Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen

Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer

Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić sind die Kuratorinnen von D/Arts – Projektbüro für Diversität und urbanen Dialog in Wien. Seit 2021 setzen sie in breiter Allianz Veranstaltungen, Diskursreihen und künstlerische Produktionen um, mit dem Ziel, das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines diversitätsorientierten Strukturwandels des Kulturbetriebs zu schärfen. D/Arts soll zukünftig als eine Institution, die diskriminierungssensible Diversitätsentwicklung für den Kulturbetrieb umsetzt, strukturell verankert werden. Im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer erzählen die Kuratorinnen über Anfänge, Struktur und formale wie inhaltliche Zugänge des Projekts. Sie geben Einblicke in konkrete Strategien und in verschiedene Herausforderungen – etwa ihre Moderationsrolle im Netzwerk der vielen Vereine und Kulturinstitutionen – sowie Tipps, wie auch in Salzburg mehr Diversität im Kulturbetrieb erreicht werden kann.

Wie kam es zu der Gründung von D/Arts?

Ihr habt gemeinsam D/Arts ins Leben gerufen und setzt seit Juni 2021 Projekte um. Könnt ihr kurz umreißen, wie es dazu gekommen ist? Warum habt ihr euch zu dem Schritt entschieden?

Zuzana Ernst (ZE): Ivana, du hast den ersten Schritt gemacht.

Ivana Pilić (IP): Anfang 2020 kam Anne Wiederhold von der Brunnenpassage auf mich zu und erzählte, dass sie von einer Stiftung Geld für eine Diskursreihe zugesagt bekommen habe und ob ich daran interessiert sei, diese zu kuratieren. Ich habe zugesagt.

Ich sagte schon damals, dass, wenn wir – ähnlich wie Aslı Kışlal 2012 mit Pimp my Integration – das Thema Diversität im Kulturbetrieb wieder aufgreifen und politisieren wollen, es nicht nur symbolisch von einer Institution ausgehen sollte, sondern in breiter Allianz mit den vielen unterschiedlichen Institutionen und Akteur:innen, die schon lange in dem Bereich kämpfen, umgesetzt werden soll.

Die Idee hat Anne sehr gut gefallen. Es wurde das Ursprungskonzept geschrieben, Sheri, Zuza und ich haben uns zusammengefunden und den ganzen Prozess fertig konzipiert. Seitdem heißt das Projekt D/Arts, zu Anfang hieß es noch ‚Voices of Transformation‘.

Was sind die mittel- und langfristigen Ziele von D/Arts?

ZE: Als wir das Konzept und die Planung ausgearbeitet haben, war das Projekt noch auf zwei Jahre angelegt, in denen die Diskursreihe den Hauptbestandteil und die künstlerische Produktion den Abschluss davon bilden sollten. Parallel dazu war von Anfang an Teil des Konzeptes, dass sich D/Arts loslöst von einer einzelnen Institution und ein breites Netzwerk aufgebaut werden soll. Auch mit dem klaren Bewusstsein: Die Initiative ist nichts Neues, sondern baut auf – auf so viel Wissen, das bereits von anderen politischen Kämpfen vorhanden ist, von anderen Organisationen, die schon lange an diesen Themen arbeiten. Wir haben dann angefangen – auch das ist ein wachsender Prozess – eine Expert:innenplattform aufzubauen und gleichzeitig Netzwerktreffen zu veranstalten, die mittlerweile in regelmäßigen Abständen stattfinden. Am Anfang gab es Arbeitsgruppen, die sich Gedanken zu Fragen der Policy und zur Struktur gemacht haben. Jetzt sind wir gerade mitten im Prozess der Bildung einer Vereinsstruktur mit Fragen zum Vorstand und so weiter. Das langfristige Ziel ist, dass Anfang 2023, nach der fake it till you make it Start-Phase, eine nachhaltige, eigenständige Struktur entwickelt worden ist, die Bestand hat.

IP: Wir haben also nicht erst im Juni 2021 mit D/Arts begonnen, sondern sind damals zum ersten Mal mit der Diskursreihe nach außen gegangen. Schon im Herbst 2020 und teilweise auch davor haben wir angefangen, mit unterschiedlichen Kulturakteur:innen über das Vorhaben zu sprechen. Damals waren wir mitten in der Corona-Hochphase und viele haben sich über dieses reconnecten gefreut.

Bevor wir also nur ansatzweise nach außen gegangen sind, wurden schon sehr viele Gespräche geführt. Wir haben den ursprünglich geplanten Start verschoben, denn der interne Prozess und das Netzwerk-Aufbauen haben zunächst viel Platz und auch Raum gebraucht.

