Kunst & Social Media

Ausgewählte künstlerische Positionen zum Web 2.0

Elisabeth Schmirl: Squares. 2009

von Josef Kirchner

Elisabeth Schmirl, bildende Künstlerin aus Salzburg und Mitbegründerin des Projektraums „periscope“*1 *( 1 ) , beschäftigt sich in Teilen ihrer Arbeit mit digitalem Bildmaterial, das sie über aktive Suche im Internet findet. Präziser formuliert nimmt sie sich scheinbar privater Bilder fremder Menschen an, die diese allerdings der Öffentlichkeit freiwillig zur Verfügung stellen.

Sie schafft es einerseits, die Information, die sie rein durch das Abbild, die Momentaufnahme eines Menschen, erhält, zu einem Portrait zu transferieren und diese Information zu real existierender, haptisch und ohne zusätzlicher Hilfsmittel erfassbarer, Kunst zu machen – andererseits legt sie auch ein kulturgeschichtliches Zeugnis über die Selbstdarstellung unterschiedlicher Menschen im digitalen Raum ab.

Die Künstlerin erfasst nicht nur die individuellen Posen, Gesichtsausdrücke und Körperhaltungen digital veröffentlichter Bilder, sondern zeigt auch auf, dass jedes Bild, Schnappschuss oder gestellt, von der dargestellten oder der fotografierenden Person als veröffentlichungswürdig empfunden wurde. Neben der Vielfältigkeit ergibt sich teilweise eine Serialität: Diese wird zum einen von der Künstlerin durch die Verwendung gleicher Bildformate und -stile herbeigeführt, wie beispielsweise im Falle der hier besprochenen Serie Squares. Zum anderen ergibt sich die Serie aber auch aus dem herangezogenen Bildmaterial. Gewisse Posen und Gesichtsausdrücke beinhalten spezielle Codes, die, über das Internet oder im Speziellen über Social Media transportiert, von BenutzerInnen dieser Medien entschlüsselt werden können – in Galerien und Museen, wo sie als Schmirls Gemälde (neu) zu entdecken sind, können sie durchaus verstören und Un- bzw. Missverständnisse auslösen.

Immer mitgedacht werden muss die Intention der abgebildeten Personen, die die Fotos von sich zur Veröffentlichung freigegeben haben und damit ihr digitales Erscheinungsbild mitbestimmt haben. „Der ständige Wunsch nach Verbesserung und Neugestaltung des (digitalen) Selbst und die immer größer werdende Distanz zum Real-Ich stehen am Ende des Gedankengangs.“star (* 1 )

SQS – The Social Quantified Self. A Social Interaction Paper Prototyping

Von Katrin Galler

Nachdem ich diesen Sommer auf der Campus Party Berlin war, bin ich auf so manch interessantes Projekt gestoßen… Für diejenigen, denen die CP Europe kein Begriff ist, sei folgende Erklärung vorweggeschickt: “Campus Party is the biggest electronic entertainment event in the world. It’s a weeklong, 24-hours-a-day tech-nology festival for thousands of ‚campuseros’ – hackers, developers, gamers and geeks, where workshops, hackathons, competitions and talks take place simultaneously.” star (* 2 )

Im Prinzip handelt es sich um eine gigantische Ansammlung von Nerds, die sich hier und da, bewaffnet mit allerlei Technik zusammentun, um das ein oder andere Projekt anzuschieben.

Ich hörte dort einen Vortrag von Daniela Kuka, aus welchem nun folgende Referenz für unser eigenes Social Media-Projekt hervorgeht. Daniela Kuka ist Studentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität der Künste Berlin. Sie ist involviert in den dortigen Masterstudiengang „Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation“ und innerhalb diesem Teil der special interest group „human-machine-persuasion.“ h-m-p stellt wiederum den Kontext für die Entwicklung eines Social Media-Prototypen dar, der in dieser Form (noch) nicht existiert, aber auch nicht vollkommen aus der Luft gegriffen zu sein scheint …

Kick-off von SQS war im April 2012. Das Spiel, welches die Gruppe als Brettspiel umsetzte, ist nicht ausschließlich als solches zu verstehen, sondern vielmehr als ein Experiment, das die Untiefen sozialer Interaktion lückenlos aufzudecken versucht. Und zwar indem eine fundamentale Regel derzeitiger sozialer Netzwerke außer Kraft gesetzt wird, nämlich: „Users do not create, design and control their individual profiles manually anymore.” (Kuka 2012: Min. 0:02:10) star (* 3) Fake-Identitäten seien damit ausgeschlossen, denn stattdessen werden „digital selves“ aufgrund von quantifizierbar und algorithmisch interpretierbaren Daten aus der Quelle realer Leben generiert. Wie das genau vonstatten geht, versuche ich später anhand des Spieleaufbaus zu erklären. Die Idee des sozial quantifizierbaren Selbst leitet sich vom Interesse an der Mensch-Maschine-Persuasion ab. Auf SQS umgemünzt gilt es herauszufinden „[how it does feel] to be part of a system in which life is directed by digital performance scores and anticipated social norms in completely transparent [social] communities.”(Kuka 2012: Min. 0:02:19) star (* 3 )

