„Wir sind offen für alle.“

Das Futurium in Berlin als Erlebnisraum der Zukünfte.
Dr. Christian Engelbrecht im Gespräch mit Katharina Anzengruber und Elke Zobl

Im Futurium Berlin steht die Auseinandersetzung mit der Zukunft im Mittelpunkt. Das sogenannte Haus der Zukünfte steht im Regierungsviertel in Berlin und stellt sich Fragen, die Mensch, Technik und Natur in der Zukunft betreffen. Welche Rolle spielen nun Mensch, Technik und Natur? Wie kann Zukunft nachhaltig gestaltet werden? Was kann der Mensch gegen die Klimakrise tun? Wie Zukunft vermittelt werden kann und warum es eigentlich „Zukünfte“ heißen müsste, erklärt Dr. Christian Engelbrecht, Referent für Bildung und Partizipation des Futuriums, im Interview.

Bitte skizziere ganz kurz: Worum handelt es sich beim Futurium? Was waren die Ideen und Visionen, die euch bei der Entstehung dieses Museums geleitet haben? Wer waren hier überhaupt die Initiator:innen?

Das Futurium ist ein Haus der Zukünfte und unsere Leitfrage lautet: „Wie wollen wir leben?“ Das heißt, es ist kein Science-Center, wo einem die Schwerkraft oder die Lichtbrechung oder Ähnliches erklärt wird, sondern der Schwerpunkt der Vermittlung liegt auf dem Aspekt „Wie wollen wir zusammenleben?“. Dafür haben wir eine Dauerausstellung, ein Veranstaltungsprogramm und ein Lab, also einen Ort zum Experimentieren und Ausprobieren von Zukunftsideen. Ganz wichtig ist uns der Plural „Zukünfte“. Wir sind kein Prognoseinstitut oder ein Orakel von Delphi, sondern wir zeigen verschiedene Zukunftsszenarien auf. Niemand kann die Zukunft vorhersehen, aber wir können bestimmte Optionen –  Zukunftsszenarien sagt man in der Zukunftsforschung –  entwickeln. Und diese zeigen wir in unserer Ausstellung in drei Denkräumen: Mensch, Natur und Technik*1 *(1) .

Die Initiative kam von unserem Hauptgesellschafter, das ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Gemeinsam mit führenden Wissenschaftsorganisationen, Stiftungen und forschenden Wirtschaftseinrichtungen bilden sie unseren Gesellschafterkreis. Der Gründungsdirektor 2014 war Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, der vor allen Dingen im Kontext der Diskussion um das Anthropozän bekannt geworden ist. Seit 2017 ist Dr. Stefan Brandt Direktor des Futuriums.

Neben unserer Leitfrage haben wir auch einen Leitspruch: „Wir sind offen für alle.“ Das heißt, wir sind (mindestens bis Ende 2022) eintrittsfrei und versuchen ein möglichst breites Spektrum an Zuschauer:innen und Besucher: innen anzusprechen, also wirklich von Familien, über Fünf-, Sechsjährige bis hin zu Menschen im hohen Rentenalter. Das ist noch so eine wichtige Idee bei unserem Haus der Zukünfte. Dabei sind wir uns gar nicht so sicher, ob wir ein Museum im klassischen Sinne sind. Wir sind eher etwas dazwischen – und das ist vielleicht auch ganz gut, dass man sich irgendwie so dazwischen bewegt.

Also du meinst zwischen Museum und Erlebnisraum? Oder Museum und Labor?

Ja, vielleicht als eine Form eines „Intermediärs“ zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Zwischen Museum, Erlebnisraum, Veranstaltungsort, Diskussionsort, Forum, aber auch Reallabor, wo Prototypen und Ideen entwickelt und ausprobiert werden.

Das Futurium ist ja eine sehr große Institution. Vielleicht kannst du die Struktur ganz kurz skizzieren, sodass man sich vorstellen kann, wie das Futurium mit seinen verschiedenen Abteilungen funktioniert. Du bist ja in der Abteilung Bildung und Partizipation, wie spielt diese mit anderen zusammen?

