Lebenskünstler – Lebenskunst

Als eine ihrer Studierenden nehme ich die Herausforderung gerne an, Helmi Vents Lehrveranstaltung mit dem Titel „Lebenskünstler-Lebenskunst“ in Worte zu fassen. Versuchen kann ich es allemal, versprechen aber nichts. Schließlich ist man entweder dabei und erlebt direkt und selbst – oder man lässt sich informieren. Wobei informiert zu werden eine andere Qualität hat, als etwas erlebt zu haben (de Roeck 2009: 7)star (*1) – ein Prinzip, von dem ich glaube, dass es auf jene Lehrveranstaltung zutrifft. Demnach liegt es mir auch im Folgenden fern, einen Anspruch auf Nachempfindung erheben zu wollen. Eine Art persönlicher Eindruck sollte dennoch zu vermitteln möglich sein.

Lebenskünstler-Lebenskunst. Ausdrücke, die bei vielen – und zugegebenermaßen, anfangs auch bei mir eine ungute Assoziation hervorrufen, meist mit prekärem Dasein in Verbindung gebracht werden. Entgegen der landläufigen Meinung dreht es sich nicht um Armut (schon gar nicht geistiger Art) oder eine nachlässige „in-den-Tag-Hineinleberei“ oder etwas Bedauerliches oder jemand Bedauerlichen oder, oder, oder. Diese Begriffe stehen im eigentlichen Sinne für Bewusst-Sein und darauf aufbauend: Lebens-Gestaltung, die gemäß Joseph Beuys´ sozialer Plastik*1 *(1) jedermann beherrscht. Seine Ansichten werden mich mit Sicherheit über die Lehrveranstaltung hinaus begleiten – gerade als angehende Soziologin, die besonders in gesellschaftsverändernder Form an Kunst interessiert ist; eben an Lebenskunst, wonach das Leben ein stets in Entstehung begriffenes Kunstwerk darstellt, für welches es zugleich das Material liefert.

Für mich ging es in der Lehrveranstaltung vorrangig um die sinnliche Erfahrung und/oder Erfahrbarmachung – auch oder gerade, basaler Zusammenhänge.

Die Plattform, auf der u. a. diese Lehrveranstaltung beheimatet ist, nennt sich Lab Inter Arts (kurz: LIA). Die Lehrveranstaltung selbst nahm im Wintersemester 2012/13 ihren Anfang und fand im darauffolgenden Sommersemester ihre Fortführung. Beide Male setzte sie sich aus zwei Teilen zusammen – einem theoretischen und einem praktischen Teil. Und beide Male stellte es sich als eine äußerst gelungene Kombination heraus! Während wir im theoretischen Teil über etwas sprachen, pflegten wir im praktischen Teil mit Lebenskünstlern und/oder mit uns selbst in Kontakt zu treten, um wiederum über Lebenskünstler und/oder über uns selbst etwas zu erfahren. Ein ähnliches Lehrkonzept vertritt u. a. Gesa Ziemer *2 *(2), indem sie erklärt, man dürfe nicht nur über Kunst, sondern solle mit Kunst forschen, um über Kunst etwas zu erfahren. Beides hat seine Berechtigung. Zusammengenommen ist es unschlagbar gut, einem nachhaltig etwas beizubringen.

Beizubringen, was es zum Beispiel mit „brav sein“ auf sich hat. Die bunten Teppichstücke verrieten, dass wir uns keineswegs einig waren, wie sie auszulegen sind, um allgemein als brav zu gelten. Sie holten uns insofern auf den „Teppich der Tatsachen“ zurück, als dass sich dieser als reine Auslegungssache herausstellte. Ich erinnere mich zudem, wie schön es war, sich Dinge bewusst bewusst zu machen – mehr noch: Sie sich anschaulich zu vergegenwärtigen, sie sich im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen zu führen. Was meint ihr, woran ich mich selbst in zehn Jahren erinnern können werde, wenn es heißt, jemand oder etwas sei brav?? Natürlich an jene eine Praxiseinheit mit den bunten Teppichstücken; die, in der wir uns eindringlichst mit dem individuellen Ordnungs- bzw. Unordnungsverständnis auseinandersetzten. So einprägsam kann Uni sein! Und das Beste – es kam einfach so daher, ohne es aufs „brav sein“ abgesehen zu haben.