Das Spielprinzip:

Zur Erinnerung: social network minus editable profiles = SQS. Das feature, das eigene Profil zu meinen Gunsten manipulieren zu können, fällt aber nicht weg, ohne durch ein anderes feature ersetzt zu werden, nämlich das der frictionless quantification. Damit wird alles, was man tut und unterlässt, zunächst verfolgt, aufgezeichnet und zuletzt innerhalb des sozialen Netzwerkes geteilt. Tracking and Sharing laufen vollkommen automatisiert ab, ob nun gewollt oder ungewollt. Der Clou ist, dass ein jeder unter ständiger (Selbst-)Beobachtung steht und keine dieser Informationen je verloren gehen wird. Jedoch lässt sich SQS nicht wie facebook mit einem digitalen Panoptikum vergleichen, denn hier sind sich die Leute durchaus über Folgendes im Klaren: „A frictionless quantified model of society is not about privacy.” Was einem behaviour change gleichkommt. (Kuka 2012: Min. 0:13.20) star (* 3 ) Der springende Punkt ist, dass alles, was wir tun und unterlassen, nicht nur verfolgt, aufgezeichnet und anderen mitgeteilt wird, sondern dass dieser andauernde Prozess eine Feedbackschleife innerhalb unserer Community provoziert. „Under the condition of frictionless quantification [as one of the basic principals], a personal image cannot be claimed anymore, ‚it has to be lived’”. (Kuka 2012, Min. 0:14:12)star (* 3 )  Hieraus ergibt sich ein neues Identitätskonstrukt, ähnlich dem des Johan Window aus dem Jahr 1955 (vgl. Abb. 1) – einer Vierfeldertafel bestehend aus diversen Kombinationen von „Known“ bzw. “Unknown by Others“ und „Known“ bzw. “Unknown by Self“, wobei SQS ausschließlich die Open Arena bespielt. Schließlich sind keine Rollenspiele mehr möglich, die eine Fassade aufrecht halten würden. Wegen der Feedbackschleife existiert auch kein blinder Fleck mehr. Ebenso bleibt nichts unbekannt, da SQS jedwede menschliche Regung zu erfassen im Stande ist.

Abb 1: Johan Window (vgl. http://www.youtube.com/watch_popup?v=Pvr7HsR96jI#t=0m31s, ~ Min. 0:15:11)

Abb 1: Johan Window (vgl. http://www.youtube.com/watch_popup?v=Pvr7HsR96jI#t=0m31s, ~ Min. 0:15:11)

Spielelemente:

Actions: Jedem Spieler steht ein gewisses Verhaltensrepertoir zur Auswahl. Dabei ruft jede Aktivität postwendend Feedback hervor, welches sich wiederum auf den jeweiligen Punktestand in den Bereichen Health, Business und Social niederschlägt. Die individuelle Leistung wird im Profil des users/des Spielers erfasst. Anders das „target profile“: Um dem Ziel-Profil, der Wunschidentität möglichst nahe zu kommen (=Spielziel), sollten tagtägliche Aktivitäten strategisch klug ausgewählt werden.

Ressources: Mangelt es einem an Geld, Energie und/oder Beliebtheit, so lässt sich nichts unternehmen und die performance leidet. Anders formuliert – je reicher die Ressourcen, desto besser die performance.

Likes&Dislikes beeinflussen den Ruf und verschieben soziale Dynamiken, z. B. wer mit wem ein ähnliches Ziel-Profil verfolgt und sich daher eine Kooperation ergibt oder wer aufgrund konfligierender Ziel-Profile gegen andere hetzt und hierfür nach Verbündeten Ausschau hält.

Friends: Hiervon sind eine gewisse Anzahl und eine gesunde Mischung aus den Bereichen Health, Business und Social ausschlaggebend.

Performer badges sind Auszeichnungen bei hervorragender Performance. Sie gewähren gewisse Privilegien.

Events sind Zufälle, die mich in meiner performance herausfordern oder mir zugute kommen können.

SQS Score misst die Performance eines jeden Spielers. Sie erschließt sich aus der Differenz zwischen tatsächlichem und Zielprofil. Außerdem berücksichtigt sie die soziale Reputation, welche sich aus Netzwerk und Feedback speist.

