„… so’n bisschen United Colors of Benetton“

*1 *( 1 )Seit seinem Inkrafttreten im Jahr 1981 wird das schweizerische Asylgesetz laufend revidiert und die damit einhergehenden Verschärfungen werden stets von rechtspopulistischen Kampagnen der Schweizer Volkspartei SVP begleitet. Die SVP wendet hierfür enorm hohe finanzielle Mittel auf und setzt neben großflächiger Plakatierung im öffentlichen Raum auf eine starke Präsenz in den Schweizer Medien – nicht nur mit Kampagneninseraten, sondern auch mittels wirtschaftlicher Übernahme ganzer Verlage wie z.B. der Basler Zeitung (Wikipedia 2013: o.S.)star (* 16 ). Das Umwerben Stimmberechtigter findet zudem über die direkte Zustellung des Agitationsmaterials an alle Schweizer Haushalte statt. Die politische Stimmung im Land hat sich nach den vom Stimmvolk knapp abgelehnten SVP-Initiativen zur Begrenzung des Ausländeranteils auf achtzehn Prozent im Jahr 2000, „gegen den Asylmissbrauch“ zwei Jahre später sowie der 2004 angestrebten „Einbürgerungsinitiative“ dramatisch verschärft: Im Jahr 2009 konnten sich das Minarettverbot und im darauf folgenden Jahr die „Ausschaffungsinitiative“ – die darauf abzielt, wegen eines Delikts verurteilte AusländerInnen unabhängig vom jeweiligen Strafmaß automatisch des Landes zu verweisen – als Mehrheitsentscheide durchsetzen. Im September 2012 verabschiedete die Bundesversammlung per Dringlichkeitsklausel die jüngsten Verschärfungsmaßnahmen des Asylgesetzes. Darin ist u.a. festgeschrieben, dass Asylgesuche künftig nicht länger bei Schweizer Botschaften im Ausland eingereicht werden können. Außerdem werden Wehrdienstverweigerung und Desertion nicht mehr als legitime Asylgründe anerkannt – für MenschenrechtsaktivistInnen, Verfolgte aus totalitären Staaten und Kriegsgebieten kann dies gravierende Folgen haben. Somit setzt das schweizerische Asylrecht heute nicht länger bei der Hilfeleistung für Flüchtlinge an, sondern dient vielmehr ihrer gezielten Abschreckung.

Die zunehmende Salonfähigkeit xenophober Haltungen in der Schweizer Gesellschaft bewegt nun auch Kunst- und Kulturschaffende dazu, sich zu der Problematik zu äußern. Spätestens seit der Annahme der Antiminarett-Initiative lässt sich in der Schweizer Kunst- und Kulturszene eine gestiegene Aufmerksamkeit für die irreguläre Migration beobachten – etwa am Beispiel des im Jahr 2009 von einer Gruppe Kulturschaffender gegründeten Vereins Kunst+Politik (vgl. Kunst+Politik 2013)star (* 15 ). Seit seinen Anfängen hat der Verein bereits einige Projekte zum Thema der Migration lanciert, u.a. Aufruf der Hundert – eine Aktion gegen die „Ausschaffungsinitiative“ der SVP im Jahr 2010 –, Stimm-/Wahlrecht Basel – eine Kampagne zum Stimmrecht von MigrantInnen im Kanton Basel-Stadt im selben Jahr –, oder auch das Projekt an deiner statt, im Zuge dessen 29 Schweizer AutorInnen 2012 mit Nothilfe-BezieherInnen, Sans-Papiers und abgewiesenen AsylbewerberInnen Gespräche geführt haben, um ihnen in daraufhin verfassten Texten „eine Stimme zu geben“.

Neben Aktionen einzelner KünstlerInnen und KünstlerInnengruppen regen vermehrt auch Kultur- und Ausbildungsinstitutionen Workshops, Ausstellungen, Aufführungen und Festivals an, die sich der Themen „Flüchtlinge“, „Sans Papiers“, „Asylsuchende“ oder „Refugees“ annehmen. Viele der Initiativen setzen dabei auf unmittelbare Partizipation der Betroffenen. So etwa wurde 2012 im Rahmen eines Hochschul-Dramaturgieseminars die Aufführung WG Babylon. Eine Performance sucht Asyl (vgl. Theaterprojekt WG Babylon 2013)star (* 14 ) als eine Zusammenarbeit von Studierenden der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Kooperation mit der Autonomen Schule Zürich*2 *( 2 )star (* 2 ) und dem Bleiberecht-Kollektiv*3 *( 3 )star (* 5 ) realisiert und die Publikation Bleibeführer Zürich (vgl. Projekt Bleibeführer Zürich 2013)star (* 12 ) in Kooperation zwischen dem Institute for Art Education der ZHdK, dem Museum für Gestaltung Zürich und der Autonomen Schule Zürich im Rahmen des Forschungsprojektes „Kunstvermittlung in Transformation“ im Jahr 2010 veröffentlicht. Die Hamburger Dramaturgin Sandra Strunz entwickelte 2012 in Kooperation mit dem Theaterhaus Gessnerallee in Zürich unter Beteiligung afrikanischer MigrantInnen ihr Stück Die Unsichtbaren (Freudiger 2012: o.S.)star (* 7 ), das u.a. beim Festival Verortung im März 2012 in der Gessnerallee zu sehen war (Aux Arts Etc… 2012: o.S.)star (* 3 ), in dessen Rahmen mehrere weitere Produktionen zum Thema Flucht, Krieg, Heimat und Identität gezeigt wurden – um nur einige der in den letzten Jahren stattgefundenen Projekte zu nennen.

Als Künstlerin, die sich in ihrer Arbeit ebenfalls mit dem Thema der Migration auseinandersetzt, werde ich immer wieder mit Stimmen konfrontiert, die den künstlerischen Zugriff auf diese Problematik kritisieren. Oft wird den ProjektinitiatorInnen vorgeworfen, dass sie sich über die wirklichen Schicksale der Betroffenen hinwegsetzen und sie lediglich zu StatistInnen ihrer vermeintlich engagierten Vorhaben machen würden. Vergleichbare Kritik wird nicht zuletzt auch von Flüchtlingen selbst formuliert (u.a. AntiKulti-Ateliergruppe 2012: 4f.)star (* 1 ).

In Gesprächen mit verschiedenen AkteurInnen der Polit- und Kulturszene der Schweiz, die sich als InitiantInnen, Teilnehmende oder RezipientInnen mit partizipativ angelegten Projekten zum Thema der irregulären Migration befasst haben, möchte ich in diesem Beitrag der Frage nachgehen, anhand welcher Merkmale die „eigentliche“ Motivation derartiger Kunstprojekte überprüft werden kann. Genießen ProjektmacherInnen, die – wie ich – selbst einen Migrationshintergrund aufweisen, eine Art „Glaubwürdigkeitsvorsprung“ im Vergleich zu all denjenigen, die keinen biografisch bedingten Bezug zu dieser Problematik haben? Und nicht zuletzt: In welchen Punkten ist die in der Kunstszene oft beklagte Kritik gegenüber künstlerischen Arbeiten, die sich politischer Themen wie Migration annehmen, begründet?

