„Das Museum als Ort ehrlicher Kommunikation“

Das Studio Geschichte im Salzburg Museum Neue Residenz als Experimentierraum zur dialogischen Kulturvermittlung.
Sandra Kobel im Gespräch mit Timna Pachner

Das Studio Geschichte wurde von Kulturvermittler:innen des Salzburg Museum konzipiert und 2018 das erste Mal im Rahmen der Ausstellung Anschluss, Krieg & Trümmer – Salzburg und sein Museum im Nationalsozialismus geöffnet. Ergänzend zu den Ausstellungen des Salzburg Museum rückt das Studio Geschichte den Dialog mit den Besucher:innen in den Mittelpunkt und ist als interaktiver Ideen- und Gedankenraum zu verstehen. Eine der zentralen Überlegungen der Kulturvermittler:innen ist es, dass Individualbesucher:innen auch als Produzent:innen agieren und sich aktiv in den Raum einbringen können. Der Raum darf und soll sich verändern, indem Ansätzen einer nachhaltigen und partizipativen Kulturvermittlung nachgegangen wird und Fragestellungen aus dem Blickwinkel der Gegenwart gemeinsam verhandelt werden.

Ich würde dich bitten, kurz zu erzählen, worum es sich beim Studio Geschichte handelt.

Das Studio Geschichte entstand im Jahr 2018 parallel zur Ausstellung Anschluss, Krieg & Trümmer. Salzburg und sein Museum im Nationalsozialismus und wurde auch mit dieser gemeinsam eröffnet. Es handelt sich dabei um einen Raum, der zwar nicht groß ist, aber große Präsenz hat, weil er der erste Raum ist, den man unmittelbar sieht, wenn man in das Salzburg Museum Neue Residenz kommt. Dieser Raum, die Säulenhalle, wird seit jeher für Sonderausstellungen genutzt. Gerade in den letzten Jahren wurde die Säulenhalle aber auch immer wieder zum Experimentierfeld, etwa um mit den Menschen auf neuartige Weise in Kontakt, in den Dialog zu treten – über „klassische“ Ausstellungsformen hinausgehend. Das hat sich in unterschiedlichen Formaten gezeigt, zum Beispiel wurde sie in dem Projekt Textilespace gemeinsam mit Studierenden als Klangraum bespielt. Oder 2015 gab es ein Ausstellungsprojekt, das hieß WUNSCHBILDER gestern. heute. morgen. Es handelte sich dabei um eine Art Experiment, weil es um Wünsche und Bedürfnisse ging, also ein Thema, das jeden Menschen irgendwie betrifft und das wir deshalb sehr teilhabeorientiert konzipierten. Es kam zu einer Art Rollentausch: zum einen, indem die Ausstellung nicht von Kurator:innen, sondern von Kulturvermittler:innen kuratiert wurde; zum anderen, weil in diesem kuratorischen Prozess auch verschiedene Menschen, die nicht Teil des Museums und auch nicht unbedingt Teil des Kulturbetriebes waren, einbezogen wurden, und diese das Ausstellungskonzept dadurch wesentlich mitprägten. Die Ausstellung entstand also im Dialog mit unterschiedlichen Menschen – verschiedener kultureller Herkunft, unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlichen Interessen und Expertisen und so weiter. Dieses Projekt hat für uns sehr viel angestoßen. Wir haben viel darüber nachgedacht, wie wir mit Menschen im Dialog sind und was wir daran noch verbessern könnten. Auch die Frage, wie wir gemeinsam mit unterschiedlichen Menschen Wissen generieren können, spielte dabei eine wichtige Rolle. Dann kam das Jahr 2018 und damit die für unsere Institution ganz wichtige Ausstellung Anschluss, Krieg & Trümmer: Salzburg und sein Museum im Nationalsozialismus. In dieser Ausstellung ging es sehr stark auch darum, wie das Salzburg Museum in den Jahren 1938 bis 1945 agierte und welche Rolle diese Zeit bis heute spielt. Die eigene Institutionsgeschichte wurde also in den Mittelpunkt gerückt. Darüber hinaus brauchte dieses Thema eine besonders sensible Form der Vermittlung. Der Direktor des Salzburg Museum, Martin Hochleitner, trat dazu mit einer Einladung an die Abteilung der Kulturvermittlung heran: „Nehmt diesen Raum und nutzt ihn für das, was eurer Meinung nach wichtig ist.“