Ja, ich gehe kurz einige Abteilungen durch, um so ein klareres Bild zu vermitteln. Also: Wir haben eine Abteilung, die nennt sich Strategie und Inhalte. Da passiert wirklich dieses wissenschaftliche Horizon Scanning: „Wo liegen wichtige Zukunftsthemen?“, „Welche Studien müssen wir in Auftrag geben, wenn wir ein neues Sonderthema konzipieren wollen?“ Solche Fragen stehen in dieser Abteilung im Fokus. Dann haben wir die Ausstellungsabteilung. Von den Mitarbeiter:innen in dieser Abteilung wird unsere Dauerausstellung auf die Beine gestellt. Darüber hinaus gibt es die Abteilung, die für die Programmkonzeption verantwortlich ist. Dort wird unser Veranstaltungsprogramm kuratiert – also das innovative wissenschaftliche Begleitprogramm. Da sind auch partizipative Veranstaltungen dabei, etwa Planspiele. Es gibt auch eine Kommunikationsabteilung. Und dann gibt es noch die Abteilung Bildung und Partizipation, also die Abteilung, zu der ich gehöre. Ich persönlich habe hier ja den Schwerpunkt in der Zusammenarbeit mit Schulen, also das Workshop-Programm. Wir haben daneben in unserem Lab aber auch Exponate, die interaktiv sind. Und dann haben wir natürlich auch – weil wir unsere Räumlichkeiten auch vermieten – einen Besucher:innen- und Veranstaltungsservice. Von den Mitarbeiter:innen dieser Abteilung werden besonders auf der Umsetzungsebene Veranstaltungen begleitet, beginnend bei der Stuhl- und Tischanordnung bis hin zu Beleuchtungsfragen, in diesem Fall natürlich in Zusammenarbeit mit der Technikabteilung.

Ihr seid mit der Abteilung Strategie und Inhalte auch in die wissenschaftliche Erarbeitung der Inhalte involviert. Liegt hierin vielleicht auch ein Aspekt, der euch von klassischen Museen unterscheidet?

Ja, ich denke schon. Aber wir haben auch einen Programmrat, der unsere Themen und unsere jeweiligen Themenzuschnitte kritisch prüft und uns fachlich berät, wenn wir beispielsweise ein neues Schwerpunktthema wie „Mobilität“ haben. „Ist unser Zuschnitt angemessen?“, „Fehlt noch etwas?“, „Wo haben wir blinde Flecken?“ Vom Programmrat erhalten wir Einschätzungen in Bezug auf Fragen wie diese.

Sehr spannend! Besonders interessieren würde uns nun das Bildungs- und Vermittlungsprogramm deiner Abteilung Bildung und Partizipation. Welche Formate umfasst es beispielsweise?

Zum einen gibt es ein Workshop-Programm für Schulklassen. Dreimal in der Woche bieten wir Workshops an, seit Corona auch digitale Workshops und Live-Webinare. Da haben wir aufgrund der Pandemie einen Schritt hin zum digitalisierten Lernen und Arbeiten gemacht. An den Wochenenden, samstags und sonntags, finden Drop-In-Formate statt. Das heißt, man kann ohne Anmeldung dazustoßen, kleine Experimentier- und Tüftelaufgaben machen, sei es einen Roboter zu programmieren oder in Virtual Reality eine „Stadt der Zukunft“ zu bauen. Das ist kostenlos und wir bieten dieses Format für Familien an. Dann haben wir dieselbe Option im Erwachsenenbereich immer donnerstags, von siebzehn bis zwanzig Uhr, im Rahmen des sogenannten Open-Lab-Abends. Dort bieten wir ein vielfältiges Programm an, das von Zukunftsforschung über Design Thinking bis hin zur Arbeit mit den Exponaten, die wir im Lab haben, reicht. Hier wird beispielsweise mit unserer senseBox gearbeitet. Das ist eine Art Wetterstation, die die Beteiligung vieler an der Forschung ermöglicht – ein sogenanntes Citizen Science-Projekt. Wenn wir besondere Anfragen kriegen, haben wir darüber hinaus auch die Möglichkeit, im Erwachsenenbereich Workshops zu machen, zu spezifischen Themen, die in unserem Portfolio sind. Meistens sind das Themen, die sich um die Zukunft der Städte, der Ernährung, der Gesundheit, der Energie, der Arbeit drehen. In diesen Bereichen haben wir viele Möglichkeiten, auch Sonderworkshops zu machen.

Da gibt es auch diese Zukunftsboxen, die sich auf diese genannten Themen beziehen. Worum handelt es sich dabei?