Julia Huber ist seit mehreren Jahren in verschiedenen linken migrations- und geschlechterpolitischen Projekten aktiv und ist gegenwärtig Teil der Antikulti-Ateliergruppe*4 *( 4 )star (* 1 ).

Wie lässt sich, deiner Meinung nach, die allgemeine Skepsis erklären, die in der linkspolitischen Szene künstlerischen Vorhaben zum Thema der Migration entgegengebracht wird?

In dem Politumfeld, in dem ich mich in Zürich bewege, nehme ich ein allgemeines Misstrauen gegenüber intellektueller Auseinandersetzung im künstlerischen wie wissenschaftlichen Rahmen wahr. Diese Abwehrhaltung ist teilweise sicherlich gerechtfertigt, als generelle Attitude scheint sie sich jedoch allem zu widersetzen, was irgendwie die gewohnten Widerstandsformen kritisch hinterfragt und somit auch bedroht.
Die Vorstellung vieler Menschen von der vermeintlich humanitären Tradition der Schweiz hat sich in Hinblick auf die Asylpolitik in den letzten Jahren als Illusion entpuppt. Daher glaube ich, dass viele KünstlerInnen ein ernsthaftes Bedürfnis empfinden, sich dieser Problematik anzunehmen. Meistens ist dieser Wunsch jedoch nicht frei von dem Begehren, sich als eine kritische Person im künstlerischen Feld zu etablieren. Leider besteht bei vielen wenig Interesse, sich über das eine Kunstprojekt hinaus politisch mit dieser Realität und der eigenen Verstricktheit auseinanderzusetzen. Diese Erfahrung erschwert es uns in der AntiKulti-Gruppe, die vielen Kooperationsanfragen von KünstlerInnen zu sortieren. Bevor wir uns darauf einlassen, bedarf es vieler Diskussionen, um herauszufinden, ob mehr als die Eigenpositionierung im Kunstfeld dahinter steckt.

Wie kann die „eigentliche“ Motivation der ProjektmacherInnen überprüft werden?

Viele Mitglieder der AntiKulti-Gruppe haben bereits in verschiedensten Kunst- und Theaterprojekten mitgewirkt und erzählen sehr desillusioniert über ihre Erfahrungen. Häufig fühlen sie sich allein gelassen, unverstanden, gebraucht, ohne eine Erklärung zu erhalten, wie ihre Teilnahme verwertet wird. Das wirft die Frage auf: Wozu sollen sie überhaupt mitmachen? Und das ist, meiner Meinung nach, der wesentliche Punkt: Wenn in einem Projekt Transparenz über die jeweiligen Interessen und Positionen geschaffen wird, wenn die Bereitschaft besteht, ein Projekt mit dem Risiko des möglichen Scheiterns kollektiv zu tragen und wenn gewährleistet ist, dass daraus alle Beteiligten etwas für sich mitnehmen können – seien es neue Skills, finanzielle, politische oder kulturelle Vorteile – dann macht es Sinn, dabei zu sein. Es bedarf eines Bewusstseins darüber, dass es da ein Gegenüber gibt, das ebenfalls Ansprüche, Bedürfnisse und Interessen – auch an der Mitgestaltung eines Projektes – hat. Durch eine Einbindung in bereits vorgefertigte Schemata und festgelegte Konzepte findet zwangsläufig eine Instrumentalisierung statt.

In den letzten Jahren sind in Zusammenarbeit mit der Autonomen Schule Zürich mehrere Kunst- und Theaterprojekte realisiert worden. Flüchtlinge, die an ihnen teilgenommen haben, konnten sich ein umfangreiches Netzwerk aufbauen, das sich in kritischen Situationen bereits mehrmals für sie eingesetzt hat.

Aber immer sind und bleiben sie dabei die „Betroffenen“ und das scheint mir problematisch. Menschen migrieren aus ganz unterschiedlichen Gründen, entsprechend divers sind auch ihre Interessen in Hinblick auf die Theater- und Kunstprojekte, an denen sie partizipieren. Jemand sieht darin die Möglichkeit eines politischen Ausdrucks, jemand genießt es einfach, auf der Bühne zu stehen und die eigene Geschichte zu erzählen, ohne dabei zwingend eine politische Haltung kundzutun, andere wollen professionelle Erfahrungen sammeln. Alle diese Positionen haben ihre Berechtigung und zeugen davon, dass der Instrumentalisierungsvorwurf hier zu kurz greift. Dennoch wird in vielen Projekten die Machtasymmetrie zwischen ihren InitiantInnen – tendenziell SchweizerInnen – und den PartizipientInnen – tendenziell Nicht-SchweizerInnen – zu wenig reflektiert, wobei KünsterInnen meistens die vermeintlich objektive „stimmgebende“ Position einnehmen und die sogenannten Betroffenen dann den subjektiven Part übernehmen sollen, sich hinstellen, die Hosen runterlassen und das „echte, authentische“ Leben zeigen. So werden diese gesellschaftlich wirkungsmächtigen Differenzen erneut festgeschrieben.

Welche Rolle spielt der biographische Hintergrund der ProjektinitiantInnen? Verleiht der eigene Migrationshintergrund einer Künstlerin eine größere Glaubwürdigkeit?

Ich bin nicht der Ansicht, dass die Glaubwürdigkeit des Sprechens und Handelns über einen Migrationshintergrund entsteht. Vielmehr bedarf es einer persönlichen politischen Dringlichkeit, einer klaren Haltung und der Reflexion über die eigene Position und ihre Verschränkung mit gesellschaftlicher Ausgrenzung, ungleicher Ressourcenverteilung etc. Auch die Antikulti-Ateliergruppe, die in einer kollektiven Praxis antirassistische Projekte realisiert, setzt sich nicht nur aus Personen zusammen, die migriert sind. Die Frage, ob nur die sogenannten Betroffenen in unserer Gruppe eine valide Sprechposition einnehmen können, haben wir eingehend diskutiert und uns entschieden dagegen gestellt. Dies, gerade weil Rassismus nicht ein Problem der sogenannten Betroffenen ist – was leider nicht zuletzt im politischen Kontext, in dem ich mich bewege, suggeriert wird –, sondern ein allgemeines. Zudem ist es für uns in der Gruppe viel interessanter und wichtiger, statt solche Differenzen zu unterstreichen, die verschiedenen Diskriminierungsmechanismen, mit denen wir bezüglich Klasse, race, Herkunft, Geschlecht und sexueller Orientierung konfrontiert werden, zu diskutieren und davon ausgehend gemeinsame politische Anliegen herauszuarbeiten.

Almut Rembges ist freie Kunsthistorikerin und -vermittlerin, Aktivistin und Initiantin der bblackboxx*5 *( 5 )star (* 4 ).

