Pinpointing Workshops

Mit dem Ideal der Stille in den Museen scheint es vorbei zu sein. Immer mehr Institutionen suchen nach Formaten, um mit dem Publikum in einen unmittelbaren Dialog zu treten. Kommunikation und Teilnahme erscheinen als neues Paradigma der Kunstrezeption. Workshops sind dafür eine häufig gewähltes Format, da sie direkt mit dem Publikum einen – temporären – Raum des Austauschs schaffen. Der folgende Beitrag befasst sich mit dem Herstellen von Öffentlichkeit in dialogischen Settings und lässt dabei Perspektiven von KulturwissenschaftlerInnen, KulturvermittlerInnen und Kunstschaffenden zu Wort kommen: So versammelt der Text eine Reihe von Stimmen in Form dialogischer Einschübe: Auszüge aus einem Interview mit Mitgliedern von AG Arbeit*1 *( 1 ) sowie aus einem Gespräch über den „Salon“ – nach Habermas eine Keimzelle der bürgerlichen Öffentlichkeit – im Vergleich mit dem Format des Workshops mit Nanne Buurman, Kulturwissenschaftlerin, Kunstvermittlerin, Kuratorin und Leiterin des Workshops „Arbeitslose als Avantgarde“ im Rahmen der Kunstvermittlung auf der documenta 12.*3 *( 3 )

Lena: Im Interview haben die Mitglieder von Klasse Bewusstsein mich als Erstes darauf hingewiesen, dass es kein fertiges Manifest gibt, und keine für alle geltenden Aussagen über die Gruppe, sondern dass jede_r für sich spricht; eigene Sichtweisen und Beweggründe hat. Diese Aufmerksamkeit gegenüber der Frage, wer wann spricht, ist auch in ihren Workshops deutlich und wichtig. Den Dialog sich ergänzender oder widerstreitender Stimmen will ich hier wiedergeben.

1. Fragestellung:

Wenn Kunstrezeption als „civilizing ritual“ (vgl. Bennett 2010)star (* 1 ) fungiert, und bürgerliche Verhaltensnormen einübt, welches Verhalten wird durch die Rezeption von dialogischen, Workshop-ähnlichen Kunstformen eingeübt? Wodurch zeichnet sich ein Workshop als partizipatives Format aus?

Kollaborative Wissensproduktion im Workshopformat

Der Begriff des Workshops kommuniziert einen Modus der Teilnahme. Wer an einem Workshop teilnimmt, erwartet aktiv teilzuhaben und in irgendeiner Form auch etwas zu lernen. Außerdem kommuniziert der Begriff, dass die Teilnahme keine speziellen Fähigkeiten voraussetzt. Die Teilnehmer_innen werden im Workshop in den Arbeitsprozess einbezogen und identifizieren sich mit diesem.

Doch sind die primären Charakteristika eines Workshops – Prozessorientierung, Einbeziehung des Publikums, Experimente mit pädagogischen Formen, die lebenslanges Lernen als Wert vermitteln – nicht auch jene, die von der postfordistischen Ökonomie gefordert werden? Auch in der – auf arbeitsteilige, flexible Produktionsformen ausgerichteten – Wirtschaft werden Workshops als „partizipative“ Arbeitsform genutzt: um Mitarbeiterwissen aus verschiedenen Arbeitsbereichen miteinander zu verknüpfen und das implizite Wissen der Mitarbeiter_innen der Firma zugänglich zu machen. Kooperation und Teamarbeit werden gleichzeitig mit Kontrolle und somit der Nachvollziehbarkeit des individuellen Beitrags verknüpft. Chantal Mouffe weist im Interview mit Markus Miessen auf diese Doppelnatur von Partizipation hin. „Es gibt heute ganz klar einen hegemonialen Kampf um die Frage der Partizipation. Es geht darum, welche Bedeutung Partizipation bekommt, die akzeptiert wird. Manche Auffassungen von Partizipation können subversiv sein, während andere dem Kapital in die Hände arbeiten, weil sie die Leute dazu bringen, an ihrer eigenen Ausbeutung mitzuarbeiten.“ (Miessen 2012: 113)star (* 2 )

Lena: Letztens habe ich einen eintägigen Workshop von zwei Künstlern mitgemacht, bei dem ich im Nachhinein sehr lange über den Status der Teilnehmer_innen nachgedacht habe – war ich Füllmaterial? War es nicht letztlich eine Subsumtion meiner freiwilligen und kostenfreien Arbeit unter die Autorschaft der Künstler? Andererseits hatte ich natürlich mitgemacht, um die Künstler kennenzulernen.

Was unterscheidet einen Workshop als Praxis im Feld der Kunst von Workshops im Feld der postfordistischen Ökonomie? In diesem Text werden wir Workshop-ähnliche Praxen betrachten, die kein Ergebnis im Sinne des Erlernens einer vorher kommunizierten praktischen Fähigkeit haben und in denen auch nicht die Workshop-Initiator_innen als Personen im Vordergrund stehen, sondern in dem der Dialog an sich sowie eine kollektive Wissensproduktion das Ziel bildet. Anhand der Analyse der Veranstaltungsreihe „Absahnen“ von AG Arbeit in der Galerie für Zeitgenössische Kunst und der Projekt- und Hörgalerie A und V in Leipzig sowie der Veranstaltung „Voicing Responsibility“ von Well Connected im KW Institute for Contemporary Art in Berlin wird nach der Art und Weise der Einbeziehung des Publikums gefragt. Wie soll das Publikum partizipieren? Welche Öffentlichkeiten werden dabei hergestellt? Mit Latour: „Wer versammelt sich? Wer spricht? Wer entscheidet?“ (vgl. Latour 2001 und 2005)star (* 3 ) star (* 4 )

Der Workshop als Kunst/Vermittlungs/Format

Lena: Ich frage mich, wie dieser Begriff „Workshop“ in die Kunst kommt, wieso er jetzt in der Kunst auftaucht. (…) Es ist ja ein bestimmtes Labeling.