Sheri Avraham (SA): Ich möchte noch ergänzen, dass das Netzwerk nicht unbedingt aus Akteur:innen, Kulturarbeiter:innen und Künstler:innen besteht, die schon lange an dem Thema arbeiten, sondern auch vielen jungen Stimmen eine Plattform gibt. In Wien gab es vor zehn Jahren nur wenige Organisationen, die schon an diesen Themen gearbeitet haben, und heute sind wir sehr glücklich, dass es so viele Kräfte gibt. Für uns ist es wichtig, diese Kräfte zusammen zu bringen, auch über verschiedene Generationen hinweg; die ältere oder mittlere Generation und die ganz junge Generation, die beginnt, sich jetzt mit der eigenen Politik auseinanderzusetzen und auch neue Begriffe zu entwickeln: Wie können wir diese Erfahrungen zusammenbringen, um einen Dachverband zu bilden? Das ist das erste Ziel. Aber auch eine gute, konstante Form zu finden, in der wir darauf Acht geben, wie wir die unterschiedlichen Ziele der jeweiligen Gruppen zu einem gemeinsamen Ziel verbinden können. Um ein Bewusstsein zu schaffen, z.B. dafür, wie viele Akteur:innen es in Österreich gibt, bei denen die Erstsprache nicht Deutsch ist, oder dafür, welchen Beitrag Akteur:innen für die Kunst- und Kulturlandschaft leisten, die nicht in Österreich oder in Europa geboren sind.

Was sind die größten Schwierigkeiten oder Herausforderungen in diesem Prozess? Wo stoßt ihr auf Widerstand?

SA: Eine große Herausforderung, wie in jedem Bottom-Up-Projekt, ist eine fehlende stabile und kontinuierliche Struktur. D/Arts greift dieses Problem auf und will dazu an einer Lösung arbeiten. Aus unserer Erfahrung heraus, als freischaffende Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen, ist es fast unmöglich, neben unserer regulären Arbeit noch einen Kampf allein zu führen. Mit diesem Kampf meine ich die Kritik an Diskriminierung und die Anerkennung von Diskriminierungserfahrungen, die wir im Rahmen unserer Arbeit erleben und sehen. Am Ende muss man sich dann entscheiden, wo man seine Kräfte und Kapazitäten investiert, bei mir sind das beispielsweise Briefe mit Positionierungen und Stellungnahmen. Da ich an keine Institution angebunden bin, die mir jeden Monat einen Lohn sowie Urlaubs- und Krankengeld auszahlt, muss ich schauen, dass ich meinen Monat finanzieren kann. Ich muss jeden Tag nachrechnen und darüber nachdenken, was ich mache, um Geld zu verdienen. Erst dann kann ich die restliche Zeit für meine aktivistische Arbeit, die normalerweise ehrenamtlich ist, aufwenden. Daher ist eine der wesentlichsten Herausforderungen zunächst einmal die Frage nach Ressourcen.

Ein anderes Problem ist das unterschiedliche Verständnis von Begriffen wie z.B. Diversität oder Intersektionalität. Man muss Prioritäten setzen und Privilegien abgeben – und es ist sehr schwierig, innerhalb der Community, aber auch außerhalb, eine Position als Privilegierte einzunehmen, und dies als Fakt und nicht als persönlichen Vorwurf zu verstehen.

IP: Ich glaube, dass uns das fake it till you make it fast ein bisschen überholt hat. Das ist vielleicht das Interessanteste an unserem Projekt, weil es einerseits so schön und kraftvoll ist und es so schnell wirkmächtig geworden ist. Was wir aber alle lernen müssen, ist, dass die Netzwerkarbeit viel Platz einnimmt. Es ist viel Arbeit, auch wenn man gemeinsam dadurch stärker wird. Von der Stärke des gemeinsamen Tuns bin ich überzeugt. Trotzdem ist die Anerkennung, wie viel wir der Netzwerkarbeit widmen, wichtig. Es geht darum, die unterschiedlichen Logiken – von großen Institutionen, von Künstler:innen, Kulturaktivist:innen oder auch von kleineren Projekten – zu erkennen und anzuerkennen, die man ja im Prozess mitnehmen will. Wir haben somit eine starke Moderationsrolle inne. Es ist viel Lernarbeit dabei. Ich musste zum Beispiel lernen, dass auch gerade die gemeinsamen Veranstaltungen, die wir mit etablierten Häusern machen, auch ein Kraftakt sind. Die Frage ist immer, wie viel Verantwortung liegt bei uns und wie viel müssen wir am Schluss stemmen. Manchmal beinhaltet das auch schwierige Momente.