Es gab da also keinerlei Vorgaben und damit ist dieser Raum für uns als Abteilung zu einer Art Experimentierraum geworden. Wir waren uns schnell sicher, dass wir ein partizipatives und gegenwartsorientiertes Raumformat entwickeln möchten. Wir entschieden uns, an die zwei großen Ausstellungen 2018 anzuknüpfen und die Themen und Fragestellungen wie in einer Art Labor mit unseren Besucher:innen zu erörtern. Das erste Motto des Studio Geschichte – in Anlehnung an die Ausstellung Anschluss, Krieg & Trümmer – war: „Aus Erinnerung Zukunft gestalten?“ Wir wollten mit diesem Raum Fragen an das Thema „Erinnerung“ stellen: „Warum ist Erinnerung wichtig?“, „Wie erinnern wir heute?“, „Wie wird sich Erinnerung künftig entwickeln?“ Und: „Inwiefern können auch nachfolgende Generationen in die Prozesse des Erinnerns miteinbezogen werden?“

Der Raum sollte dynamisch sein. Und es war uns wichtig, dass er für Individualbesucher:innen funktioniert, aber auch in der Arbeit mit Gruppen, etwa um mit jungen Menschen in Dialog zu treten. Entstanden ist schließlich ein teilhabeorientierter Raum, der prozessartig funktioniert, und in dem auch wir Kulturvermittler:innen neuartige Erfahrungen in unserer Arbeit machen konnten. Das war der Ausgangspunkt des Studio Geschichte.

Das heißt, der Hintergrund war, eine neue Form zu finden, um verschiedene Öffentlichkeiten anzusprechen?

Nicht nur. Wir haben das gar nicht so zielgruppendifferenziert gesehen, im Sinne von: „Wir machen einen Raum, um noch mehr Schüler:innen zu erreichen!“ Das war nicht das hauptsächliche Anliegen, aber natürlich – im Nachhinein – ein positiver Nebeneffekt. Für uns war wichtig, dass das Museum ein Ort ehrlicher Kommunikation ist. Das Konzept für das Studio Geschichte entstand vor dem Hintergrund der Frage: „Wie können wir mit Besucher:innen zu gewissen Themen, die Brisanz haben, in einen ehrlichen Dialog treten und mit ihnen vielleicht auch neue Formate entwickeln oder Dinge anders befragen?“

Welche theoretischen und methodischen Bezugspunkte waren wegweisend für die Entwicklung des Studio Geschichte?

Ich beziehe mich jetzt, um klarer zu sein, vor allem auf das erste Studio-Geschichte-Projekt, das im Rahmen von Anschluss, Krieg & Trümmer entstand. Der Aspekt der Nachhaltigkeit spielte eine wichtige Rolle. Wir wollten einen Raum schaffen, der interaktiv funktioniert, zum Beispiel mit viel Hands-on. Der Raum sollte so beschaffen sein, dass die Möblierung für eine neue inhaltliche Bespielung wieder verwendet werden kann, sich aber dennoch ein neuer Raumeindruck ergibt bzw. ohne dass das eine Projekt dem anderen zu sehr gleicht. Das war eine ganz praktische, aber auch reizvolle Voraussetzung.

Inhaltlich beschäftigten wir uns im ersten Studio-Geschichte-Projekt natürlich mit ganz konkreten Fragestellungen: „Wie vermittelt man heute Zeitgeschichte?“, „Wie vermittelt man das Thema Nationalsozialismus 80 Jahre nach dem sogenannten Anschluss?“, „Welche Initiativen oder methodischen Ansätze existieren in diesem Kontext?“ Wir stützten uns dabei auf verschiedene Aspekte. Wir setzten uns zum Beispiel sehr mit Erinnerungstheorien auseinander, weil eine für uns grundlegende Frage war: „Wie geht man 80 Jahre nach dem Anschluss mit diesem Thema um?“ Die Theorien von Aleida Assmann waren für uns wichtig: „Was bedeutet Erinnerung heute?“ Da spielen zum Beispiel Aspekte wie der Wandel durch die Digitalisierung hinein. Wir befassten uns auch mit theoretischen Ansätzen, zum Beispiel mit Vermittlungsansätzen zum Thema Holocaust. Wir recherchierten, wie beispielsweise Gedenkstätten wie Yad Vashem, die sehr stark mit Biografien arbeiten, damit umgehen. Und wir schauten uns interaktive Ausstellungen an und wie diese in der Praxis funktionieren können. Es gibt bei solchen Projekten eine sehr lange Recherche- und Findungsphase.

