Marktstrategie: Kunst!

Was macht den Zauber eines auf den Mythos von Stierhoden aufbauenden Energiegetränkes aus? Warum sind Werbeplakate, die eine küssende Nonne, einen sterbenden Aidskranken oder eine schreiendes Neugeborenes zeigen, weltweit bekannt und diskutiert? Und wie markieren Neuwagen, die nicht beim Autohändler ums Eck abgeholt, sondern in stylischen Erlebniswelten persönlich in Empfang genommen werden, eine – auf ihre KonkurrentInnen bezogene – eigene Klasse der Automobilbranche? Benetton, Red Bull oder Mercedes zeigen, wie Unternehmen am Markt „die Nase vorn“ haben – sie operieren mit (Markt-)Strategien, die ihren Ursprung in Gedanken, Experimenten und Werken von KünstlerInnen der (Post-)Moderne haben. Mit Blick auf öffentliche Wirksamkeit weisen erfolgreiche Marktkampagnen erstaunliche Parallelen zu Kunststrategien der (Post-)Moderne auf: die Abstraktion als Wegweiser für eine sinnstiftende, aber produktunabhängige Werbung; die in den 60er Jahren als Kritik am kollektiven Verdrängen entstandene künstlerische Strategie der Provokation als exampel par excellence für schockierende Werbekampagnen, die mit den Mitteln der Diffusion und Empörung erhöhte Aufmerksamkeit erzielen; das Happening als Vorbereiter einer erfolgreichen Eventkultur und Inszenierung von Produkterlebnissen; das u.a. von Andy Warhol und Joseph Beuys unter dem Gedanken der Partizipation entwickelte Multiple als Nährboden für Gimmicks, Goodies und Giveaways; die von Damien Hirst und Jeff Koons zur Perfektion stilisierte Ego-Performance als Entstehungsstätte einer marktbezogenen Starkultur und Einzug der Prominenz in die Marketing- und Werbelandschaft; und das der Kunst immanente Prinzip der Exklusivität als Wegweiser für Sonderkollektionen à la Karl Lagerfeld für H&M.

Anhand einer exemplarischen Gegenüberstellung von künstlerische Strategien und Praxen, die vor allem aus Diskursen über den (jeweiligen) Kunstbegriff entstanden sind, und erfolgreichen Vermarktungsstrategien von Konzernen aus Wirtschaft und Industrie untersucht Marktstrategie Kunst!, inwiefern künstlerischen Strategien als Prototypen erfolgreicher Werbetaktiken aufzufassen sind: Fünf Prinzipien, die vor allem in den letzten 50 Jahren virulent geworden sind, werden exemplarisch vorgestellt und analysiert und das Spannungsverhältnis von Kunst und Marketing wird in Hinblick auf folgende Fragestellungen erörtert: Sind Kunstschaffende als Pioniere der strategischen Vermarktung zu werten? Sind künstlerische Strategien als Prototypen erfolgreicher Werbetaktiken aufzufassen? Klaut das Marketing von Kunst? Oder verhält es sich vielleicht umgekehrt? Könnten nicht im Sinne eines perfekt getarnten Coups gerade Kunstschaffende deswegen die „besseren“ (und antizipativen) MarktstrategInnen sein, ganz einfach, weil sie ihr geschicktes Vermarktungsspiel als „Kunst“ deklarieren (können)?

1. Das Prinzip der Provokation …

Der Soziologe Rainer Paris spricht von Provokationen als „Initiativen des Neuaushandelns von Normalität“, die „Legitimität umverteilen und dadurch die Karten im Machtspiel neu mischen“ wollen (Paris 1998: 58).star (* 1 ) Doch „was, wenn die Provokation selbst zur Regel geworden ist, wenn sich alle Welt anschickt, mit einem Mainstream zu brechen, der sich stets selbst negiert?“ (Deissner 2008: o.S.)star (* 2 ) Dies fragt die Tageszeitung „Die Welt“ im April 2008 anlässlich des Bestsellererfolgs „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche und sieht – parallel zu zahlreichen Literaturrezensionen – den Erfolg des Buches weniger in seiner provokativen Thematik, sondern vielmehr in seiner geschickten Inszenierung als Provokation begründet. Dass das Buch zum Bestseller wurde, so „Die Welt“, verneine jedoch sein provokatives Potential, also eine Wirkung, die auf Veränderung abzielt, da der kommerzielle und enorme Erfolg zeige, dass Provokation keineswegs mehr eine Opposition zum Gegebenen, sondern vielmehr zum Status quo geworden ist: Denn nur der, der das (vermeintlich) Provokative als nicht provokativ empfindet (und zum Kauf schreitet), ist gesellschaftlich integriert. Ganz andere Reaktionen auf Tabubrüche erlebten die Wiener Aktionisten in den 60er Jahren, die damals für ihre – ebenso den Ekel thematisierenden – Kunstaktionen im Gefängnis landeten und Strafgelder zu zahlen hatten.

… in der Kunst der 60er Jahre: Die Wiener Aktionisten als Beispiel

Dass Provokation wesentlicher Bestandteil der Kunst sei, proklamierte bereits Adorno, der damit massiv die Kunstszene der Postmoderne beeinflusste. Vorbereitet durch den Futurismus waren die 60er Jahre Höhepunkt einer Kunstbewegung, die Provokation gezielt einsetzte, um – nach dem Zweiten Weltkrieg und im aufkommenden Wohlstand – gesellschaftliche Strukturen zu thematisieren und aufzubrechen. Als primär österreichische Kunstrichtung, die sich an Entwicklungen in den USA und Deutschland orientierte, ist der Wiener Aktionismus jedoch nur im Zusammenhang mit der historischen Situation der Nachkriegszeit in Österreich zu beurteilen. Nach dem Zweiten Weltkrieges, der Ambivalenz der Rolle des Opfers und des offensiven Akteurs einer nationalsozialistischen Ära, war die Atmosphäre der 50er Jahre von Wiederaufbau und Erneuerung einerseits, andererseits aber auch von Verdrängung und Totschweigen der vergangenen Geschehnisse geprägt. Peter Weibel, selbst Teilnehmer an zahlreichen Aktionen der Wiener Gruppe, wie etwa „Kunst und Revolution“ von 1969, sieht speziell in der künstlerischen Strategie der Provokation eine notwendige Gegenreaktion auf die damalige gesellschaftliche Grundstimmung (vgl. Weibel 2006: 35).star (* 3 )

Die Kunst, in ihrem Antrieb gegen eine historische „Opferlüge“ (ebenda)star (* 3 ) aufzubrechen, musste – so Weibel – eine Spiegelfunktion einnehmen, und in ihrer Kontroversität zu schmutzigen, ja ekelhaften Mitteln greifen. In erster Linie ist der Wiener Aktionismus also eine Reaktion auf normative Wertvorstellungen, ein Versuch gegen das Vergessen und Stillschweigen aufzubegehren: Geburt und Tod, Blut und Wein, Sexualität und Tabuisierung – mit universaler Thematik zielten die Wiener Aktionisten auf eine „Zertrümmerung des Tafelsbildes“ (Klocker 1989: 19)star (* 4 ), dessen Starrheit und In-sich-Geschlossenheit sie parallel zu den Tendenzen des gesellschaftlichen Einmauerns und Verdrängens der 60er Jahre bekämpften. In ihrer Suche nach Auflösung jeglicher Verdrängungsmechanismen ist es der Begriff der „Freiheit“, der sich als zentrales Postulat ihrer künstlerischen Programmatik durch alle Aktionen zieht. In Anlehnung an Sigmund Freud bestand für die Aktionisten Freiheit darin, „den unterdrückten Trieben zu folgen und die Kräfte des Unbewussten zu befreien“. (Ebenda)star (* 4 ) Die Durchbrechung alles Unbeweglichen und Statischen basiert auf einer ständigen Auseinandersetzung mit Bildwerten und der Suche nach Freisetzung von Prozessen und Performativität.

