe, dass sich das für alle unsere Projekte durchhalten lässt. Ich denke aber schon.

Laut Website des Quartier Zukunft ist eine Weiterentwicklung des Projektes geplant. Wie hat es sich bisher verändert und in welche Richtung soll es jetzt entwickelt werden?

Das erzähle ich gerne. Ich glaube, das ist spannend für alle, die Reallabore ernsthaft und über einen längeren Zeitraum betreiben wollen. Zunächst muss ich darauf hinweisen, dass ich der Meinung bin, dass Reallabore eigentlich tatsächliche Labore sein sollten. Also Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, die Experimente durchführen. Das widerspricht der momentanen Praxis vehement, da Reallabore als Projekte gefördert werden, die zwei, drei, vielleicht auch mal fünf Jahre dauern und dann wieder zu Ende sind. Das sind für mich keine Labore, sondern höchstens Experimentreihen. Das wirklich Spannende an Reallaboren kann sich innerhalb so kurzer Zeiträume gar nicht richtig entfalten. Wenn man Reallabore hingegen bildlich als Labore installieren und auf eine Lebensdauer von 50, vielleicht auch 100 Jahren anlegen würde, dann würde man wirklich etwas gänzlich Neues in der Wissenschaftslandschaft haben. In der Naturwissenschaft und in Ingenieurspraxen gibt es massenhaft Labore, die so lange stehen. Es wäre wichtig, aus dieser ‚Projektitis‘ und Kurzfristigkeit herauszukommen und Institutionen des Wandels zu schaffen, um Transformationsprozesse auch langfristig begleiten zu können. Man sollte nicht mehr sagen müssen: „Ich muss in drei Jahren das Vertrauen der Stadtgesellschaft gewinnen, Projekte durchführen und hinterher noch sagen, was sie gebracht haben.“ Wenn man es mit Transformation ernst meint, dann sind das Prozesse, die nicht in drei Jahren abgeschlossen sind. Eine Transformation eines Ortes wie der Karlsruher Oststadt wird Jahrzehnte dauern. Das ist jetzt ins Blaue hineingeredet, aber in drei Jahren wird das sicher nicht erledigt sein. Man braucht also Institutionen, die langfristig bestehen, um Transformationsprozesse beforschen, aber auch begleiten zu können. Auch um die Kompetenzen zur Durchführung der Transformationen aufzubauen. Das könnten Reallabore leisten. Noch ist davon aber wenig zu sehen. Es war aber schon bei der Einrichtung von Quartier Zukunft unser Wunsch, dass wir unser Reallabor auf Dauer anlegen und letztlich institutionalisieren möchten. Das gehen wir jetzt an.

Gleichzeitig möchten wir eine zweite Schieflage von Reallaboren ausgleichen. Wir bekommen momentan – abgesehen von punktuellen Förderungen durch die Stadt und andere – vorwiegend aus dem Wissenschaftssystem Geld. Das gilt für alle mir bekannten Reallabore in Deutschland. Der größte Teil der Grundfinanzierung stammt letztlich aus dem Wissenschaftssystem. Wir sind Wissenschaftler*innen und machen Reallaborarbeit, haben dabei aber zwei Aufträge: Der eine ist, Wissen über Transformation und nachhaltige Entwicklung zu generieren. Der andere Auftrag ist, Stadtgesellschaft zu gestalten oder Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung selbst zu leisten. Es ist zumindest unser Anspruch, gleichzeitig auch etwas verändern und anschieben zu wollen. Das wiederum ist keine Aufgabe der Wissenschaft. Zumindest war es das bislang nicht bzw. ist es das in der gängigen Wissenschaftsauffassung nicht. Das heißt, ein Stück weit ‚missbrauchen‘ wir Gelder des Wissenschaftssystems, indem wir aus der Wissenschaft kommend mit diesen Mitteln Gesellschaft direkt gestalten. Das Geld dafür sollte jedoch eigentlich aus anderen gesellschaftlichen Bereichen stammen, nicht nur aus der Wissenschaft. Diese Schieflage von Reallaboren äußert sich in diesem Zusammenhang aber auch noch auf andere Art und Weise. In Deutschland sind die Verwendungen von Geldern aus dem Wissenschaftssystem sehr restriktiv. Wir können Gelder nur für bestimmte Zwecke ausgeben. Andere Dinge, die wir gerne machen würden, wie Mikrofinanzierung von Ideen oder die punktuelle Ausbezahlung von Honoraren für ehrenamtlich mitarbeitende Bürger*innen können wir gar nicht aus dem KIT heraus machen. Es bestehen rechtliche Regularien, die dies unterbinden. Das heißt, wir haben auch hier ein Problem, wenn wir nur im Wissenschaftssystem bleiben. Deshalb soll das Quartier Zukunft künftig auf zwei Beinen stehen. Mit einem Bein möchten wir weiterhin klar in der Wissenschaft verankert sein. Mit dem anderen Bein haben wir nach einer Rechtsform gesucht, in der wir auch in der Gesellschaft operieren können. Wir haben den Verein WandelWirken e.V. gegründet. Dieser soll gemeinsam mit dem KIT die Weiterentwicklung des Quartier Zukunft tragen. Diese Weiterentwicklung trägt den Namen Karlsruher Transformationszentrum für Nachhaltigkeit und Kulturwandel. Hier soll gleichzeitig Wissenschaft betrieben und Gesellschaft gestaltet werden. Die beiden Standbeine – Verein und Wissenschaft – sollten unseres Erachtens den Aufgaben von Reallaboren viel besser gewachsen sein als die gegenwärtigen Konstrukte, die zumindest in Deutschland zu 95 Prozent aus der Wissenschaft stammen.