Christoph Wüthrich studiert soziokulturelle Animation an der Hochschule Luzern und gehört zum festen Team der bblackboxx, wo er regelmäßig Workshops für Kinder organisiert.

Seit den Anfängen der bblackboxx wurden verschiedene Vorhaben umgesetzt; von Kochperformances über ethnologische Studien bis hin zu Theateraufführungen. Nach welchen Kriterien werden die Projekte ausgewählt?

Oft kennen wir die KünstlerInnen vorher gar nicht. Wir machen auch kein Briefing und befragen sie nicht im Vorfeld, worum es ihnen genau geht. Dieses Risiko ist ja auch ein Teil des Experiments. Und auch wenn einem nichts einfällt oder das, was man ursprünglich vorhatte, plötzlich nicht funktioniert, ist es kein Problem. Hauptsache, man ist da gewesen und hat Wissen gesammelt, das weitergetragen werden kann. Vor zwei Jahren gab es ausnahmsweise nun doch eine Situation, wo es „etwas werden sollte“. 2010 haben wir den Wettbewerb des Kunstkredits Basel-Stadt*6 *( 6 )star (* 10 ) gewonnen und mussten nun zeigen, was aus dem investierten Geld geworden ist. Es kamen immer wieder Leute vorbei, die über das Projekt in der Zeitung gelesen haben und sagten: „Aber man sieht hier ja gar nichts.“ Ähnlich lief es vor zwei Wochen, als die Redaktion der Radiosendung Echo der Zeit einen Bericht über das Projekt machen wollte. Dummerweise war es wieder so ein Tag, an dem in der bblackboxx nicht viel gelaufen ist. Der Vater einer anwesenden Roma-Flüchtlingsfamilie hat sich danach noch entschuldigt, dass seine Kinder nicht fröhlich genug mitgespielt haben, weil sie andere Probleme hatten. Also hat man diesen misslungenen Beitrag nicht gesendet. Deshalb sage ich immer: „Kommt erst einmal, checkt die Lage und macht euch erst dann Gedanken darüber, was es zu tun gibt.“ (AR)

Gibt es trotzdem „No-Go-Projekte“, bei denen du dich aufgrund ihres womöglich instrumentalisierenden oder stigmatisierenden Charakters gezwungen siehst einzugreifen?

Es gab immer wieder Momente, wo ich mich eingemischt habe, wie etwa bei den Fotografen, die ich wegschicken musste, weil sie sich in der bblackboxx wie in Lampedusa verhalten haben, obwohl ich sie im Vorfeld gebeten habe, die Leute zuerst zu fragen, bevor sie ihre Kameras auf sie richten.
Oder es kam die Anfrage einer Künstlerin, die mich gebeten hat, ihr für ein Kunstprojekt einige Flüchtlinge zu vermitteln. Sie wollte Koffer an sie verteilen, damit sie ihre Geschichten dort hineinpacken, um sie anschließend in einer Galerie auszustellen. Darauf sagte ich, dass man zwar schnell Menschen finden würde, die ihr diese Koffer vollpacken, aber wenn sie die Sache wirklich vertiefen will, muss sie mit den Leuten erst einmal Zeit verbringen. Das, was sie da versucht, lässt sich viel besser bei einem Bier und einer Zigarette klären, sie braucht gar keine Koffer dazu.
Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Politischen und dem Themenpolitischen in der Kunst. Themenpolitische Kunst kann, meiner Meinung nach, absolut unpolitisch sein. Wenn jemand Koffer von Flüchtlingen füllen lässt, um sie dann auszustellen, ist das keine politische Kunst, obwohl sie politische Themen aufgreift. Denn sie steht nicht wirklich für etwas ein, es ist so eine Feigenblatt-Kunst. So bleiben die Flüchtlinge nämlich weiterhin im Koffer und man kann ihn schön wieder zumachen. Diese Kunst wagt nichts. Sie ist so ein bisschen United Colors of Benetton. (AR)

Es gibt also doch gewisse Kriterien dafür, was in der bblackboxx künstlerisch passiert.

Ich bin wohl ein bisschen eine Lehrerin, denn es geht mir in erster Linie nicht um konkrete Ergebnisse und Produkte, sondern um das Lernen in der Kunst. Wenn jemand sagt: „Ich will etwas verstehen“, dann empfehle ich ihm, mindestens zwei Wochen hier zu bleiben, sonst hat man gar nichts davon. Erst einmal ist man hier mit den vielen verschiedenen Sprachen befasst. Nicht nur lexikal, sondern mental, kulturell. Erst mit der Zeit beginnt man, sie zu entschlüsseln. Und dann merkt man auch, dass man selbst in gewissen Konventionen steckt, die für die Menschen hier wiederum vollkommen unverständlich sind. (AR)

Wie wird die in der bblackboxx vertretene Haltung in der Kunstszene wahrgenommen?

In den Kunstkreisen kennen alle das Projekt irgendwie und jede/r scheint eine Meinung darüber zu haben, meistens ohne dass man je hier gewesen ist. Ich werde auch ständig zu Podien, Workshops, Präsentationen und Seminaren eingeladen. In der letzten Zeit sind es etwa zwei Termine pro Woche, die ich an den Schweizer Kunstschulen absolviere.
Interessanterweise wird die bblackboxx kaum von den Leuten aus der Kunstszene besucht, aber alle reden darüber. Womöglich passiert das, weil viele denken, dass wir hier so ein sozial-engagiertes Projekt für Flüchtlinge veranstalten. Deswegen muss ich es bei jeder Präsentation immer wieder betonen, dass wir hier keine Kunst für Flüchtlinge machen, sondern für alle. (AR)

Kritik kommt von verschiedensten Seiten, natürlich auch aus der Kunstszene. Aber interessanter und auch wichtiger für mich ist die Kritik, die in der autonomen Szene geäußert wird, weil ich selbst dort viel mehr verankert bin. Und das, was sie oft an dem Projekt auszusetzen haben, ist, dass es in Richtung Sozialarbeit und Freizeitbeschäftigung gehe und dass es auf diese Weise letztlich dem Erhalt des bestehenden Systems diene. Wir würden die Machenschaften des Asylwesens unterstützen, indem wir den Ist-Zustand verschönerten, anstatt Kritik zu üben, was auf der Überzeugung beruht, dass das Camp, aus dem die meisten Flüchtlinge herkommen, grundsätzlich weg muss.
Der Unterschied zwischen sozialer Arbeit und der Kunst lässt sich hier aber relativ deutlich daran ausmachen, wie anders sich KünstlerInnen mit den Leuten auseinandersetzen, als es SozialarbeiterInnen tun würden. Es geht ihnen viel weniger um dieses primäre Helfen – „wir müssen darauf schauen, dass es euch möglichst gut geht“ –, sondern mehr um das gemeinsame Tun – „wir machen hier etwas zusammen und entweder geht es euch dabei gut oder auch nicht“.
Außerdem denke ich, dass allein mit der Tatsache, dass die bblackboxx als solche existiert, ein politisches Statement formuliert wird, das sich nach außen richtet. (CW)

Nicolas Haeberli ist Grafiker, Designer und Inhaber einer Grafikagentur (vgl. Büro Haeberli)star (* 6 ) in Zürich.