Als Aufstand gegen eine „konservative Verdrängungsgesellschaft“ (Weibel 2006: 35)star (* 3 ) wollen die KünstlerInnen in der Kunst eine Gegenposition zu einer als elitär und inhaltlich leer verstandenen gestischen, konstruktivistischen Abstraktion einnehmen, setzen dabei auf radikale, direkte, aber auch metaphorisch einzusetzende Trägermedien, universale kontrastierende Themenstellungen und das Mittel der Provokation und des Schocks.

… als Werbestrategie: Die Kampagne des Modekonzerns Benetton in den 80/90er Jahren

Dass speziell die Werbung seit jeher ihrer bekannten AIDA-Formel*1 *( 1 ) folgt und dem Gebot der Aufmerksamkeit unterliegt, ist Bestandteil der gesamten Werbegeschichte. Doch der Modekonzern Benetton ist sicherlich das prominenteste Beispiel für Provokation als strategisch eingesetztem Öffentlichkeitsmotor. 1984 startet die Kampagne unter der Leitung des Fotografen Oliviero Toscani. Anfänglich noch subtil produktbezogen – die erste Kampagne „All the colours of the world“ zeigt eine multikulturelle Gesellschaft, um den weltweiten Vertrieb der Marke (mit) zu kommunizieren – rückt das Produkt immer mehr in den Hintergrund. Toscani setzt vielmehr maßgeblich auf Gegensätze und Tabuthemen. Dass er dabei vor allem eine allgemeine – (fast) jeden betreffende – Thematik aufgreift, ist Strategie, um weltweit „eine global wirksame Marke aufzubauen – das bedeutet, dass die Bilder universale Themen behandeln mussten: Leben und Tod, Liebe und Hass, Krieg und Frieden, Religion, Umwelt“ (Mantle 2000: 197).star (* 5 )

Schwarz-Weiß, Mann-Frau, Arm-Reich – die Benetton-Plakate thematisieren eine Welt, die von Kontrasten und Gegensätzen bestimmt wird. Reizthemen, die bis dato dem Tabu der öffentlichen Thematisierung unterlagen, werden bewusst in Szene gesetzt und kontrastiv umgesetzt. Die Polarisierung wird oft mittels eines Farbkontrastes, der das Bild prägt (siehe Abbildung 9), visuell nochmals verstärkt. Nicht (nur) das Sujet ist Vorlage für Auseinandersetzung und Diskurs, sondern auch der Kontrast des Dargestellten.

Oliviero Toscani: Plakatkampagne Benetton (1991-1994)

Das Ziel seiner Werbekampagne bezeichnet Toscani als ein Antreten „gegen die Verdummung der Werbung“ , um zu zeigen „wie die Welt wirklich ist“ (Toscani 1996: 11).star (* 6 ) Höchsten ästhetischen Ansprüchen folgend setzt Toscani diese Strategie um, sodass seine Printkampagnen selbst zahlreiche künstlerische Auszeichnungen erhielten. Denn Toscani inszenierte seine Sujets bewusst nach ästhetischen Regeln, zitiert christliche Bildmotive und andere Topoi der Malerei. Er setzt einzig auf die Kraft des Bildes, verzichtet durch die nonverbale Darstellung nicht nur auf die üblichen platitüdenhaften Slogans, sondern auch auf eine Darstellung der beworbenen Produkte.

… als Parameter von Provokation in Kunst (60er) und Werbung (80er Jahre)

Vergleicht man die exemplarisch dargestellten VertreterInnen des Prinzips der Provokation – die Wiener AktionistInnen (60er Jahre) mit Benettons Werbekampagne (80er) – zeigen sich trotz der 20 Jahre Zeitunterschied signifikante Parallelen:

die universelle Thematik: Die beinahe gleiche Themenpalette wie Hermann Nitsch bzw. die Wiener Aktionisten verwendet Toscani für die Inszenierung der Produktwertewelt von Benetton: Universelle, existentielle Themen, die jeden/jede betreffen und in den Bereich des Mythischen hineinreichen.

die Kontrastierung/Polarisierung: Die aufgegriffenen Themen werden nicht geschlossen und singulär dargestellt, sondern verweisen stets auf einen übergeordneten, größeren Zusammenhang, der in seiner Polarität dargestellt wird: Tod im Zusammenhang mit Geburt, Sexualität in Verbindung mit Religion, Krankheit in Zusammenhang mit Familie.

die (Ent-)Tabuisierung: Sowohl die Kunst der 60er Jahre als auch Benettons Werbekampagne greifen stets Themen auf, die bisher dem gesellschaftlichen Tabu unterworfen waren.

die Definition eines gesellschaftlichen Feindbildes: In ihrem programmatischen Ansatz verweisen beide auf einen klar definierten Kontrapart. So wie sich die Aktionisten gegen eine Gesellschaft der Verleugnung und Verdrängung richten, proklamiert Toscani stets sein Ziel, dass seine Kampagne sich in erster Linie auf die Werbung selbst – und ihre „Scheinheiligkeit“ (Toscani 1996: 37)star (* 6 ) – beziehe.

die Beziehung zur Öffentlichkeit: Benettons Konzept ist primär auf die Reaktion einer breiten Öffentlichkeit ausgerichtet und kann auch nur über die Öffentlichkeit als zentralen Bestandteil funktionieren. Die Wiener Aktionisten (ebenso wie die FuturistInnen, DadaistInnen und AnhängerInnen der Fluxusbewegung) suchen ebenso den breiten öffentlichen Diskurs (z.B. die Wiener Universität) bzw. Raum für ihre Aktionen.

das Mittel der Diffusion: Dass gezielt Empörung, Unverständnis und Irritation ausgelöst werden, wird durch die oft überzogene, essenzierte Darstellung des Themas ersichtlich.

Im Aufgreifen universeller Themen können die Aktionisten ebenso wie Toscani auch als VorreiterInnen/VordenkerInnen jener Entwicklung angesehen werden, die Norbert Bolz als (markt-)strategische Notwendigkeit der „Mythisierung“ beschreibt. Denn sowohl das von Nitsch aus den Kunststrategien der Aktionisten entwickelte Orgien-Mysterien-Theater als auch die Plakate Benettons erreichten (nicht nur) unter ihrer Anhängerschaft regelrechten Kultstatus.

Heutzutage sind Provokation und Skandal weiterhin zentrale Elemente der aktuellen Kunst- und auch Werbewelt, jedoch eher mit dem Ziel, Aufmerksamkeit zu erregen als einen Werteumbruch zu erreichen. Denn im Gegensatz zum Kontext der Kunstszene der 60erJahre und zur Werbelandschaft der 80er Jahre fehlt für aktuelle Provokationen der Kontrapart des Unprovokativen, der Nährboden eines starren gesellschaftlichen Rahmens, der die Provokation per se verpönt. Der – in den Kunst- und Werbealltag integrierte Skandal – ist nicht mehr „Störung“, sondern „Ereignis“ und fungiert (nur mehr) als „ästhetische Distinktionsstrategie, als Conditio sine qua non“ (Eipeldauer 2006: 57)star (* 7 ) – mit einem einzigen Ziel: Aufsehen zu erregen. Heutzutage ist das Verletzen von Regeln selbst zur Regel erstarrtund Tabubrüche sind zum „fixen Inventar der Gesellschaft“ (Paris 1998: 26)star (* 1 ) geworden.

2. Das Prinzip der Inszenierung …

Die Inszenierung von Erlebnissen, die Emotionalisierung und Involvierung des Kunstpublikums sind jene Grundpfeiler, auf denen das Happening in den späten 50er/frühen 60er Jahren Einzug in die Kunst hält und maßgeblich Strömungen wie Performance Art, die Aktions-, aber auch die Medienkunst mitbestimmt. Die Konnektivität von Alltags- und Kunstwelt ist dabei wesentliches Postulat eines Kunstverständnisses, das Grenzen aufzuheben und neue Erfahrungsweisen zu vermitteln sucht. „Neue Erfahrungen“ versprechen ebenso sogenannte „Erlebniswelten“, die seit den späten 80er Jahren in der Industrie- und Wirtschaftswelt boomen. Christian Mikunda beschreibt diese Erlebniswelten als Plätze, „an denen sich die legitimen Marketinginteressen an Zusatzverkauf und langer Aufenthaltsdauer mit der Sehnsucht der Menschen nach halböffentlichen Räumen treffen. Es sind Orte, an denen man sich vorübergehend zu Hause fühlt und die emotional so stark sind, dass sie ihren Besuchern die Möglichkeit geben, sich emotional aufzuladen.“ (Mikunda 2002: 11)star (* 39 ) Exakt diese Intention einer emotionalen Aufladung ist zentral im Kunstverständnis Allan Kaprows verankert.