Diese Kombination von Verein und Forschungseinrichtung ist spannend. Ich bin neugierig, was Sie in fünf Jahren erzählen werden.

Das bin ich ehrlich gesagt auch. Wir starten gerade eben damit. Daher kann ich über keine Erfahrungen berichten. Wir haben vor, damit unser Reallabor Quartier Zukunft auch inhaltlich auszubauen. Wir hatten bislang als Reallabor vor allen Dingen Forschung, Nachhaltigkeitsbeiträge und das Experimentieren im Fokus, und auch die Bildung, ein bisschen nebenher. Bildung betreiben wir implizit und explizit, also in beiden Formen. Aber mit dem Karlsruher Transformationszentrum wollen wir auch weiter nach außen gehen und andere beraten: Kommunen, Projekte, wissenschaftliche Einrichtungen oder Unternehmen: dahingehend, wie man nachhaltige Entwicklungen managt, wie man Transformationsprozesse anstößt, insbesondere welche Kooperationen sich zwischen Wissenschaft und Praxis gelingend aufbauen lassen. Wir möchten uns auch wieder näher an die Grundlagenforschung herantasten, weil Reallaborarbeit sehr angewandt, kontextuell und praktisch ist. Es besteht die Gefahr, mit der Zeit den Anschluss an die Grundlagenforschung zu verlieren. Deshalb wollen hier zumindest einen Ast ausbilden, der sich wieder mit Grundlagenforschung, also Grundlagen der Gesellschaft und Transformationen beschäftigt. Wir haben noch ein anderes Anliegen, das wir ausbauen möchten: die Auseinandersetzung mit Themen wie Einkehr, Kontemplation, Reflexion und Entschleunigung. Dieser Bereich der „Personalen Nachhaltigkeit“ ist in unserer immer noch beschleunigenden Welt sehr wichtig und deshalb möchten wir ihn ausbauen.

Kann man sich das Transformationszentrum als physischen Raum vorstellen? Ist es ein Experimentierraum, der für verschiedene Menschen zugänglich ist, oder ist es ein Konzept auf einer Metaebene?

Das Karlsruher Transformationszentrum ist ein organisationales Gebilde. Wir haben aber seit 2015 einen physischen Zukunftsraum für Nachhaltigkeit und Wissenschaft in der Karlsruher Oststadt.3 Das ist das physische Herz unseres Reallabors. Dort steht inzwischen auch das Klingelschild für das Karlsruher Transformationszentrum. Das heißt, es gibt schon eine Verortung, aber es ist bislang kein riesiger Ort. Einen solchen würden wir uns wünschen. Ich würde sagen, die Zielrichtung geht klar dahin. Und weiter gefasst auch dahin, Experimentierräume nicht nur temporär in der Stadt zu eröffnen, sondern auch eigene zu haben. Ich könnte mir gut vorstellen, mittelfristig Werkstätten zu haben, die für Ideen vermietet oder zur Verfügung gestellt werden können, seien sie technischer oder künstlerischer Art. Letztlich ist das ja egal. Hauptsache, sie leisten einen Beitrag zur Nachhaltigkeit. So weit sind wir aber noch nicht. Momentan ist das Transformationszentrum ein Konzept mit dem bestehenden Zukunftsraum als Herzstück.