N. (Klasse Bewusstsein): Ich überlege gerade, wo mir der Begriff zum ersten Mal untergekommen ist. Es ist gerade ziemlich populär von Workshops zu reden, ziemlich einfach. Ich wohne in einem Hausprojekt und bin deshalb seit über einem Jahr immer mit Methoden beschäftigt, die alle immer nur unter dem Begriff Workshop subsumiert werden, ohne den Begriff zu hinterfragen.

M. (Klasse Bewusstsein): Die Frage, die sich mir in diesem Kontext gerade stellt, ist, ob darauf überhaupt der Kunstbegriff anwendbar ist.

Lena: Der Kunstbegriff hat sich ja ziemlich gewandelt, zum Künstler als Vermittler und nach Nina Möntmann „Service Provider“. Dazu passt meiner Meinung nach der Begriff des Workshops sehr gut.

Im Feld der Kunst wurden Workshops erstmals 2003/2004 thematisiert, und zwar im Kunstverein München mit der Reihe „Dispositive Workshop“. Diese subsumierte eine Vielzahl künstlerischer Praktiken und Repräsentationsformen unter den Begriff des Workshops und markierte ihn als künstlerische Form. Unter dem Begriff „Workshop-orientierte Kunstpraktiken“ wurden „zeitgenössische künstlerische Projekte“ versammelt, „die kontextspezifischen, partizipatorischen (kollaborativen), prozess- und kommunikations-orientierten Charakter haben und ihrer Form nach einem Workshop ähnlich sind“ (Schlieben 2004: 210).star (* 5 )

Well Connected verorten sich im Feld des kuratorischen Handelns. AG Arbeit wollen sich nicht einem Feld zuordnen lassen, auch wenn sie hauptsächlich im Kontext der Kunst agieren und künstlerische und pädagogische Formen mischen.

N. (Klasse Bewusstsein): Ich würde es eher zurückbringen und sagen: Bei dem, was wir machen, geht es um emanzipatorische Prozesse, hierarchiefreie Wissensvermittlung, hierarchiefreie Wissensaneignung, Selbstermächtigung. Und wir verwenden dafür Methoden aus dem Bereich der politischen Bildung, Methoden aus der Kunst. Für mich ist es ein Methodenpool, und für mich hat Kunst vor allem etwas damit zu tun, welche Haltung ich habe, aber nicht dass ich das für Kunst, in Kunst oder als Kunst mache.

2. Beispiele

AG Arbeit: Absahnen

AG Arbeit ist eine Gruppe, die sich als „heterogene Konstellation aus Aktivist_innen, Schriftsteller_innen, Bildner_innen und Künstler_innen“ beschreibt. Die Gruppe hat in Leipzig zwei Veranstaltungsreihen durchgeführt: 2011 „AbArbeit“, in mehreren (hauptsächlich) Off-Spaces im Leipziger Westen und 2012 „Absahnen – eine Qualifizierungsmaßnahme der AG Arbeit“ in der Projekt- und Hörgalerie A und V (Kunst- und Kulturraum im Leipziger Westen) und in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig. Ein großer Teil der Veranstaltungen besteht aus Workshops in Form von experimentellen Anordnungen zur Artikulation von Sprecher_innen zu einem Thema.

Die Reihe „Absahnen“ bestand aus fünf Veranstaltungen zum Thema Arbeit als ein „Instrument gesellschaftlicher und individueller Zurichtung“*2 *( 2 ). Da ökonomische Logiken in alle Lebensbereiche eindringen, versuchen sie Zusammenhänge und unsichtbare Ausbeutungsverhältnisse aufzuspüren, sowie nach einem „subversiven Potential von Arbeit“ zu fahnden.

Der Workshop „Das bisschen Haushalt … Domestic labour – Willkommen im fünften Sektor!“ in der Reihe „Absahnen“ bestand aus einem Impulsvortrag über Sorgearbeit bzw. reproduktive Arbeit, einem Video über den radikalen Protest einer alleinstehenden Mutter und, nach Aufteilung in kleinere Runden, einer Reihe von Fragen zum Thema domestic labour, die jede_r Teilnehmer_in erst für sich auf einem Blatt Papier beantworten sollte. Gefragt wurde zum Beispiel, wann die Teilnehmenden zuletzt gegessen hatten; was und mit wem; wer es zubereitet hatte, wer und wie es finanziert worden war. Die Antworten auf die einzelnen Fragen wurden nacheinander in der Runde vorgelesen, dann wurde darüber diskutiert. Hier wird also nach Verantwortung gefragt, aber nicht auf einer abstrakten Ebene, sondern es wird versucht, ein Netz von Beziehungen und Abhängigkeiten beispielhaft am eigenen Leben herauszuarbeiten.