Im Spielverlauf geraten SQS-Mitglieder in verschiedenste Zwickmühl-Szenarien, die so manch einem Spieler auch in Realität ganz schön zu schaffen machen können. Dilemma Nr. 1 besteht in der unweigerlichen Differenz zwischen dem Ist und dem Soll eines jeweiligen Profils. Es wird einem also Prioritäten zu setzen abverlangt, denn es scheint geradezu unmöglich, in allen Belangen des Lebens gut abzuschneiden. Dilemma Nr. 2 meint einerseits Kontakte, auf die ich angewiesen bin (=performance groups) und andererseits Kontakte, deren Freundesantrag es sich nicht auszuschlagen empfiehlt, obwohl sie mir im Hinblick auf mein Ziel-Profil nichts nützen. Dilemma Nr. 3 bezeichnet den Konflikt zwischen dem eigenen target profile und entgegenstrebenden Gruppendynamiken. Das größte Dilemma besteht allerdings im Missverständnis zwischen Ruf und persönlichen Zielsetzungen. Außerdem treten Mitspieler immer dann in Konkurrenz zueinander, wenn ihre angestrebten Profile nicht miteinander vereinbar sind.

SQS ist auch insofern als ein Experiment zu verstehen, als dass es diverse „behavior change mechanisms“ im social semantic web zu simulieren weiß. Nachfolgend die SQS-Matrix (in Anlehnung an Klout, vgl. Abb. 2):

Abb 2: SQS Matrix (vgl. http://www.youtube.com/watch_popup?v=Pvr7HsR96jI#t=0m31s, ~ Min. 0:50:03)

Abb 2: SQS Matrix (vgl. http://www.youtube.com/watch_popup?v=Pvr7HsR96jI#t=0m31s, ~ Min. 0:50:03)

Je nach performance wird das Individuum Mittel und Wege zu finden versuchen, es das nächste Mal besser zu machen. Sei es im Bereich der self-persuasion, des formal/digital habitus oder in dem des realtime normalism etwaige Veränderungen herbeizuführen. Was genau darunter zu verstehen ist, würde in vorliegender Rezension zu weit führen.

Im Übrigen spricht Foucault bei der Klassifikation von Menschen, wie sie z. B. im Social Web zu beobachten ist, von einer der wirkmächtigsten Technologien, Macht auszuüben. (Kuka 2012: Min. 0:49:13)star (* 3 )

Ein schönes (vorläufiges) Schlusswort, wie ich finde.

Jens Wunderling: Default to Public

Katharina Höllmüller

Meine künstlerische Referenz ist das Projekt Default to Public des Medienkünstlers Jens Wunderling. Wunderling interessiert sich dabei für die Tatsache, dass der virtuelle Raum und die reale Welt z.T. sehr unterschiedlich und widersprüchlich erlebt werden, da Öffentlichkeit in der Realität von vielen meist als „öffentlicher“ wahrgenommen wird als im Netz. Der Künstler entwickelte deshalb den sogenannten Tweetscreen, der Kurznachrichten, die im sozialen Netzwerk Twitter veröffentlicht wurden, auf Leinwände an öffentlichen Plätzen projizieren ließ (z.B. in Schaufenstern belebter Straßen oder auf einer Großleinwand im Stadtzentrum). Zusätzlich druckte der Tweetleak die „Tweets“ auf Papierstreifen, die von Menschen mitgenommen werden konnten. In beiden Fällen wurden die VerfasserInnen mit einem Foto von der Leinwand, auf der ihr Posting veröffentlicht wurde, und einer kurzen Information zum Projekt benachrichtigt. Mit dem Projekt machte Wunderling darauf aufmerksam, dass die Menschen die Kontrolle über die eigenen Daten im Netz, aber auch in der Realität verlieren, wenn nicht die entsprechenden Privatsphäre-Einstellungen im jeweiligen Social Network gewählt werden. Denn erst als die Twitter-Meldungen den virtuellen Raum verließen und sich in der realen Welt verbreiteten, machten sich viele der Betroffenen Gedanken darüber, wie sie sich im Netz verhalten und wie leichtfertig sie mit persönlichen Informationen umgingen. Als Reaktion auf das Projekt änderten viele die Privatsphäre-Einstellungen ihres Twitter-Accounts, sodass nicht mehr jeder uneingeschränkt auf persönliche Daten und Postings zugreifen konnte (vgl. Wunderling 2008)star (* 4 ).