Die Zukunftsboxen sind unser erstes Lernformat. Wir haben sie zu den fünf Gründungs- oder Startthemen erstellt, zusammen mit dem Education Innovation Lab, wo sehr viele innovative Lernansätze entwickelt werden. Man kennt ja aus der Zukunftsforschung diese Szenariotechnik, dass man sich verschiedene Zukunftstrends in einer STEEP-Analyse anschaut und verschiedene Zukunftsoptionen durchgeht. Wir wollten genau das für den Schulbereich adaptieren. Mit den Zukunftsboxen kann man mit Trendkarten wirklich Szenarien ‚legen‘ – Wunschszenarien oder auch Albtraumszenarien – und darüber gemeinsam diskutieren. Die Zukunftsboxen sind die Basis für unsere Workshops, weil sie einen guten Startpunkt dafür darstellen, um jenseits von Zukunftsklischeevorstellungen miteinander über verschiedene zentrale gesellschaftliche Herausforderungen unserer Zeit zu diskutieren. Zusätzlich zu den Boxen haben wir auch kostenlose Open Educational Ressources. Das sind Unterrichtsmaterialien, die von Unterrichtseinheiten bis hin zu ganzen Projektwerkstätten reichen. Diese können wir Lehrkräften an die Hand geben, wenn sie das Futurium besuchen und den Besuch vor- oder nachbereiten wollen. Was in diesem Zusammenhang auch noch wichtig ist: Die Boxen sind unter Creative Commons-Lizenz gestellt, sodass jede:r eine eigene Zukunftsbox erstellen kann, beispielsweise zum Thema „Tourismus“ oder zum Thema „CO2-Nutzungsstrategien“ etc. Man kriegt also unsere offenen Dateien und kann eine eigene Zukunftsbox erarbeiten. Wir hoffen, dass in den nächsten Jahren auf diese Weise weitere Zukunftsboxen entstehen werden.

Du hast gerade gesagt, dass ihr mit den Boxen auch jenseits von zukunftsklischeehaften Vorstellungen einsteigen wollt. Wir haben beobachtet, dass es sehr schwierig ist, in der oft kurzen Zeit, die man zur Verfügung hat, jenseits von Stereotypen oder stark vereinfachten Vorstellungen von Zukunft, ins Thema einzusteigen. Wie ist dazu eure Position? Und: Was ist euer Zugang – in Bezug auf die Boxen, aber auch ganz generell?

Die Boxen haben quasi schon so eine Methodik, die darauf abzielt, dass man einfach nicht nur das wiedergibt, was man weiß, sondern dass man mit Trends konfrontiert wird, die man im ersten Moment vielleicht gar nicht beispielsweise mit dem Thema „Zukunft der Arbeit“ in Verbindung bringen würde. Es geht uns darum, dass man sich beispielsweise nicht einfach damit zufriedengibt, zu sagen: „Eines Tages werden die Roboter unsere Arbeit übernehmen“. Es geht uns darum, dass man erst mal schaut: „Was gäbe es denn für alternative Trends?“ Und da hilft es Schüler:innen genauso wie Erwachsenen erst mal sehr, dass wir konzentriert ausgewählt haben. Wir haben also nicht hundert Trends zur Verfügung gestellt, sondern nur die vier wichtigsten, die oft in einem großen Kontrast zueinander stehen. Und dadurch gelingt das, dass wir zum Beispiel mit Schüler:innen dann relativ gut jenseits von Klischeevorstellungen Zukunftsvisionen entwickeln können.

Man merkt, wenn du über eure Formate sprichst, dass dem Experimentieren, dem Selber-Tun, dem Partizipativen großer Wert beigemessen wird. Das interessiert uns besonders, weil wir uns in unserem Projekt Räume kultureller Demokratie auch damit beschäftigen, wie Experimentier-Räume, wie experimentelle Vermittlungsräume im Kontext Klimawandel und Nachhaltigkeit, aussehen können. In diesem Zusammenhang würde uns interessieren: Was bedeutet Vermittlung für dich?