Teil unseres Forschungsprojektes Räume kultureller Demokratie*1 *(1) sind die Aspekte der Beteiligung und der Vermittlungsarbeit. Was bedeutet Kulturvermittlung für dich? Was ist dein Rollenverständnis als Vermittlerin?

Kulturvermittlung bedeutet für mich unter anderem, Kommunikationsprozesse zu initiieren oder Möglichkeitsräume zu schaffen. Man agiert gewissermaßen als eine Art Brückenbauer:in. Ein Museum ist ein Geschichtenspeicher – mit vielen Bezugspunkten zur Gegenwart. Es sollte für jede:n da sein. Hier Brücken zu bauen, sehe ich als Aufgabe der Kulturvermittlung an. Dabei ist die Vermittlung für mich etwas, das nicht hierarchisch ist, sondern auf Augenhöhe passieren muss, und auch immer vor dem Hintergrund einer Reflexion aktueller Forschungsergebnisse, gesellschaftlicher Veränderungen etc. Darüber hinaus hat Kulturvermittlung für mich auch sehr viel mit Haltung zu tun. Man vermittelt sozusagen auch die Haltung der eigenen Institution und das ist ja auch immer ein Prozess. Kulturvermittlung ist für mich etwas sehr Prozesshaftes.

In einem der Konzepte zum Studio Geschichte habe ich gelesen, dass im Rahmen der Konzipierung eine der Überlegungen war, dass ihr – die Kulturvermittler:innen – die Individualbesucher:innen auch als Produzent:innen seht, also dass den Besucher:innen ermöglicht wird, sich aktiv in den Raum miteinzubringen. Wie wurden im ersten Studio-Geschichte-Konzept Formen der Beteiligung vor, während und nach der Ausstellung hergestellt?

Da gab es verschiedene Stufen. Wie du gerade gesagt hast: vorher, nachher und währenddessen. Der Dialog mit den Besucher:innen fing schon weit vor der Eröffnung an. Zum Beispiel gab es eine Aktion, in der wir nach Geschichtenkurier:innen gesucht haben. Wir haben also verschiedene Menschen eingeladen, über ihre ganz persönlichen Erinnerungen zu berichten und ein Objekt auszustellen, das für sie in Bezug auf die Zeit 1938 bis 1945 wichtig ist. Dieser Prozess des Geschichten-Sammelns erfolgte u.a. durch einen Aufruf. Wir fragten dabei nicht nur Zeitzeug:innen an, sondern traten auch mit jungen Menschen in Kontakt. Das, was im Studio Geschichte letztendlich präsentiert wurde, war nur ein kleiner Teil dessen, was im Vorfeld stattfand. Eine andere Fragestellung war: „Orte der Erinnerung heute?“ und „Welche Orte sind für Stadt und Land Salzburg wichtig?“ Dazu gab es im Vorfeld Workshops mit Schüler:innen oder Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen. Die Ergebnisse sind ebenfalls in das Studio Geschichte eingeflossen. Wir als kuratorisches Team, meine Kollegin Karin Wabro und ich, haben Orte aufgegriffen, die uns zugetragen wurden. Und das wiederum bot schon so viele interessante Aspekte, um über das Thema „Erinnerung“ ins Gespräch zu kommen: „Welche Orte spielen im Erinnerungsdiskurs eine Rolle und welche nicht?“ Genauso war es bei den Geschichtenkurier:innen. Insgesamt 13 Menschen zwischen 19 und 104 Jahren aus vier Generationen erzählten letztlich ihre Geschichten. Die Erinnerungen und Erzählungen waren sehr vielseitig. Sie reichten von Familiengeschichten, Opfer- und Tätergeschichten bis hin zu Objekten wie dem Buch Maikäfer flieg von Christine Nöstlinger. Der Raum war wie eine Art Momentaufnahme der Erinnerung 80 Jahre nach dem sogenannten Anschluss.