Spielt der Aspekt der Kunst bei Ihnen eine größere Rolle? Ihre Publikation etwa ist wirklich gut aufbereitet, vor allem auch in einer sehr ansprechenden künstlerischen Form. Deshalb auch meine Frage.

Wir haben schon eine Affinität zur Kunst. Ästhetik und Schönes sind uns wichtig. Wir haben keine Künstler*innen im Team, aber kunstaffine Mitarbeiter*innen. Auf die grafische Gestaltung legen wir besonderen Wert. Neben dem Inhalt ist uns auch die Form wichtig. Ich glaube, man merkt das am besten an unseren Veranstaltungen, insbesondere was die Atmosphäre betrifft. Und wir machen auch immer wieder kleinere Projekte mit Künstler*innen zusammen. Wir möchten den Kunst- und Kulturbereich aber gerne noch mehr integrieren. Hier gibt es noch Potenzial. Gerade läuft z.B. ein Antragsverfahren, im Rahmen dessen das Badische Staatstheater, das in Karlsruhe ansässig ist, sich eingeklinkt hat. Auch die Leiterin des Kulturamts der Stadt Karlsruhe ist unseren Ideen gegenüber sehr offen.

 

Sie haben jetzt mehrfach angesprochen, dass ein Kernanliegen von Reallaboren neben der Wissenschaft darin bestehe, Gesellschaft zu gestalten. Dazu ist der Dialog mit verschiedensten Menschen aus Zivilgesellschaft, aus Hochschulen, aus Unternehmen etc. wesentlich. Wie gelingt es Ihnen, mit den Menschen – auch jenen, die man schwerer erreicht – in den Dialog zu treten, sie ins Boot zu holen und sie auch zu halten? Sie haben gesagt, dass Sie direkt in die Bevölkerung hineingehen. Wie machen Sie das? Wie kann man sich den gemeinsamen Prozess des Arbeitens, Entwickelns und Experimentierens vorstellen?

Eine der Haupterfahrungen unsererseits ist, dass genau dieser Aspekt viel Vertrauen und viel Kommunikation braucht. Und dafür benötigt man Zeit, die man sich auch nehmen muss. An ein Reallabor, das einigermaßen stabil sein soll, geht man am besten mit keinem großen Zeitdruck heran. Da geht eher etwas kaputt, als dass etwas langfristig aufgebaut wird. Aus der wissenschaftlichen Arbeit kommend würde ich sagen, dass man ungefähr doppelt so viel Zeit für ein Reallaborprojekt braucht wie für ein entsprechendes Forschungsprojekt.

Wenn man diese Zeit hat, wie gelingt Reallaborarbeit dann? Man muss die Leute treffen. Man muss das, was die Leute bewegt, treffen. Das wiederum ist ganz unterschiedlich. Die Künstler*innen und die Dame vom Kulturamt haben ganz andere Vorstellungen oder Berührungspunkte als Technikfreaks, die selbstständig Solarzellen entwickeln oder sich irgendwo im Haus oder im Häuserblock ein Blockheizkraftwerk einbauen. Wiederum ganz andere Vorstellungen und Interessen hat die Stadtverwaltung, die darauf achtet, ‚ordentlich‘ mit der Stadt Karlsruhe zu haushalten und vielleicht Klimaschutz auf dem Plan hat, aber nicht weiß, wie diese beiden Aspekte zusammengehen können. Die Ansprüche und Aufgabenstellungen, die im Reallabor auf einen zukommen können, sind also sehr unterschiedlich. Wichtig ist, sich darauf einzulassen, Verständnis zu entwickeln, Verständigung und adressat*innenspezifische Kommunikation zu betreiben, Zeit mitzubringen und offen zu sein. Offen und authentisch zu sein ist auch wichtig. Wir machen das zumindest so. Es kann aber auch sein, dass man anders durch die Welt kommt. Wir versuchen jedenfalls, authentisch zu sein und auf diese Weise Verbündete zu finden, die das goutieren und sagen: „Ja, die sind echt und wir wollen etwas mit ihnen machen.“ Das gehört zum Vertrauensaufbau dazu.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, konkret zu werden. Diese Erfahrung haben wir bzw. habe zunächst ich gemacht. 2011, als ich die Idee hatte, Quartier Zukunft gemeinsam mit der Stadt Karlsruhe zu initiieren, bin ich frohen Mutes mit dem Konzept an die Stadtverwaltung, Amtsleitung und Bürgermeister herangetreten. Ich dachte: „Das ist ein super Konzept. Da müssen sie doch mitmachen!“ Damit bin ich zunächst zwar nicht gegen Wände gelaufen, habe aber auf jeden Fall Irritation verursacht. Meine Idee war der Stadt Karlsruhe damals viel zu abstrakt und abgehoben. Sie konnten damit wenig anfangen. „Nachhaltige Entwicklung, ja! Aber wie? Was wollen Sie denn konkret machen, Herr Parodi?“ Erst an dem Punkt, an dem wir konkret und handfest wurden, wurden wir anschlussfähig für die Stadtverwaltung.