 … in der Kunst der 60er Jahre: Allan Kaprows Happening

Allan Kaprow ist Vorreiter einer Kunstgeneration, die in und seit den 60er Jahren Kunstrezipierende als aktiven Part ihres Kunstwerkes und -schaffens verstanden hat. „Be part of it“ lautet die Maxime seines Kunstverständnis, dessen Environments und Happenings darauf abzielen, dass das Publikum selbst zum Akteur, dass es „buchstäblich Teil des Werkes wird“ (Ursprung 2003: 41)star (* 8 ). Die Grenzen von Kunst und Alltag, von Kunst und Kunstbetrachtenden gilt es aufzuheben, Barrieren gegenüber der Kunst abzubauen und Kunst mit mehreren Sinnen erlebbar zu machen. 1959 veranstaltete Kaprow (erstmals) sein „18 Happenings in 6 parts“, das als erste Kunstaktion dieser Art in der Kunstgeschichte gilt. In der Einladung dazu heißt es: „Suchen Sie weder Gemälde, Skulpturen, Tanz oder Musik […] der Künstler hat keine Absicht, solche anzubieten. Er will vielmehr für anregende Situationen sorgen.“ (Ebenda: 81)star (* 8 )

Für Allan Kaprow existiert Kunst nicht losgelöst vom alltäglichen Leben, vielmehr intendiert er beides als Synthese miteinander zu verbinden. Ähnlich den Wiener Aktionisten versucht Kaprow – jedoch verstärkt mittels der unmittelbaren Beteiligung des Publikums – das Kunstwerk „radikal von der Objektfixiertheit und dem Vorrang des Visuellen, die mit dem Medium der Malerei zusammenhingen“ (ebenda: 84)star (* 8 ) zu lösen. Das Erlebnis (der und als Kunst) rückt in den Mittelpunkt, die synästhetische Erfahrung – sogar Gerüche baut Kaprow in seine Happenings ein – soll aktiv, durch eigenes Mitwirken erzielt werden.

In anderen Happenings – wie etwa „Household“ (1964) – gelten die stets gleichen Grundgedanken: Kunst soll als Bestandteil des Alltags konzipiert und ausgeführt werden, das Happening als „einmaliges Ereignis“ stattfinden, die Teilnehmenden sollen aus der „Lethargie des Alltags“ herausgeführt werden. „Imagination und Imitation“ sind wesentliche Elemente der Dramaturgie jedes Happenings, eine neue Art der Erlebnisfähigkeit soll vermittelt und entdeckt werden. (Ursprung 2003: 58)star (* 8 )

… in den Erlebniswelten globaler Markenkonzerne: Swaroski und Red Bull

Shoppingmalls, Erlebniswelten, Produktevents – der Boom des Inszenierens von Produkten als Erlebnissen beginnt in den späten 80er/frühen 90er Jahren und hat sich seither zu einem der zentralsten Elemente der Markenkommunikation entwickelt. Dem Eventmarketing zugeordnet, werden inszenierte Erlebnisszenarien geboten, die Sensibilität, Bekanntheit und Motivation für den Erwerb von Produkten und Dienstleistungen fördern sollen – und somit einen psychologischen Zusatznutzen liefern: Denn Produkte, Dienstleistungen und Unternehmen benötigen ein eigenes charakteristisches Profil, eine „Aura“, um im Wettbewerb ein differenziertes Charakteristikum entwickeln zu können. Aktionen mit Ereignischarakter und direkter Zielgruppenansprache schaffen die notwendigen Differenzierungsfaktoren, indem sie „emotionale Nutzenvorteile“ (Mikunda 2002: 13)star (* 39 ) begreifbar machen und damit Markenpersönlichkeiten prägen.

Mit den 1987 vom österreichischen Künstler (!) André Heller gestalteten „Swarowski Kristallwelten“ war das Unternehmen Swarowski eines der Ersten, das mit Emotionalisierungsstrategien auf Kundenbindung und Erlebnisinszenierung ihrer Produkte setzte: „Das Zauberwort heißt Kristall. Ein Rohstoff, dem schon die ältesten Kulturen eine magische, wohltätige und segensreiche Wirkung zuschrieben. Das faszinierende Material verwandelte die Welt der Mode und der Schönheit in ein verführerisch funkelndes Universum. Es inspirierte die Menschen und bereicherte die Kunst und Kultur. Heute ist Kristall zu einem Stück Verbindung zwischen den Menschen geworden. Und ein Licht der Freude, das wir an Sie weitergeben möchten.“ (Swarowski-Website 2008, Seite Einkaufserlebnis)star (* 9 )

Swarowski Kristallwelten

Die Swarowski Einkaufswelten inszenieren ein Erlebnis des Staunens, über das die KundInnen emotionalisiert, und zum Kauf der – im anschließenden Schauraum ausgestellten – Produkte angeregt werden: „Sie [Anm.: Die BesucherInnen] feiern Spannungen ab, indem man dort (dann) Kleinigkeiten kauft, die man nicht wirklich braucht, die aber zur Entlastung des Alltags beitragen“. Diese „sinnlich-aufgeladene künstliche Welt“ wird ein „temporärer Lebensraum“, in dem der/die KonsumentIn in eine „Rolle schlüpfen kann“, die es ihm/ihr ermöglicht „das Besondere, das Extravagante zu erleben, das, was einem im Alltag nicht zugänglich ist“. Swarowski stimuliert aktiv die Erwartungen der BesucherInnen, erweckt ihr Begehren, indem der Einkauf als Erlebnis inszeniert und zu einem Spiel von Spannung und Entspannung eingeladen wird: „Hinter jedem Ort des Begehrens steckt das Spiel von Spannung und Entspannung […]. Man begehrt immer dann, wenn man versucht, am Ende eines Weges etwas zu bekommen, was emotional die Erwartungen befriedigt.“ (Mikunda 2001: 112)star (* 39 )

Mit dem Slogan „Willkommen in meiner Welt – der Welt von Redbull“ führt auch Red Bull seit den späten 80er Jahren vor, wie ein Produkt mit Erlebnisfunktionen ausgestattet und aufgeladen werden kann: Nicht nur, dass das Produkt selbst durch subversive Fragestellungen nach dem (vermeintlichen) Tauringehalt des Energiegetränkes mit der Aura des Geheimnisvollen ausgestattet wird, wird in Folge eine eigene Erlebniswelt rund um das Produkt geschaffen. So tritt Red Bull als aktiver und stark präsenter Sponsorpartner bei fast allen Veranstaltungen im Bereich des Extremsports (IronMan, Basejumping, Wildwasserkajaken …), die Erlebnisse auf höchster Emotionalität versprechen, auf und avanciert damit zu einem der bekanntesten Sponsor im deutschsprachigen Raum. Mit eigenen Veranstaltungen wie etwa den Red Bull Flugtagen setzt das Unternehmen gleichzeitig selbst aktiv auf inszenierte Produktwelten, die höchste Erregung und Attraktion bieten. Red Bull dürfte dabei Kaprows Ausspruch „In der Zukunft werden vielleicht Plätze entwickelt, die sich an Spielen und Sportkämpfen orientieren“ (Kaprow 2003: 868)star (* 10 ) mehr als wörtlich genommen haben. Ebenso dürfte der Slogan für das 2011 gelaunchte Red Bull Mobile „Be part of it“ direkt der Kaprowschen Ideenschule entsprungen sein.

… als Parameter inszenierter Welten

Sowohl Kaprows Happenings als auch Erlebniswelten à la Red Bull oder Swarowski zeichnen sich durch folgende Merkmale aus:

Aufbau einer Parallelwelt: Red Bull spricht von seiner „eigenen Welt“, Swarowski von seiner „Kristallwelt“, Kaprow von „Environments“, die die Grenze von Kunst und Alltag aufzuheben suchen.