Teilhabemöglichkeiten gab es dann auch während der Ausstellung, insofern als Dinge interaktiv funktionierten: Man konnte etwa eigene Fragen formulieren und im Raum präsentieren. Darüber hinaus gab es eine Art Befragungsbücher, in die sich Besucher:innen eintragen konnten. Da ging es um Fragen wie: „So klingt Geschichte für mich?“, „So sieht meine Zukunft gezeichnet aus?“ oder „Dieser Mensch hat mich am meisten geprägt?“. Die Antworten der Besucher:innen wurden dann sozusagen wieder in den Raum „zurückgeworfen“ und mittels Graphic Recording visualisiert. Daneben gab es auch noch andere Formen der Teilhabe, Oral History-Projekte zum Beispiel. Wichtig war uns dabei – wie bereits gesagt – gar nicht unbedingt, wie stark der Grad der Teilhabe ist, sondern dass ehrliche Teilhabeprozesse ermöglicht werden und gemeinsam Fragestellungen erörtert werden. Multiperspektivität war ebenfalls ein wichtiger Aspekt für uns.

Jetzt nochmal zum Raum an sich. Du hast Orte der Erinnerung erwähnt. Das war eine Station, die sich mit der Relevanz von geografischen Orten beschäftigt hat. Kannst du kurz erklären, worum es dabei ging und ob im Zusammenhang mit dem Studio Geschichte auch andere Räume des Museums standen, die bespielt wurden?

Genau, Orte der Erinnerung war eine Station im Studio Geschichte. Für diese Station wurden eben verschiedene Personen gefragt, was wichtige Erinnerungsorte in Stadt und Land Salzburg sind, die nicht vergessen werden dürfen. Das Ergebnis waren unterschiedlichste Orte: Der Residenzplatz als Ort der Bücherverbrennung in Salzburg, das Schloss Kleßheim, der kleine Barmstein bei Hallein usw. In Zusammenhang mit dem Studio Geschichte besuchten wir aber auch andere Orte, um in Dialog zu treten. Wir waren etwa gemeinsam mit einer Schulklasse zu Gast in einem Salzburger Seniorenwohnhaus. Ein wichtiger Raum im Museum selbst war natürlich die Kunsthalle, in der die Ausstellung zu sehen war. Sie funktionierte für sich separat, das Studio Geschichte auch. Für uns ist das aber ineinander übergegangen, in der personalen Vermittlung verknüpften wir immer beide Orte miteinander. Die Ausstellung war unser Ausgangpunkt, das Studio Geschichte bot Möglichkeiten für weiteren Diskurs.

Vielleicht kannst du noch konkreter darauf eingehen: Welche Materialien und Formate wurden in der Raumgestaltung eingesetzt und wie wurden sie integriert?

Wir machten uns über Materialität und darüber, wie etwas präsentiert werden kann, sehr eingehende Gedanken und tauschten uns auch mit anderen Kolleginnen, zum Beispiel mit zunder zwo, aus. Ein Beispiel dafür, was ich meine, wenn ich von Materialität und deren Wichtigkeit spreche, waren die Befragungsbücher, die ich vorhin angesprochen habe. Diese Station haben wir dann auch für das zweite Studio Geschichte zu Stille Nacht übernommen. Da ging es dann um persönliche Erinnerungen an die Kindheit und an Weihnachtsfeste. Beide Male waren das ganz persönliche Befragungen, wobei jede:r Besucher:in sozusagen die Möglichkeit hatte, sich zu verewigen. Da gäbe es, was die Materialien betrifft, unterschiedliche Wege: Man könnte anstatt eines Buches beispielsweise Post-its verwenden. Über solche Dinge haben wir uns lange Gedanken gemacht. Wir entschieden uns bewusst für das Format des Buches, weil das so etwas Persönliches ist. Wir wollten ein Medium, in das man sich eintragen, das man wieder schließen kann, das analog ist. Das war uns wichtig. Die Bücher waren grafisch schön gestaltet und hatten einen Leineneinband. Die Menschen sollten Lust darauf haben, sich einzutragen, und das als etwas wahrnehmen, das Qualität und Beständigkeit hat. Die Bücher wurden inventarisiert und kamen in eine Vitrine in das Studio Geschichte. Das sind Kleinigkeiten, die meines Erachtens aber für die Besucher:innen spürbar waren.