Der Aspekt des Konkret-Werdens spiegelt sich seither auch in den Veranstaltungen und Aktivitäten, die wir organisieren, wider. Bei vielen Veranstaltungen achten wir sogar darauf, dass die Sprache nicht im Mittelpunkt steht, sondern konkretes Handeln. Kleidertauschpartys etwa haben zunächst nichts mit Sprache zu tun. Ein Reparaturcafé geht auch weitgehend ohne oder zumindest mit wenigen Worten: „Kaputt.“ Dann ist klar, worum es sich handelt. Dann guckt jemand, die*der sich auskennt, was los ist. Wir haben zum Beispiel auch Pflanzentauschpartys gemacht, oder Möbelbauworkshops, wo man mit wenig Geld ganz einfache Möbel bauen kann. Solche Aktivitäten eignen sich, um Akteur*innen ins Boot zu holen, die sonst wenig am gesellschaftlichen Diskurs teilhaben und auf Bürger*innenversammlungen oder Bürger*innenforen, die wir ebenso durchführen, nicht zu finden sind. Hier waren manchmal 200, 300 Menschen vor Ort: tolle Partizipationsprozesse. Wir haben aber erhoben, dass die meisten Teilnehmer*innen einen höheren Bildungsabschluss hatten. Ich glaube sogar, dass die Mehrzahl einen akademischen Abschluss hatte. Dann bewegt man sich einfach in einer bestimmten Klientel und an andere kommt man nicht heran. Da hilft es tatsächlich auch, konkret ins Handeln zu kommen, sodass die Sprache zur Nebensache wird.

In unserem Projekt Räume kultureller Demokratie arbeiten wir gerade mit einer Gruppe von ungefähr 30 Personen zusammen. Im Moment entwickeln wir in Arbeitsgruppen Ideen für Experimentierräume im Kontext von Klimawandel und Nachhaltigkeit. Das Interessante ist, dass es im Rahmen dieses Prozesses von Anfang an den Konsens gab, dass es um einen positiven Wandel gehen müsse. Dass es darum gehen müsse, positive Geschichten des Wandels und eine Vision der Zukunft zu skizzieren, die wünschenswert ist. Prägt dieser Gedanke, also dieser Wunsch nach Optimismus, auch Ihre Arbeit?

 

Ja, durchaus. Ich muss sagen, dass ich in dieser Hinsicht hybrid bin. Ich weise schon auch gerne auf die globalen Defizite, die es gibt, hin. Ich glaube, die darf man – bei allem Positiven – auch nicht vergessen. Viele Dinge liegen global gesehen einfach sehr im Argen. Aber letztlich schöpft man die Kraft schon aus dem Positiven. Daraus, zu wissen, dass man auch anders und anders gut leben kann. Dazu gibt es viele schöne Beispiele. Es kommen junge Menschen mit Ideen zu uns, zum Beispiel zu Kleidern aus Recyclingmaterialien oder was auch immer. Sie laufen bei uns auf und man merkt, dass sie so richtig dafür brennen, etwas zu verbessern. So etwas aufzugreifen und zu unterstützen, tut einem selber auch gut. Man profitiert selber auch dabei, wenn man in diesem positiven Strom Richtung Zukunft schwimmt. Wenn Sie auf den Blog von Quartier Zukunft schauen, sehen Sie, dass wir oft Beispiele veröffentlichen, wie man Sachen auch anders gut machen kann. Es steht nicht im Vordergrund, dass die Elefanten in Simbabwe ausgestorben sind, sondern geht eher in die andere Richtung.

