Interview: Martin Lengauer

„PR für Kunst und Kultur ist eine Querschnittsmaterie!“

Martin Lengauer ist Gründer und Geschäftsführer der Wiener Agentur die jungs kommunikation, die sich vor allem auf den Kunst-, Kultur- und Kreativsektor spezialisiert hat. Die Aufgabe der PR ist es seiner Ansicht nach, Assoziationsknoten zu künstlerischen Inhalten und Aktivitäten zu setzen. Ein Spezifikum in der Kommunikationsarbeit sieht er darin, dass die Trennlinien einzelner Aufgabenbereiche des Kuratierens, Kunstvermittelns und des Vermarktens in der Kommunikationsarbeit schwimmend sind. Aber auch die „chronische Unterfinanzierung“ ist und bleibt die zentrale Herausforderung.

Mit deiner Agentur „die jungs“ hast du zahlreiche, sehr vielfältige Kommunikationskonzepte erstellt und realisiert. Wie gehst du bzw. geht dein Team an die Kommunikationsarbeit heran?

Das hängt jeweils vom Projektstand ab. Idealerweise machen wir am Anfang Tabula rasa. Wir analysieren konkret die bestehenden bzw. uns gegebenen Informationen und bauen darauf unsere Überlegungen und Anmerkungen auf – oft aus einem weiteren, umfassenderen Kontext gesehen. So können wir rasch beurteilen, was dem Kommunikationsaufbau noch fehlen könnte. Dann versuchen wir aus unserer Sicht eine erste Einschätzung auf das Projekt und sein kommunikatives Potential – natürlich inklusive einer ersten Kostenabschätzung – abzugeben.

… und dann?

Dann versuchen wir relativ schnell in eine Briefing-Situation zu kommen: Mindestens einen halben bis einen Tag Workshop-Situation, in der wir gemeinsam die Konzeptarchitektur durchspielen und den Handlungsfaden gedanklich ablaufen lassen. Wir stellen Fragen, Fragen, Fragen. Da wird durchaus auch mal scharf diskutiert. Doch lassen sich daraus am besten klare Ziele, die zentral für die Kommunikationsarbeit sind, in einer gemeinsamen Abstimmung herausfiltern. Diese werden dann auch verschriftlicht. Denn es sind stets die analogen zentralen Fragen: Welche Ziele sollen mit der verbesserten oder beauftragten Kommunikationsarbeit erreicht werden? Welche Ziele bestehen generell für das Projekt und wie passen diese zu möglichen Kommunikationszielen? Diese Festlegung von Zielen ist Basis, um die weiteren Schritte eines Konzeptes zu erstellen. Die Architektur unseres Handlungsfadens ist dann ganz stark auf diese Ziele zugeschnitten.

Welche Probleme können bei dieser klaren Ausrichtung auf Ziele auftauchen?

Die meisten Auftraggeber kommen zu spät zu uns. Meist ist bereits „5 vor 12“, manchmal noch später. Wir befinden uns dann meist in einem Status, in dem das aktive Tun bereits ganz dringend erforderlich ist und die Konzeptphase eigentlichschon lange abgeschlossen sein sollte. Wir sind oft gezwungen, gleich direkt – oder eben parallel – erste Kommunikationsmaßnahmen zu setzen. Da bleibt für die gerade so wichtige Konzeptionsphase viel zu wenig Zeit.

Wie baut ihr dann euren Handlungsfaden auf? Wie erstellt ihr ein Kommunikationskonzept?

Ganz in der klassischen Struktur: Analyseteil – Zielformulierung – Dialoggruppenbestimmung – Festlegung einer Strategie. Dann folgt der Kreativteil. Das ist die Definition von Maßnahmen, nach Maßgabe von Ressourcen, personeller, finanzieller und auch zeitlicher Natur.

Worin siehst du vor allem einen Unterschied in der Kommunikationsarbeit im Kunstsektor zu anderen Branchen?

Struktureller Hauptunterschied in der PR für Kunst und Kultur ist, dass sie eine absolute Querschnittmaterie sind: Die Trennlinien zwischen kuratorischen, kunstvermittlerischen, marketingspezifischen und auch geschäftsführenden Agenden sind überhaupt nicht scharf zu markieren. Oft laufen diese genannten Kompetenzen ja auch in einer Person zusammen. Zumindest bedarf es der kontinuierlichen Abstimmung und des Austausches untereinander. Im Businessbereich liegen zumeist klare Trennlinien vor.

… sonst noch?

Ein weiterer wesentlicher Unterschied besteht auch in den Dialoggruppen. Beim Business to Business-Bereich ist die jeweilige Teilöffentlichkeit meistens klar eingegrenzt, während Kunst und Kultur immer breiter aufgestellt sind und dieser Bereich viel fließender ist. Oft müssen wir die jeweiligen Teilöffentlichkeiten erst finden oder entdecken. Dann gibt es natürlich auch noch Unterschiede in der Art der Kommunikation, im Stil, im Habitus …

… im Stil?