Das D in D/Arts steht für unterschiedliche Begriffe wie Dialog, Diskriminierungskritik, Diversität. Was versteht ihr unter dem Begriff Diversität? Gibt es spezifische Konzepte, auf die ihr euch bezieht?

SA: Ich schlage vor, Diversität, Demokratie und viele andere Begriffe, die mit D beginnen, als D zu vereinfachen, aber auch Begriffe oder Artikel wie ‘der, die, das’ zu verkürzen, und D als Teil des Spiels mit Nicht-Muttersprachler:innen zu sehen.

Was ich unter Diversität verstehe, ist eine Übersetzung von Intersektionalität, ein Raum oder ein Gedankenraum, in dem wir Themen wieder und wieder reflektieren können, wie beispielsweise die Frage, was mein Geschlecht ist, wie ich spreche, mit wem ich wie über was spreche, was meine Privilegien sind, was der ökonomische Hintergrund ist, in dem ich mich befinde oder aus dem ich komme. All das sind wichtige Aspekte, wenn wir darüber nachdenken, wie unser Zusammenkommen möglich wird. Das sind Werkzeuge für uns – oder auch für unsere Gesellschaft – um umzudenken. Da sind die Punkte, bei denen wir schauen können, ob wir respektvoller und fairer miteinander umgehen könnten.

„Wir versuchen – im Sinne einer Handreichung – ins Gespräch zu kommen und gemeinsam auf eine Veränderung hinzuarbeiten.”

Und welche Akteur:innen braucht es dafür? Auf welchen Ebenen ist es am dringlichsten, anzusetzen?

SA: Alle! (lacht) Deswegen arbeiten wir auch mit großen Institutionen, mit Künstler:innen, mit Menschen, die schon seit drei Generationen in Österreich sind oder die gerade erst angekommen sind. Eine Änderung in der Gesellschaft kann nicht nur bei einer Gruppe ansetzen, vor allem nicht bei einer Unterscheidung zwischen „Wir“ und „Sie“ bzw. bei den „Anderen“. Und das heißt, gemeinsam neu zu denken – das kann nicht nur mit Subalternen oder nur mit Künstler:innen passieren; man muss die verschiedenen Kräfte in einen Raum und in einen Austausch bringen.

ZE: Ich glaube, das wichtige Stichwort hier ist intersektional und dass der oder unser Diversitätsbegriff komplex ist – und dass wir als einzelne Personen diesbezüglich nicht alles wissen, nicht alle Sensibilitäten und tools haben. Darum ist es wichtig, über die Expert:innen-Plattform aufzuzeigen, welches Wissen es in der Szene gibt. Ein wichtiger Aspekt ist das gemeinsame Lernen innerhalb des Netzwerks, Wissen weiterzugeben, in Beratungen zum Beispiel. Hier liegt gerade auch die Stärke, denn die Organisationen, die Initiativen und Institutionen, die Teil des Netzwerks sind, haben sehr unterschiedliche Wissensstände und Sensibilitäten. Und gleichzeitig birgt dies auch Herausforderungen, wenn sich Institutionen und Initiativen, die so unterschiedlich sind, was z.B. das Jahresbudget, Sichtbarkeit einerseits und Expertisen mit diskriminierungskritischer künstlerischer Praxis andererseits betrifft, zu einem gemeinsamen Netzwerk oder Büro zusammenschließen sollen. Es gilt hier vor allem den aktivistischen subalternen Kern zu stärken. Es braucht außerdem konkrete Maßnahmen, wie Trainings, auch innerhalb des Netzwerkes, die noch ausgebaut werden sollen. Ich will auch nochmal betonen, was für ein Kraftakt die Moderationsrolle ist. Sie ist aber notwendig, um Veränderung zu schaffen. Es geht in unserer Arbeit viel um Übersetzung, das Zusammenbringen und Brückenbauen in den Kooperationen, insbesondere mit den größeren Häusern und Strukturen, die nicht so flexibel sind, aber wo oftmals Wissenslücken vorherrschen. In politischen Kämpfen kämpft man oft mit erhobener Faust; wir versuchen hier – im Sinne einer Handreichung – ins Gespräch zu kommen und gemeinsam auf eine Veränderung hinzuarbeiten. Das war auch bei der Diskursreihe ein zentrales Anliegen.

IP: Zur Frage nach Strategien möchte ich ergänzen, dass wir von Anfang an die Haltung eingenommen haben, dass wir keine Repräsentantinnen sind, sondern auf das Wissen von unterschiedlichen Menschen, Akteur:innen und Systemen bauen. Das ist ein zentrales Moment. Von Anfang an gab es eine Policy Group, die sich darüber Gedanken gemacht hat, wie man so ein Büro überhaupt denken kann. Nicht nur als Profil, sondern: Was macht dieses Büro? Welche Strukturen braucht es und wie können wir an einer gemeinsamen Kultur arbeiten, die abseits von Individuen und einzelnen Akteur:innen – auch systemisch – offen bleiben kann?