Wir haben aber auch gesagt, wir wollen auch das Potenzial des Digitalen nutzen, um zum Beispiel Lust zum Schmökern zu machen. Es gab etwa eine interaktive QR-Station. Im Rahmen der Station Orte der Erinnerung haben wir historische Fotografien auf Karten gedruckt, die eine schöne Haptik hatten. Diese Karten konnte man an der Station auflegen und man erfuhr dann digital, welche Orte die Karten zeigen. Das Ganze funktionierte also wie eine Art Quiz. Außerdem hatten wir beispielsweise ein großes Möbel mit vielen Türen im Studio Geschichte. Man konnte die Türen einzeln öffnen. Hinter den Türen waren die Objekte der Geschichtenkurier:innen zu sehen. Es war uns sehr wichtig, dass diese Geschichten einzeln für sich stehen und dass man sie nicht alle auf einmal sieht oder miteinander vergleicht.

Sandra Kobel mit einer Geschichtenkurierin.

Keine Wertung?

Keine Wertung. Die Geschichtenkurier:innen waren durch ihr Objekt, ein Foto und ein persönliches Zitat präsentiert.

Übrigens: Wie erwähnt spielte der Gedanke der Nachhaltigkeit eine Rolle, besonders deutlich wird er aber in Bezug auf dieses Möbel: Wir hatten beim ersten Studio Geschichte 13 Geschichtenkurier:innen. Es waren also nur 13 Türen bespielt, die anderen waren nicht zu öffnen oder als Türen zu erkennen. Eigentlich hatte das Möbel aber– in Hinblick auf die Stille-Nacht-Ausstellung – 24 Türen, weil wir wussten, dass wir dafür einen großen, raumübergreifenden und interaktiven Adventskalender haben möchten. Auch solche Überlegungen spielten bei der Auswahl des Materials oder der Formate eine Rolle.

Vielleicht könntest du an einem konkreten Beispiel aus dem Studio Geschichte darauf eingehen, inwiefern auch museumsfremde Personen in den Vermittlungsprozess eingebunden wurden.

Zum Beispiel haben jene Leute, die sich ins Studio Geschichte einbrachten, auch maßgeblich das Vermittlungsprogramm mitgetragen. Mit den Geschichtenkurier:innen gestalteten wir beispielsweise auch Erzählcafés. Da waren meistens etwa drei Geschichtenkurier:innen unterschiedlichen Alters zusammen anwesend. Dabei war uns vor allem der generationenübergreifende Aspekt wichtig. Solche Veranstaltungen waren von Anfang an Teil des Konzepts. Wir hatten darüber hinaus auch Spezialvorträge zu den Orten der Erinnerung. Einer der Geschichtenkuriere war übrigens der Leiter des Bereichs „Bildung und Vermittlung“ an der Dokumentation Obersalzberg, Mathias Irlinger. Er hatte ein Album als Objekt ausgewählt, das Teil der neuen Ausstellung der Dokumentation Obersalzberg werden sollte. In diesem Album geht es um fotografische Inszenierungen zur Zeit des Nationalsozialismus. Dieser Kollege war sozusagen die Brücke zur Dokumentation Obersalzberg: Wir hatten dann beispielsweise eine gemeinsame Vortragsreihe oder boten Packages für Schulen an. Das heißt, Schulen aus Salzburg hatten die Möglichkeit zu uns zu kommen und zur Dokumentation zu fahren. Umgekehrt konnten Schulen aus Bayern auch beide Orte besuchen. Wir konnten dafür dann sogar eine Fahrtkostenunterstützung bewirken. Grenzübergreifende Projekte waren uns ein Anliegen.

Du hast angesprochen, dass ihr diese Veranstaltungen bereits bei der Planung des Studio Geschichte mitgedacht habt. Waren dementsprechend dann auch die konkreten Inhalte von Anfang an festgelegt, oder haben sie sich im Prozess ergeben?

Teils, teils, würde ich sagen. Die Dokumentation Obersalzberg bildet eine Ausnahme im Vergleich zu anderen Geschichtenkurier:innen. Wir sind mit der Dokumentation Obersalzberg wirklich ganz bewusst in einen inhaltlichen Austausch gegangen: Dort findet man einfach die Expert:innen für Vermittlung zur Thematik. Zudem ist sie in unmittelbarer Nähe. Nicht zuletzt entstand die Kooperation auch daraus, dass die Dokumentation selbst neu konzipiert und neu eröffnet wird und sich das dortige Team mit ähnlichen Fragen beschäftigte: „Welche Räume braucht es, um Themen rund um den Nationalsozialismus ehrlich zu vermitteln?“, „Wie kann ein ehrlicher Diskurs angeregt werden, ohne Klischees zu reproduzieren?“ Die Zusammenarbeit mit der Dokumentation Obersalzberg ging dann so weit, dass Personen aus dem dortigen Team eine Schulung für unser Vermittlungsteam zum Thema „Sprachsensibilität“ gemacht haben. Das war etwas, das im Vorfeld gar nicht planbar gewesen wäre, sondern sich im Prozess als totale Bereicherung erwiesen hat.