Kommen wir kurz zu Ihrer wissenschaftlichen Arbeit zurück. Wie legen Sie die Begleitforschung an? Wie sieht die Balance zwischen der Praxisarbeit und der Begleitforschung aus?

Wir arbeiten auf unterschiedlichen Ebenen und betreiben Forschung auf unterschiedliche Arten und Weisen. Es gibt Projekte, in denen Sachwissen produziert wird. In diesem Fall sind z.B. technische Kolleg*innen, also Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen mit uns am Werk. Es geht dann zum Beispiel darum, wie man eine Gebäudesanierung in Karlsruhe durchführen kann, die nach Gebäudetypen vorgeht. Es gibt also Projekte, in deren Rahmen Werkzeuge entwickelt werden, in denen Ingenieurswissenschaft betrieben wird, die wir begleiten und gemeinsam mit der Stadt durchführen, um sie leichter realisierbar zu machen. Darunter sind eher gängige wissenschaftliche Projekte. Dann gibt es aber auch viele Projekte, die wir wissenschaftlich begleiten und dahingehend auswerten, wie Transformation funktioniert. Zum Beispiel analysierten wir vor einiger Zeit alle unsere Veranstaltungen hinsichtlich des Grades der Partizipation. Haben wir nur informiert? Haben wir kooperative Veranstaltungen gemacht? Haben wir Empowerment durchgeführt? Es war sehr spannend, herauszufinden, dass bei diesen Veranstaltungen, im Rahmen derer wir nur auf eine gewisse Stufe der Partizipation abgezielt hatten, auch andere Stufen implizit oder nebenbei bedient worden waren. Es passiert öfter, dass wir solche Dinge im Zuge einer Studie herausfinden. Wir können diese Begleitung nicht für alle Projekte und Aktivitäten leisten, aber wenn es möglich ist, tun wir es. Wir machen das meistens selber und schauen dann aber auch, dass wir noch einen externen oder halb externen Blick dazu holen. Zum Beispiel jemand aus dem Institut, der nicht im Team rund um das Quartier Zukunft dabei ist. Das machen wir, um nicht Gefahr zu laufen, aus unserem eigenen Tun heraus auf einem Auge blind zu sein. Auch waren wir schon vielfach selber Gegenstand der Forschung anderer. Uns haben inzwischen aus allen Kontinenten Wissenschaftler*innen besucht, um sich anzusehen, was wir machen, oder um Forschung über uns zu betreiben. Im Zuge der BaWü-Labs, einer Reallaborförderlinie des Landes Baden-Württemberg von 2015 bis 2018, wurden darüber hinaus die gesamten 14 BaWü-Labs wissenschaftlich begleitet. Es gab eine Gruppe von externen Personen, die die stattfindenden Prozesse beforscht haben. Im Zuge dessen wurden auch an uns Fragen gestellt, etwa: „Wie habt ihr Transformationsprozesse angestoßen?“

Was Sie beschreiben, klingt alles sehr ‚groß‘. Wie groß ist das Team des Quartier Zukunft und wie ist es zusammengesetzt?

Wir sind momentan etwa zwölf wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, die im Kontext Quartier Zukunft forschen und agieren. Allerdings nicht in Vollzeit, sondern viele in Teilzeit, dazu noch einmal so viele Hilfskräfte. Das ist unser Kernteam. Einige sind schon seit 2012 dabei, also seit dem Beginn. An Fachrichtungen haben wir Architektur, Stadtplanung, Umweltwissenschaften, Geoökologie, Psychologie, Wirtschaftswissenschaft und Landschaftsarchitektur. Ich bin Bauingenieur und Philosoph und decke sozusagen zwei Disziplinen ab. Unser Team ist also wirklich gemischt.

 

War das konzeptionell als Voraussetzung angelegt oder hat sich das mit der Zeit so ergeben?