Okay, ich versuche mal, ein paar offene Gedanken dazu zu sagen. Wir sind beispielsweise derzeit in einer Arbeitsgruppe zur „Zukunft der Wissenschaftskommunikation“, in der wir mit wichtigen Stakeholdern darüber diskutieren, was wir im Kontext der Wissenschaftskommunikation unter gelungener Partizipation verstehen und welche Aspekte dabei in den nächsten Jahren noch stärker in den Vordergrund rücken müssten. Ein wichtiger Aspekt dabei ist: Partizipation wird oft als Top-Down-Prozess gedacht – wie können daneben auch Bottom-Up-Vorschläge, Teilhabewünsche aus der Gesellschaft berücksichtigt werden? Dazu, was Vermittlung ist, kann ich sagen, was für mich dabei besonders wichtig ist: Wir haben einen Zugang, den Seymour Papert „Lernen durch Begreifen“ genannt hat. „Learning through making“: Das ist bei uns im Futurium Lab der grundsätzliche Zugang, würde ich sagen. Das heißt, auch theoretische Inhalte werden hands-on vermittelt. Die große Diskussion um Umwelt und Energie vermitteln wir konkret mit Hilfe von Exponaten, beispielsweise der senseBox. Mit ihr kann man experimentieren: Feinstaub messen oder – im Bereich Ernährung – ein Gewächshaus der Zukunft mit Feuchtigkeits-Sensoren programmieren. Die Herangehensweise ist sehr spielerisch. Das brauchen wir im Bereich Vermittlung, besonders auch für den Erwachsenen-Bereich, nicht nur für den Familien- und für den Kinderbereich.

Unser wichtigstes Vermittlungsziel ist für uns die Förderung von Future Literacy. Im Deutschen könnte man das Zukunftsgestaltungskompetenz nennen oder die Lesefähigkeit, sich verschiedene Zukünfte mit Hilfe von Fantasie vorzustellen und dadurch die Gestaltbarkeit von Zukünften in den Blick zu nehmen. Das ist ein zentrales Lern- oder Vermittlungsziel, das all unsere Workshops und Veranstaltungsformate, aber auch die Ausstellung prägt. Wir wollen dieses Gefühl vermitteln, dass man als Mensch nicht ohnmächtig den Strukturen und Entscheidungen ausgeliefert ist, sondern oft mehr Handlungs- und Spielräume hat, mehr Möglichkeitsräume – und vielleicht an manchen Stellen sogar mehr, als man sich selbst zugestehen möchte. Diese optimistische Haltung im Sinne von „Es gibt ein Problem und es gibt mindestens drei Lösungen dafür und diese präsentieren wir, davon erzählen wir.“ ist uns – und mir – sehr wichtig. Ansonsten können wir nur immer wieder von Workshop zu Workshop, von Exponat zu Exponat schauen und uns fragen „Was haben wir jetzt diesmal gut gemacht oder schon etwas besser gemacht?“ Wie heißt das bei Samuel Beckett? „Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

Was mir jetzt noch einfällt ist das Prototyping im Sinne von „Erfinde deine Zukunftsidee!“ Ein Aspekt dieses Prototyping ist, dass es eben nicht nur darum geht, wild in einem endlosen Brainstorming herumzudiskutieren und dann sind sich alle mehr oder weniger schnell einig, sondern ganz konkret zu werden und eine konkrete Idee als Prototyp umzusetzen. Das ist bei uns im Vermittlungsbereich auch noch extrem wichtig. Und für Kinder kann dieses Konkret-Werden dann vielleicht ein Stop-Motion-Film sein oder eine gebastelte oder gemalte Zukunftsvision, im Erwachsenen-Bereich kann das noch in ganz andere Richtungen gehen.

Du hast den Aspekt der Partizipation jetzt erwähnt und die verschiedenen Facetten angesprochen. In deinem Vortrag im Rahmen unserer Gesprächsreihe hast du in diesem Zusammenhang von Co-Design-Werkstätten und Ideen-Werkstätten gesprochen, in denen ihr mit Bürger:innen und Expert:innen in co-kreativen und kollaborativen Prozessen zusammenarbeitet. Könntest du uns diese Werkstätten noch einmal skizzieren und vielleicht auch etwas dazu sagen, wo darin Entstehendes hinfließt?