Burger King: Zehn Facebook-Freunde gegen einen Burger

Katharina Höllmüller

Ende 2008 startete der Fastfood-Konzern Burger King eine Kampagne, in der er seinen KundInnen einen Gratis-Burger (den „Angry Whopper“) versprach, wenn diese sich von zehn ihrer Facebook-Freunde trennten. Die UserInnen mussten dafür zuerst eine Applikation herunterladen und sodann die zehn FreundInnen aus ihrer Liste eliminieren. Nach vollzogener Tat schickte Burger King seinen KundInnen den Gutschein für einen Gratis-Burger nach Hause. Gleichzeitig erhielten die ehemaligen „Freunde“ über die Applikation die Benachrichtigung, dass ihnen die Freundschaft für einen Gratis-Burger aufgekündigt wurde. Die Aktion wurde dazu genutzt, das Web kosteneffizient zu nutzen und eine höhere Aufmerksamkeit zu erreichen. Denn in der Zeit, in der die NutzerInnen die zehn „ungeliebten“ Bekanntschaften auswählten, beschäftigten sie sich gleichzeitig mit der Marke Burger King. Der Burger war genauer betrachtet auch nicht einfach „gratis“: zwar bezahlten die Kunden nicht mit Geld, dafür aber mit ihren (Facebook)-Freunden. Bedenkt man, wie viel ein „Angry Whopper“ kostet (3,69 Dollar), so könnte man sagen, dass jeder Facebook-Freund umgerechnet rund 37 Cent wert sei. Obwohl die Kampagne Irritation auslöste, nahmen seit dem Start im Dezember 2008 bis Anfang Jänner 2009 rund 186.000 Facebook-Mitglieder an der Aktion teil (vgl. Zettel 2009: o.S.). star (* 4 )

 

Jimmy Kimmel: National UnFriend Day

Katharina Höllmüller

Im November 2010 erklärte der Moderator Jimmy Kimmel in seiner gleichnamigen satirischen Late Night-Show Jimmy Kimmel Live! auf dem US-amerikanischen Fernsehsender ABC den 17. November zum „National UnFriend Day“. Kimmel zeigte in seiner Show verschiedene Beispiele von Facebook-NutzerInnen bzw. ihrer Profilseiten, die in Statusmeldungen Belanglosigkeiten (wie z.B. das Konsumieren von Getränken) mitteilten. Kimmel rief seine ZuschauerInnen am dritten „National UnFriend Day“ deshalb dazu auf, alle Kontakte, bei denen es sich um keine wahren Freunde handelt, zu entfreunden: „Most people have hundreds or thousands of ‚friends‘, but the fact is that most of these people aren’t your friends“ (Kimmel 2012: o.S.)star (* 6 ). Kimmel stellte dabei auch verschiedene Typen von NutzerInnen vor, von denen sich die Zusehenden trennen sollten: u.a. der Typ „The Over-Sharer“, der sein ganzes Leben wie in einem Live-Blog dokumentiert oder der Typ „The Proud Parent“, also Eltern, die ihre FreundInnen über jedes Detail im Leben ihrer Sprösslinge auf dem Laufenden halten und private Fotos ihrer Kinder veröffentlichen (vgl. Wang 2012: o.S).star (* 7 )

Nobuyoshi Araki

Katja Weber

Einleitung

Die Idee der IG Achselhöhle aufgreifend, schienen mir die Körperdarstellungen und Fotografien des Künstlers Nobuyoshi Araki als geeignete künstlerische Referenz. Arakis Werke stecken voller Widersprüche, entsprechen nicht der gängigen Norm, lösen beim Betrachter verschiedene Gefühle und Empfindungen aus. Anfänglich war ich eher im negativen Sinn von Araki fasziniert. Seine Darstellungen der weiblichen Geschlechtsteile und gefesselten Frauen empfand ich einerseits abstoßend, andererseits aber auch faszinierend. Je mehr ich mich mit den Werken Arakis auseinandersetzte, desto interessanter und faszinierender erschienen mir die Arbeiten. Anfänglich wirkten die Bildbände, die er zu Beginn seiner Karriere schuf, und die aktuellen Werke wie zwei verschiedene Welten: seine Frau, die er von der gemeinsamen Hochzeitsreise und dem darauf folgenden häuslichen Alltag bis zu ihrem Tod fotografisch begleitete, die Stadtaufnahmen Tokios, erotische Blumenbilder, die entblößten, gefesselten Frauen. Obwohl die Aufnahmen zuerst unterschiedlich und widersprüchlich erscheinen, zieht sich bei näherer Betrachtung und Auseinandersetzung ein roter Faden durch Arakis Werke und Arbeiten: Die Bilder vermitteln stets eine melancholische Stille und Schwermut. Alle Motive und Modelle wirken dabei stark und präsent.

Lediglich die Fesselbilder zu betrachten, rückt Araki meiner Meinung nach in ein falsches Licht. Um seine Werke zu verstehen, sollte man die künstlerischen Anfänge und Arakis Weg zur Fotografie betrachten.