Essenziell ist für uns, dass marginalisierte Künstler:innen und Kulturschaffende im Mittelpunkt der Arbeit des Projektbüros bleiben. Die Vereinsstruktur wird dementsprechend aufgebaut. Die Idee ist es, einen Vorstand paritätisch zu besetzen und zwar mit Mitgliedern aus drei Kreisen: Der erste Kreis besteht aus aktivistischen Mitgliedern: Das sind großteils Vereine von marginalisierten Künstler:innen und Kulturschaffenden, die unter 50.000 Euro Jahresbudget haben. Der zweite Kreis sind Institutionen, die sich tatsächlich mit unseren Fragen auseinandersetzen, die sich für die Sache einsetzen und Teilhabe, Förderung oder Diskriminierungskritik als Kernauftrag definiert haben. Der dritte Kreis besteht aus Institutionen, die sich über die Mitgliedschaft bei D/Arts für die Sache einsetzen. Dieser besteht aus kleineren und größeren Kulturinstitutionen, die Diversität und Diskriminierungskritik nicht als Kernauftrag haben.

Warum ist es für uns so wichtig, alle drei Kreise immer synchron dabei zu haben? Da wir nicht immer in der Moderationsrolle bleiben wollen, ‚basteln‘ wir an einer Struktur, in der es einen automatischen Austausch zwischen diesen drei Kreisen gibt, der auch ohne Sheri, Zuza und mich funktioniert. Das heißt, wir initiieren das, wollen aber eine Struktur haben, die ohne uns auskommt. Diese drei Kreise werden in einer Vorstandsstruktur repräsentiert sein, wenn sich das Projektbüro gründet.

SA: Jeder dieser drei Kreise hat seine Kraft in Form von eigenem Wissen – das wollen wir verkörpern. Die Fähigkeit, sich zu vernetzen und auf einen ständigen Austausch zu bestehen, macht D/Arts – gedacht als ein Büro der Vielen – sehr wichtig. Wir haben die Fähigkeit, nicht nur Zugänge zu schaffen, sondern auch die Entwicklungen innerhalb des D/Arts-Netzwerks zu beobachten, zu hinterfragen und zu reflektieren, und das schließt auch die Institutionen ein. Gemeinsam mit dem D/Arts-Netzwerk begeben wir uns in einen ständigen Lern- und Verlernprozess, bei dem Strukturen aus der freien Szene in die Institution und umgekehrt einfließen. So sind zum Beispiel alle unsere Veranstaltungen barrierearm – etwa wenn es um den Eintritt geht. Das gehört zum Kernverständnis von D/Arts.

Gleichzeitig gehen wir mit unserer aktivistischen Haltung und unseren Gewohnheiten in die Einrichtungen und lernen wiederum dort. Wir suchen auch nach nachhaltigeren Arbeitsmethoden, wir stellen zum Beispiel Vollarbeitszeit in Frage.

Wie lässt sich bei Institutionen eine gewisse Verbindlichkeit herstellen?

Gibt es Vereinbarungen mit den Institutionen, so dass eine gewisse Verbindlichkeit hergestellt werden kann, die gewährleistet, dass sie sich nicht nur einmalig beteiligen, sondern kontinuierlich an dem Thema Diversität weiterarbeiten? Oder sind die Kooperationen sehr offen?

ZE: Das ist ein großes Thema. Gerade im Prozess der Projektbüro-Gründung, der Vereinsstruktur und der Mitgliedschaften, wird daran gearbeitet, einen letter of intent zu verfassen, um genau das anzusprechen! Die Diskursreihe war für viele einfach nur eine Veranstaltungsreihe – bei anderen hingegen ein Anstoß oder Teil eines längeren Prozesses, der schon läuft oder weiterlaufen wird. Wenn ein Bekenntnis zu einer Mitgliedschaft da ist, dann soll das auch festgehalten werden und nachhaltig umgesetzt werden. Wir sind gerade dabei auszuformulieren, was das genau bedeutet. Zusätzlich zu dem Mitgliedsbeitrag, der sich an dem Jahresbudget orientiert, braucht es bei den Mitgliedern ein commitment und gegenseitige Unterstützung im Lern- und Transformationsprozess. Wir sind hier noch in der Brainstorming-Phase, neben regelmäßigen Trainings soll es unter anderem eine jährliche Evaluation, eine Art Reporting oder einen Reflexionsprozess darüber geben, was im letzten Jahr geschehen und was vorwärts gegangen ist.