Es fließt in unsere Ausstellung, in unsere Veranstaltungen und in die Entwicklung unserer Exponate ein. Also wir sind in unserem Tun grundsätzlich immer wieder von dem inzwischen schon fast klassischen Format der Zukunftswerkstatt inspiriert. Das ist eine unsere Kernkompetenzen, wenn man so will. Die Ideenwerkstätten – wir nennen sie aber auch Co-Design-Werkstätten, oder Bürger:innenwerkstätten – laufen oft so ab, dass wir von einer bestimmten Herausforderung ausgehen und dazu dann zwei, drei Expert:innen befragen und zum Mitmachen einladen. Diese können aus ganz unterschiedlichen Bereichen sein: Demokratieforscher:innen oder Polarforscher:innen beispielsweise. Wir arbeiten dann zusammen mit einer Gruppe von Bürger:innen, die ihre eigenen Lösungen und ihre eigenen Sichtweisen einbringen, immer auf Augenhöhe in der Diskussion mit Expert:innen, und die wir dann an die Expert:innen zurückspielen, etwas verkürzt gesagt im Sinne von: „Liebe Expert:innen das ist unsere Idee, das sind unsere Interessen, Wünsche und Visionen … “ In solchen Werkstätten können ganz besondere Prototypen entstehen.

Und wie geht das dann weiter, wenn Vorschläge bei den Expert:innen landen? Fließen diese dann in euer Programm ein? Werden sie irgendwo gesammelt oder wie kann man sich das vorstellen?

Zum einen sind wir ja ein Ort des Dialogs und der Wissenschaftskommunikation. Dabei ist es ein zentraler Punkt, dass die Wissenschaft nicht losgelöst von der Gesellschaft entsteht und dass die Expert:innen sich ein Stück weit auch rechtfertigen oder darstellen müssen, woran sie eigentlich forschen und warum und ob die Interessen, Wünsche, Visionen von Zukunft von uns allen darin auch Berücksichtigung finden. Denn partizipative Wissenschaftskommunikation sollte zu einem selbstverständlichen Bestandteil einer guten wissenschaftlichen Praxis werden. Zum anderen umfassen unsere Angebote ja auch den Bereich Citizen Science. Ich habe ja schon die senseBox erwähnt, die ich jetzt noch einmal aufgreifen möchte. Bürger:innen können sich bei uns eine eigene senseBox bauen, die sie dann mitnehmen und sich auf den Balkon stellen können. Damit können sie dann eigene Daten generieren, beispielsweise zur Feinstaubbelastung oder zum Stadtlärm. Diese Daten können sie infolgedessen in ein Netzwerk speisen, das dann möglicherweise bei zukünftiger Stadtentwicklung berücksichtigt wird. Und dann ist für uns ja das Prinzip des Prototyping zentral. Prototypen, beispielsweise zum Thema „Stadt der Zukunft“, die von Bürger:innen im Rahmen von Workshops entwickelt werden, werden dann auch in unserer Ausstellung gezeigt, zum Beispiel neben den Architekturvisionen von Architekt:innen. In diesem Bereich könnten wir uns auch vorstellen, die Visionen der Citizens zukünftig noch stärker digital zu präsentieren.

Das heißt, da stehen dann diese verschiedenen Perspektiven in ihrer Vielfalt auch nebeneinander? Da ist sozusagen nicht nur die wissenschaftliche Seite, sondern eben auch die alltägliche, oder die der Alltagsexpert:innen. Kann man das so sagen?

Ja, genau. Das ist uns wichtig. Verschiedene Blickwinkel für alternative Zukünfte zu respektieren und eben nicht zu sagen: „Das meinen die Expert:innen und so wird es sein.“

Ich bin jetzt gerade hängen geblieben bei diesen alternativen Zukünften. Ich meine, gerade im Klimabereich gibt es ja auch die Bewegungen der Klimaleugner:innen, die die wissenschaftlichen Fakten nicht akzeptieren. Wie geht ihr damit um?

Zunächst einmal muss gesagt sein, dass wir ganz klar auf einer bestimmten Wertebasis stehen. Wir bekennen uns zu den Nachhaltigkeitszielen. Nichtsdestotrotz zeigen wir in unserer Ausstellung auch durchaus kontroverse Themen, beispielsweise was das Thema Atomenergie betrifft. Das ist, glaube ich, schon wichtig. Damit unsere Guides gut vorbereitet sind, geben wir ihnen zu den Themen, die sehr kontrovers diskutiert werden, so eine Art Faktencheck mit: „Energiewende – Was ist das eigentlich?“, „Was sind damit verbundene Mythen?“, „Was ist einfach faktisch nicht stimmig?“ Sie sollen da eine gewisse Sicherheit im Umgang mit Besucher:innen haben, das ist uns wichtig. Aber wie gesagt: Wir haben eine bestimmte Wertebasis. Wenn man zum Beispiel in den Denkraum Mensch geht, wo es um die Frage geht „Wie wollen wir zusammen leben bzw. zusammen arbeiten?“ bekennen wir uns ganz klar zu einer Haltung, die die Grenzen des Konsums betont: Weniger ist weniger, kann aber glücklicher machen. Wir interessieren uns also für die Einsichten einer Post-Wachstums-Ökonomie, und dass wir einen anderen Umgang mit der Natur benötigen, der sich jenseits von Ressourcenausbeutung bewegt. Es würde deshalb unserer Wertebasis völlig widersprechen, Klimaleugner:innen eine Plattform in unserer Ausstellung zu geben.