Ein Stück weit liegt es im Konzept begründet, weil wir nachhaltige Entwicklung über alle Lebensbereiche hindurch betreiben und beforschen möchten. Das heißt, wir können nicht nur Philosoph*innen oder nur Naturwissenschaftler*innen im Team haben, sondern wir brauchen tatsächlich eine Mischung. Man muss aber auch sagen, dass mein Heimatinstitut, das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, dafür einen guten Rahmen bietet, weil dort eine multidisziplinäre Mannschaft zusammensitzt, von Politikwissenschafter*innen bis hin zu Biolog*innen. Deshalb habe ich auch einen guten Nährboden für eine multidisziplinäre Zusammensetzung des Teams.

Das ist super. Wir kommen als Team sehr aus dem Bereich der Vermittlung, aus Kunst und Kultur. Wir sind auch viel kleiner und würden unser Projekt als Experiment eines Reallabors bezeichnen. Wir wollen es einmal im Kleinen versuchen und Erfahrungen sammeln. Die Zielrichtung, die Sie beschreiben, ist für uns sehr interessant. Aber darüber hinaus ist der Aspekt der Vermittlung in unserem Projekt zentral. Wir fokussieren die Entwicklung experimenteller Vermittlungsräume, wobei wir künstlerisch-kulturelle und mediale Strategien als besonders wichtig erachten. Wir beschäftigen uns auch viel damit, nicht top-down zu arbeiten, sondern setzen unsere Schwerpunkte auf bottom-up-Prozesse, auf das gemeinsame, partizipative und kollaborative Tun. Was bedeutet für Sie Vermittlung?

Da bin ich zunächst einmal blank. Mit dem Begriff der Vermittlung habe ich noch nicht gearbeitet. Aber ich versuche gern, dazu ein paar Gedanken zu äußern. Vermittlung heißt, dass man sich irgendwo trifft. Verständnis und Verständigung stecken in diesem Begriff auf jeden Fall drinnen. Das ist auch etwas, worauf wir sehr achtgeben, dass das passiert.

Und weil Sie top-down angesprochen haben: Wissensvermittlung kann auch top-down funktionieren. Aber wie Leute ihr Leben zu führen haben, funktioniert nicht top-down. Zumindest hat man innerhalb einer freien Gesellschaft das Ideal, dass es anders passieren sollte. Und dem, würde ich sagen, sind wir auch im Rahmen unseres Projektes verpflichtet. Wir versuchen allen auf Augenhöhe zu begegnen. Gleichzeitig heißt das dann aber nicht, dass die eigenen Positionen, das eigene Wissen und die eigene Kompetenz zurückgestellt werden sollten. Das darf auch nicht passieren. Ich bin niemand, der sozusagen das Allheilmittel in Partizipation sieht. Experten*innen haben ihren Sinn. Sie haben eine Expertise im Hinblick auf ein Thema und wissen, wie die Welt in Bezug darauf funktioniert. Wie der Alltag einer Bürgerin oder eines Bürgers in Karlsruhe aussieht, wissen sie aber eben nicht. Der fruchtbare Austausch zwischen den beiden, um bei dem Beispiel zu bleiben, wäre etwas, worunter ich Vermittlung auch fassen würde. Als einen Prozess, der in beide Richtungen geht. Es wird nicht nur in eine Richtung vermittelt, sondern es kommt auch etwas aus der anderen Richtung zurück.

Ich glaube, die Beispiele, die Sie vorher genannt haben, wie Reparaturcafé, Pflanzentausch oder Kleidertausch wären für uns Formate der Vermittlung. Gemeinsames Möbelbauen wäre für uns ein experimenteller Vermittlungsraum. Ich denke, wir haben einfach nur eine andere Perspektive auf die Dinge, es geht uns aber um Ähnliches. Ich finde die Aspekte, die Sie bei Ihrer Arbeit leiten, sehr wichtig. Wie geht man an eine Sache heran bezüglich Offenheit, Augenhöhe etc.? Auch, dass man Formate hat, die nicht mit Sprache funktionieren, sondern etwa über Körperarbeit.

Diese Offenheit gilt auch für Wissenschaftler*innen. Nicht alle sind für Reallaborarbeit geeignet. Mir sind viele über den Weg gelaufen, die überhaupt keine Lust hatten, so etwas zu machen. Sie sind viel lieber mit ihren Texten beschäftigt oder in ihren technischen Labors unterwegs. Sie wollen in ihren Forschungen gar nicht direkt mit Menschen zu tun haben. Das ist auch ihr gutes Recht. Man darf und kann sie auch nicht dazu zwingen. Andere wiederum haben eigentlich Lust und Interesse, wissen aber nicht, wie. Es gehört schon ein bisschen Kompetenz und vielleicht auch Training dazu, um als Wissenschaftler*in ‚da draußen‘ in der Praxis auch wirklich anschlussfähig zu sein oder mehr noch: gelingende partizipative Reallaborarbeit zu leisten.