Zustand der Emotionalität: Mit Musik, Gerüchen und Tanz versucht Kaprow die Teilnehmenden – durch aktive Teilnahme – in einen Zustand höchster Aufmerksamkeit und Emotionalität zu versetzen, mit Spannung, Action und Tempo agiert vergleichsweise Red Bull.

thematische Inszenierung: Kaprow setzt in seinen Happenings auf Themeninszenierungen wie etwa geschlechterspezifische Rollenverhältnisse oder Kunst als Bestandteil des Alltags. Red Bull inszeniert das Thema des “Erlebnisses“ selbst und Swarowski das Thema des „Staunens“.

das Erlebnis der Einmaligkeit: Ist Kaprows Prämisse, keine Dokumentationen seiner Happenings zu gestatten, um den prozesshaften und einmaligen Charakter seiner Aufführungen zu betonen, setzen Welten à la Swarowski verstärkt auf die Exklusivität des „Dabei-Seins“, die Red-Bull-Tage werden zwar umfassend dokumentiert, aber gerade dadurch als einmaliges Erlebnis vermarktet.

Imagination und Illusion: Momente des Staunens, der Erregung und der Faszination sind zentraler Bestandteil von inszenierten Welten: Die Teilnehmenden werden in Rollen versetzt, die es ihnen ermöglichen, Emotionen abseits des Alltags auszuprobieren, auszuleben und abzuspannen.

Dass „die Trennung zwischen Kunst und Leben so fließend und vielleicht auch so uneindeutig wie möglich gehalten werden sollte“ (Kaprow 2003: 864)star (*10) war zentrales Postulat der Kaprowschen Kunstheorie. Dass Produktnutzen und Freizeitgestaltung ineinander übergehen, könnte als Maxime von Erlebniswelten formuliert werden.

3. Das Prinzip der Multiplikation …

Kleine Aufmerksamkeiten erhalten die Freundschaft und binden KundInnen nachhaltig an „ihre“ Produkte: Die Werbemittelbranche erlebt ab den frühen Neunzigern einen Boom, der bis heute anhält und den Umsatz von 2,5 Milliarden Euro im Jahr 1991 auf fast 7 Milliarden im Jahr 2006 anstiegen lässt. Dabei erzielt vor allem die Filmindustrie mit Fanartikeln Rekordumsätze.

In der Kunstwelt hat Joseph Beuys sogenannte „Multiples“ als Massenware editiert und damit einem eigenen Kunstmarktsektor zur Etablierung verholfen. Wollte Beuys mit seinen Multiples eine „Erinnerungsstütze“ (Schellmann 1997: 17)star (* 12 ) bieten, sprechen (Direct-)Marketingfachleute von „Markenerinnerung“ (GWW 2005: o.S.)star (* 11 ). Doch welcher Unterschied besteht zwischen Auflagenkunst von Giveaways, Gimmicks und Merchandising bzw. gibt es einen solchen überhaupt? Was ist von Beuys´ ambitioniertem Postulat „Ideen zu verbreiten“ (Schellmann 1997: 21)star (* 12 ) geblieben?

… in der Kunst der 70er Jahre: Die Multiples des Joseph Beuys

Als „Mittel zur Demokratisierung der Kultur“ (GWW 2005, o.S.)star (* 11 ) und als „physisches Vehikel zur Verbreitung von Ideen“ (Schellmann 1997: 21) star (* 12 )hält das Multiple – aufbauend auf Duchamp, Andy Warhol und auch die Fluxus-Bewegung – Mitte der 70er Jahre seinen Einzug in die Kunst. Joseph Beuys hat das Multiple als komplexes System in sein künstlerisches Schaffen integriert – insgesamt schuf er 557 verschiedene Multiples*2 *( 2 ) – und sich darauf verstanden, dieses als Mittel einer effizienten und breitenwirksamen Öffentlichkeitsarbeit einzusetzen: „Sehen Sie, alle die Leute, die so ein Objekt haben, werden sich weiterhin dafür interessieren, was an dem Ausgangspunkt, von dem die Vehikel ausgelaufen sind, sich weiter entwickelt, sie werden immer wieder beobachten, was macht derjenige jetzt, der die Dinge produziert hat.“ (Schellmann 1997: 18)star (*12)

Beuys weiß das Multiple bewusst als „Antenne“ einzusetzen, um Interesse für seine Arbeiten, Kunstwerke und Gedanken zu wecken, diese öffentlich zirkulieren zu lassen, um mit seinem Publikum „in Verbindung zu bleiben“ (ebenda).star (* 12 ) Zwar legt Beuys Wert darauf, die Multiples generell als eigene künstlerische Kreationen anzulegen, jedoch sind diese – selbst die so genannten „Neuschöpfungen“ der Beuys´schen Multipleschmiede – inhaltlich und materiell stark mit seinem Gesamtwerk verbunden. Sie sind Ausdruck seines kunst-gesellschaftlich-politischen Anliegens und kommen u.a. als Postkarten aus Filz, Miniaturschlitten mit Wolldecke, Plastiktüten, Tafelreiniger aus Filz oder kleine Zeichnungen von Elch und Hase auf den Markt:

Dass Kunst nicht Selbstzweck sondern Mittel zur Kommunikation, ein Vehikel zur Verbreitung von Ideen ist, hat Beuys immer wieder proklamiert. So sieht er auch das Multiple als „Lebensprinzip der Dinge“ an, das in den gesellschaftlichen Kreislauf eingeführt wird und die Kunst aus ihrer „musealen Erstarrung“ befreit. Das Objekt der Vermittlung multipliziert sich je nach Auflage als (materialisiertes) Gedankengut: „Ich bin interessiert an der Verbreitung von physischen Vehikeln in der Form von Editionen, weil ich an der Verbreitung von Ideen interessiert bin.“ (Schellmann 1997: 22)star (*12)

… als (kommerzielle) Marktstrategie: Die Merchandising-Maschinerie von „Star Wars“ (in den späten 70ern)

Als einer der erfolgreichsten Pioniere der Marktstrategie “Kundenbindung durch Merchandising“ kann Coca Cola angesehen werden. Das Unternehmen hat es bereits in den 70er Jahren geschafft, ihre Zusatzartikeln (wie Blechschilder, Spielzeugtrucks, Gebrauchsdosen …) mit Kultstatus aufzuladen. Ganze Sammlerbörsen und -clubs haben sich in fast allen Ländern der Welt formiert und tauschen auch heute noch eifrig „Kultobjekte“ aus. Doch vor allem in der Film- und Unterhaltungsbranche hat sich seit den späten 70er Jahren mit dem Vertrieb von (günstigen) Merchandisingsartikeln bzw. Fanartikeln ein eigener Verkaufs- bzw. Unternehmenszweig etabliert.

Star Wars gilt als erster Film, der bewusst die Marketingstrategie des Merchandisings einsetzt und damit mehr Umsatz als mit den Filmeinnahmen erzielt. 1977 verzichtet George Lucas gänzlich auf die Gage für seinen ersten Star-Wars-Films, um sich stattdessen die Rechte für eine geplante Merchandising-Produktion zu sichern – eine weise Entscheidung, „denn schon bald soll sich das, was man bisher als ‚Nebengeschäft‘ betrachtet hat, als weit profitabler erweisen als das Filmbusiness selbst“ (Knigge 2002: o.S.).star (* 14 ) 7,5 Milliarden Dollar sind alleine bis 2002 durch des Star Wars-Merchandising umgesetzt worden. So gibt es heute kaum ein Produkt, das nicht im Star Wars-Design erhältlich ist: Neben den klassischen Actionfiguren (inkl. Magazinen mit den passenden Geschichten und Hintergrundinformationen) gibt es Bettzeug, Laserschwerter mit integrierten Neonröhren und echtem Klingenkreuzersound, Star Wars-Computerspiele, Star Wars-Lego-Spielzeug und Computerspiele sowie Hundefutter und Frühstücksflocken.