Künstlerische Anfänge und der Weg zur Fotografie

Nobuyoshi Araki wird 1940 als Sohn eines Schuhverkäufers in Tokio geboren. Von der Fotoleidenschaft seines Vaters angesteckt, studiert Araki Fotografie und Film an der Chiba Universität Tokio und arbeitet nach Beendigung des Studiums in Japans größter Werbeagentur als Werbefotograf. 1964 beginnt er seine Karriere mit Bildern von seiner Heimatstadt und erotischen Blumenaufnahmen. Ende der 1960er Jahre lernt er seine spätere Frau Yoko kennen, mit ihr beginnt, wie er sagt, sein Leben als Fotograf und Yoko wird zum bevorzugten Modell und Motiv seiner Fotografie. Seine Hochzeitsreise hat Araki dokumentiert und daraus das 1971 erschienene Buch „Sentimental Journey“ entwickelt. Diese frühe Serie markiert den Beginn von Arakis fotografischer Tätigkeit und damit auch den „tagebuchartige(n) Umgang des Fotografen mit seinen Bildern.“ (Zuckriegl 2008: 9) star (* 8 )

Werke

Sentimental Journey: Araki fotografiert seine junge Ehefrau in den unterschiedlichsten Situationen und reiht ein Foto an das andere: im Hotel, auf Reisen, im Garten, in der Badewanne, mit Gesichtsmaske beim Stricken, im Restaurant, schlafend, essend, trinkend, zuerst auf der Hochzeitsreise, später dann auch im häuslichen Alltag.

Araki begründet mit dem „in Ich-Erzähler-Form verfassten intimen Tagebuch seiner Flitterwochen, ein neues Genre in der Fotografie, die so genannte I-Photography.“ (Westlicht 2006: o.S., Hervorheb. i. O.) star (* 9 ). Araki dokumentiert obsessiv sein eigenes Leben und merkt an, er sei nichts ohne seine Kamera und nichts ohne Fotografie.

Winter Journey: 1989/90 veröffentlicht Araki mit „Winter Journey“ den zweiten Teil seiner Publikation über seine Frau Yoko. Araki beginnt mit den Arbeiten, als Yoko die Diagnose für ihre Krebserkrankung erhält, und dokumentiert in Bildern den Leidensweg seiner kranken Frau von ihrem letzten Geburtstag bis zu ihrem Begräbnis.

araki1

Abb. 1: Nobuyoshi Araki (2008). In: Museum der Moderne Salzburg (Hg.): Nobuyoshi Araki. Silent Wishes. Weitra: Verlag publication PN°1, S. 102).

Der Tod als einschneidende Erfahrung nimmt ab diesem Zeitpunkt einen wichtigen Teil seiner Arbeit ein und drückt sich in Szenen und Motiven aus, die subkutan mit der Bedrohung durch Tod und Gewalt zu tun haben. Das Bild der Frau, das Abbild seiner verstorbenen Ehefrau Yoko, wird richtungweisend für seine späteren Arbeiten, in deren Mittelpunkt die Faszination für das Erotische, für das andere Wesen „Frau“ und ihre Verstrickungen in traditionelle und moralisierende gesellschaftliche Vorstellungen stehen (vgl. Zuckriegl 2008: 10).star (* 8 )

Kinbaku

Besonders die Fotografien, in denen Araki gefesselte Frauen zeigt, haben ihm einen zweifelhaften Ruf eingebracht. Araki bewegt sich zwischen Kunst und Pornographie, seine Werke finden sich sowohl in Kunstkatalogen als auch im japanischen Playboy. Aber genau durch diese Art der Provokation gelingt es Araki, sowie anderen zeitgenössischen japanischen KünstlerInnen, die Aufmerksamkeit des westlichen Publikums zu erregen und eine Auseinandersetzung des Westens mit der japanischen Kunst zu erwirken.

Die Fesselungsbilder machten Araki international berühmt und fallen gleichzeitig immer wieder behördlicher Sabotage und Zensur zum Opfer. Dass Araki unter anderem Strecken für den japanischen Playboy fotografierte, trug ihm im Westen den Ruf eines Pornografen ein und verschaffte dem Künstler einem zweifelhaften Status. Das Studium seiner Fotografien zeigt allerdings, dass es fast immer zu einem Blickkontakt zwischen den Frauen und dem Fotografen kommt. Die Pornographie bedient die mimischen Stereotype der Lust, Araki hingegen stellt sich dem Blick seiner Modelle. Es kommt „zu einem Blickkontakt, der sich vom Fotografen, resp. der Kameralinse auf den Betrachter überträgt, und der grade in seiner absoluten Statik und offensiven Präsenz eine Idee von Endlichkeit in den Darstellungen spüren lässt, die Lust mit der Idee der Vergänglichkeit verbindet.“ (Brehm 2005: 132)star (* 10 )

araki2

Abb.2: Nobuyoshi Araki, Ohne Titel, o.J.: Online im Internet unter http://www.artnet.de/magazine/dossier/kunstmessen/gwb2008/index_detail.asp?picnum=14 (24.02.2010).