Du befasst dich zwar nicht unmittelbar mit dem Verhältnis von Kunst und Politik, hast aber an einigen politisch motivierten Kunstaktionen unterstützend mitgewirkt. Wie legitim erscheinen dir Vorhaben, die mit künstlerischen Mitteln die Problematik der Migration verhandeln?

Ich finde es enorm wichtig, politisch brisante Inhalte in die Kunst reinzubringen. Erst dann erhält sie, meiner Meinung nach, ihre gesellschaftliche Relevanz. Tatsächlich beobachte ich, dass bei partizipativen Projekten zum Thema der Migration Beteiligte oft instrumentalisiert werden. Zugleich wären viele Aktionen ohne ihre direkte Teilnahme zu wirkungsschwach. Es stellt sich also die Frage, ob man Menschen mit realen Ängsten, Nöten und sehr existenziellen Problemen auf diese Art und Weise einbinden darf, während sie sich in einer prekären Situation befinden und kaum einordnen können, ob sie sich damit selbst ins Bein schießen oder etwas Nützliches tun. Und dann stehen sie da vor einer Entscheidung wie kleine Kinder, die gefragt werden, ob sie in einer Reality-Show mitmachen wollen oder nicht.

Wobei ich mich auch frage, ob die Tatsache, dass sich in mir alles dagegen sträubt, eben gerade für solche Projekte spricht. Das Unbehagen, das sie auslösen, hat, denke ich, nicht zuletzt damit zu tun, dass immer, wenn ich zum Beispiel in meinem Umfeld über Asylsuchende diskutiere, ihre Realität eigentlich völlig abstrakt bleibt. Wir debattieren zwar empört darüber, wie viel Quadratmeter ein Asylant zur Verfügung hat und ob er acht oder elf Franken pro Tag bekommt und danach gehen wir ins Restaurant lecker essen und später ins Kino. Wenn man also unsere Normalität durch eine tatsächliche, unerwartete Begegnung mit der Realität der Asylsuchenden brechen würde, indem man sie in unser Wohnzimmer setzen und damit eine echte Konfrontation erzeugen würde, wäre dies nicht einfach nur interessant, sondern auch wichtig. Aber, ist das fair, ist das ehrlich, ist das richtig den einzelnen Schicksalen dieser Menschen gegenüber? Das sind die immer wieder aufkommenden Zweifel, die ich gegenüber künstlerischen Annäherungen an dieses Thema empfinde.

Da stellt sich die Frage, für wen solche Aktionen letztlich gemacht werden und um wen es dabei genau geht.

Bei einer Kunstaktion geht es schließlich immer um die KünstlerInnen selbst. Sie wollen an Relevanz gewinnen, Erfolg haben. Und das finde ich gerade bei Aktionen mit einem politischen Inhalt problematisch. Klar, PolitikerInnen wollen das auch, jedoch bleiben sie Teil einer politischen Gemeinschaft. Ich bin mir nicht sicher, ob ehrliches politisches Engagement für die Sache letztlich besser und legitimer wäre. Eine Kunstaktion kann ja schließlich immer als Nur-Kunst abgetan werden.

Inwiefern sind KünstlerInnen, die sich in ihren Projekten mit der Problematik der Migration beschäftigen, denn überhaupt in der Lage, dem Verdacht eines selbstbezogenen und selbstreferenziellen Handelns entgegenzuwirken?

Es kommt sicher auf die jeweilige Sensibilität und die Ernsthaftigkeit im Umgang mit einem so komplexen Thema an. Darf man als KünstlerIn das Wohl der Menschen aufs Spiel setzen? Darf man eine plakative Sprache für den Umgang mit einem sehr diffizilen Problem anwenden? Ich denke, dass man das darf, aber nicht, um sich selbst zu exponieren. Es kommt letztlich immer auf das konkrete Setting des Projektes an. Kann zum Beispiel ein Projekt, während es stattfindet, neben seinem inhaltlichen Fokus stets auch noch selbst mitreflektiert werden? Welche Rolle nimmt der/die jeweilige KünstlerIn im Projekt ein, wie sehr stellen sie sich in den Vordergrund des Geschehens?

Ich frage mich aber auch oft, warum politisch engagierte Projekte, wie etwa Kunstaktionen in sozialen Problembezirken, immer unter dem Prädikat der Kunst realisiert werden müssen. Warum macht man nicht genau das Gleiche, aber mit einem etwas pragmatischeren Ansatz? Wieso geht man nicht einfach hin und sagt: „Lasst uns unsere Häuser anmalen?“ Warum darf das nicht einfach eine Bewegung, sondern muss unbedingt eine Kunstaktion sein? Es muss ja auch nicht zwingend als politisch bezeichnet werden, sondern wir nehmen einfach etwas selbst in die Hand und gestalten unsere Umgebung. Es ist wohl tatsächlich so, dass es meistens KünstlerInnen sind, die auf solche Ideen kommen …

Dann gibt es natürlich eine ganze Reihe von pragmatischen Gründen, wie etwa die Tatsache, dass man auf diese Art und Weise die Aktion besser einordnen kann, nicht zuletzt auch um Zuschüsse aus der Kunstförderung zu bekommen. Aber sicher geht es immer auch um die gewisse Aura, die Kunst allein schon auf begrifflicher Ebene zu generieren vermag.

Nistiman Amed ist Mitglied der AntiKulti-Gruppe und im kurdischen Widerstand sowie in der Schweizer autonomen Linken aktiv. Zudem schreibt er regelmäßig für die Papierlose Zeitung (vgl. Papierlose Zeitung 2013)star (* 11 ) und ist in ihrem Redaktionsteam engagiert.

Wir haben uns im Rahmen eines Kunstprojektes kennengelernt. Seitdem habe ich dich mehrmals auf der Bühne erlebt, im Rahmen von verschiedenen Theaterproduktionen, in denen du mitgewirkt hast.

Ja, ich habe an vielen Theater- und Kunstprojekten teilgenommen. Mein Ziel dabei war aber nie, Schauspieler zu sein. Ich bin Aktivist. Ich kämpfe gegen Rassismus. Und es ist für mich egal, ob es an einer Demo, in einer Kunsthochschulvorlesung oder auf einer Theaterbühne passiert. Für mich geht der Kampf weiter. Allerdings habe ich immer wieder schlechte Erfahrungen mit KünstlerInnen, JournalistInnen, TheatermacherInnen usw. gemacht. Immer wieder musste ich feststellen, dass ihre Interpretation dessen, was ich sagte, anders war, als das, was ich eigentlich meinte. Und das geschieht immer wieder, weil sie mich bewusst oder unbewusst in die Schablone eines Asylbewerbers pressen. Deswegen reagiere ich grundsätzlich kritisch, wenn Anfragen kommen.

Was meinst du genau mit der Schablone eines Asylbewerbers?