Ja, denn der Stil hängt immer auch von der Art des Kunst- und Kulturprojektes ab. Und meist ergibt sich daraus auch eine größere Spannbreite an stilistischen Möglichkeiten. Ich meine damit, dass ich die Art und Weise des Projektes auch in die Kommunikation einfließen lassen kann, manchmal auch aus dem Inhalt oder der Form der künstlerischen Produktion heraus Maßnahmen oder Merkmale der Kommunikation abgeleitet werden. Dadurch kann es mitunter vorkommen, dass die bekannten „Regeln“ der Kommunikation gebrochen werden.

… wie sieht das in der Praxis aus?

Einfaches Beispiel: Stil und Aufbau einer Pressemitteilung. Im z.B. Finanzmarkt würde es nur zu Irritationen führen, wenn ich die bekannte Abfolge und Aufbereitung der Medieninformationen nicht einhalte. In diesem Sektor ist ziemlich strikt festgelegt, was wann wo wie festgeschrieben sein muss – da es auch genau so rezipiert wird. Diesen Aufbau oder auch Stil kann ich im Kunst- bzw. Kultursektor projektbezogen – durch neue Inhalte oder eine andere Form der Aufbereitung auch mal durchbrechen.

Färbt somit die – nennen wir es mal so „Freiheit der Kunst“ auch ein wenig auf die PR-Arbeit ab?

Nicht direkt, viele glauben im Kunst- und Kulturbereich ist die Freiheit zuhause. Zumindest wird das gerne so angenommen. Aber 99 Prozent der Arbeitsgestaltung ist auch Routine. Nur innerhalb dieser Regeln tut sich dann – durch die Kunst – doch ab und an ein Spiel- bzw. Handlungsraum auf.

Also anders gefragt: Überträgt sich so etwas wie ein „unkonventioneller Moment“ in der Kunst auch auf die PR? Haben PR-Strategen im Kunst und Kultursektor öfter die Möglichkeit auch unkonventionelle Maßnahmen zu setzen?

Ja, so kann man das formulieren.

Worin siehst du die wesentlichen Herausforderungen für die PR-Arbeit im Kunst- und Kultursektor?

Hauptherausforderung ist immer noch die chronische Unterfinanzierung und das betrifft auch die Kommunikationsarbeit. Oft entsteht dadurch ein eklatanter Widerspruch in der Konzeption, bzw. Analyse und Strategieentwicklung zu der tatsächlichen Umsetzung der Maßnahmen. Dort fängt dann der Rotstift zu streichen an, weil schlicht das Geld fehlt. Man kann vieles, was durch die Zielformulierung an Maßnahmen angezeichnet wäre, einfach nicht umsetzen.

Umgekehrt muss auch ergänzt werden, dass gerade vieles was an effektiven und zielorientierten Maßnahmen in der Kommunikationsarbeit gesetzt wird, direkt aus einem künstlerischen oder kunstnahen Umfeld entsteht. Und gerade weil es funktioniert, werden diese Ideen dann oft von anderen Branchen vereinnahmt bzw. von der Werbung usurpiert – obwohl in der Kunst bzw. als Kunstprojekt kaum finanzielle Mittel hinein geronnen sind.

…wie z.B. Culture Jamming?

Ja, bzw. Guerilla Kommunikation. Flashmobs sind so ein aktuelles Beispiel. Diese lassen Unternehmen mittlerweile von professionellen Storywritern entwickeln.

In welche Richtung wird sich die Kommunikationsarbeit entwickeln? Welche Trends kannst du feststellen?

Generell ist vor allem die Erhöhung der Geschwindigkeit die Beschleunigung von Arbeitsprozessen die zentrale Entwicklung. Denn die anwachsende Rolle von Social Media verändert nicht nur medial, sondern auch ganz konkret unsere Arbeitsweise: Sie wird umfangreicher, schneller und es findet eine Umgewichtung statt. Wir lernen mehr denn je als zuvor. Wir tun unsere Arbeit und beobachten dabei gleichzeitig, was sich schon wieder Neues tut. Wir müssen immer am Ball bleiben.

Und wie geht ihr mit dieser Beschleunigung um? Habt ihr dann noch Zeit zu beobachten, abzuwarten bis Analysen diese laufenden Erneuerungen bewerten?

Wir haben uns zur Angewohnheit gemacht, selbst laufend die unmittelbar stattfindende Analyse in unseren Arbeitsalltag zu integrieren. Die Medienfachöffentlichkeit tummelt sich derzeit auf Twitter, d.h. die Analyse erfolgt sehr rasch. Der Fach-Diskurs findet in direkter Resonanz auf neue Erkenntnisse oder technische Entwicklungen statt. Es ist mühsam, aber notwendig, kontinuierlich mitzutracken. Wir verfolgen ständig Auswertungen bzw. Diskurse, während wir parallel selbst die Inhalte gerade ausprobieren bzw. bereits umsetzen. Es ist ein ständiges Ausprobieren, das von dem Versuch begleitet wird, Erfahrungen anderer – die uns vielleicht eine Nasenlänge voraus sind – dennoch so gut wie möglich in den Umsetzungsprozess einfließen zu lassen.