SA: Wir bleiben auch im Nachhinein mit den Organisationen in Verbindung, die Projekte oder Veranstaltungen gemacht haben. Sie sind in unserer Veranstaltungsreihe, weil sie Teil von unserem Netzwerk sein wollen, und dieses Netzwerk ist auf verschiedene Arten aktiv. Es gibt Austausch, Anfragen, Beratung.

Gibt es Vorbilder für euch oder Beispiele, an denen ihr euch orientiert habt?

IP: Natürlich ist Diversity Arts Culture in Berlin eine sehr wichtige Vorreiterin als Projektbüro, weil es schon seit ein paar Jahren die learnings, die man macht, wenn man in Institutionen geht, versucht aufzubereiten und anderen zur Verfügung zu stellen. In die Institution zu gehen, zu schauen, was wir daraus gelernt haben und was wir zukünftig anders machen können, sind wichtige Prozesse. Im Unterschied zu Diversity Arts Culture oder auch der Zukunftsakademie in Bochum, die beide von der Politik installiert wurden, ist D/Arts ein Projekt, das versucht, eine politische Intervention zu schaffen.

Ein anderes Beispiel sind unsere Freund:innen und Aktivist:innen in der Schweiz, die das Institut Neue Schweiz ähnlich wie D/Arts auch als Bottom-Up-Prozess gegründet haben. Das Projekt ist allerdings breiter als unseres, weil es nicht nur auf den Kunst- und Kulturbereich abzielt, sondern Fragen von Diversität und Diskriminierungskritik in unterschiedlichen Feldern bearbeitet. Uns war es wichtig, uns spezifisch – wie eine Art Akupunkturnadel – auf den Kunst- und Kulturbetrieb zu fokussieren, indem man ein strukturelles und nachhaltigeres Nachdenken in Richtung Öffnungsprozesse auch tatsächlich umsetzt und konkrete politische Schritte setzt.

Was wären im Bereich der Kulturpolitik die wichtigsten Schritte, die es jetzt für Diversität und mehr Gerechtigkeit im Kulturbetrieb zu setzen gilt?

SA: Das Projektbüro zu unterstützen. Der Wunsch ist, dass D/Arts durch Mitgliedschaften existieren kann und gemeinsam die ersten fünf bis zehn Jahre aufgebaut wird: Die Infrastruktur, der Habitus der Arbeit, das alles ist detaillierte Feinarbeit, die sich über lange Zeit entwickeln soll, mit einem Team, das sehr stabil ist. Das wäre ideal.

IP: Genau, für ein Büro der vielen Vereine und Kulturinstitutionen. Das strukturierte Nachdenken darüber, was an Öffnungsprozessen in den Kulturinstitutionen wirkt oder wie man bei der Politik auch nachhaltig monitoren kann, ist extrem wichtig. Sowohl das Büro als auch viele unserer Akteur:innen fordern, dass die Förderrichtlinien reflektiert und abgeklopft werden: Wie divers sind z.B. die Einreichenden?

Im Filmbereich zum Beispiel braucht man nicht erst über intersektionale Diversität nachzudenken, da dort noch nicht einmal die Genderquote passt. Wir haben unfassbar viel zu tun auf der Ebene der Kulturpolitik, die selbst nicht frei ist von weißen Flecken – von der Jurybesetzung bis hin zur Verteilung der Gelder. In unserem Netzwerk sind auch sehr viele Institutionen, bei denen klar ist, dass für Projekte, die sich für eine vielfältige Stadtgesellschaft aussprechen, nur Krümel-Budgets da sind. Hier ein Bewusstsein zu schaffen, der Thematik mehr Platz einzuräumen, nicht als Randthema, sondern als zentrales Thema – auch der Förderung –, diesen Auftrag an uns heißt es ernst zu nehmen. Die Aufgaben von D/Arts Projektbüro sind mannigfaltig und auf vielen Ebenen befinden wir uns noch am Anfang.

ZE: Es ist außerdem so, dass uns viele Daten fehlen – da sind auch der Bund und die Stadt mit in der Verantwortung. Zu den Prozessen der Fördervergabe, zum Beispiel den Auflagen für die Institutionen, brauchen wir Studien, damit wir Daten und klare Fakten haben, die nicht nur wie beispielsweise beim Gender-Thema aufzeigen, was der Anteil an Frauen/Männern ist. Gender selbst ist natürlich um einiges differenzierter zu sehen, und darüber hinaus müssen auch viele weitere Aspekte der Diskriminierung mit in die Studien und Analysen einfließen, wie class, race, ability usw. Bisher gibt es hauptsächlich rudimentäre Daten, mehr auf Publikumsebene: „Wer kommt in unsere Häuser und wen erreichen wir mit dem Programm?“ Aber es wird wenig darauf geschaut, wie sich das Programm zusammensetzt und wer es kuratiert, auch wer in den Häusern oder allgemein im staff in Entscheidungspositionen sitzt. Es wäre ein wichtiger Schritt, dass in diesem mehrschichtigen Prozess, nicht nur bezogen auf Wien, sondern auch auf Bundesebene, eine Analyse stattfindet, um zu wissen, wo man sinnvoll die Hebel ansetzen kann, um Veränderungsprozesse anzuregen. So eine Studie versuchen wir gerade anzustoßen.