Japanische Traditionen und Geschichte spielen eine wesentliche Rolle in Arakis Arbeit. Ohne sich damit auseinanderzusetzen, behalten die Bilder einen schalen pornografischen Beigeschmack. Araki selbst scheint egal zu sein, wo seine Bilder abgedruckt werden oder wer seine Bilder kauft, von Kritikerinnen wie Susan Sonntag oder Alice Schwarzer zeigt er sich genauso unbeeindruckt wie von den ständigen Zensuren und staatlichen Eingriffen, mit denen er in seiner Heimat Japan zu kämpfen hat. „Ich kann den Körper einer Frau fesseln, aber nicht ihren Geist“ (ebd.)star (* 10 ) sagt Araki und hält gegen jegliche Kritik, dass seine Fotografien stets im Dialog mit den Frauen entstehen und er nie Qual oder Schmerz von Frauen dargestellt hätte (vgl.: Brehm: 2005)star (* 10 )

Thomas Herzig – Pneumocell

Katrin Nagovnak

Beim Durchblättern der Red Bulletin September-Ausgabe stieß ich auf einen interessanten Artikel über Thomas Herzig, einen jungen Wiener Architekten, der sich besonders mit Pneumocell-Architektur beschäftigt. Ein Zitat von Herzig, demnach feste Materie nach und nach von (digitaler) Information ersetzt würde, hat dabei besonders meine Aufmerksamkeit erregt. Zu Beginn unserer Lehrveranstaltung, als wir auf Vor- und Nachteile von Social Media, insbesondere von Facebook, zu sprechen kamen, fiel mir dieses Zitat wieder ein. Denn auch in Social Networks ist das Prinzip dasselbe: man digitalisiert sich selbst und präsentiert sich der Umwelt körperlos, als reine, selektierte, selbstkonstruierte Information. Der Körper und alles, was ein Körper nach sich zieht (reales Äußeres, körperliche Fertigkeiten, Gerüche etc.), werden zurückgelassen, werden wortwörtlich zu „Ab-fall“.

Thomas Herzig studierte in Wien Architektur, unter anderem bei Gustav Peichl. Inspiriert wurde er zu seinen Pneumocell-Konstruktionen von gotischen Bautraditionen, Bausystemen aus der Natur und natürlich aktuellen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Trends. Schon in der Gotik überlegte man, wie man beim Bau von Kathedralen Material einsparen könnte. Daraus entstanden Kreuzgewölbe, Spitzbögen und Gitter, die allein durch spezielle Ausformung stabil, belastbar, aber auch platzsparend waren. Diese Tradition verbindet Herzig in seiner Pneumocell-Architektur mit dem Ideal der natürlichen Körperzelle. Jede Pneumocell-Konstruktion besteht aus mehreren Zellen, die beliebig zusammengesetzt, herausgenommen und ersetzt werden können. Diese (meist hexagonalen) Bausteine bestehen aus einer durchsichtigen Kunststoffmembran, die über zirkulierende Luft unter ständigem Druck stehen. In Herzigs Projekten sind hauptsächlich Pavillons und pavillonartige Häuser zu sehen, aber auch Möbelstücke. Diese „Luftschlösser“ sind durch ihre große Belastbarkeit theoretisch tatsächlich bewohnbar, da sie eine konstante Raumtemperatur halten können, winddicht und schwer entflammbar sind. Bewohnte Objekte gibt es dennoch nicht, da sie auch den Nachteil haben, stets unter Druck stehen zu müssen, und durch ihre Transparenz ein dementsprechend neues Wohngefühl hervorrufen. Nichtsdestotrotz plant Herzig im Moment ein bewohnbares Haus (Skybase-Project), das mittels Seilen über einer Schlucht hängen soll. Erfolgreiche Projekte des Wiener Architekten waren oder sind unter anderem Zellkomplexe für den Wiener Life Ball, sowie zahlreiche Ausstellungspavillons.