Oder: Warum muss einem Klavierkonzert für gewöhnlich vor dem Klavier auf Stühlen gelauscht werden? Nachdem wir es ausprobierten, weiß ich, dass es darunter, auf dem Boden liegend um so viel räumlicher und satter klingt! Würde man sich nicht so brav geben, käme man sicher auf den Geschmack und die Plätze ließen sich glatt als jene der neuen Loge besetzen.

Oder: Hat sich schon mal wer mit Türen ernsthafte Gedanken über Türen gemacht? – Wir schon. Zumal wir für ein paar Praxiseinheiten das Glück hatten, in unsrem geliebten Opernstudio jede Menge Türen vorgefunden zu haben. Türen, die, indem man etwas mit ihnen macht, unvorhersehbare Einsichten über sie und darüber hinaus über mich und Türen zu Tage befördern.

Und wer von sich behauptet, kein Musikinstrument zu beherrschen, lügt! Dazu bedarf es lediglich eines anderen Hinhörens, sozusagen vom braven Einerlei abzuweichen, um auch beim „Ungeübten“ Musik heraushören zu können.

Das mag verrückt klingen, hilft aber ungemein, sich im Ablegen der immer gleichen Scheuklappen zu üben, den Autopiloten einmal abzustellen und ein anderes Programm einzulegen: Dinge einfach mal anders wahrnehmen als sonst; sein gewohntes Denken und Handeln um „das Andere“ zu erweitern – sei es „nur“ darum, sich seiner Wahrnehmungsmuster bewusst zu werden, sie daraufhin für gut zu befinden bzw. sie andernfalls zu verwerfen. U. a. fußt Transkulturalität, die wir in Form eines Grundlagentextes von Wolfgang Welsch detailliert behandelten, auf genau jenem Prinzip – das eigene Tun nicht absolut zu setzen, sondern als nur eine (von mir) gedachte Variante unter den ebenso denkbaren anderen Varianten zu begreifen.

Improvisation ist neben den kleinen Wahrnehmungsstudien tatsächlich alles, weil sie eine verdammt wirksame Methode darstellt, sich selbst und anderen, dem Leben und seinen zahlreichen Wirklichkeiten, auf die Schliche zu kommen.

Was ich im Wesentlichen gelernt habe? Breiten- wie tiefenwirksam zu studieren. Ich weiß nun, wie ich einen Gegenstand meines Interesses von bislang ungeahnten Seiten durchleuchten kann. Ich habe gelernt, dass Wissenschaft – die Art, Wissen zu schaffen, um so viel reicher ist, als den einfältigen Weg, den man mir bislang zu verstehen gab.

Für zukünftig wünschte ich mir für die universitäre Lehre ein kräftiges Mehr an „mit“, sodass ihr „mit“ und „über“ gleichberechtigt zu Diensten stehen.

Ich persönlich schloss das Seminar im tatsächlichen wie im übertragenen Sinne mit Gras unter meinen Füßen ab und bleibe Helmi für so viele erhellende Momente zutiefst verbunden. Nochmals ganz lieben Dank hierfür!

 

star

de Roeck, Bruno-Paul  (2009): Gras unter meinen Füßen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Fürs Erste bietet sich durchaus der dazugehörige Wikipedia-Artikel als Informationsquelle an: http://de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Plastik

siehe http://www.gesa-ziemer.ch/veroeffentlichungen.html für diesbzgl. Publikationen

Katrin Galler ( 2013): Lebenskünstler – Lebenskunst. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/lebenskunstler-lebenskunst/