„Obwohl ich jemand bin, die in armen Verhältnissen aufgewachsen ist, wusste ich schon von klein auf, dass ich Künstlerin bin.“

Welche Rolle spielt eurer Meinung nach Klasse und soziale Herkunft im Hinblick auf Diversität im Kultursektor?

SA: Klasse ist eine sehr dicke Mauer. Die Mauer wird nicht nur dadurch errichtet, welcher Schicht unsere Eltern angehören, sondern auch durch die sozialen Bedingungen, die der Staat, in dem wir geboren und erzogen wurden, uns bietet. Diese beiden Faktoren prägen unsere Sicht auf die Welt und unsere Vorstellungen von unserem Platz in ihr – was ich für die Gemeinschaft, in der ich mich befinde, tun/geben kann und noch mehr, was ich von ihr nehmen/haben darf. Obwohl ich jemand bin, die in armen Verhältnissen aufgewachsen ist, wusste ich schon von klein auf, dass ich Künstlerin bin. Doch bis vor drei Jahren kämpfte ich mit der Idee, eine professionelle Künstlerin zu sein oder wie ich in dieser Welt finanziell überleben kann.

Es gibt eine größere Bewegung, die in den letzten Jahren entstanden ist, um mehr Zugänglichkeit zu schaffen, zum Beispiel kostenlose Zulassungen zu Kunsthochschulen, auch viele andere Methoden, aber es handelt sich bei all dem noch nicht um wirkliche Lösungen. Auch wenn man beispielsweise die Ausbildung als Künstler:in abgeschlossen hat, ist man immer noch auf externe finanzielle Unterstützung angewiesen, um professionelle Künstlerin zu werden, besonders in den ersten Jahren. Das finanzielle Problem ist ein Aspekt, andere aber sind die Klassengewohnheiten und kulturellen Unterschiede, die nicht leicht zu überwinden sind und zu den Steinen gehören, die die Mauer bilden. Das ist der Punkt, an dem ich als Künstlerin Ausgrenzung erfahre.

Ein Beispiel aus meinem Studium, das die Problematik von Klasse und Herkunft spiegelt: An der internationalen Universität, an der ich studiert habe, ist Deutsch die Hauptsprache, in der wir unterrichtet wurden. Es gab wenig Angebote für die internationalen Studierenden und noch trauriger, fast keine in den Theorieabteilungen. Also musste ich mir zusätzlich zum Deutschlernen die sehr wichtigen Englischkenntnisse selbst beibringen. Klasse und Herkunft spielen also eine sehr große Rolle und vielen Menschen wird der Zugang verwehrt oder sie werden in der Ausübung ihres Berufs eingeschränkt. Ich finde das schade, denn als Künstlerin denke ich, dass meine Kunst von meiner Klasse und meinem Hintergrund beeinflusst wird, und wenn wir darauf bestehen, immer nur das Gleiche zu hören und uns darauf zu beziehen, werden wir daran gehindert, neue Blicke auf Kunst und kulturelle Werke zu werfen – und das ist es doch, was wir von der Kunst wollen: Einen neuen Blick, eine neue Sichtweise, eine neue Möglichkeit, eine Herausforderung für das Verständnis unserer Umgebung.

IP: Ich bin da ganz bei Sheri und finde es wichtig, noch genauer auszubuchstabieren, von welcher Ebene wir sprechen. Dass der Kulturbetrieb als bildungsbürgerliches Projekt ein Problem damit hat, Menschen aus anderen sozialen Schichten zu inkludieren, ist klar. Wenn wir in Richtung Stadtgesellschaft, an Österreich und den demographischen Wandel denken, dann vermengt sich schnell die Frage sozialer Schichten mit einer rassistischen Frage; sie voneinander zu trennen, macht wenig Sinn. Österreich ist natürlich – wenn man sich die Schulen und die Städte anschaut – divers, vielfältig und auch migrantisch und postmigrantisch über die zweite und dritte Generation. Entwertung kann sowohl über rassistische Artikulation als auch über klassistische Entwertung passieren.