 

pneumocell-pavillon

Pneumocell-Pavillon (Foto: http://www.openpr.de/news/220992/EVOLUTION-GmbH-uebernimmt-den-Deutschlandvertrieb-von-PNEUMOCELL.html)

Die pneumatische Architektur hatte bereits vor Thomas Herzig Tradition und blickt auf ein paar sehr bekannte architektonische Konstruktionen zurück. Die Vorteile dieser Bauweise liegen auf der Hand: Sie ist umweltfreundlich, kostengünstig, leicht zu transportieren und auszubessern. Pneumo-Architektur gibt es in vielen verschiedenen Facetten, wobei Herzig die Aufteilung in gleichmäßige Bauteile eigen ist. Wie bereits erwähnt, ist die natürliche Zelle das Vorbild für Herzigs Bauweise – auf diese Art vereint er ein hypermodernes Aussehen mit natürlichen gegebenen und historischen Formen. Wird technologischer Fortschritt oft als Utopie gesehen, so ist Herzigs Architektur als Fortschritt hin zum Rückschritt in Richtung Natur zu sehen, wobei Transzendenz (wortwörtlich) und Gemeinsinn erhalten bleiben star (* 11 ). Dieses Paradoxon zieht eine Ablösung von der Materie mit sich, die für unsere Zeit typisch ist, aber nie ganz vollendet werden kann, da stets ein Rest an Stofflichem übrig bleiben muss. Den Trend zur Entmaterialisierung sieht Herzig vor allem im High-Tech-Bereich: „Die ersten Computer waren groß wie Wohnzimmer, heute stecken wir iPhones mit einem Vielfachen der Rechenleistung in unsere Hosentaschen. […] Oder in der Musik: Wir kaufen keine CDs, sondern laden MP3-Dateien herunter. Wir ersetzen Materie durch Information. Was bleibt, ist die Idee und die Materie verschwindet.“ (Machek 2012: 68)star (* 12 )

Obwohl man den Trend von materieller Umwandlung in Information sehr gut beobachten kann, ist auch Pneumo-Architektur nicht fähig, Materie komplett zum Verschwinden zu bringen. Es bleibt die Frage, ob die Luftpavillons Materie tatsächlich ersetzen wollen oder diese eher nachahmen.

Um den Einsatz von pneumatischen Konstruktionen nicht als komplett utopisch darzustellen, sondern um auch deren Nützlichkeit und erstaunliche räumliche Wirkung zu zeigen, möchte ich hier noch zwei Beispiele für dauerhafte Pneumo-Konstruktionen einbringen:

Eden Project – Grimshaw and Partners: In Bodelva, Cornwall steht der größte Gewächshauskomplex der Welt. Dieser riesige Garten, der über 100.000, teils vom Aussterben bedrohte Pflanzensorten beherbergt, besteht aus mehreren, mit Luft betriebenen Kuppeln aus Folienkissen. Die Stabilität der Konstruktionen erlaubt die Nachahmung verschiedener Klimazonen und erhält für die Pflanzen gleichzeitig ein natürliches Flair. 2011 wurde der Garten von über einer Millionen Besuchern besichtigt.

eden

Eden Project (http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Eden_Project_geodesic_domes_panorama.jpg)

Amococo – Architects of Air: Das Luftlabyrinth, das in seinem Aufbau verschiedenste architektonische Stile nachahmt (unter anderem islamische und griechische Architektur und gotische Kathedralen), führt den Besucher über verschlungene Pfade durch sein Inneres. Der Komplex ist leicht abbaubar und wurde bereits auf vielen Messen präsentiert. Ziel der Architekten war es, den Besuchern über Lichtspiele im Labyrinth die Schönheit und Wirkung von Farben zu zeigen. Die Besucher konnten sich frei im Labyrinth bewegen oder sich hinlegen und die Farben auf sich wirken lassen.

amococo

Amococo (Foto: http://www.architects-of-air.com/luminaria/amococo.html)

Facebook Faces

Marlies Berger

Für meine künstlerische Referenz habe ich mir zwei Kunststudenten ausgesucht, die Facebook als Raum sehen und auf die Informationsflut und die Veröffentlichung von privaten Dingen aufmerksam machen wollen: Die Künstler Jonathan Pirnay und Jörn Röder verstehen Facebook als Kommunikationsportal und als einen leeren Raum, der gefüllt werden kann.

Facebook hat es geschafft, ein essentieller Part des grenzen-, häufig auch inhaltslosen Inputs zu werden, der täglich auf uns einstürzt. Diese Informationsflut, die unseren Raum (Umfeld, Soziale Netzwerke usw.) beherrscht, sehen die beiden Künstler als ihr Projekt, das sie auf künstlerische Weise umgesetzt haben. Sie verknüpften den Meta-Raum mit einem realen Raum, indem sie eine Tapete, bestehend aus unzähligen Facebook-Bildern produzierten. Die Künstler beschreiben ihre Assoziation mit der Tapete so: „Eine Tapete ist in einem Wohnraum allgegenwärtig.“ Irgendwann wird sie nicht mehr wahrgenommen – das kann man mit den Informationen, die in Facebook gepostet oder ausgetauscht werden gleichsetzen. Die Künstler haben mit 100.000 Profilbildern – jedes davon ist drei Zentimeter breit und keines kommt ein zweites Mal vor – die Wände eines Raums tapeziert. Diese große Anzahl an Profilbildern reicht für einen Raum mit 80 Quadratmetern. In Wirklichkeit gibt es keinen so großen Raum, der die ca. 700 Millionen Facebook-User fassen kann.