Bereits zu Filmstart von „Krieg der Sterne“ (1977) wurden gemeinsam mit dem US-Spielzeugproduzent Kenner Actionfiguren zum Verkauf angeboten, die jedoch nach kürzester Zeit – und zum Weihnachtsgeschäft – die Nachfrage nicht mehr decken konnten. Daher schickte Kenner den Spielwarenläden Pappdisplays mit Bestellformularen, die als Optionsscheine dienten: Die Fans durften diesen Zettel ausfüllen und bekamen statt des Spielzeugs eine Kaufoption auf die gewünschte Figur zugesichert. Diese „aus der Not geborene Kenner-Aktion fachte die Star-Wars-Manie noch weiter an und gilt heute als einer der dreistesten Marketingcoups aller Zeiten“ (Hillenbrand 2005: o.S.).star (* 15 ) Gab es zu den drei ersten Episoden insgesamt 103 verschiedene Action-Figuren, die als Merchandisingartikel angeboten wurden, waren zum Start von „Episode 3“(2005) 45.454 offiziell lizenzierte Star Wars-Produkte erhältlich. Dabei zieht der Erfolg der Merchandising-Maschinerie weite – und einnahmensstarke – Kreise: So zahlt eine Fastfood-Kette „astronomische Summen“ für die Nutzungsrechte an den Star Wars-Figuren und Pepsi-Cola war es 2,5 Milliarden Dollar wert, „Luke Skywalker und Darth Vader weltweit auf seinen Softdrink-Dosen drucken“ zu dürfen. (Knigge 2002: o.S.)star (* 14 )

… und ihre Parameter in Kunst und Marketing

Bei Beuys zeichnet sich das Multiple dadurch aus, dass es in erhöhter – wenn auch limitierter (siehe dazu: das Prinzip der Exklusivität) – Auflage produziert und seriell hergestellt wird. So wird der Kreis potentieller KunstrezipientInnen und KunstkäuferInnen massiv erweitert. Mit dem Erwerb wurde nicht nur ideell sondern auch materiell Anteil an einem weitaus größeren Werk bzw. Gedanken (wie z.B. einer Auffassung von Kunst) genommen. Beuys erkannte darüber hinaus jedoch (wohl als Erster der Kunstgeschichte bzw. dem Zeitgeist entsprechend), dass der Reiz am Erwerb eines Auflagenobjektes vor allem auch darin besteht, dass das Multiple für sich ebenso einen Wert für den/die KäuferIn bzw. KunstliebhaberIn darstellen muss, um so dem – am Kunstmarkt auch nach und trotz und mit Duchamp noch immer gängigen – Wunsch nach Originalität gerecht zu werden. In seiner steten Betonung, dass das Multiple „als eigenständiges Kunstwerk“ (Schellmann 1997: 24)star (* 12 ) aufzufassen sei, dieses aber gleichzeitig mit einer übergeordneten Botschaft an der gedanklichen Anteilnahme an seinen gesellschaftlich-künstlerischen Auffassungen verknüpft war, wurde Beuys trotz serieller Herstellung dem Wunsch nach Originalität gerecht. Das Multiple fußt dabei in Format und Funktionsweise auf einem Kunstverständnis, das auf die Zirkulation von Ideen setzt, bzw. das als gesellschaftlich-politische Auffassung verdeutlicht werden soll.

Analog zum Multiple, das eine Verbindung zu Beuys‘ Kunst schafft, wird ein Werbe-/Merchandisingartikel eingesetzt, um einen „optimalerweise dauerhaften Kontakt des Empfängers zur aufgedruckten Werbebotschaft beziehungsweise zu der dahinter stehenden Marke“ (Wikipedia 2008: o.S.) – und zu dem jeweiligen Unternehmen – herzustellen: Die Bindung zum Kunden (wie auch zum Kunstfreund) wird erhöht, die Bekanntheit der beworbenen Marke wird über eine massenhafte Verbreitung gesteigert. Wenn das Merchandising zusätzlich als eigenständiges Produkt funktioniert und es diesem Kult- bzw. Sammlerstatus erlangt, dann bekommt die damit verbundene Marke einen Mehrwert, der vor allem auf die Emotionalisierung durch das Merchandising zurückzuführen ist.

4. Das „Star-Prinzip“ …

Der Begriff „Superstar“ bezeichnet eine Person, die öffentlicher Präsenz und Aufmerksamkeit erlangt, und dabei vor allem auch künstlich konstruiert bzw. als Marke konzipiert ist: Superstars sind Prominente bzw. werden als solche ausgewiesen, die analog einer Marke Orientierung, Anker und Identitätsmuster bieten. Leonardo da Vinci, Rembrandt oder Salvador Dali haben es zwar bereits – vereinzelt – verstanden, ihre eigene Persönlichkeit geschickt in Szene zu setzen, die Perfektionierung des Personenkults und die Etablierung der eigenen Person als einer eigenen Marke hat jedoch vor allem mit und durch Andy Warhol Spuren in der Kunst gezogen: „ Andy Warhol war der erste Künstler, der es schaffte, den Glanz, der von den Helden der Filmleinwand ausging, in das System der Kunst zu übertragen.“ (Kunsthalle Wien et al. 2005: 13)star (* 41 )  Die Werbeagentur Saatchi & Saatchi hat jedoch am eindrucksvollsten (und kommerziell erfolgreichsten) mit der Entwicklung des Labels „YBA“ („Young British Artists“) bewiesen, wie das Prinzip des Starkults auf die Kunstwelt übertragen, aber auch in ihrem Sinne adaptiert und erweitert werden kann.

… als universell einsetzbare Markenstrategie

In der Fachliteratur werden neben den Merkmalen Qualitätsgarantie, Ubiquität (Bekanntheitsgrad und Verfügbarkeit) sowie Kontinuität vor allem wirkungs- und funktionsbezogene Merkmale als Erfolgsfaktoren für die Etablierung einer Marke angegeben, die analog für das Starprinzip gelten: In der Markenbildung ist die Etablierung eines kollektiven Vorstellungsbildes wesentlich, das mit konkreten Attributen verbunden ist und so als „kollektives, kognitiv abgespeichertes Vorstellungsbild einer Gesellschaft oder Zielgruppe“ (Cacic 2007: o.S.) star (* 18 ) Orientierung in der Marken- als auch der individuellen Zuordnung schafft. Erfolgreiche Marken sind dabei mit Attributen ausgestattet, die erst durch die Entschlüsselung des/der KonsumentIn Bedeutung erlangen. Das Produkt tritt in ein Spiel mit dem/der RezipientIn ein. Die Codierung der Marke muss sich innerhalb des Bereichs von allgemein und individuell entschlüsselbar bewegen und somit kulturelle gängige und gleichzeitig individuell interpretierbare Ordnungsmuster bereitstellen. Um langfristig eine Marke halten zu können, muss das unter einer Marke angebotene (Produkt-)Portfolio dann kontinuierlich ausgebaut und angepasst werden: Bei dieser Imageadaptierung gilt zu beachten, dass die/ der KonsumentIn das erhält, was sie/er erwartet, aber durch einen zusätzlichen Bereich an Ungewissem und Neuem in Begehren versetzt und gehalten wird.

Analog einem Markenimage wird auch im Starkonstrukt ein mentales und emotionsbeladenes Konstrukt geschaffen, ein Vorstellungsbild etabliert, das durch Informationen und Bildtransfer in der Rezeption zu einem Image zusammenfügt wird. Der/die RezipientIn selektiert, filtert die ihm/ihr angebotenen Botschaften und verdichtet diese durch emotionale Reaktionen, indem er/sie auch seine/ihre eigene Erfahrung und vor allem seinen/ihren kulturellen Kontext zur Projektion heranzieht. Zumeist werden dabei bereits bekannte Bildvorlagen reproduziert: Bilder und Darstellungen, die bereits in der allgemeinen Wahrnehmung zirkulieren, werden aufgegriffen und – oft auch auf ästhetisch hohem Niveau – adaptiert, ironisiert oder stilisiert.