Im Kontext Vermittlung haben wir abschließend noch eine spezifische Frage: Wir befassen uns im Rahmen unseres Projektes auch mit digitalen Vermittlungsräumen. Welche Bedeutung messen Sie dem digitalen Raum bei, auch im Rahmen von Quartier Zukunft? Worin sehen Sie Potenziale, wo Nachteile? Wie nutzen Sie den digitalen Raum in Ihrem Projekt?

 

Eine große Chance besteht garantiert darin, relativ einfach und mit eher wenig Aufwand sehr viele Menschen zu erreichen, auch für Reallabore. Eine weitere Chance gibt es aus ressourcentechnischer Sicht. Man spart sich Zeit, Energieaufwand und schont das Klima. Das ist auch eine Dimension, die mit der Nutzung des digitalen Raumes verbunden ist. Eine weitere Chance ist, eine gewisse andere Klientel erreichen zu können. Wir nutzen Facebook und Twitter auch, um gerade jüngere Personen zu erreichen. Ich glaube, da gibt es schon eine Affinität, die auch nicht überall in der Gesellschaft gleich ist. Manche lassen sich damit aber super einfangen.

Wenn wir Geld hätten, würden wir sicher ein digitales Spielformat entwickeln. Wir arbeiten auch mit Nachhaltigkeitsspielen in Workshops oder im Rahmen von Spieleabenden. Angefangen von einfachen Brettspielen bis hin zu ausgefeilten spielerischen Lösungen, etwa Rollenspielen, mit denen man Stadtverwaltung oder unterschiedliche Akteur*innen zusammenbringen kann, ist alles dabei. Wir könnten uns gut vorstellen, so etwas auch einmal digital umzusetzen.

Ich sehe aber auch mehrere Risiken bzw. Grenzen von digitaler Kommunikation. Aufgrund von Corona hatten wir in letzter Zeit vor allem Online-Treffen. Es wurde klar, dass es online gut geht, Dinge zu erledigen oder sich auszutauschen. Aber richtig kreativ werden oder tief in Inhalte einzusteigen, ist digital vermittelt nicht so einfach. In dieser Hinsicht spielt das Medium meines Erachtens doch eine Rolle. Vielleicht bin ich auch einfach schon zu alt für anderes, aber ich bin schon ein Fan von Face-to-Face bzw. von ‚Körper-zu-Körper‘-Kommunikation, also von physischen Treffen und physischen Begegnungen. Und ich bin mir nicht sicher, ob nicht genau darin, dass wir viel physisch kommunizieren, in vielen intensiven Einzel- und Gruppengesprächen, auch ein Erfolgsfaktor von Quartier Zukunft besteht. Mit dem Zukunftsraum sind wir erreichbar, ansprechbar und gehen in den persönlichen Kontakt. Ich glaube, um eine wirkliche Verbindung und Vertrauen aufzubauen, eignet sich das persönlich-physische Gespräch einfach besser. Bei der Online-Kommunikation hört die Tiefe irgendwo auch wieder auf. Ich habe, übertragen gesprochen, das Gefühl, dass die Bässe von so mancher Kommunikation abgeschnitten werden. Irgendwo ist das Spektrum dann zu Ende. Insofern sehe ich schon auch Grenzen digitaler Kommunikation und digitaler Arbeit.

Vielen herzlichen Dank für das spannende Gespräch.


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 Klimaschutz gemeinsam wagen ist ein Projekt, in dem Menschen dazu ermutigt werden, in ihrem Alltag klimafreundlicher zu werden. Entlang der Handlungsfelder Ernährung, Mobilität und Konsum schlägt das Projekt beispielsweise konkrete Selbstexperimente vor, die als Anstoß dienen, das eigene Verhalten zu reflektieren und gegebenenfalls zu ändern. Mehr Informationen auf der Website: https://www.klimaschutzgemeinsamwagen.de/

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 Mehr Informationen auf der Website: https://www.dialog-energie.de/