In einem weiteren Workshop aus der Reihe „Absahnen, Klasse Bewusstein!“ (Teil 2, Fishbowl), war das dominanteste Element ein innerer und einen äußerer Stuhlkreis, zwischen denen für den Akt des Zuhörens und dem Akt des Sprechens der Platz getauscht werden sollte, die sogenannte Fishbowl-Methode.

In den Workshop-Einladungen zur Reihe „Absahnen“ spielen AG Arbeit ironisch mit der Sprache von neoliberalen Softskill-Workshops. Die Einladung zum Serviettenfalt-Workshop lockt mit einer „Erweiterung der persönlichen Netzwerke und der Auffrischung von Kreativität und Performativität“. In den Workshop-Einladungen ist der Konflikt zwischen der ökonomisch angeeigneten, ausgebeuteten Form der Kommunikation und ihrem Potential als Quelle politischen Handelns spielerisch auf die Spitze getrieben.

AG Arbeit nutzen verschiedene Workshop-Formate, um eine Situation des vertrauensvollen Sprechens zu ermöglichen, da sie, wie sie im Interview erzählen, festgestellt haben, dass Kommunikation in einer Gruppe von Teilnehmenden nicht einfach durch ein informelles Zusammentreffen zu einem Thema funktioniert. Ein dialogischer Raum, der die bestehenden Hierarchien von Expert_innen und Laien, Unterschiede von Alter und Ausbildung nicht reproduzieren will, wird erst durch die Vorgabe von Regeln erzeugt. Der Abstand zwischen der Leitung eines Workshops und der Teilnahme kann nicht einfach negiert werden, jedoch versuchen AG Arbeit gegen die Annahme anzukämpfen, dass sie als Workshopleitende die Wissenden sind, und die Teilnehmer_innen die Unwissenden. Weder die Leiter_innen noch die Teilnehmer_innen haben das „richtige“ Wissen, sondern sie schaffen im Prozess des Dialogs eine Artikulation des Themas.

N. (Klasse Bewusstsein): In den Workshops, die am stärksten an einer Frontalsituation anknüpften, (…) gab es immer wieder die Frage nach dem autorisierten Fachwissen, dem Expertenwissen. Wir haben mühsam versucht, das von uns fernzuhalten, da es uns nicht um Expertenwissen geht. Wir wollten gerne, dass die Leute unabhängig von einer Begriffsdefinition darüber reden, was ihre persönlichen Erfahrungen ausmachen, und dass es nicht so stark darum geht, dafür den richtigen Begriff zu finden, der auch schon bei Soundso aufgetaucht ist. Mein Eindruck war, umso schräger die Formate wurden, umso stärker es in den Methoden um selbstorganisiertes Lernen und basisdemokratische Entscheidungsprozesse ging, (…) umso seltener tauchten Fragen nach Expertenwissen auf.

Die Methoden sind dabei Werkzeuge, die nicht von den Hierarchien zwischen den Sprechenden absehen, sondern diese immer wieder anders verteilen und aufführen – exemplarisch bei Klasse Bewusstein! (Teil 2, Fishbowl). Die Teilnehmer_innen sprechen nicht aus einer Position des Wissens, nicht in Form eines abstrakten, subjektfreien Diskurses, sondern aus Position der Suche nach der eigenen Erfahrung. Zusätzlich ist es bei Klasse Bewusstsein! (Teil 2, Fishbowl) nicht möglich, seine Argumente von einem festen Platz aus vorzubringen oder zu verteidigen. Der „Standpunkt“ muss immer wieder gewechselt werden. Die Sprecher_innen sind im besten Sinne „behinderte“ Sprecher_innen.

Mit dieser Struktur im Workshop wird Raum geschaffen, in dem die Teilnehmenden neue Beziehungen eingehen und ihre Position reflektieren können. Jedoch führt das Aufgeben von Repräsentation im Sinne einer Vermittlung an ein größeres Publikum dazu, dass alles, was sich in dem Workshop entwickelt hat, nur als Erfahrung der Teilnehmenden verbleibt. Dadurch ist es einfacher, eine Atmosphäre der Konzentration und des Vertrauens zu schaffen.

N. (Klasse Bewusstsein): Bei unseren Workshops gibt es keine Zuschauer. Es ist nicht wie bei der Berlin Biennale, wo die Occupy Bewegung im Keller ausgestellt wird.

Die Workshops der AG Arbeit sind im Nachhinein nur durch die Veranstaltungsankündigungen mit der thematischen Setzung repräsentiert, im Moment jedoch in keiner Weise als stattgefundener Prozess mit einer Art Ergebnis.

M. (Klasse Bewusstsein): Was dann weitergeht mit: Wie dokumentieren wir das, wie machen wir es anschlussfähig? Denn nach ein paar Veranstaltungen war klar – es ist Publikum da, vielleicht auch szenefremdes Publikum, und die stoßen nach jeder Veranstaltung auf dieselben Fragen. Das heißt, man tritt nach zwei, drei Jahren ziemlich auf der Stelle, weil man immer wieder anfängt und versucht die Fragen erst mal aufzuwerfen und transparent zu machen. Das ist der Schritt, in dem wir uns seit letztem Jahr befinden.