Zum Aufbau einer Person als Marke sind natürlich auch die geschickte Einbeziehung von Öffentlichkeit und Medien sowie die Nutzung kommunikativer Tools erforderlich. Jedes (Super-)Starsystem benötigt eine umfassende mediale Maschinerie, die geschickt jene Öffentlichkeiten mit Informationen und Geschichten rund um den Star versorgt, für deren Bedürfnisse und Sehnsüchte diese abgestimmt und konzipiert sind. Ein wesentlicher Bestandteil des medialen Starkonstrukttransfers ist dabei, dass „die Neugier auf die wahre Persönlichkeit des Stars nie befriedigt wird – weil sie weder befriedigt werden soll noch befriedigt werden kann.“Vielmehr ist gerade diese Nicht-Erfüllen des Begehrens zentral mit dem öffentlichen Transfer undder Notwendigkeit von medialer Aufmerksamkeit verbunden, „das Image soll weder zu eigentümlich noch zu allgemein, weder zu abseitig noch zu banal sein, damit der Star sowohl als Projektionsfläche für Wünsche zu dienen vermag als auch die Identifikation mit ihm möglich bleibt.“ Die Enthüllungen über den Star als Menschen sind deswegen stets sowohl sensationell als auch Bestätigungen der bedienten Klischees. So bleibt „im Spiel von Oberfläche und »Tiefe«, von photographischem Bild und kalkuliertem Persönlichkeitsbild, der Star eine undurchdringliche Erscheinung, geheimnisvoll und auratisch wie sein klingender Name.“ (Lüthy 1995: o.S.)star (* 19 )

… in der Kunst: Die Young British Artist bzw. Jeff Koons als example par excellance

Vermarktet von der Werbeagentur Saatchi & Saatchi sind es vor allem die „Young British Artists“, die am prägnantesten vorführen, dass „Superstars wie Markenzeichen funktionieren, die dem Publikum ein besonderes Erlebnis versprechen“ (Kunsthalle Wien et al. 2005: 14):star (* 41 ) wo Hirst, da Schock (und Rekorde), wo Koons, da Kitsch, wo Emin, da Skandal. Jeff Koons, Damien Hirst oder Tracey Emin überzeugen zwar sicherlich (auch) durch ihre künstlerischen Arbeiten, eine (breite) öffentliche Wahrnehmung erreichen sie jedoch vor allem durch eine geschickte Inszenierung ihrer eigenen Person oft auch in Kombination mit dem Mittel der Provokation.

Wie die Superstars aus Politik, Sport oder Kultur übernehmen die Young British Artists als sogenannte „taste leader“ die „Rolle des Volkserziehers in der Kultur der Aufmerksamkeit“ , denn „Stars werden nicht – jedenfalls nicht nur – angehimmelt, weil die Leute Lust am Anhimmeln hätten, sondern weil sie sehen und lernen möchten, wie man es macht zu glänzen.“ (Franck 1998: 169)star (* 20 )

Jeff Koons hat auf perfekte Weise verstanden, dieses Leitpotential an Aufmerksamkeit auszuschöpfen: Zwischen Kunst und Kitsch, zwischen Kommerz und Ästhetik bewegt sich der Künstler, der – in Anlehnung an Duchamp – die Frage, was Kunst sei, zu (seiner) Kunst erklärt. Indem er Kitsch bzw. das, was bis dato als Kitsch gegolten hat, zur „Kunst“ aufwertet, etabliert er sich selbst als Leitfigur zur Beantwortung der von ihm gestellten Frage. Norbert Bolz kommentiert diesen Schachzug folgendermaßen: „Und genau hier steht Jeff Koons. Er ist die Inkarnation des Kult-Marketings. Koons hat wichtige Grundregeln unserer postmodernen Welt erkannt und zum Prinzip seiner Ästhetik erhoben. Zentral steht die Einsicht, dass Leistung keine Aufmerksamkeit mehr erzeugt; deshalb muss jede ästhetische Produktion als kultische Selbstinszenierung des Künstlers angelegt sein. Ein Werk könnte da nur ablenken. Und hier ist Jeff Koons in der Tat noch ein Schritt über die Position Andy Warhols hinaus gelungen: Publizität und Prominenz sind die Brennpunkte, um die er die Ellipse seiner Kunst konstruiert. Der Kult um den Künstler ist selbst sein einziges Werk.“ (Bolz 2003: o.S.)star (*21)

Jeff Koons kopiert direkt Duchamps Strategie des Ready-made, als er 1981 Staubsauger hinter Glasvitrinen ausstellt. Doch erst in Kombination mit seiner eigenen Person bzw. der Inszenierung seiner eigenen Persönlichkeit lädt Koons seine Arbeiten mit Topoi auf, die ihn selbst als inszenierte Marke „auszeichnen“: Reinheit und Sauberkeit als Phallus- und Vulvasymbolik. Die ausgestellten Staubsauger werden erst im Kontext der Persönlichkeit von Koons – und seines schillernden Privatlebens – zu künstlerischen Werken. Koons setzt zwar in seinen Werken auf eine bewusst provokative (Bild-)Sprache, aber erst in Kombination mit seinem – öffentlich zur Schau gestellten – Privatleben, erhält diese Bildsprache ihren Gehalt – „sein Name steht nicht mehr für ein ästhetisches Subjekt, sondern strahlt als Markenzeichen – Koons ist ein Logo.“ (Ebenda)star (* 21 ) Koons schafft es wie kaum ein anderer Künstler mit seinen Inszenierungen und seinen Werken exakt den Zeitgeist zu treffen. Er weiß geschickt die Retro-Nostalgiewelle für sich zu nutzen, antwortet dem Zeitgefühl der Überforderung mit Infantilismus, und dem Wunsch nach Unterhaltung mit Szenarien aus seinem Privatleben. So betreibt er auch aktiv Selbstbewerbung – mal im Bademantel, mal als smarter Kunsterzieher – auf doppelseitigen Anzeigen in Magazinen oder in Form von in Muranoglas gegossenen Liebesspielen mit seiner damaligen Frau, der italienischen Pornodarstellerin Cicciolina. Koons ist wandelbar – ohne dabei seine Markenidentität aufzugeben, vielmehr passt er sie vorausschauend dem jeweiligen Zeitgeist an: „Es ist nur wichtig, dass eine Arbeit so chamäleonartig wie möglich ist, damit sich so viele Menschen wie möglich sich (sic!) in ihr wieder finden können.“ (von Taube 2007: o.S.)star (* 22 )

… und wo bleibt die „Kunst“? Svetlana Heger als ein Beispiel

Dass das Verhältnis „Das Marketing klaut von der Kunst“ in Bezug auf das Star-Prinzip revidiert und in ein „Die Kunst klaut vom Marketing“ umformuliert werden müsste, verneint (exemplarisch) die Künstlerin Svetlana Heger, die die Frage nach dem Umgang von künstlerischer und ökonomischer Identität in Aneignung aber gleichzeitiger Dekonstruktion des Prominenz- bzw. Starprinzips zu lösen, weiter zu entwickeln bzw. umzusetzen sucht. So lotet die tschechische Konzeptkünstlerin in ihren Projekten die Interaktionsmechanismen von Wirtschafts- und Kunstsystemen aus, agiert selbst jedoch als offensichtlich ökonomisches Subjekt: In ihrem Projekt “Playtime“ befasst sie sich z.B. mit Marketingstrategien der Luxusgüterindustrie, die den Absatz ihrer Produkte durch die Erschaffung einer markenspezifischen Aura erhöhen. Sie bildet das glamouröse Image der jeweiligen Marke bis ins kleinste Detail nach und lässt sich von renommierten Fotografen wie Ali Kepenek und Ralph Mecke ablichten. Die dabei entstandenen Fotografien lesen sich wie eine Fashion-Strecke, in der Svetlana Heger jeweils „eine Symbiose mit der Markenidentität, der Inszenierung des Fotografen und ihrer eigenen Rolle als Künstlerin“ eingeht. Sie stellt ihren Körper bzw. ihre künstlerische Persönlichkeit als Materie als Werbefläche zur Verfügung, um mit den Unternehmen einen Warentausch zu vollziehen. Sie macht sich selbst „zum Logo eines Produktes“ , indem sie ihr „im Kunstsystem bereits erworbenes Image als Künstlerin als Werbeträger einsetzt“. (Artfacts 2006: o.S.)star (* 23 )

Im Gegensatz zu den YBAs fungiert sie transparent als ökonomisches Markenprodukt. Sie benutzt ihr eigenes Künstlerinnenimage Firmen gegen Honorar zur Verfügung zu stellen . So agiert Heger komplementär bzw. schafft sie (sich) ihre eigene Reziprozität von Kunst, Künstlerin und Wirtschaft. Sie hebt damit die Grenze zwischen den Systemen Kunst und Wirtschaft auf, „macht damit die Wechselwirkungen von Wirtschaft und Kunst zum Gegenstand der Kunst nicht indem sie sie illustriert oder kommentiert, sondern indem sie sie praktiziert.“ (Krieger 2007: 177)star (* 24 ) Die Vermarktung der Künstlerin ist das Produkt bzw. die künstlerische Arbeit. Und gerade dadurch reflektiert sie das Verhältnis von Kunst und Wirtschaft (auch) kritisch, wenn sie in transparenter Schärfe sich selbst als Individuum – wie ein Massenprodukt inszeniert.