Also, ein ständiger Learning-by-Doing-Prozess …?

Absolut. Vieles was wir vor einem Jahr gemacht haben, machen wir heute ganz anders.

Stichwort Social Media: Verdrängen bzw. ersetzen Social Media und Web 2.0 andere – sogenannte klassische – PR-Kanäle?

Ich glaube nicht, dass die klassischen Kanäle – wie z.B. Pressearbeit, Veranstaltungen oder Drucksorten – absterben, aber sie werden sich durch und mit Social Media verändern. Abseits der ökonomischen Faktoren wie zum Beispiel der Urheberrechtsituation und natürlich auch Kostenfragen – bin ich definitiv nicht der Meinung, dass Web 2.0 alles andere verdrängen wird. Aber die klassische PR wird sich fortan immer überlegen müssen, wie sie viel näher an der direkten Kommunikation ist, wie sie auch für Bereiche funktioniert, die in unmittelbaren Austausch mit Dialoggruppen tritt. PR ist nicht mehr so absenderbestimmt, sondern agiert verstärkt diskursorientiert, gruppenbestimmt. Die gesamte PR muss berücksichtigen, dass stets die Möglichkeit der direkten Rückmeldung auf die initiierte Kommunikation für eine breitere Öffentlichkeit gegeben ist. Es wird – um bei dem Beispiel von Drucksorten bzw. Plakaten zu bleiben, diese sicherlich weiterhin geben, auch die Presse- und Medienarbeit, aber vor allem oder nur dann, wenn diese Kanäle in einem integrierten Kommunikationsansatz auch Sinn machen.

… Beispiel Plakat?

Ein Plakat ist ein Verstärkungsmedium, d.h. wenn ich die Botschaft nicht auch woanders distribuiere, wird es nicht funktionieren: Nur dann kommt der Mix „online-offline“ perfekt zur Geltung. Der/die RezipientIn bzw. die Teilöffentlichkeit muss direkt interagieren können. Ein Bespiel, wie dieses Zusammenspiel derzeit weiterentwickelt wird, wäre der QR-Code. Ich begegne einer visuellen Botschaft und kann via Smartphone idealerweise, sofort in einen Diskurs eintreten.

Eine letzte Frage – zum viel diskutierten Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit: Prägt ihr mit eurer Arbeit kulturelle Inhalte mit? Gestaltet ihr kulturelle Kontexte mit?

… das ist die schwerste Frage. (lacht) Auf einer persönlichen Ebene merke ich, dass wir das jeden Tag tun, z.B. in dem notwendigen Austausch mit KuratorInnen oder Kunstschaffenden. Es ist es ja oft gerade unsere spezifische Kompetenz bzw. sogar Aufgabe, dass wir Anregungen oder Überlegungen geben, die auch auf die künstlerische Seite oder Produktion Auswirkungen haben können. Und wir bereiten auch Inhalte für die Öffentlichkeit unter spezifischen Aspekten auf – und stellen somit gerade die öffentlichen Schnittstellen zu Inhalten des künstlerischen Schaffens her, indem wir Assoziationsknoten zu verschiedenen Communities oder Teilöffentlichkeiten erzeugen.

Nehmt ihr somit die Funktion, als Sprachrohr für das „Publikum“ bzw. die Öffentlichkeit zu agieren, ein?

Ja, genau. Mit Fragen „Wie begegnet mir das dann als Zuseher?“ oder „Hast du schon mal versucht das in einfachen Wörtern deiner Mutter oder deinem Installateur zu erklären?“ nehmen wir genau diese Perspektive ein. Wir ermöglichen damit, dass die kunst- bzw. kulturschaffenden Akteure durch unsere Fragen die Außenperspektive erfahren können und sich ihnen ein neuer Blick – nämlich für wen ihre Arbeit wahrnehmbar sein soll – eröffnet. Genau diese zweite bzw. ergänzende Sichtweise bringen wir ein. Und der Wechsel in diese Außenperspektive hat dann oft auch Auswirkungen auf die künstlerische Seite: in Form von neuen ergänzenden Angeboten oder auch einer differenzierten Zusammenstellung bzw. in der künstlerischen Aufbereitung.

Herzlichen Dank für das Interview!

 

 

Martin Lengauer, Siglinde Lang ( 2013): Interview: Martin Lengauer. „PR für Kunst und Kultur ist eine Querschnittsmaterie!“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/pr-fur-kunst-und-kultur-ist-eine-querschnittsmaterie/