Well Connected: Voicing Responsibility

Well Connected ist eine Plattform für projektbasierte Zusammenarbeit von Student_innen des Studiengangs „Kulturen des Kuratorischen“ an der Hochschule für Grafik und Buchkunst unter der Leitung von Vera Lauf. Für das KW Institute for Contemporary Art in Berlin haben sie eine Veranstaltung zum Thema der (kuratorischen) Verantwortung entwickelt: „Voicing Responsibility“, die aus zwei Veranstaltungsteilen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen bestand: ein Abend mit Tischgesprächen, und am nächsten Vormittag Breakfast (a.k.a. Dinner) Exchange Berlin. Der Teil der Tischgespräche, der in diesem Text besprochen wird, fand am Abend des 20. Juli 2012 statt, kurz nach Ende der 7. Berlin Biennale. Eingeladen wurde dazu, gemeinsam die Fragen „Welche Verantwortung trägt Kultur? Wie tritt Verantwortung im kuratorischen Handeln in Erscheinung?“*4 *(4) in kleinen Gruppen mit Expert_innen zu diskutieren. Im zweiten Stock des KW standen fünf Tische, auf die aus Klebeband die Titel der kurzen Inputs der geladenen Expert_innen geschrieben waren. Im ersten Stock befand sich die Radiostation. Bot_innen brachten laufend ihre Eindrücke von den Diskussionen an den Tischen zu den Radiosprecher_innen.

Männerstimme: Hallo verehrte Zuhörer aus aller Welt, (…) „Voicing Responsibility“ heißt unsere Veranstaltung. Das Radio ist im Ausstellungsraum aufgebaut. Sie können sich das so vorstellen: Im ersten Obergeschoss der KW ist das Radiostudio und im zweiten Obergeschoss sind Besucher und Besucherinnen der Veranstaltung, die bereits eingetroffen sind. Sie schauen herunter auf das Radio und warten gespannt, was wohl heute Abend alles so passieren wird.

Frauenstimme: All is possible, that part I understood.

(…)

Männerstimme: In Kürze werden dann alle an den Tischen Platz nehmen, es wird eine erste von zwei Diskussionsrunden geben, die etwa je 50 Minuten dauern. (…)

Ich höre grade, es geht gleich los. Wir schicken die Boten gleich hoch in den oberen Stock. (…) Die Boten gehen jetzt, und ich sehe, die Referenten und Referentinnen begeben sich schon an die Tische, die Besucher und Besucherinnen folgen, ich habe auch Leute entdeckt, die ich zufälligerweise kenne … [zählt eine Reihe von Namen auf, die er der Liste der per Mail Angemeldeten entnimmt].

Frauenstimme: All visitors spreading equally at the five tables, everyone starts finding there spaces and places.

Als Beitragende waren angegeben: Expert_innen, Bot_innen, Radio ON AIR und Nails Now. Well Connected waren mit KW als Organisator_innen ausgewiesen, und die einzelnen Namen unter „Verantwortung tragen:“ aufgelistet. Ansonsten waren Rollen, Kompetenzen und Hintergründe nicht näher definiert.

Im Gespräch hat Vera Lauf darauf hingewiesen, dass sie das Publikum aktiv einbinden wollten, ohne didaktisch zu werden und ohne den Imperativ „Du musst …“. Durch das Weglassen der sonst üblichen Kategorien von Künstler_innen, Kurator_innen, Theoretiker_innen usw. sollen, so Lauf, die vermeintlich festen Grenzen der Rollengrenzen und Handlungsmuster aufgelöst werden, um dadurch die Möglichkeit zu einer situativen Umverteilung der Rollen sämtlicher Akteur_innen, inklusive Publikum, zu schaffen.

Die Gesprächssituation im Workshop war informell und umging viele Punkte der sozialen Kontrolle. Die Teilnehmer_innen konnten sich beteiligen, aber es entstand kein Druck auf die/den Einzelne_n, da es genug Sprecher_innen und genug Geräusche im Raum gab. Durch die Bewegungen der Bot_innen, die sich immer wieder von der Tischrunde zur Radiostation begaben, war sogar das Verlassen der Gesprächsrunde möglich, ohne unangenehm aufzufallen. Auch das Ende des jeweils gesetzten Zeitrahmens wurde informell kommuniziert, indem Andreas Liebmann, einer der Moderator_innen von Radio ON AIR, anfing Cello zu spielen, und das Licht von den Tischen zu ihm wechselte.

Lena: Vera Lauf beschreibt Voicing Responsibility eigentlich wie das Kuratieren einer Ausstellung, nur dass sie keine Werke ausstellen, sondern Diskurse herstellen. Es gab eine Lichtsetzung; sie haben Künstlerinnen und Künstler eingeladen, die Tische so im Raums verteilt, dass eine bestimmte Erzählung entsteht, Bezüge hergestellt werden; eine Art Beschilderung gemacht. Sozusagen das Kuratieren eines Zeitraums.

Nanne: Und es war auch ein Ausstellungsraum.

Lena: Ja, in dem die Diskussion materielle Werke ersetzt. Well Connected lassen über Verantwortung reden, aber stellen sich in den Hintergrund, lassen ihre eigene Verantwortung, ihre Entscheidungen beinahe unsichtbar werden.

Nanne: Ein stückweit ein Versuch zu schauen, was passiert und was die Leute von alleine machen. Man hebt ein klassisches Format auf, bei dem die Rollen festgelegt sind, und zwingt die Teilnehmenden dazu selber Entscheidungen zu treffen. Auf den ersten Blick versucht es Paternalismus zu vermeiden.