5. Das Prinzip der Exklusivität …

Fragen nach Original und Kopie, nach Authentizität und Reproduzierbarkeit bestimmen, nicht erst seit Walter Benjamin, Kunstdiskurse in Theorie und Praxis. Denn Exklusivität zeichnet sich (nicht nur) durch Limitation, sondern vor allem durch ein damit verbundenes Prestige aus, das auf Anerkennung und Erhöhung zielt. Exakt diese Wirkungsstrukturen von Exklusivität – in Kombination mit den Prinzipien der Prominenz und der Multiplikation –macht sich, wiederum beispielhaft, ein Konzern wie H&M zunutze, wenn er den (vorerst) symbolischen Wert einer Ware künstlich in die Höhe treibt, indem nur begrenzte Stückzahlen auf den Markt gebracht werden.

… als Grundprinzip der Kunst(geschichte)

Das Prinzip der Exklusivität und der damit verbundene Wunsch nach Originalität ist so alt wie die Kunstgeschichte selbst: Denn die Knappheit des Angebots ist vor allem historisch betrachtet primär durch die mit dem Herstellungsvorgang verbundene Einmaligkeit des Werkes begründet. Jedoch ist die daraus abgeleitete (bewusste) Reduktion des Angebots ebenso Bestand der Kunstgeschichte und damit Marketingtaktik seit ihren Anfängen: „Denn durch Verknappung wird ein ohnehin interessantes Werk noch interessanter.“ (Blomberg 2005: 139)star (* 25 )

Der Exklusivitätsanspruch bleibt – im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit – nach wie vor aufrecht, sodass GaleristInnen und KünstlerInnen „Kopien“, also weitere zum Verkauf freigegebene Exemplare von z.B. Videoarbeiten oder Fotografien bewusst vom Markt zurückhalten, um langfristig höhere Preise erzielen zu können. Speziell im Bereich der Fotografie und Videokunst ist die Limitierung von Auflagen (bzw. nachträgliche Vernichtung von Filmkopien/Abzügen ) state of the art, um durch bewusste Verknappung des Angebots eine „enorme Preissteigerung“ zu erzielen. (ebenda: 115f.)star (* 25 )

Dass – wie Katja Bloomberg in ihrer Publikation „Wie Kunstwerte entstehen“ detailliert analysiert ganze Sammlungen zeitgenössischer Kunst in Depots ruhen, um „wohl verpackt wie junge Champagner noch vor sich hinzureifen, um langsam an Wert zu gewinnen“ (ebenda: 116),star (* 25 ) ist ebenso nur als Weiterentwicklung des Originalitätsanspruchs zu interpretieren.

… in der Warenwelt: Sonderkollektionen à la H&M

Auch das Modehaus H&M setzt seit 2004 auf das Prinzip der Exklusivität (in Kombination mit dem Faktor der Prominenz) und lässt Designer wie Karl Lagerfeld oder Stella McCartney eine eigene (und limitierte) Kollektion entwerfen. Teile der Karl Lagerfeld-Edition waren bereits um elf Uhr des Eröffnungstages ausverkauft (vgl. Justus 2004: o.S.)star (* 26 ) und brachten H&M eine Umsatzsteigerung von über 20 Prozent (vgl. Wirtschaftswoche 2004: o.S.).star (* 27 ) Dass der Wert eines exklusiven Warenteils gesteigert wird – und wie ein knappes Güterangebot den Preis in die Höhe treibt – ist dabei Marktkalkül: So waren die begehrten Stücke bereits wenige Wochen danach als „Kleidungstücke mit Kultstatus“ um ein „Vielfaches des Ladenpreises“ bei ebay zu ersteigern (Kröger 2004: o.S.).star (*28)

Bereits im Vorfeld der Verkaufsaktion betonte Karl Lagerfeld in zahlreichen Interviews immer wieder – „Ich mach das ja nur einmal, weil es mich amüsiert“ (netzeitung.de 2004: o.S.) star (* 29 )– die Einzigartigkeit der Zusammenarbeit. Obwohl Lagerfeld als Designer seine Alltagskollektionen als ein „Statement gegen das alte Wort ‚exklusiv‘, das die Mode zur Branche der Snobisten gemacht hat“ (ebenda) star (*29 )versteht, überträgt der H&M-Konzern durch die Limitierung den „Reiz des Sammeln und Verknappens“ (Bolz 2003: o.S.)star (*21) auf eine Zielgruppe, die sich zwar nicht dieser „Branche der Snobisten“ zugehörig fühlt, aber deswegen (umso mehr) am (vermeintlichen) Lebensgefühl einer Glamour- und Lifestyle-Welt teilhaben und einen „Hauch von Exklusivität“ (sprich)wörtlich am eigenen Leib erfahren möchte. Dass die Lagerfeld-Kollektion wie auch sämtliche anderen DesignerInnenkollektionen wie etwa von Stella McCartney oder Madonna in einer begrenzten Stückzahl produziert und nur in ausgewählten Städten angeboten wurden bzw. werden, ist zum Missfallen von H&M seitens Lagerfeld immer wieder öffentlich kritisiert und als „Snobismus im Antisnobismus“ (Casati 2005: o.S.)star (*30) bezeichnet worden. Gleichzeitig gibt er in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Stern zu, dass ihm – „trotz aller Ärgernisse“ die Hysterie um die H&M-Kollektion Spaß gemacht habe: „Die Mode lebt von der Hysterie, oder zumindest träumt sie davon.“ (Horn 2004: o.S.)star (* 31 )

… und ihre Funktionsmechanismus

Dass gerade in einer Branche, die vom (Kunst-)Sammeln lebt, Exklusivität das vorherrschende Prinzip ist, liegt im Reiz des Sammelns selbst begründet: So ist auch der Transfer des (bisher dem Kunstmarkt vorbehaltenen) Reizes des Aufspürens und Jagens, des Aneignens des Besonderen und Einmaligen auf den Markenartikelsektor im Wandel von Markenprodukten zu Identitätsgütern, zu Sinnstiftern der eigenen Persönlichkeit und somit zu Symbolen einer kulturellen Ordnung begründet.

Analog zum Fetisch-Charakter, den Kunstwerke als Sammlerobjekte einnehmen, stellen Markenartikelunternehmen Konsumgüter in limitierter Auflage her, um „den Sammlerinstinkt, der selbst in alltäglichen Gegenständen Fetische oder Reliquien erblicken mag“ (Ullrich 2007: 87)star (* 32 ) zu wecken. Exklusive Markenprodukte wie das von Lagerfeld designte T-Shirt, das von der Preisschiene eines Discounters zur (preislichen) High Premium-Ware am Sammlermarkt avancierte, übernehmen dabei Aspekte des Erlösungsgedanken: Die Annahme, mit dem erworbenen Artikel etwas Besonderes, Einmaliges und Wertvolles ergattert zu haben, stattet das erworbene Produkt mit einer Aura aus, versetzt es in den Status des Kultischen und übernimmt – analog zu Kunstwerken – im Sinne der persönlichen Differenzierung identitätsstiftende und somit (ehemals) sakrale bzw. kultische Funktionen.

Alles Kunst, oder was? Der Versuch eines Resümees

Künstlerischen Strategien finden Einzug in Werbung und Vermarktung, werden kopiert, adaptiert und kommerzialisiert. Und umgekehrt. Denn (auch) Kunstschaffende sind gezwungen, ökonomisch erfolgreich am Markt zu agieren. Und doch so die persönliche Auffassung der Autorin gibt es die Unterschiede, die eine (rein) künstlerische Herangehensweise von ihrem (rein) marktstrategischen Pendant abheben.

