Über das Wohnen im Bilde sein

Romana Hagyo: Über das Wohnen im Bilde sein. In künstlerischer Zusammenarbeit mit Silke Maier-Gamauf. Wien: Passagen Verlag 2020.

Im Titel Über das Wohnen im Bilde sein wird deutlich, zwischen welchen Ebenen Romana Hagyos Veröffentlichung oszilliert: Einerseits meint im Bilde sein den Überblick, den man sich verschafft, und verweist auf die Frage danach, wie Bilder unser Wissen formen. Andererseits bietet Hagyo auch eine zweite Lesart des Titels an, welche sich wie ein roter Faden durch die Veröffentlichung zieht: Im Bilde sein könne auch wörtlich als Teil des Bildes sein verstanden werden und damit als eine Frage nach dem Verhältnis der Rezipierenden zu den Bildern (vgl. S. 13).

Ihr Anliegen ist es, hegemoniale Konzeptionen des Wohnens – so besonders die dichotome Trennung zwischen öffentlich und privat – kritisch zu diskutieren und dabei sozial-, herkunfts- und geschlechtsbedingten Zuschreibungen nachzugehen. Hagyo zeigt, wie verschiedene künstlerische Strategien Darstellungskonventionen des Wohnens in Frage stellen und umzuschreiben vermögen. Dabei geht sie der Diffusion des Öffentlichen und des Privaten im Wohnen anhand spezifischer künstlerischer Projekte (unter anderem von Maja Bajevic, Christian Hasucha, Hiwa K., Dorit Margreiter und Julia Scher) nach. Ihre eigenen – gemeinsam mit Silke Maier-Gamauf – realisierten Projekte fügen sich in diese Reihe künstlerischer Arbeiten ein.

Als theoretische Basis dienen der Autorin sowohl das Forschungsfeld der visuellen Kultur als auch repräsentationskritische Ansätze sowie raumtheoretische- und kulturwissenschaftliche Diskurse. Ihre Überlegungen zur Durchdringung des Öffentlichen und Privaten baut Hagyo auf theoretischen Ansätzen von Jürgen Habermas und Hannah Arendt auf, welche sie mittels der Ansätze von Nancy Fraser und Isabell Lorey kritisch diskutiert. Sie bearbeitet dabei insbesondere den Aspekt der Zuschreibungen, ebenso wie die Thematik der Ausschlüsse aufgrund von Faktoren wie Herkunft und soziale Situation. So wie die Formen des Wohnens sich durch die Zeit hindurch und in Abhängigkeit zum jeweiligen gesellschaftlichen Kontext verändern, durchlaufen auch die Zuschreibungen und die Konzeptionen von Öffentlichkeit und Privatheit einen Wandel. Hagyo spannt in ihrer Auseinandersetzung den Bogen vom bürgerlichen Haushalt über die Durchdringung privater und öffentlicher Räume in postindustriellen Arbeitskontexten bis hin zu Aspekten sexueller Arbeit im Wohnen und der Aneignung von Räumen des Wohnens.

Dabei schreibt sie – wie sie selbst konstatiert – aus einer Haltung heraus, die eine Reaktion auf Anforderungen und geschlechterspezifische Zuschreibungen des Erwerbslebens europäischer Gesellschaften ist, ebenso wie auf Entwicklungen der Migrationsgesellschaft, in der Zuhause keinen Fixpunkt mehr darstellt. „Wir werden als diejenigen adressiert, als die wir uns wohnend zeigen, wir setzen gestaltende Bemühungen […], den Verhaltens- und Darstellungskonventionen zu entsprechen, zu widersprechen oder sie zu verändern.“ (S. 133) Wesentlich ist dabei für Hagyo der transformative Aspekt künstlerischer Praktiken, indem sie zeigt, wie diese Darstellungskonventionen nicht nur kritisch hinterfragen, sondern zugleich ein Umschreiben dieser anstoßen können.

In Test.Test.Liegen erkundet sie gemeinsam mit Silke Maier-Gamauf die Möglichkeiten des Liegens im öffentlichen Raum. Ausgehend von ihrer Auseinandersetzung mit den Setzungen privat und öffentlich im Kontext bürgerlicher Haushalte, fokussieren die Künstlerinnen in ihrer Arbeit die Tatsache, dass manchmal übersehen wird, dass nicht allen Menschen Räume für Privates zur Verfügung stehen. Die Künstlerinnen verweisen auf die Diffusion zwischen öffentlich und privat, wenn sie nun diejenigen werden, welche die scheinbar private Tätigkeit des Liegens in öffentlichen Räumen erproben.