3. Analyse

Zweckfreiheit des Diskurses

Die hier besprochenen Workshop-ähnlichen Praktiken im Feld der Kunst machen sich die Erwartungshaltung des Publikums zunutze, um zu einer Vermischung von Rollen und Hierarchien zu gelangen, die die Unterteilung in Publikum und Autor_innen, Laien und Expert_innen temporär abschwächt und einen Raum für einen dialogischen Prozess erzeugt. Dabei vermeiden sie jedoch die Nachvollziehbarkeit des individuellen Beitrags, die Selbstdarstellung vor der Gruppe, die die Partizipation in ihrem sozialen Kern schwächt. Der Rahmen der Kunst führt dabei zu einer gewissen Offenheit der Teilnehmer_innen, sich auf experimentelle Formen einzulassen und Bewertung und Zweck zu suspendieren.

Der Workshop als primär/idealerweise zweckfreier Diskursraum

Die Workshops von AG Arbeit und Well Connected erzeugen einen Raum für Dialog, ähnlich dem des Salons, der nach Habermas die Brutstätte der bürgerlichen Öffentlichkeit war.

Lena: Ja, Habermas weist aber darauf hin, das im Salon vor allem die Idee einer bürgerlichen Öffentlichkeit entsteht und institutionalisiert wird. Es ging um die Konstruktion eines rein menschlichen Austauschs und das Absehen von ökonomischen Verpflichtungen. Ob das im Endeffekt so funktioniert hat, ist ihm letztlich nicht so wichtig.

Nanne: Es ging wahrscheinlich um das Feld des Zweckfreien. Aber da steckt natürlich schon eine starke Ökonomie dahinter, die Leute müssen es sich leisten können, keinen Zweck zu verfolgen.

Lena: Das war ja schon in der griechischen Polis der Fall.

Nanne: Ja, da habe ich auch gerade dran gedacht. Ich finde es spannend, weil ich mit Salons eine starke Exklusivität verbinde. Egal zu welcher Zeit; weil in dieser halb-öffentlichen Sphäre die Trennung zwischen Sprecher_in und Zuhörer_in nicht so stark ist. Jede_r ist potentiell Sprecher_in.

Durch das Räsonnement im Salon entstand ein Raum des Öffentlichen, ein politisch organisierter Raum. In der „snobbery of the salon” (Bhabha 1998star (* 6 )), Habermas’ Modell der Deliberation, ordnen sich autonome Individuen dem besten Argument als allgemeingültig unter.

Auch in Workshop-ähnlichen Kunstpraktiken ist jede_r potentiell Sprecher_in, jedoch mit einer anderen Konnotation als im Salon. Im Dialog innerhalb des Workshops wird versucht, den individuellen Haltungen und Perspektiven Artikulationsraum zu geben, diese weiterzuentwickeln und zu teilen, statt einer Konsensfindung, die durch eine abstrakte und subjektfreie Form den Anschein von Wahrheit und Vernunft erzeugt. Diese Wahrheitsfähigkeit, die Vorstellung eines politischen Körpers wird von Bruno Latour zugunsten der Vorstellung einer gemeinsamen Baustelle (Latour 2001: 206)star (* 3 ) verworfen. In seinem Buch „Von der Realpolitik zur Dingpolitik“ fordert er, uns als (politisch) behindert zu begreifen. (Latour 2005)star (* 4 )

Lena: Mein Bild vom Salon sieht so aus, dass dort die Geselligkeit im Vordergrund steht. Ein periodischer Zeitrahmen und eine Gastgeberin, die sich die Gesellschaft ins Haus holt.

Nanne: Genau, eher Geselligkeit als Selbstzweck. Im Workshop gibt es ja ein Ziel, ein Thema. Und gleichzeitig habe ich das Gefühl, das Salons Gemeinschaften von Produzenten sind, während die Definition des Publikums im Workshop eher defizitär ist im Sinne von etwas noch nicht wissen, etwas lernen wollen. In meiner subjektiven Assoziation versammeln sich im Salon lauter Wissende. Das ist wahrscheinlich nicht haltbar, aber meine Assoziation. Im Workshop steht dieses „noch nicht“ stärker im Vordergrund.

Ein Workshop als eine Versammlung von Singularitäten, die sich durch ein Lernen- Wollen, ein In-Bezug-treten-Wollen auszeichnen, besteht aus „unwissenden“, mit Latour „behinderten“ Sprecher_innen. Durch den ungewohnten, unbekannten Rahmen besteht eine Distanz, die die Sprecher_innen zwischen Partizipation und Reflektion, zwischen Teilnahme und Betrachtung der Situation oszillieren lässt.

Der Workshop als Mikroparlament

„Ein Forscher käme nie auf den Gedanken, daß sein Untersuchungsplan für jedes beliebige Phänomen ein für allemal feststeht. (…) Unter dem Vorwand, daß die Menschen mit Sprache begabt sind, stellen sich die Politiker und viele Meinungsforscher, Soziologen, Journalisten und Statistiker vor, man könne über sie an ihrer Stelle sprechen, ohne sie je wirklich konsultiert zu haben, d. h.: ohne je die gewagte experimentelle Vorrichtung zu entdecken, durch die diese Menschen selbst ihre eigenen Probleme definieren können, anstatt bloß auf die gestellte Frage zu antworten.“ (Latour 2001: 217f.)star (* 3 )

Mit Latour können wir die Workshops als Form eines Mikroparlaments betrachten, ein Parlament für ein Ding/ein Thema, das mit dem Thema verbundene Sprecher_innen versammelt.