Dass Exklusivität als Prinzip der Kunst immanent ist und die damit verbundenen Marketingmechanismen aus der Kunst bzw. auch dem Kunstmarkt heraus als Marketingstrategie evident werden, zeigt die enge Koppelung und Reziprozität von marktstrategischer Positionierung und künstlerischer Produktionsfaktoren. Auch das Prinzip der Prominenz zeigt eine Entwicklung, die nicht in einer Eindimensionalität von Kunst zu Wirtschaft oder umgekehrt – zu betrachten ist. Dass Stars als WerbeträgerInnen fungieren, ist Bestandteil der Werbung selbst, denn bereits im 19. Jahrhundert galten z.B. Graf Bismarck als Leitfigur für die Bekleidungsfirma „Moses und Sohn“ oder Marie Antoinette als Vorzeigekonsumentin des französischen Champagners “Heidsick“ (vgl. Albus / Kriegeskorte 1999: 24).star (* 38 ) Doch parallel ist gerade das Konstrukt des Stars als Imageträger fortlaufenden Veränderungen und Adaptionen unterworfen, sodass, wenn KünstlerInnen selbst als „Star“ auftreten, die Frage nach der Aneignung, aber auch nach dem Spiel mit prominenten Identitätskonstruktionen und deren Dekonstruktion zu untersuchen ist.

Aktuell zeigt sich parallel auch eine verstärkte Tendenz, die Kunst selbst als Event zu vermarkten bzw. sich Techniken der Markenkommunikation anzueignen. Am Beispiel Christo was „einmal subversiv begonnen hat“ , ist „längst in der Eventkultur angekommen“ (Ullrich 2007: 57)star (* 32 ) beschreibt Wolfgang Ullrich, wie Strategien, die einst aus einer künstlerischen Idee entstanden sind zu (massen-)markttauglichen Events der Kunst selbst „verkommen“. Wenn KünstlerInnen wie etwa eben Christo, aber auch Pipilotti Rist oder Maurizio Cattelan sich Regeln der Eventkultur aneignen, sieht Ullrich darin, neben der massentauglichen Vermarktung zusätzlich einen Beitrag „zur inszenierten Erlebnisvielfalt des täglichen Lebens und zur Ausprägung subtiler gesellschaftlicher Codes“. (Ebenda: 60)star (* 32 )

Der Fokus der Analyse künstlerischer Strategien setzte zur Beantwortung der eingangs gestellten Fragen in den 60er Jahren an, da diese Epoche in ihrem künstlerische Handeln bewusst künstlerische wie auch gesellschaftliche Trennungen aufzuheben suchte: Prinzipien der Provokation, der Inszenierung aber auch der Multiplikation und Prominenz finden sich als künstlerische Strategien in Aktionen von Kunstschaffenden einer Generation, die bewusst neue Wege und Verfahren zum Herstellen von Öffentlichkeit als (dezidierte) Aufgabe der Kunst gesucht hat. Der Kontext, in dem somit z.B. die Wiener Aktionisten ihre eigene Definition von Kunst in ihrem Schaffen umsetzten und neue Wege der künstlerischen Darstellung und Darbietung suchten, bestimmte somit maßgeblich die Mittel und Verfahren. Die Intention war jedoch vor allem in einem gesellschaftskritischen Engagement begründet.

Neue Maßstäbe in der Vermarktung von Produkten waren hingegen die Intention Toscanis: „Werbung stand ursprünglich im Dienst eines Produktes. Unterdessen ist sie aber wichtiger geworden als das Produkt selbst. Also kann sie dem Produkt nicht mehr dienen. Das Produkt muss der Kommunikation dienen. Werbung ist heute das wichtigste Produkt, das eine Firma herstellen kann.“ (Toscani 1996: 134)star (* 6 ) In einem Interview, das im Katalog zu „Radical Advertising“ im NRW-Forum abgedruckt ist, offenbart er mit dieser Umkehrung des Werbeverständnisses die wahren Motive des Unternehmens und seiner fotografischen Tätigkeit: „Den einzigen Job, den ich für Benetton zu tun hatte, war, sie reich zu machen. Ihr Kunde wird nicht einmal fragen, ob sie dafür Kinder töten, Mädchen vergewaltigen oder Blut vergießen.“ (Hoffmann 2008: o.S.)star (* 33 )

Toscani selbst könnte daher – in der Retrospektive und nachdem er sein Honorar nicht mehr von Benetton bekommt – dem Medientheoretiker Siegried J. Schmidt wohl nur zustimmen, wenn dieser die strategische Ausrichtung von Werbung in einer „Zustimmungs- und Handlungsbereitschaft“ verortet, die „weder darauf abzielt, sozial verbindliche Wirklichkeitsentwürfe zu schaffen (wie der Journalismus) oder solche verbindlichen Entwürfe in ihrer Fragilität zu entlarven und durch Alternativen herauszufordern sucht (wie etwa Literatur oder Kunst).“ (Schmidt 2004: 96) star (* 34 )Dass daher (vor allem) die Kunst – im Gegensatz zu Werbung, die stets auf ökonomisches Handeln und kommerziellen Erfolg ausgerichtet ist – eine gesellschaftskritische Rolle einnehmen kann, sieht der Medientheoretiker Siegfried J. Schmidt in „der Herausforderung von Alternativen“ (ebenda: 97)star (* 34 ) begründet.

Dass sich Kunst dabei der Spaßgesellschaft anschließt, sich Handlungsmuster und Techniken dieser aneignet, sieht Ullrich im Verlangen der Kunstschaffenden, „die Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst“ nicht mehr streng bewachen zu müssen, begründet. Mit Verschwinden des allmächtigen Künstlertypus, den die „Aura des Revolutionärs umgibt“ haben dabei „Ironie, Humor und Gimmicks ebenso ihren Einzug in die Kunst gehalten wie Techniken und Strategien der Unterhaltungsindustrie und des Lifestyles“. (Ullrich 2007: 56)star (* 32 ) Dem Kaprowschen Anspruch, die Grenze zwischen Kunst und Leben so fließend wie möglich zu gestalten, dürfte man damit mehr als gerecht werden.

Ob die Kommerzialisierung der Kunst die Kunst selbst „in den Abgrund führt“ (Adorno/Tiedemann 1974: 21)star (* 35 ) wie Adorno prophezeit hat, oder ob sich die Kunst damit (endlich und endgültig) von ihrer „Wahnvorstellung“ des Genius löst, wie die Künstler der 60er Jahre forderten, ist differenziert – und wohl verstärkt als persönliche Urteil zu betrachten: Denn dass „in den 60er Jahren der Glaube an das utopische Potential und an die Wirkungsmacht der bildende Künste aufgegeben wird“ (Bonnet 2004: 34)star (* 36 ) und dennoch gerade diese – aus diesem Glauben geborene Strategie der Inszenierung (als Aufhebung von Grenzen) antizipativ die Marketingmaßnahmen der 90er Jahre „voraussagte“, entspricht zwar einerseits wiederum der Groysschen Innovationslogik. Andererseits manifestiert sich gerade in der Inszenierungsstrategie der Bellsche Gedanken eines „Stosstrupps des Fortschritts“  (Bell 1991: 50),star (* 37 ) der die Kunst als Vorreiterin einer auf Differenzierung ausgerichteten „Autonomie der Kultur“ definiert, die in die Lebenszusammenhänge selbst eingreift. Bell sieht daher „zwischen der Kunst und dem Leben“ „keinen Unterschied mehr“. (Ebenda: 70)star (* 37)

Alles, „was in der Kunst gestattet ist, ist auch im Leben gestattet“ (ebenda).star (* 37 ) Anders formuliert: Das, was in der Kunst als (wirksame) Strategie funktioniert, funktioniert auch in der Markenpolitik. Jedoch ist es die strategische Zielsetzung, die oft den feinen, aber wesentlichen Unterschied bedeutet.

 

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Siglinde Lang ( 2013): Marktstrategie: Kunst!. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/marktstrategiekunst/