In Sofa-Stoff und Anpassen und Tarnen wird das Motiv des Sofas aufgegriffen, welches kunsthistorisch häufig der Ort war, auf dem Frauen liegend oder sitzend dargestellt wurden. Indem die beiden Künstlerinnen sich selbst spielerisch auf dem Sofa platzieren, während sie den Sofastoff am Körper tragen und dieser ebenso auf den Teppichboden und die Wände übergeht, legen sie die vielen Ebenen von Zuschreibung und Sichtbarmachung frei. Die Körper- und Objektgrenzen verschwimmen durch den Einsatz der Textilien, ebenso wie sich die Künstlerinnen nicht auf dem Sofa sitzend einfangen lassen, sondern widerspenstig und ineinander verkrallt auf dem Sofa zu sehen sind. Sie spielen auf diese Weise mit der kunsthistorischen Darstellungskonvention einer Frau auf einem Sofa, indem sie sich diese aneignen und gleichzeitig an den Rändern in den Raum hin auflösen.

Durch die Zusammenführung kunstwissenschaftlicher und künstlerischer Praktiken versucht Hagyo die Stärken beider Handlungsarten zu nutzen und gleichzeitig interdisziplinäre Arbeitsweisen kritisch zu überprüfen. Auf diese Weise scheinen Fragestellungen rund um künstlerische Forschung wie ein Subtext in der Arbeit verhandelt zu werden. „Ich nutze sowohl das Lesen, Denken und Schreiben als auch die künstlerische Arbeit an den Fotografien und die körperliche Arbeit als Erkenntnisquelle.“ (S. 79) Hagyo versucht dabei die reziproken Potenziale zu betonen, die sich aus der Erprobung der Zusammenführung einer wissenschaftlichen und künstlerischen Herangehensweise ergeben, ohne dabei unterschiedliche Zugänge durch den Fokus auf das Verbindende zu nivellieren.

Die Schwierigkeit, die künstlerischen Teile in den Verlauf des Fließtextes zu integrieren, hat Hagyo gelöst, indem sie die Teile 6 und 7 ausschließlich der künstlerischen Forschung widmet. Diese heben sich durch eine andere Papierstärke ab und funktionieren wie ein künstlerischer Katalog zu den beiden Projekten. Während man sich beim ersten Durchblättern eine stärkere Verflechtung der künstlerisch forschenden Teile mit den theoretischen Überlegungen wünscht, merkt man im näheren ‚Hineinlesen‘ schnell, wie die parallel laufenden Forschungsprozesse sich an vielen Stellen kreuzen. Die künstlerisch forschende Annäherung wird dabei als Teilhabe am Prozess der Wissensproduktion verstanden. Schön gelingt die Verbindung beider Spielarten da, wo in den theoretischen Überlegungen Referenzen auf die eigene künstlerische Arbeit gesetzt werden und diese im Text als eine neben anderen künstlerischen Arbeiten behandelt wird.

Hagyo bewerkstelligt, was sie eingangs als doppelte Lesart des Titels andeutet. Sie zeigt einerseits konzise, welche Vorstellungsbilder und Kontexte mit Bildern des Wohnens in Verbindung stehen und welches Wissen dadurch generiert wird, und stellt andererseits differenziert das Wechselverhältnis von Bild und Rezipierenden dar. Gleichzeitig löst sie ihr Verständnis von „im Bilde sein“ ein, indem sie sich selbst künstlerisch forschend einschreibt. Sie wird selbst zum Bildsujet, um dann auch wieder die Rolle der Fotografierenden einzunehmen und damit derjenigen, die Bilder erzeugt. Ebenso wie sie in der Publikation nahtlos zwischen einer theoretischen Auseinandersetzung und dem Schreiben über die eigenen Projekte wechselt, changiert sie in den künstlerischen Arbeiten zwischen distanziertem Blick und subjektivem Erfahren. Sie setzt sich auf diese Weise selbst in das Bild, das sie durch ihre Arbeit zeichnet, und setzt sich solcherart auch aus. Besonders deutlich wird das Glücken dieser doppelten Annäherung an jenen Stellen, wo Hagyo aus der eigenen situierten Position heraus erzählt: „Am Boden liegend und die Blicke der Vorbeigehenden spürend, platziere ich mich selbst […]. Ich schreibe also nicht nur über den Prozess der Platzierung […], sondern ich platziere mich an einem Ort und nehme die Kälte des Asphalts wahr.“ (S. 79)

Anna Stadler ( 2021): Über das Wohnen im Bilde sein. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 12 , https://www.p-art-icipate.net/ueber-das-wohnen-im-bilde-sein/