Da kommt mir jetzt eine Frage in den Sinn, die ein wenig an das jetzt Thematisierte anknüpft und die uns im Rahmen unseres Projektes auch sehr beschäftigt. Es ist ja oft schwierig, gewisse Teile der Gesellschaft zu erreichen, sozusagen aus seiner Filterblase herauszukommen und nicht nur die zu erreichen, die sich ohnehin schon mit Themen rund um unsere Zukunft auseinandersetzen. Hier haben wir als eine Möglichkeit erfahren, dass es Sinn macht, in den öffentlichen Raum rauszugehen, mit mobilen Pop-up-Räumen. Was macht ihr, um Menschen außerhalb eurer Filterblase zu erreichen? Habt ihr so etwas wie mobile Räume oder Pop-up-Formate bzw. seid ihr da dran, etwas in diese Richtung zu entwickeln?

Genau, wir sind dran, sowas in naher Zukunft zu entwickeln. Das ist auch schon sehr konkret, mit sehr konkreten Ideen. Wir haben uns als Ziel gesetzt, in den Kleinstädten und Dörfern außerhalb von Berlin stärker zu wirken, ein wichtiges Ziel für uns. Ein nächster Themenschwerpunkt wird bei uns die Mobilität sein und in diesem Zusammenhang haben wir als Exponat ein Lastenfahrrad, das aber gleichzeitig tatsächlich als Rad genutzt wird, um in bestimmte Gegenden von Berlin zu fahren und dort Pop-up-Workshops zu machen. Also beispielsweise an Orte, die als emotional unsicher gelten oder Ähnliches. Dort kann man dann hinfahren und mit den Leuten ins Gespräch kommen und Workshops über Zukunftsvisionen machen. Das wäre jetzt so ein eher kleines, schon ganz konkretes Projekt, das in den nächsten Monaten starten wird. Und wir wollen gerne sehr viel im Bereich Outreach in Kleinstädten und Dörfern machen, also ein „mobiles Futurium“ entwickeln. Abgesehen davon haben sich uns dadurch, dass wir jetzt viel mit digitalen Vermittlungs-, Bildungs- und Workshopformaten gearbeitet haben, neue und andere Möglichkeiten erschlossen. Wir haben viel gelernt. Wir haben beispielsweise mit dem Goethe-Institut einen digitalen Workshop gemacht, mit Schüler:innen aus Bangladesch, Indien, Iran und Pakistan. Im Zuge dessen hatten wir die Möglichkeit, unsere Ansätze und Herangehensweisen und Bildungsmaterialien aus einer nicht-eurozentrischen Perspektive zu erproben. Das ist, glaube ich, auch nochmal so ein Punkt, wo wir uns jenseits der eigenen Filterblase bewegen können. Aber viele Museen stehen natürlich genau vor der Frage, wie das gelingen kann, auch wir.

Ja, da müssen sich Museen sehr verändern und eben das Öffnen nach außen ist da sicher ein wichtiger Aspekt. Wir entwickeln im Räume-Projekt einen Rucksack, den man aufklappen kann, der dann Tisch ist oder Labor, aber auf jeden Fall tragbar, sodass wir damit mobil sind.