Versammeln, sprechen und entscheiden, um eine gute gemeinsame Welt zu schaffen, sollen diese Assoziationen von Menschen und nicht-menschlichen Wesen in Latours Modell eines Parlaments der Dinge, bestehend aus einem Zweikammersystem. Die erste Kammer soll dabei alle zu der Diskussion zu berücksichtigenden Propositionen versammeln, und für jede die geeignete Befragung finden, damit sie artikuliert wird, damit sie unter ihren eigenen Bedingungen ihre eigenen Probleme entfalten kann. Die zweite Kammer hat die Aufgabe des Ordnens, Hierarchisierens und Ausschließens, um über einen Prozess der Institutionalisierung, einer Szenarisierung, zu einer gemeinsamen Welt des Kollektivs zu gelangen, aus dem alle ausgeschlossen werden, die sich nicht in die Szenarisierung dieser gemeinsamen Welt einfügen ließen.

In diesem Text werden wir die experimentellen Anordnungen untersuchen, die in den Workshops von AG Arbeit und Well Connected vorgenommen wurden, um spezifische Sprecher_innen zu erzeugen und Themen zu artikulieren. Dabei konzentrieren wir uns auf bestimmte Aspekte der beiden Workshops: Während uns an der Praxis von AG Arbeit vor allem die Form der Erzeugung von Sprecher_innen interessiert, liegt der Fokus bei „Voicing Responsibility“ von Well Connected auf der Vermittlung an ein unbeteiligtes Publikum.

Partizipation und Dissens: Handlungsrahmen und Selbstermächtigung

Markus Miessen weist in „Albtraum Partizipation“star (* 2 ) darauf hin, dass gerade Partizipation aller ein Engagement verhindere und Verantwortung verschleiere. Die Teilnehmer_innen der Veranstaltungen von AG Arbeit und Well Connected partizipieren an der Diskussion, aber füllen dadurch den für sie eingeplanten Handlungsrahmen aus.

Lena: Gab es auch Situationen, in denen der Ablauf von den Teilnehmer_innen verändert wurde?

N. (Klasse Bewusstsein): Bei der „Fishbowl“-Methode gab es einen relativ starken Protest, die so durchzuführen, ansonsten kann ich mich nicht erinnern. Wir wären auf jeden Fall nicht abgeneigt für Vorschläge aus dem Publikum, da das Ganze ja darauf angelegt ist, dass die Leute etwas mit uns zusammen machen.

M. (Klasse Bewusstsein): Hinterher höchstens. Kritik, die aber in der Regel daraus speiste, dass es eine ungewohnte Rezeptionssituation war.

Während Markus Miessen kritisiert, dass eine (politische) Einladung zur Partizipation immer mit einer klaren Vorstellung darüber, wie man partizipieren soll verbunden ist, sind die Veranstalter_innen der Workshop-ähnlichen Veranstaltungen erfreut über Dissenz, eine Veränderung des von ihnen gesetzten Rahmens und damit eine Übernahme von Verantwortung. Hier scheint der „zweckfreie“ und experimentelle Raum der Kunst, der den Dialog in dieser Form möglich macht, eher Hindernis zu sein, denn die Regeln der von den Initiator_innen bzw. Organisator_innen aufgestellten Situation, die Hierarchien und Grenzen müssen von den Teilnehmer_innen erst in allen Konsequenzen erlebt werden, um dann wiederum in Frage gestellt und verändert werden zu können.

Welchen nicht eingeplanten Handlungsrahmen eignen sich die Teilnehmer_innen bei Voicing Responsibility durch das Auflösen der tradierten Parameter an?

Eine Tischgemeinschaft entschloss sich zusammen in den Hof umzuziehen, weil die Akustik des Kunstraumes dazu führt, dass schnell Lärm entsteht, wenn mehrere Menschen gleichzeitig reden. Im Grunde haben sie dadurch die – wenn auch nicht explizit ausgewiesen – vorgegebenen Regeln gebrochen und sich selbst ermächtigt die Strukturen zu verändern.

Publikum erster und zweiter Ordnung

Im Workshop gibt es immer ein Publikum erster Ordnung (Hier übernehme ich die Bezeichnung von Claire Doherty. Vgl. Doherty 2004: 8)star (* 7 ): die Teilnehmer_innen, Ko-Produzent_innen. Doch sobald ein Publikum zweiter Ordnung vorhanden ist, wird die Problematik des „Ausstellens“ und damit des (abgeschlossenen, ergebnisgleichen) Werkcharakters virulent.

Nanne: Genau. Du bist gleichzeitig Publikum und Teil des Werks, und dann ist die Frage: Gibt es ein sekundäres Publikum, oder nicht. Wenn ja, dann gibt es die ganzen Probleme: Sozialporno, Objektivierung, Erfüllungsgehilfen von Künstlern, Füllmaterial … Und wenn es kein Publikum gibt, vielleicht eine Legitimationskrise? Wenn die Sichtbarkeit nach außen ausbleibt, zumindest in dem Fall, bei dem man die Teilnehmer als Teil des Werks fasst, bleibt die Frage: Wie ephemer ist es?