Im Kulturbereich haben wir das Phänomen, dass wir uns in einem Spektrum bewegen, das sich Internationalität auf die Fahnen heftet. Der Kulturbetrieb wäre prädestiniert dafür, mit unterschiedlichen Menschen zu arbeiten, weil er sich als international, avantgardistisch und offen sieht – und er sollte auch nachvollziehen können, ob und welche Künstler:innen darin profitieren und welche exkludiert werden. Für Drittstaatsangehörige gibt es andere Ausschlussmechanismen, wenn es darum geht, hier zu arbeiten, hier zu leben und hier zu sein. Also auch hier passiert eine Entwertung, die rassistisch ist. Man muss die Debatte im Kulturbetrieb differenzieren, denn es gibt auch noch die dritte Ebene, dass – wenn wir versuchen, an neuen Narrativen zu arbeiten – auf den Bühnen nicht nur ein Klassismus-Problem herrscht, sondern – wenn wir über Blackfacing auf den Bühnen nachdenken und darüber sprechen, wie die Casts sind – eindeutig rassistische Probleme zutage treten. Es ist also ein Kampf auf unterschiedlichen Ebenen, dem man sich widmen muss.

Wie nehmt ihr den Kulturstandort Salzburg in Bezug auf Diversität wahr?

SA: Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich in Salzburg wieder in Wien verliebt habe. Ich habe hier studiert und lange Zeit gearbeitet. Ich bewege mich in einer kleinen Welt – und manchmal denke ich, das ist die Norm –, in der die Sprache klar ist, der Habitus, wie wir miteinander umgehen, eindeutig ist, auch was Feminismus bedeutet, usw. In meiner Community werden bereits Begriffe aus der Theorie der 1990er Jahre kritisiert und neue Terminologien entwickelt. Salzburg – und nicht nur die akademische Welt dort – ist ambivalent. Es gibt die Haltung „wir sind ganz fortschrittlich, wir denken um, wir schreiben einen Gender Gap“, aber die Praxis ist anders als die Theorien.

In Salzburg wurde ich viel öfter – auf der Straße, im Supermarkt, in der Universität – mit dem Gefühl konfrontiert, „die Andere“ zu sein, und ich fühlte mich ziemlich allein. Dieses Gefühl brachte mich zurück in das Jahr 2006, als ich gerade in Österreich/Wien angekommen war, wo ich einer der wenigen Menschen mit dunkler Hautfarbe an der Universität war. In Salzburg Lehrerin zu werden, war ein Traum, der in Erfüllung ging, aber leider wurde er von der ständigen Erinnerung begleitet, dass ich nicht dort sein sollte, wo ich bin, und dass dies kein Ort ist, zu dem ich gehören kann – ich hatte das Gefühl, dass ich angestellt wurde, um Vielfalt vorzuführen, aber nicht, um sie zu praktizieren. Ja, in Salzburg habe ich dieses Gefühl der Einsamkeit wieder gespürt – und das Jahre nach meiner Ankunft in Österreich. Dennoch habe ich dort einige SchauspielerInnen getroffen, die aus einer aktivistischen Position heraus arbeiten und großartige Arbeit leisten, aber die Vielfalt der Stadt ist im Kulturbereich noch nicht vertreten.

IP: Ich sehe das ein bisschen ambivalenter, denn ich war von 2002 bis 2005 in Salzburg und bin es jetzt seit 2019 wieder. Einerseits bin ich auch froh, in Wien dieses breitere, starke Netzwerk an Leuten zu haben, von denen ich weiß, dass sie sich schon lange für Diversität engagieren. Andererseits ist es aber auch so, dass man manche Sachen, die in Salzburg passieren, nicht sofort sieht.

Es gibt euch bei Wissenschaft und Kunst – Verbündete also – die auch eine D/Arts Veranstaltung planen. Das Event D_Connect im Herbst setzt ja nicht bei Null an, sondern bündelt auch eure bisherige Arbeit und das in neuer Zusammensetzung. Ich finde, dass in dem kuratorischen Prozess für D_Connect auch deutlich wird, dass es schon einige Akteur:innen gibt, mit denen man vielleicht noch nicht in Kontakt war oder zu denen der Kontakt einfach lose geworden ist. Ich frage mich, wie viel es vielleicht nur an Struktur braucht, um gemeinsam auch mal spüren zu können, dass es ja einige Akteur:innen gibt. Auch bei den Black-Lifes-Matter-Protesten vor eineinhalb Jahren war Salzburg federführend dabei. Es gab Gruppen, die sich organisiert und etwas gemacht haben, was supercool ist. Vor kurzem war ich beim internationalen Tag der Roma im JazzIt, wo Aktivist:innen ein sehr schönes Kulturprogramm zusammengestellt haben, um diesen Tag zu feiern und um die Probleme von Roma und Romnja und den Rassismus, dem sie ausgesetzt sind, zu thematisieren.