Du hast es ja bereits mehrfach angesprochen: Alltagserfahrungen und kulturelle Praktiken der Menschen habt ihr zum Beispiel in Form der Geschichtenkurier:innen in die Gestaltung des ersten Studio Geschichte einbezogen. Welche Erkenntnisse habt ihr daraus gewonnen?

Wir haben durch das Studio Geschichte vieles gelernt. Zum Beispiel haben wir erfahren, welche Fragen die Leute wirklich beschäftigen. Es gab für die Besucher:innen ja auch die Möglichkeit, Fragen zu stellen: ans Museum 1938, 2018 und ans Museum der Zukunft. Da haben wir extrem viel gelernt. Es ist beispielsweise unfassbar oft die Frage gestellt worden, welche Rolle der Islam zur Zeit des Nationalsozialismus gespielt habe. Das war weder in der Ausstellung noch im Studio Geschichte Thema, für viele Besucher:innen aber schon. Und darauf hatten wir im ersten Moment überhaupt keine differenzierte Antwort. Die Fragen waren Ausgangspunkt für uns, neue Aspekte zu beleuchten. Das ist wirklich das Tolle an den Räumen, dass man merkt, welche Perspektiven die Menschen haben, die zu diesen Ausstellungen kommen oder was sie an einem Thema interessiert.

Haben Kommunikations- und Vermittlungsmöglichkeiten im digitalen Raum bereits eine größere Rolle gespielt, abgesehen vom QR-Code-Tool, von dem du vorher gesprochen hast?

Wir führten mit den Geschichtenkurier:innen, die das wollten, Interviews, die wir dann auf Facebook und Youtube online stellten, um auch auf diesen Kanälen den Dialog sichtbar zu machen. Beim Studio Geschichte im Rahmen der Ausstellung Stille Nacht 200. Geschichte. Botschaft. Gegenwart. hatten wir eine Hashtag-Aktion. (lacht) Da war halt das Konzept viel verspielter, thematisch bedingt. Darüber hinaus haben wir zu allen Ausstellungen immer einen Media-Guide. Das ist auch eine Form der digitalen Vermittlung. Aber abgesehen davon nutzten wir bisher keine weiteren digitalen Kommunikations- und Vermittlungsformate.*2 *(2)

Siehst du hier noch Potenzial bzw. Strategien, die man künftig nutzen könnte?

Auf jeden Fall. Ich glaube, dass es immer sehr vom Thema abhängt, welchen Weg man nimmt. In der digitalen Vermittlung sehe ich sehr viel Potenzial, gerade was Teilhabe- oder Interaktionsmöglichkeiten betrifft. Da gibt es bereits interessante Möglichkeiten. Ich glaube aber, man muss immer auch die Sinnhaftigkeit prüfen: „Wann macht das Digitale Sinn?“, „Wann nicht?“, „Welche Möglichkeiten bietet das Digitale, um Geschichte(n) zu vermitteln und auf breiterer Ebene zugänglich zu machen?“, „Bietet das Digitale Möglichkeiten, um Barrierefreiheit und Inklusion zu fördern?“ – Das sind Fragen, die sich Kulturinstitutionen generell stellen sollten.

Weil du gerade auf Teilhabe zu sprechen gekommen bist: Was braucht es denn deiner Meinung nach an Informationen und Wissen, oder Zugängen zu Ressourcen oder Skills, sodass man als Mensch aktiv an einer demokratischen Gesellschaft teilhaben kann? Sie mitgestalten kann? Auch in Bezug auf Kunst und Kultur.