JournalistInnen schreiben einen Text über die Problematik der irregulären Migration und sind dabei meistens an der Trendmarke „Sans Papiers“ interessiert und nicht an den Menschen im Einzelnen. Ihre Realität spielt dabei keine große Rolle. Und dann wird mir der Text nicht mal zum Gegenlesen gegeben. Oft denken die ProjektorganisatorInnen einfach: „Die brauchen das nicht, sie können eh kein Deutsch.“ Also drücken sie dir einfach das Geld in die Hand und verschwinden. Und viele MigrantInnen akzeptieren das, ohne nachzufragen. Sie freuen sich über das Geld und lassen sich einfach darauf ein. Das zu tun, ohne zu wissen, was der Kontext und das Ziel des Textes wirklich sind, ist aber ein großer Fehler. Und schon schleichen sich Hierarchien ein: „Sie müssten dankbar sein, dass sie überhaupt mitmachen dürfen.“

In meinem Herkunftsland war ich eine Person mit vielen Tätigkeiten, habe mich engagiert für Ausstellungen, Theater und Film, hatte viele Interessen. Und jetzt lebe ich in einer fremden Kultur und mit einer fremden Sprache. Ich habe aber weiterhin meine Interessen und möchte nicht die ganze Zeit nur mit dem Thema der „Migros-Gutscheine“ in Verbindung gebracht werden! Ich möchte mich diesen Klischees widersetzen, die man hier gegenüber Menschen hat, die aus anderen Ländern kommen. Hier glaubt man genau zu wissen, was sie wollen und brauchen. Europa sieht sich als Eigentümer der Welt, der alles bestimmt, sogar, was Menschenrechte sind.

Wie findest du die Motivation der Leute heraus, die hinter den Anfragen steckt?

Wenn ich das Gefühl bekomme, ein Experimentobjekt zu sein, höre ich gleich auf und sage „Sorry, da kann ich nicht weiter machen“. Wenn ich aber merke, es gibt eine gute Basis und die Person macht etwas mit sozialer Verantwortung und ohne auf ihre Kunstkarriere aus zu sein, dann mache ich mit. Ein Kunstprojekt lässt sich ja nicht auf Bestellung zaubern. Es braucht Zeit. Wir sprechen, entscheiden zusammen und dann kann ich schon fühlen, in welche Richtung das Ganze geht, was es für ein Produkt geben wird. Aber zuerst bedarf so ein Prozess der Empathie. Nicht immer braucht es eine große künstlerische Kreativität. Manchmal geht es einfach um einen herzlichen persönlichen Zugang zu den Menschen.

Wobei ich glaube, dass gewisse Differenzen nicht zu überwinden sind. Wir haben nicht die gleiche Sprache. Mir sind die Probleme eines westlichen Künstlers genauso wenig bekannt wie ihm, was meine Kultur ausmacht und wie ich aufgewachsen bin. Und um eben dieses Nicht-Wissen zu überbrücken, versuchen viele KünstlerInnen allgemeingültige Sätze und Bilder einzusetzen, die eigentlich nur das wiederholen, was alle schon längst kennen.

Was kannst du solchen Projekten persönlich abgewinnen?

Ich brauche es nicht, dass eine andere Person über mich redet. Ich kann und will mich selbst vorstellen. Denn niemand kann es besser tun als ich selbst. Sicher fehlt mir die nötige Stellung in der Gesellschaft und ein Künstler, der für mich redet, kann besser gehört werden als ich, ist gebildeter, bekannter. Solange er aber für mich redet, sorgt er dafür, dass ich da bleibe, wo ich momentan bin, nämlich unten. Egal, wie sehr derjenige Künstler die Menschenrechte hochhält. Er selbst geht davon aus, dass er für die Personen, um die er sich kümmert, sprechen muss, da sie selbst nicht für sich sprechen können.

Sarah Schilliger ist Soziologin und Mitarbeiterin am Soziologischen Seminar der Universität Basel. Sie publiziert regelmäßig zum Thema „Care-Migration“, ist in der außerparlamentarischen Linken aktiv, u.a. in der Bleiberechtbewegung Schweiz, und hat beim Aufbau der Autonomen Schule Zürich mitgewirkt.

Inwiefern ist der Einsatz künstlerischer Mittel in Bezug auf die Problematik der irregulären Migration relevant?

Ich sehe in der Kunst eine Möglichkeit, politische Fragen auf eine andere Weise zu problematisieren und zu artikulieren. Als jemand, der zu sehr in dogmatischen, marxistischen Politgrüppchen sozialisiert wurde, habe ich genug von diesem oft einseitigen Zugang: ein Manifest verfassen, irgendwelche verbrauchte Parolen zum hundertsten Mal runterleiern, tausend Flugblätter verteilen. Oft stelle ich hingegen fest, dass ein Kunstprojekt in der Lage ist, einen ganz anderen Zugriff auf die gleichen Problematiken zu schaffen, den ich produktiv und für die politische Bewegung sehr inspirierend finde.

In der Kunst scheint mir das Thema irreguläre Migration in den letzten Jahren tatsächlich zunehmend Konjunktur zu haben. Und da liegt die Frage nahe, was die Beteiligung an solchen Projekten mit den Leuten macht. Kann das Projekt für sie Perspektiven aufzeigen? Kann es einen Selbstermächtigungsprozess anstoßen? Eine Künstlerin, die den Anspruch hat, politische Kunst zu Migration und Rassismus zu machen, sieht sich wohl mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert wie eine Forscherin, die engagierte Wissenschaft zu diesen Themen betreiben will.

Wenn ich ein Forschungsprojekt mache, dann möchte ich nicht einfach nur Interviews mit MigrantInnen führen, um anschließend nach Hause zu gehen, es niederzuschreiben und sie zu meinem Forschungsobjekt zu machen. Das wäre ein rein instrumentelles Verhältnis. Es ist ein hoher Anspruch, aber als Forscherin möchte ich im Feld, in dem ich agiere, auch etwas bewegen und nicht bloß meine „Daten“ sammeln, um dann einen wissenschaftlichen Artikel daraus zu verfassen und mich in der „scientific community“ damit zu profilieren. Es geht in erster Linie um die persönliche Haltung. Wie nimmt man die Leute wahr, denkt man sich in die Köpfe anderer ein, hat man ein wirkliches Interesse für ihre Lebensrealitäten? Das hat wohl mit einem politisierten Blick auf die Welt zu tun. Damit meine ich, dass ich Realitäten nicht einfach nur wahrnehme, sondern den Anspruch habe, die Probleme der anderen zu den eigenen zu machen – und auf kollektive Veränderung hinzuwirken. Insofern ist nicht in erster Linie das „Produkt“ – sei es eine Ausstellung, ein Theaterstück, eine wissenschaftliche Publikation – zentral, sondern der Prozess, der dorthin führt. Und die kollektive Erfahrungen, die die Beteiligten dabei machen und die vielleicht ansatzweise emanzipatorisch wirken können.