Die Frage in Bezug auf Salzburg ist, wo Orte und Räume sind, damit man gemeinsam weiter macht oder sich überhaupt gemeinsam spürt und sieht, dass man nicht allein ist und im Einzelkämpfer:innen-Modus sein muss, denn das fühlt sich natürlich einsam an. Was in Salzburg vielleicht fehlt, sind tatsächlich solche Räume.

Der erste Schritt ist die Sichtbarmachung und dann von dort ausgehend Strukturen zu verändern.

Was ist eure Vision von D/Arts für Salzburg? Welche Tipps würdet ihr uns mitgeben?

ZE: Eine Struktur – und damit habt ihr ja auch schon begonnen –, damit diese Kräfte gebündelt werden, damit ein Netzwerk entstehen kann, welches von dem Wissen schöpft, das schon da ist, von den Kämpfen, die bereits geführt werden und noch geführt werden müssen. Dafür sollte ein Gefäß, eine Plattform geschaffen werden, damit in Richtung Politik, der Organisationen, der Institutionen eine Bewegung entsteht.

Ich glaube, die Sichtbarmachung ist ein wichtiger erster Schritt, der ja auch etwas mit der Gesellschaft macht, so dass Diversität nicht als Anomalie oder als etwas am Rande wahrgenommen wird, sondern langsam zu einer Selbstverständlichkeit wird – auch in Salzburg. Der erste Schritt ist das Aufzeigen und dann von dort ausgehend Strukturen zu verändern.

SA: Ich denke, der größere Spaß wäre vielleicht, mit einer Institution wie den Festspielen zu kooperieren. Da gibt es viele Möglichkeiten, radikal neu zu denken. Das wäre vielleicht ähnlich wie bei uns in Wien die Kooperation mit dem Musikverein, der in Wien und Österreich sehr mächtig ist. Mit so einer Institution einen Prozess zu beginnen, wäre bestimmt gut. Es wird sich aber schon einiges verändern, wenn D/Arts Salzburg etabliert wird, das ist sicher ein guter Anfang.

Die Festspiele haben großen Einfluss in Salzburg. Mit ihnen als Kooperationspartner könnte einiges in Gang gesetzt werden.

SA: Wir sehen das anders: Sie sind diejenigen, die in einem solchen Prozess gewinnen. Intersektionalität ist ein wichtiges Werkzeug, um Freiheit zu denken, sich selbst und anderen gegenüber weich zu werden und auch um eine spannende, herausfordernde Kunst und Kultur zu schaffen. Sie brauchen solche Expertise wie die unsere, um aktuell zu bleiben.

IP: Alles was Sheri sagt, finde ich sehr wichtig. Gleichzeitig muss man auch bei dem ansetzen, was man selbst als Institution tut. Die Interuniversitäre Einrichtung Wissenschaft und Kunst und das eJournal p-art-icipate vom Programmbereich Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion sind Ressourcen, die es gibt und die genutzt werden. Wichtig wäre auch, nach innen zu schauen: Wie besetzt man, wie setzt man sich ein, rhetorisch und in der Praxis, wo sieht man Veränderungen, zum Beispiel in der Personalstruktur, wo bildet man quasi ein ‚kleines Nest‘ um stärker zu sein, was für die Verhandlungen, wie Sheri gesagt hat, ein zentraler Punkt ist.

Ob man als Institution, die sich für Diversität einsetzt, nur profitiert, weiß ich nicht. Natürlich gibt es einen Profit davon on the long run, im Sinne einer Vision für ein gesellschaftliches Wir, das man sein möchte, und um gewappnet zu sein für die Zukunft. Aber das ist nicht einfach. Es bedeutet, sich auf unterschiedliche Menschen einzulassen, und das ist oft mit Reibung und Anstrengung verbunden. Das gehört dazu und darauf muss man sich einlassen, damit die Personen, die inkludiert werden, nicht völlig unter Druck sind, sich zu assimilieren. Das heißt auch, Begegnung mit ganz unterschiedlichen Systemen, aber auch Menschen.

 

D/Arts – Projektbüro für Diversität und urbanen Dialog wird gefördert vom BMKÖS – Das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport
und der Stadt Wien Kultur.

Sheri Avraham, Zuzana Ernst, Ivana Pilić, Anita Moser, Gwendolin Lehnerer ( 2022): Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen. Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/auf-dem-wissen-von-anderen-politischen-kaempfen-aufbauen/