Was die Leute brauchen, um teilhaben zu können? Ich glaube, jeder Mensch hat Skills, die er einbringen kann. Teilhabe heißt ja nicht, so teilzuhaben wie es sich jemand anderes vorstellt oder wie es jemand anderes erwartet. Ich glaube Kulturinstitutionen sollten offen sein für ganz offene Prozesse, sie sollten Möglichkeiten schaffen. Letztlich verhandeln Kulturinstitutionen immer auch gesellschaftliche Fragestellungen, und die brauchen heterogene Perspektiven.

Ich versuche, meine Frage vielleicht anders zu stellen: Wie bewertest du die Rolle oder Funktion von Vermittlungsinstitutionen, zum Beispiel einem Museum, als Übersetzungsräume oder Verhandlungsräume gesellschaftlicher Themen?

Ich sehe das Museum, auch das Salzburg Museum, ganz klar als Verhandlungsraum gesellschaftlicher Themen. Das Salzburg Museum etwa ist 1834 gegründet worden, in einer politisch und gesellschaftlich herausfordernden Zeit. Dass das Museum überhaupt gegründet wurde, ist vor allem auch dem Salzburger Bürgertum zu verdanken, das Museum ist also aus einer Art Bürgerinitiative heraus entstanden. Ich persönlich sehe darin auch ganz klar einen Auftrag an uns. Das Museum „gehört“ uns allen. Unsere Sammlungen bieten so viele Möglichkeiten, aus dem Blickwinkel der Gegenwart auf die Vergangenheit zu blicken und Zukunft zu gestalten. Da ist natürlich auch der Bereich der Kulturvermittlung eine wesentliche Säule.

Welche Rolle spielt der Aspekt der Nachhaltigkeit in der Konzeption des Studio Geschichte?

Das fängt schon bei praktischen Dingen an: „Aus welchen Materialien bauen wir die Möbel in den Ausstellungen?“, „Können wir Möbel wiederverwenden?“ Oder: „Mit welchen Verkehrsmitteln machen wir unsere Dienstreisen?“

Gleichzeitig versuchen wir all unsere Vermittlungsaktivitäten nachhaltig zu denken. „Wie können wir zum Beispiel die Erfahrungen aus unseren Projekten dokumentieren, um sie nachhaltig und langfristig zugänglich zu machen?“, „Inwiefern kann Vermittlungsarbeit auch die Jetztzeit bzw. die Perspektiven der Gegenwart für die Nachwelt nachhaltig dokumentieren?“ Solche Fragen waren etwa bei den Geschichtenkurier:innen wichtig. Und es geht schon auch immer wieder um die Frage: „Was macht eine Stadt lebenswert?“

In Bezug auf die Konzepte des Studio Geschichte, die künftig noch entstehen, hat der Aspekt „Nachhaltigkeit“ natürlich auch durch das Projekt Räume kultureller Demokratie einen inhaltlich wichtigen Stellenwert. Ich bin gespannt, was wir aus dem Austausch mit Wissenschaftler:innen, Künstler:innen und Personen aus dem Bildungsbereich usw. für unsere Arbeit am Museum mitnehmen können.

Interview am 12.3.2020

Das Salzburg Museum ist Kooperationspartner im Projekt Räume kultureller Demokratie. Ab 8. April 2022 wird das Studio Geschichte unter dem Motto „Nachhaltig genießen“ neu eröffnet und knüpft dabei an Zwischenergebnisse des Projektes an. Auch Vermittlungsformate, die im bisherigen Forschungsprozess entwickelt wurden, sollen erprobt und aufgegriffen werden.

Das Interview wurde vor Beginn der Corona-Pandemie geführt. Mittlerweile gibt es verschiedene digitale Vermittlungsformate am Salzburg Museum, die auch kontinuierlich weiterentwickelt werden: beispielsweise live stattfindende Online-Führungen, digitale Veranstaltungen oder digitale bzw. hybride Workshops für Schulklassen. Seit Mai 2020 produziert das Salzburg Museum darüber hinaus einen Podcast mit dem Titel Museum am Sofa. Jede Woche samstags werden darin Geschichten aus den vergangenen Jahrhunderten erzählt.

Sandra Kobel, Timna Pachner ( 2021): „Das Museum als Ort ehrlicher Kommunikation“. Das Studio Geschichte im Salzburg Museum Neue Residenz als Experimentierraum zur dialogischen Kulturvermittlung.
Sandra Kobel im Gespräch mit Timna Pachner . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 12 , https://www.p-art-icipate.net/das-museum-als-ort-ehrlicher-kommunikation/