Inwieweit schaffst du es, dem hierarchischen Verhältnis, das in deiner Rolle als Forscherin angelegt ist, entgehen zu können?

Es ist äußerst schwierig, diese Zweiteilung zu lösen. Auch in der Bleiberechts-Bewegung oder an der Autonomen Schule geht es immer wieder darum: „Wir“ sind die privilegierten SchweizerInnen, die im Gegensatz zu den Sans-Papiers die Sprache der Mehrheitsgesellschaft sprechen und einen regulären Aufenthaltsstatus haben. Das wird niemals ganz aufgebrochen, nicht mal in der Autonomen Schule, wo ja explizit versucht wird, nicht Wissensvermittlung, sondern Wissenstransfer zu betreiben. Ein erster notwendiger Schritt für eine gemeinsame politische Praxis ist jener, sich selbst dieser Hierarchien bewusst zu werden und sie nicht zu verwischen. Dazu bedarf es einer ständigen kritischen Selbstanalyse und auch einer gemeinsamen Reflexion über gesellschaftliche Machtverhältnisse. Geschieht dies nicht, verfällt man schnell in eine paternalistische Haltung – eine Tendenz, die ich auch in der linken Szene häufig antreffe. Und die teilweise in Kunstprojekten zum Ausdruck kommt, wenn MigrantInnen zum Beispiel als passive Opfer dargestellt werden. Diese Viktimisierung verschärft Hierarchien zusätzlich und macht Subalterne tatsächlich sprachlos. Die postkoloniale Theoretikerin Gayatri C. Spivak hat in ihrer Schrift Can the Subaltern Speak verdeutlicht, dass marginalisierte Subjekte angesichts des übermächtigen Herrschaftssystems keine eigene Stimme haben, weil sie entweder paternalistisch interpretiert oder gar nicht erst erhört werden. Die sogenannten „Betroffenen“ selbst sprechen zu lassen oder sie in Kunstprojekte zu „integrieren“, bedeutet keineswegs, sie auch wirklich zu Wort kommen zu lassen. Denn nicht das, was sie sagen, ist entscheidend, sondern das, was gehört wird. Und ich muss gestehen, dass ich da selbst auch immer wieder skeptisch bin, nicht nur in Hinblick auf künstlerische Produktionen zu dieser Problematik, die ich mitbekomme, sondern auch in Bezug auf die politische Arbeit, die wir machen.

Tim Zulauf ist Dozent an der Hochschule der Künste Bern HKB BFH, freier Künstler und Autor. Seit 2002 arbeitet er in mit der Gruppe KMUProduktionen (vgl. Zulauf 2013)star (* 17 ) an verschiedenen Theaterformaten. Seit mehreren Jahren engagiert er sich zudem bei Projekten der Autonomen Schule Zürich und des Bleiberecht-Kollektivs.

Als jemand, der sich mit dem Thema schon länger beschäftigt, wirst du oft von KünstlerInnen und Kulturinstitutionen konsultiert, wenn sie kompetente Beratung für die Umsetzung von Projekten zur irregulären Migration brauchen.

Im Sinne eines produktionsästhetischen Verständnisses geht es mir um die Fragen, in welchem Kontext, an welchem Ort und mit welchem Entstehungshintergrund Projekte stattfinden und nicht um das Endprodukt oder die eigene künstlerische Positionierung. Daher möchte ich nicht als derjenige bezeichnet werden, „der mit Flüchtlingen arbeitet“. Es ist nicht zuletzt auch deswegen problematisch, weil eine solche Zuschreibung die Möglichkeitsräume, die verschiedenen Rollen und Funktionen von den jeweils beteiligten Personen extrem reduziert.

Man braucht zum Beispiel kurdische Musik für ein Stück und nimmt jemanden, der womöglich sogar Flüchtling ist und sagt: „Jetzt kommst du auf die Bühne, weil du ein Profi bist auf diesem Gebiet.“ Zwar würde die Person auf der Bühne einen Kulturkreis repräsentieren, aber in erster Linie wäre man als Spezialist, in seiner öffentlichen Rolle, aufgrund einer besonderen Qualifikation und nicht privat, mit allen existenziellen Problemen vorgeführt. Wenn man aber mit Leuten als Laien arbeitet, macht es einen großen Unterschied. Man muss sich ganz andere Gründe überlegen, weshalb diese Leute einen plötzlich interessieren. Und dann kommt man sehr schnell an den Punkt, wo man gesteht, dass dieses besondere Interesse mit ihrem Flüchtlingsdasein zu erklären ist. Aber sind alle Flüchtlinge per se interessant? Denn eigentlich können Leute einen nur dann interessieren, wenn man sie als Personen ernst nimmt und wenn sie das jeweilige Projekt ihrerseits ernst nehmen. Wenn man aber Leute nur in ihrer Funktion als Flüchtlinge auf die Bühne holt, dann macht man zwar einen persönlichen Aspekt von ihnen öffentlich, der natürlich auch politisch geklammert ist, aber an ihnen als Personen ist man in Wirklichkeit gar nicht interessiert. Ich denke außerdem, dass es wichtig ist, dass alle Beteiligten gewillt sind, sich mit den Problematiken der Zusammenarbeit auseinanderzusetzen und das bedeutet, nicht nur zu sagen, ich spiele gerne Theater, sondern sich auf diesen Prozess wirklich einzulassen. Denn wenn das nicht geschieht und Leute zusammenkommen, um in eine vordefinierte künstlerische Struktur eingesetzt werden – im Stil von „Darstellende sind die Farben der Regie“ –, wird es problematisch.

In den informellen politischen Zusammenhängen bestehen ja häufig Ressentiments gegenüber Anfragen aus dem Kunstfeld. Den KünstlerInnen wird vorgehalten, aus der Arbeit mit Flüchtlingen Kapital zu schlagen. Musst du deine Glaubwürdigkeit auch immer wieder unter Beweis stellen?

Man kann tatsächlich behaupten, dass ich aus diesen Projekten kulturelles Kapital schlage. Das kann mir beruflich etwas nutzen, etwa wenn Artikel in der Fachpresse erscheinen, aber auch persönlich, denn es lässt mich als Person moralisch intakter erscheinen. Im Vergleich zu irgendwelchen alten Säcken, die ihre Schinken malen, stehe ich nun besser da, denn offenbar bin ich mit wirklichen Menschenschicksalen beschäftigt. Aber diesen Generalverdacht finde ich insofern hoch problematisch, als man allem den Verwertungsgedanken unterstellt. Denn so nimmt man selbst an einer kapitalistischen Logik teil und kann sich gar nicht mehr davon distanzieren.

Aber diese Problematik hat für mich tatsächlich Auswirkungen auf die Verortung der eigenen künstlerischen Arbeit. Die Sachen, die ich nicht sozusagen verwertet sehen möchte, sollen auch nicht als Bestandteil meines künstlerischen Portfolios deklariert werden. Deswegen sage ich oft: Sorry, das ist keine Kunst, sondern einfach etwas, was uns alle irgendwie angeht und beschäftigt.