Problematik einer (rein) dem Workshop immanenten Öffentlichkeit

Claire Bishop weist in „Artificial Hells“ auf den inhärenten Konflikt künstlerischer Praktiken hin, die mit pädagogischen Formen arbeiten. Kunst, so Bishop, „is given to be seen by others, while education has no image“ (Bishop 2012: 241)star (* 8 ). Problematisch erscheint an einer künstlerischen Nutzung des Workshops, dass die Erzeugung einer „werkimmanenten“ Öffentlichkeit oft nicht in von einer „Veröffentlichung“ begleitet wird, also einem Publikum zweiter Ordnung meist nicht zugänglich ist. Die Workshops haben ohne Vermittlung an ein Publikum zweiter Ordnung kein Gedächtnis, schreiben sich nicht ein in eine erweiterte öffentliche Diskussion. „The secondary audience is ineliminable, but also essential, since it keeps open the possibility that everyone can learn something from these projects: it allows specific instances to become generalisable, establishing a relationship between particular and universal that is far more generative than the model of exemplary ethical gesture.“ (Bishop 2012: 272))star (* 8 ) Durch die immer wieder neuen Teilnehmer_innen, die wenig von den vorhergehenden erfahren, fängt die Artikulation des Themas wieder am Anfang an.

Das Herstellen eines Publikums zweiter Ordnung

Das Problem der Zugänglichkeit und Abbildung des Workshops wird bei „Voicing Responsibility“ durch den Radio-Livestream gelöst. Die Veranstaltung wird so für Unbeteiligte erlebbar, gewinnt also eine Art klassisches Publikum zurück. Dabei wird jedoch das Publikum erster Ordnung nicht zum Objekt der Betrachtung gemacht, da durch die Bot_innen (subjektive) Ausschnitte und Eindrücke aus Gesprächsrunden repräsentiert werden, jedoch nicht die Teilnehmer_innen (als Objekte). Auch der Zeitrahmen und die Einmaligkeit des Workshops werden aufgebrochen, da die Sendung jederzeit nachgehört werden kann.

Lena: Der Livestream von „Voicing Responsibilty“ gefällt mir sehr! Er bricht die Exklusivität des „Dabeigewesen-sein- Müssens“, um darüber reden zu können, und gleichzeitig ist es nicht eine reine Abbildung der Geschehnisse oder gar der Teilnehmer_innen.

4. Resümee

Der feine Unterschied: Der Workshop als Praxis im Feld der Kunst und der Workshop im Feld der postfordistischen Ökonomie

Die Suspendierung des „Zwecks“, die den Freiraum der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft auszeichnet, führt zwar zu einer Offenheit der Teilnehmer_innen, aber während die virtuose Rede, die in der Diskussion eingeübt wird, im Zeitalter der Salons zum Ausgangspunkt für die Entstehung einer öffentlichen Meinung, einer bürgerlichen Öffentlichkeit mit neuen Werten wurde, wird sie im Postfordismus zum Bestandteil der Sphäre der Arbeit, und dadurch entpolitisiert. Die immaterielle, kooperative – also virtuose (vgl. Virno 2005)star (* 9 ) Arbeit erzeugt Räume, die strukturelle Ähnlichkeit mit der (politischen) Öffentlichkeit haben. Fähigkeiten, die zum Gebiet des politischen Handelns gehörten, werden zu Fähigkeiten, die im Bereich der Arbeit notwendig sind, und Kommunikation wird zu einem Produktionsmittel und zu einem Produkt. Und auch in den Workshops im Feld der Kunst wird dieser Konflikt nicht aufgelöst. Denn auch wenn bei AG Arbeit über kapitalismuskritische Themen gesprochen wird, werden im Workshop das Sprechen innerhalb einer Gruppe, Kooperation und Vernetzung sowie das gemeinsame Erzeugen von Wissen geübt – und damit Fertigkeiten des sozialen und politischen Handelns, die gleichzeitig die Chancen der Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Doch während im Feld der postfordistischen Ökonomie die Verantwortlichkeiten und Abhängigkeiten verschleiert werden, um durch die behauptete Gleichheit der Sprecher_innen die notwendige Voraussetzung für das Versprachlichen von Wissen für die Produktion von kollektivem (Firmen-)Wissen zu schaffen, werden die Hierarchien der Sprecher_innen bei den Workshops von AG Arbeit bewusst ins Blickfeld gerückt und immer wieder umverteilt. Die Strukturen der Situation werden so für die Teilnehmer_innen sichtbar und auf andere Felder – mitsamt den Handlungsoptionen – übertragbar.

Was bleibt: Potentiale und Herausforderungen des Workshops als Praxisfeld der Kunst

Jeder Gegenstand, jedes Thema versammelt ein spezifisches Publikum – ein Publikum, das bezogen ist auf den Gegenstand und auf die eine oder andere Weise mit ihm bereits verbunden ist. In den Worten Bruno Latours schafft die res (Gegenstand, Sache, Wesen) ein Publikum um sich (Vgl. Latour 2005: 13)star (* 4 ).

Der Begriff des Workshops, der Werkstatt, betont das Produzieren, das Konstruieren – ähnlich wie Latours Bild einer Baustelle. Die hier besprochenen Workshops lassen sich als Übungsfelder zu einer Artikulation von „unwissenden“, „behinderten“ Sprecher_innen beschreiben.

AG Arbeit konzentrieren sich bei ihrem Workshop „Klasse Bewusstsein!“ aus der Reihe „Absahnen“ auf die Einladung ähnlich auf das Thema Bezogener und versuchen, für diese und dieses die Voraussetzungen zu finden, um zu einer eigenen Artikulation von Problemen zu gelangen und diese im Kontext der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu betrachten. AG Arbeit schaffen es, eine Atmosphäre des Vertrauens herzustellen, ohne die eine Entfaltung der je eigenen Probleme nicht möglich wäre. Durch die verschiedenen experimentellen Methoden erzeugen sie eine Artikulation von „unwissenden“, „behinderten“ Sprecher_innen.