Die Künstler sprechen auch davon, dass sie einen Raum mit einer Bildüberflutung geschaffen haben, der sich verkleinert oder sogar verschwimmt, wenn man ihn von der Mitte aus betrachtet. Es verläuft alles zu einem Pixelhaufen zusammen. Aber wenn man einen Teil der Wand näher betrachtet, kann man genauere Details erkennen, doch die Bilder rundherum verschwimmen zu einer „Informationswolke“.

Die beiden Künstler beschreiben die Tapete auch als eine Art Illusion, denn auf einer Tapete sind oft Bilder abgebildet, die zum Beispiel eine Karibikinsel mit Palmen darstellen oder eine Blumenwiese, es geht also um eine Illusion. Das Facebook-Foto ist ebenso eine Art Wunschdenken, wie man sich gerne präsentieren möchte.

Ich habe mir diese künstlerische Referenz ausgesucht, weil mir das Projekt persönlich sehr gut gefallen hat. Pirnay und Röder sehen Facebook kritisch und wollen aufzeigen, dass man nicht alles preisgeben oder posten, sondern auch filtern und überdenken sollte, was wirklich von Bedeutung sein könnte.

Weiterführende Links:

Interview mit den Künstlern

Bilder von Facebook Faces

 

 

star

Elisabeth Schmirl über ihre Arbeit Squares. In: Salz – Zeitschrift für Literatur, 138. Heft (Jg. 35/11), Dezember 2009, S. 2.

star

Website der Campus Party: https://www.campus-party.eu/2012/index.html , abgerufen am 27.11.2012

star

Daniela Kuka (2012): The Social Quantified Self. Video. http://www.youtube.com/watch_popup?v=Pvr7HsR96jI#t=0m31s

star

Wunderling, Jens (2008): default to public. interventions in the field of digital self-exposure and physical privacy using the example of twitter. Online im Internet unter: http://www.defaulttopublic.net/ (20.11.2012)

star

Zettel, Claudia (2009): Zehn Facebook-Freunde sind einen Burger wert. Burger King belohnt das Eliminieren von Online-Bekanntschaften. Pressetext. Online im Internet unter: http://www.pressetext.com/news/20090112032 (25.02.2013)

star

Wang, Regina (2012): WATCH: Who Would You Unfriend on Facebook? Online im Internet unter: http://newsfeed.time.com/2012/11/19/watch-who-would-you-unfriend-on-facebook/ (23.02.2013)

star

Kimmel, Jimmy (2012): Hey Jimmy Kimmel, Meet My Best UnFriend. Online im Internet unter: https://www.youtube.com/watch?v=-ltzszPmE1w (25.02.2013)

star

Zuckriegl, Margit (2008): Die Rhetorik des Poetischen. Zur Bildsprache der frühen Fotografien von Nobuyoshi Araki. In: Museum der Moderne Salzburg (Hg.): Nobuyoshi Araki. Silent Wishes. Weitra: Verlag publication PN°1, S. 9 – 12.

star

Westlicht (2006): Nobuyoshi Araki: Diaries (Love by Leica). Online im Internet unter http://www.westlicht.com/index.php?id=nobuyoshiaraki (24.11.2012).

star

Brehm, Margit (2005): Die Melancholie des Körpers in der Stadt. In: Huslein-Arco, Agnes/ Museum der Moderne Salzburg (Hg.): Die sinnliche Linie. Klimt – Schmalix – Araki – Takano un der japanische Holzschnitt. Weitra: Verlag publication PN°1, S. 131-136.

star

vgl. Fraunholz,Uwe / Hänseroth, Thomas / Woschech, Anke: Hochmoderne Visionen und Utopien – Zur
Transzendenz technisierter Fortschrittserwartungen. Dresden 2012. 15.

star

Macheck, Alexander: Am Ende war das Wort. In: The Red Bulletin, 2012/9. 68.

periscope:project:space; Sterneckstraße 10, 5020 Salzburg; www.periscope.at

( 2013): Kunst & Social Media. Ausgewählte künstlerische Positionen zum Web 2.0. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/kunst-social-media/