Wie gehst du dann mit der Rezeption von Arbeiten anderer KünstlerInnen um, die sich im selben thematischen Feld bewegen?

Projekte mit politischem Gehalt finden statt, weil sich viele Menschen in ihrem Gerechtigkeitssinn verletzt fühlen. Dann kommen moralische Kategorien ins Spiel. Die Grundschwäche solcher Projekte besteht oft darin, dass sie einen moralischen Beigeschmack haben: „Man kümmere sich nun um die wirklichen Probleme dieser Welt.“ Das nervt und erzeugt außerdem eine Art Wettstreit der Gerechtigkeit unter denjenigen, die in diese Richtung arbeiten.

Oft sehe ich Projekte, die von ihrer formellen Setzung her alles richtig machen, aber auf der Oberfläche bleiben, weil die persönliche Haltung ihrer MacherInnen fehlt und die Arbeit sich bereits im Sichtbaren erschöpft. Man stellt zwar Fragen, problematisiert gewisse Kontexte, die Kritik bleibt jedoch uninteressant, da wir über unsere gesellschaftlichen Verhältnisse, die man uns da vorführt – ob postkolonial, rassistisch oder sexistisch – alle gut Bescheid wissen. Wirklich interessant wäre es doch, eine andere, neue Ökonomie des Zusammenlebens vorzuschlagen, statt einen Vorwurf zu platzieren, womit man ja letztlich weiterhin auf der Achse der zu kritisierenden Entwicklung agiert. Solche Projekte weisen sehr oft keine Widersprüche auf, daher können sie auch keine wirkliche Diskussion auslösen.

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Trotz der unterschiedlichen Zugänge meiner InterviewpartnerInnen zum Thema der Migration lassen sich in ihren Statements mehrere Parallelen beobachten. Die zunächst naheliegende Vermutung, dass ihre Sicht auf die verhandelte Problematik primär vom jeweiligen Wirkungsfeld – etwa dem künstlerischen oder dem politischen – abhinge, greift bei näherer Betrachtung offenbar zu kurz. Die sowohl in der außerparlamentarischen Linken als auch in der Kunstszene häufig zu vernehmende Abgrenzung vom jeweils anderen Feld kommt in keinem der Statements zum Ausdruck.

Bei der Frage nach der Motivation für die Umsetzung von Projekten zum Thema der Migration sind sich meine GesprächspartnerInnen einig, dass sich ein ernsthaftes, engagiertes künstlerisches Vorhaben im Interesse der OrganisatorInnen an konkreten Menschen und nicht an ihrem Flüchtlingsstatus manifestiert. Eine wirkliche Bereitschaft der ProjektmacherInnen zur Auseinandersetzung mit den persönlichen Realitäten potenzieller Projektbeteiligter zeichnet sich nicht zuletzt durch das In-Kauf-Nehmen des Risikos aus, dass am Ende eines Vorhabens keine fertige künstlerische Arbeit entstünde. So geht es für Almut Rembges und Christoph Wüthrich im Rahmen des bblackboxx-Projektes nicht primär darum, dass die im Vorfeld angedachten Kunstwerke plangemäß umgesetzt werden, sondern vielmehr um das Sich-Einlassen der KünstlerInnen auf die Situationen und Menschen vor Ort.

Im Prozess der Projektumsetzung offenbare sich stets ein Machtgefälle, das bereits im unterschiedlichen sozialen Status der Projektteilnehmenden angelegt sei, wie es Sarah Schilliger treffend beschreibt. Im Umgang mit diesen Differenzen zeigen meine GesprächspartnerInnen jedoch unterschiedliche Haltungen. Während Julia Huber ausgehend von ihren Erfahrungen in der AntiKulti-Gruppe betont, dass es viel wichtiger sei, Überschneidungspunkte unter den Involvierten und ihren politischen Anliegen zu finden, statt durch das Abfragen ihrer Herkunft Unterschiede zu untermauern, bleiben für Nistiman Amed gewisse herkunftsbedingte kulturelle und soziale Ungleichheiten in Hinblick auf Sprache, Erziehung, Bildung oder gesellschaftliche Stellung unüberbrückbar.

Für Amed führt die allzu oft fehlende Bereitschaft von ProjektinitiantInnen, sich mit diesen Differenzen auseinanderzusetzen, zu einer auf Klischees und Allgemeinplätze reduzierten Darstellung von Flüchtlingen. Mit dieser Beobachtung geht, meiner Meinung nach, auch die umgekehrte Frage einher, ob derartige Stereotypen andersherum ebenfalls zu beobachten sind, nämlich dann, wenn ProjektorganisatorInnen ohne Migrationserfahrung seitens der MigrantInnen als intakt Aufgewachsene, Gebildete und Privilegierte konstruiert werden und inwiefern diese Gegenprojektion von den nicht-migrierten Personen stets selbst verinnerlicht ist.

Aus der Perspektive des in diesem Zusammenhang viel diskutierten Critical Whiteness*7 *( 7 ) produziert und reproduziert die heutige gesellschaftliche Struktur, da stets vom persönlichen Hintergrund wie Geschlecht, Herkunft, politischer und sozialer Status der Handelnden geprägt, hierarchische Verhältnisse. Ein weißer nicht-migrierter Akademiker genießt demzufolge a priori eine privilegierte Stellung in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Ordnung. In ihrem Artikel Decolorise it! (Karakayali et al. 2012: o.S.)star (* 8 ) äußert sich eine Gruppe von Mitgliedern des Kritnet-Netzwerks (vgl. Kritnet 2013)star (* 9 ) kritisch zu diesem Entwurf. Das zentrale Problem zeige sich daran, dass „Differenz und rassistische Hierarchie […] im Sprechen über Rassismus immer sichtbar gemacht werden [müssen], die Einteilungen in ‚white‘ und ‚of Color‘ allerdings werden schnell zu Etiketten, die als Labels stabiler Kategorien erscheinen. Spätestens wenn ein Nachweis über die Herkunft der Eltern verlangt wird, zeigt sich, wo das Whiteness-Konzept aufhört, kritisch zu sein.“ (Karakayali et al. 2012: o.S.)star (* 8 ) Anstatt eine Rassismustheorie anzustreben, deren Ziel in der Abschaffung von race als Kategorie bestünde, drehe sich Critical Whiteness von Anfang an im Kreis, resümieren die AutorInnen.

In diesem Sinne können auch die Statements von Julia Huber und Sarah Schilliger gelesen werden, die eine solche Aufteilung in Hinblick auf die Frage, ob nur die sogenannten „Betroffenen“ ihre Lebensumstände glaubwürdig problematisieren dürfen, entschieden ablehnen. Auf diese Art und Weise werde die Verantwortung dafür, sich den bestehenden Missständen zu widersetzen, denjenigen auferlegt, die durch sie unmittelbar prekarisiert werden.