Ja, ich finde das ist ein schönes Bild. „Was packen wir alles in so einen Vermittlungs-Rucksack – und was ist neben Ausstattung und Materialien an Werten und Zielen wirklich zentral?“ Vielleicht ist noch wichtig zu sagen, dass wir, was unsere Herangehensweise betrifft, eben nicht ein Ort sind, wo man leise sein muss, nichts anfassen darf, bedächtig gehen muss. Wir haben ein Exponat, das nennt sich der Innere Schweinehund. Das ist ein sprechendes Sofa, das einem erzählt, warum man nicht in die Veränderung kommt. Denn den eigenen Konsum nachhaltig zu reduzieren, ist keine leichte Aufgabe. „Sollen sich doch erst mal die anderen verändern, mit den Geschäftsreisen, bevor ich mich verändere“, sagt es einem beispielsweise. Ich habe dann mal beobachtet, wie Schüler:innen auf diesem Sofa saßen und eine Schülerin hielt einen Impulsvortrag dort, mitten in der Ausstellung. Das spiegelt exemplarisch die Art und Weise wider, wie ich unsere Ausstellung wahrnehme. Man hat dort verschiedene Bereiche, wo man diskutiert, dann geht man zu einem Exponat hin, schaut: „Wie haben die das eigentlich gemacht?“, lässt sich inspirieren, kehrt zurück, entwirft erste Prototypen und diskutiert weiter. Das alles findet mitten zwischen den Exponaten statt.

Wichtiger Aspekt in Bezug auf die Öffnung bzw. das Signalisieren des Offen-Seins ist da sicher auch, dass der Eintritt frei ist. Das kann ja doch auch eine große Hürde sein.

Im ökonomischen Sinne barrierefrei zu sein, das war mit Sicherheit eine sehr wichtige politische Entscheidung. Das kann man gar nicht hoch genug einschätzen.

Ja, das glaube ich auch. Da wäre es sehr interessant, genauer hinzuschauen, inwiefern sich das auswirkt. Du hast ja vorhin den digitalen Raum angesprochen. Du hast ja schon gesagt, ihr habt im vergangenen Jahr viele Erfahrungen mit dem digitalen Raum als Vermittlungsraum gemacht. Wie schätzt du den digitalen Raum ein? Welche Potenziale bietet er? Wo liegen hingegen die Nachteile? Wie wichtig ist der digitale Raum für das Futurium?

Er ist sehr wichtig für uns, wobei wir wirklich noch am Entdecken sind, was geeignete Hybridformate sein könnten. Wir haben gelernt, dass das reine Abfilmen einer zweieinhalbstündigen Veranstaltung kein geeignetes und zukunftsfähiges Digital-Format sein sollte. Das muss anders gehen und geht auch anders. Wir haben gelernt, wie digital-kollaboratives Arbeiten möglich sein kann. Mit Erwachsenen, mit Schüler:innen. Wir haben beispielsweise einen Online-Workshop entwickelt. Remote Coding heißt er und es geht um das ferngesteuerte Programmieren von Robotern, die sich im Futurium befinden. Das ist, glaube ich, ein sehr innovatives Format, auch methodisch. Wir sind absolut überzeugt, dass trotz wachsender Bedeutung des Digitalen haptische Elemente, also das Lernen durch Begreifen, ein wesentlicher Bestandteil der Vermittlungs- und Bildungsarbeit sind – und auch bleiben werden. Und unsere Ausstellung selbst ist ja sehr interaktiv und lädt zum Diskutieren ein, zum Ausprobieren, zum Szenarien-Durchspielen. Das alles kann und soll nicht durch das reine Online-Stellen von Content ersetzt werden. Wir brauchen auch öffentliche Orte, wo die Leute zusammenkommen. Darüber hinaus ist dieser Ort, an dem das Futurium steht, ja mitten im Regierungsviertel, mit Blick auf die Spree, auf den Mauerweg, auf das Kanzleramt, auf den Bundestag. Das ist auch ein symbolischer Ort, an den man als Bürger:in hinkommt, durch das Panoramafenster schaut und dadurch vielleicht auch nochmal einen anderen Bezug hat als in einer Zoom-Konferenz, wo man auf den Bildschirm starrt. Aber das sage ich heute natürlich auch unter dem Eindruck einer Zoom-Fatigue, die uns alle seit Corona getroffen hat.

Ja, wichtig ist sicher der Aspekt, den du am Anfang gesagt hast, dass man die physische Vermittlung nicht eins zu eins ins Digitale übersetzen könne. Das Digitale braucht natürlich auch neue Formate, neue Methoden, und das Kollaborative ist anders.