Diese Artikulation wird nicht nach außen getragen, nicht einem unbeteiligten Publikum vermittelt. Dadurch stellt sie auch keine Forderung, erstreitet sich keinen Platz in einer erweiterten öffentlichen Diskussion.

Well Connected haben bei „Voicing Responsibility“ eine große Bandbreite auf ein Thema bezogener Stimmen versammelt. Durch die Präsenz der eingeladenen Expert_innen, die unterschiedlich mit dem Thema verbunden sind, ergab sich ein Publikum, das weniger homogen zusammengesetzt war als bei dem Workshop „Klasse Bewusstsein!“ von AG Arbeit. Dafür erinnert die Diskussion der Teilnehmer_innen mit den Expert_innen an den Tischen eher an die distinguierte Atmosphäre des Salons. Die Sprecher_innen an den Tischen beschäftigen sich auf einer weit abstrakteren Ebene mit dem Thema der Veranstaltung als bei den Workshops von AG Arbeit. Die Artikulation in Form eines „behinderten“, subjektiven Sprechens wird in ihrem Workshop eher auf der Ebene der Bot_innen, mit der subjektive, ausschnitthaften Vermittlung der Gespräche an die unbeteiligten Hörer_innen des Radio-Livestreams, das Publikum zweiter Ordnung herausgestellt. Die komplexe Vielfalt von Stimmen wird im Prozess der Artikulation durch den subjektiven Bericht der Bot_innen und durch Nachfragen und Wiederholen von Begriffen durch die Radiomoderator_innen subjektiv hierarchisiert und nur wenige Begriffe werden für das Publikum zweiter Ordnung über die Zeit der Radioübertragung präsent gehalten. Dadurch werden eine Auswahl, ein Ausschluss und eine Ordnung geschaffen. Das in den Tischgesprächen entstehende kollektive Wissen wird in seiner Konstruktion, seinem Entstehungsprozess für das Publikum zweiter Ordnung erlebbar.

Die dialogische Versammlung von auf ein Thema bezogenen Sprecher_innen im Workshop hat das Potential, ein Übungsfeld für das Erlernen einer Virtuosität eines unwissenden –„behinderten“ – politischen Sprechens zu bilden, ein Übungsfeld für die Konstruktion eines Mikroparlaments der Dinge.

Der Alternativlosigkeit der Politik, die aus der Trennung in „sprechende“ Subjekte und in „stumme“ Tatsachen entsteht, können im „zweckfreien“ Feld der Kunst neue Artikulationen von Sprecher_innen, neue experimentelle Formen des Zum-Sprechen-Bringens entgegengesetzt werden. Ein Weiterleben der geschaffenen Artikulation über den Rahmen des Workshops hinaus als Initiation einer erweiterten öffentlichen Diskussion bleibt jedoch weiterhin eine Herausforderung.

 

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Bennett, Tony (2010): Der bürgerliche Blick. in:  von Hantelmann, Dorothea/ Meister, Carolin (Hg.). Die Ausstellung. Politik eines Rituals. Zürich, Berlin: diaphanes.

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Miessen, Markus (2012): Albtraum Partizipation. Berlin: Merve-Verlag.

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Latour, Bruno (2001): Das Parlament der Dinge: Für eine Politische Ökologie. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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Latour, Bruno (2005): Von der Realpolitik zur Dingpolitik oder Wie man Dinge öffentlich macht. Berlin: Merve.

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Schlieben, Katharina (2004): Dispositive Workshop. in: Lind, Maria (Hg.): Gesammelte Drucksachen. Spring 02 – Fall 04. Frankfurt a. M.: Revolver Verlag.

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Bhabha, Homi K. (1998): Conversational Art. In: Jacobs, Mary Jane/Brenson, Michael (Hrsg). Conversations at The Castle: Changing Audiences and Contemporary Art. Cambridge, Mass.: M.I.T. Pr.

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Doherty, Claire (Hg.) (2004): Contemporary Art: from studio to situation. London: Black Dog Publ.

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Bishop, Claire (2012): Artificial Hells. Participatory Art and the Politics of Spectatorship. London; New York: Verso.

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Virno, Paolo/Neundlinger, Klaus (2008): Grammatik Der Multitude: Öffentlichkeit, Intellekt und Arbeit als Lebensformen. Mit einem Anhang: Die Engel und der General Intellect: Individuation bei Duns Scotus und Gilbert Simondon. Wien: Turia & Kant.

Seit Ende 2012 agieren sie nun unter dem Namen Klasse Bewusstsein. http://klasse-bewusstsein.de/

Auszug aus der Veranstaltungseinladung

Eine Reflexion über den Workshop „Arbeitslose als Avantgarde“ ist nachzulesen in: Buurman, Nanne (2009): „Picknick im Palmenhain“. In: Mörsch, Carmen (Hg.): Kunstvermittlung Bd. 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Zürich, Berlin: diaphanes.

Auszug aus der Veranstaltungseinladung – http://www.kdk-leipzig.de/well-connected.html

Lena Brüggemann ( 2013): Pinpointing Workshops. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/pinpointing-workshops/