In mehreren Statements wird bemerkt, dass die dem Kunstbetrieb innewohnenden Gesetzmäßigkeiten es den KünstlerInnen kaum möglich machten, losgelöst vom stetigen Druck der Eigenpositionierung und -profilierung zu handeln. In seinem Statement wirft Nicolas Haeberli daher die Frage auf, ob nicht viele der unter dem Prädikat der Kunst realisierten Projekte jenseits der Zwänge des Kunstbetriebes – etwa als soziale Bewegungen – eine deutlich höhere gesellschaftliche Relevanz erlangen könnten. Sind wir KünstlerInnen, AutorInnen, TheatermacherInnen, KulturarbeiterInnen in der Lage, eine Produktionslogik zu verfolgen, die sich den vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten des Kunstfeldes entgegenstellt und eine Arbeit am Gemeinschaftlichen jenseits von (kunst)marktwirtschaftlichen Begehrlichkeiten ermöglicht?

Tim Zulauf, der sich zwar ebenfalls kritisch zu dem Positionierungszwang äußert, den der Kunstbetrieb impliziert, problematisiert jedoch den generellen Verdacht der persönlichen Profitmaximierung, die ProjektinitiantInnen häufig unterstellt wird. Für Zulauf offenbart diese Kritik in erster Linie die kapitalistische Logik derjenigen, die diese Kritik formulieren.

Mir erscheint dieser Generalverdacht, mit dem ich nicht zuletzt in der eigenen künstlerischen Praxis konfrontiert werde, auch deswegen nicht sonderlich produktiv, weil er die ProjektorganisatorInnen in ihrer Funktion dazu zwingt, sich in dauernder Abgrenzung von der ihnen zugeschriebenen profitorientiert und instrumentalisierend konnotierten Rolle zu üben. Und der Zwang, stets beweisen zu müssen, dass man jenseits von Eigengunst handelt, trägt viel eher dazu bei, das Machtgefälle, das im Konzept des Critical Whiteness wie auch in der Instrumentalisierungsdebatte sichtbar gemacht und kritisiert werden soll, zu verfestigen.

star

AntiKulti-Ateliergruppe (2012): Flüchtlinge als Stoff für Kunstprojekte. Ein Gespräch der Antikulti Ateliergruppe. In: Papierlose Zeitung, Heft 4, S.4-5. Online unter www.papierlosezeitung.ch/wp-content/uploads/Papierlose-Zeitung-4-2012.pdf  (31.01.2013).

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Autonome Schule Zürich (ASZ). Online unter www.schuel.ch/index.php/ASZ_Hohlstrasse.html (31.01.2013).

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Aux Arts Etc… (2012): Tag der Verortung. Online unter www.auxartsetc.ch/agenda_detail.php?id=8569 (31.01.2013).

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bblackboxx. Online unter www.bblackboxx.ch (31.01.2013).

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Bleiberecht-Kollektiv. Online unter www.bleiberecht.ch (31.01.2013).

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Büro Haeberli. Online unter www.buerohaeberli.ch (31.01.2013).

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Freudiger, Corina (2012): Abstraktes Afrika. Sandra Strunz zeigt ein angenehm ethnokitschfreies Stück über afrikanische Migranten. In: Züritipp vom 8.03.2012. Online unter www.zueritipp.ch/buehne/buehne/Abstraktes-Afrika/story/21714622/ (31.01.2013).

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Karakayali, Jule/Tsianos, Vassilis S./Karakayali, Serhat/Ibrahim, Aida (2012): Decolorise it! In: ak – analyse & kritik – Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 575, S.11-13. Online unter www.akweb.de/ak_s/ak575/23.htm (31.01.2013).

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Kritnet (Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung). Online unter www.kritnet.org (31.01.2013).

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Kunstkredit Basel Stadt. Online unter www.kunstkreditbasel.ch (31.01.2013).

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Papierlose Zeitung. Online unter www.papierlosezeitung.ch (31.01.2013).

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Spivak, Gayatri Chakravorty (2007): Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation, Wien: Turia + Kant.

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Theaterprojekt WG Babylon. Eine Performance sucht Asyl (2010). Online unter: www.zhdk.ch/?projektarchiv&id=803; (31.01.2013).

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Verein Kunst+Politik. Online unter www.kunst-und-politik.ch (31.01.2013).

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Wikipedia (2013): Neuorientierung 2010/2011. Online unter de.wikipedia.org/wiki/Basler_Zeitung#Neuorientierung_2010.2F2011 (31.01.2013).

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Zulauf, Tim. Online unter www.zulauf.it (31.01.2013).

Der Titel stammt aus dem Interview mit Almut Rembges am 24.09.2012 in Basel. Der vorliegende Text basiert auf Auszügen aus zwischen August und Dezember 2012 durchgeführten Interviews.

Autonome Schule Zürich (ASZ) und der Verein Bildung für Alle (BfA), sind ein selbstverwaltetes Bildungsprojekt, das ein vielfältiges Bildungs- und Kulturangebot für alle − sowohl für illegalisierte Flüchtlinge und sozial Marginalisierte als auch alle anderen interessierten und engagierten Menschen bietet. Kernteil des Kursangebotes bilden Deutschkurse für verschiedene Kenntnisstufen. (vgl. Autonome Schule Zürich 2013).

Bleiberecht-Kollektiv ist eine politische Bewegung, in der Sans-Papiers und Solidarische mit eigenen Mitteln für ihre Rechte und Autonomie kämpfen. Es  setzt sich für Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für alle ein und fordert u.a. eine kollektive Legalisierung aller Sans-Papiers, die Aufhebung des Nothilfe-Regimes sowie die sofortige Umsetzung des Härtefallartikels. Die Bleiberechtbewegung setzt sich momentan aus Kollektiven in Zürich, Basel, Bern, Fribourg und Lausanne zusammen. (vgl. Bleiberecht-Kollektiv 2013).

AntiKulti-Ateliergruppe trifft sich seit Februar 2010 wöchentlich in autonomen Räumen Zürichs, um mit künstlerischen Mitteln antirassistische Projekte zu entwickeln und umzusetzen (vgl. AntiKulti-Ateliergruppe 2013).

Der Kunstraum bblackboxx wurde von Almut Rembges ins Leben gerufen und bezieht seit rund sechs Jahren Position an der Stadtgrenze von Basel (vgl. bblackboxx 2013).

Im Sommer 2010 erhielt die bblackboxx einen Beitrag der Kulturabteilung des Kantons Basel Stadt für die Umsetzung einer künstlerisch-theoretischen Aktionsreihe (vgl. Kunstkredit Basel-Stadt 2013).

Kritische Whiteness-Forschung (Critical Whiteness Studies), die sich in den 1980er Jahren in der USA entwickelte, thematisiert den Ursprung des Rassismus anhand bestehender sozialer Konstruktionen, bei denen u.a. die verinnerlichte Norm des Weißseins als rassifizierende Perspektive auf das „Andere“ reflektiert wird.

Marina Belobrovaja ( 2013): „… so’n bisschen United Colors of Benetton“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/son-bisschen-united-colors-of-benetton/