Ja, ich sehe da jetzt die Chance – wenn wir an den Schulbereich denken – mit Schüler:innen und Lehrenden auszuprobieren: „Was funktioniert, was funktioniert nicht?“, „Was bedeutet hybrides Lernen wirklich?“ Unsere Zukunftsboxen beispielsweise sind zwar als Downloadmaterial verfügbar, aber doch noch ein Print-Produkt. Was bedeutet das jetzt, diese Zukunftsboxen als digitalen Prototypen weiterzuentwickeln? Da stößt man schnell auf Hürden: Wir haben etwa festgestellt, dass plötzlich viel zu viel Text auf einer Trendkarte ist, oder dass Boards, mit denen man kollaborativ zusammenarbeitet, PDFs nicht gut genug darstellen. Das sind einfach Dinge, da kann man nur ausprobieren und dazulernen. Da sind wir noch längst nicht am Ende.

Ja, da tut sich sicher noch viel in den nächsten Jahren. Abschließend habe ich jetzt noch eine Frage, die auch ein bisschen aus unseren Auseinandersetzungen im Rahmen des Räume-Projektes herauskommt: Welche Rolle spielen Kunst und Kultur deiner Ansicht nach für den Bereich der Vermittlung von Themen im Kontext Klimawandel und Nachhaltigkeit? Und: Gibt es auch am Futurium selbst beispielsweise Kooperationen mit Künstler:innen oder etwas, das in diese Richtung geht bzw. Pläne dafür?

Wir werden prinzipiell ein Ort der Wissenschaftskommunikation bleiben und kein Ort der Kunstvermittlung. Das ist einfach Teil unserer Identität oder unseres Profils. Nichtsdestotrotz integrieren wir im Veranstaltungs- oder ebenso im Ausstellungsbereich immer wieder auch künstlerische Arbeiten oder Formate. Das kann eine Performance sein, das kann ein Projekt sein, das wir in Zusammenarbeit mit Theatern entwerfen, das können bestimmte partizipative Spiele sein. Wir hatten beispielsweise ein großes Projekt, das stand auf unserem Vorplatz. Es hieß TRANSIT. Das war ein Narrative Space der Künstlerin Mona el Gammal und ihres Teams, eine geschichtenerzählende Rauminstallation. Etwas verkürzt gesagt: Fiktive Zukunftsforscher:innen landeten auf dem Vorplatz des Futuriums. Dann mussten sie aber ihr Raumschiff verlassen und die Besucher:innen gehen nun rein und finden in diesem verlassenen Raumschiff die hinterlassenen Forschungsergebnisse vor. In der Ausstellung selbst haben wir so etwas, das nennen wir ‚voids‘, also Leerstellen, die wir mit künstlerischen Arbeiten bespielen. Hunger, Kriege, Gefährdung der Natur – trotz vieler Bemühungen fehlen auf einige große Herausforderungen unserer Zeit die Antworten. Komplizierte Zusammenhänge und unterschiedliche Interessen machen es oft schwer, umfassende und langfristige Lösungen zu finden. Wir haben Künstler:innen eingeladen, im Futurium ihren Blick auf fünf große Herausforderungen zu zeigen. Form und Wesen ihrer Werke sind vielfältig und komplex. Wie die vor uns liegenden Aufgaben. Da haben wir dann beispielsweise den Künstler Gonçalo Mabunda aus Mosambik, der aus den leeren Patronen und den Waffen aus dem Bürgerkrieg einen Einrichtungsgegenstand, einen Stuhl, erstellt hat, den  wir in der Ausstellung als Kunstexponat zeigen, um auf eine Leerstelle aufmerksam zu machen, im Sinne von: „Wir haben auf vieles eine Antwort, aber auf diese große Zukunftsherausforderung, wie man Kriege verhindern könnte, zeigen wir hier noch keine Antwort. Und die wird es höchstwahrscheinlich in den nächsten fünf, sechs Jahren auch nicht geben.“

Interview am 22.6.2021

In den Denkräumen Mensch, Technik, Natur, steht das zukünftige Verhältnis von Menschen zu diesen drei Bereichen im Mittelpunkt. In je einem Denkraum werden Themen rund um die Schwerpunkte Mensch, Technik oder Natur behandelt. Unter anderem werden dort Fragen zum Wohnen, Arbeiten, Leben in der Zukunft aufgeworfen und ausgehandelt.
Mehr dazu unter: https://futurium.de/de/ausstellung

Christian Engelbrecht, Katharina Anzengruber, Elke Zobl ( 2021): „Wir sind offen für alle.“. Das Futurium in Berlin als Erlebnisraum der Zukünfte.
Dr. Christian Engelbrecht im Gespräch mit Katharina Anzengruber und Elke Zobl. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 12 , https://www.p-art-icipate.net/wir-sind-offen-fuer-alle/