„Kultur kollaborativ produzieren“
Das Lehrkonzept zu „I am a Cultural Producer“
Eine Lehrveranstaltung im Rahmen des Studienschwerpunktes Cultural Production & Arts Management an der Universität Salzburg in Kooperation mit der Universität Mozarteum
Unterrichten kann eine Menge Freude bereiten – und im Idealfall sind auch wir als Lehrende gleichzeitig Lernende. Diese Erfahrung haben zumindest wir, die beiden Lehrveranstaltungsleiterinnen von „I am a Cultural Producer I+II“ gemacht. Und da die Studierenden bzw. Die Kulturproduzentinnen in ihrer Dokumentation bereits einen umfassenden Einblick in die Projektentwicklung und Ausstellungsgestaltung geben, möchten wir das Lehrkonzept im Hintergrund kurz vorstellen.
1. Kurzbeschreibung der Lehrveranstaltung
Findet Kultur statt oder wird sie – aktiv – produziert? Und vor allem: Wer produziert Kultur? Nach einer kurzen Einführung in den Begriff „Cultural Production“ stellen wir uns die Frage, wer ein „Cultural Producer“ ist bzw. sein könnte. Laut der UNESCO wird Kultur „als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen“ (UNESCO Abschlussbericht 1983 zitiert in: Schweizer Bundesamt für Kultur und Kulturdefinitionen o.J.: o.S.) (* 6 ) definiert. Dies „schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen“ (ebd.). Dass Kultur primär als gelebte Alltagspraxis aufzufassen ist, ist auf Raymond Williams und seine vielfach zitierte Formulierung Kultur als „whole way of life“ zurückzuführen. Ebenfalls in der Tradition der Cultural Studies stehend geht Richard Johnson (Johnson 1986 (* 4 ); Johnson et al. 2004 (* 5 )) davon aus, dass „Kultur in einem Kreislauf von Produktion (1), Produkten als bedeutungstragenden Texten (2), deren Lesarten (3) und der Einbettung dieser Produkte und ihrer Bedeutung in gelebte Kulturen (4) zu fassen ist“ (Hepp 2009: 249) (* 2 ). Paul du Gay et al. (1997) (* 1 ) haben diesen Kreislauf der Kultur auf den fünf erweiterten Ebenen von Repräsentation, Identität, Produktion, Konsum und Regulierung skizziert, die in einer komplexen Beziehung zueinander stehen und eine Art Kreislauf bilden. Der „Circuit of Culture“ beschreibt anhand dieser fünf zyklischen Momente den (öffentlichen) Kommunikationsprozess des Entstehens (und der Verfestigung) kultureller Bedeutungen. Doch wie kann jeder und jede aktiv diesen kulturellen Kommunikationsprozess mitgestalten? Wann und unter welchen Bedingungen sind wir „Cultural Producer“?
Wintersemester 2011/2012: Übung: I am a Cultural Producer I (2 Wochenstunden)
Im ersten Teil der Lehrveranstaltung wird in den Terminus „Cultural Production“ und den kulturellen Bedeutungszyklus („Circuit of Culture“) auf einer theoretischen Ebene eingeführt. Danach geben in Hinblick auf den zweiten Teil der Lehrveranstaltung im Sommersemester, der die konkrete Umsetzung eines medialen Projektes zum Themenfeld beinhaltet, drei Workshops Einblick in die Arbeit von KulturproduzentInnen und vermitteln analog praktisches Wissen zu Jingle-, Plakat- und Zineproduktion. Den Abschluss der Lehrveranstaltung bildet – als Vorbereitung für das SoSe – die konzeptionelle Entwurfserstellung eines eigenen Projekts zu “I am a Cultural Producer“. Als Projekt haben wir dabei die gemeinsame Gestaltung eines Round Tableim Rahmen der 50-Jahr-Feierlichkeiten der Universität Salzburg sowie die Gestaltung einer ergänzenden Ausstellung vorgeschlagen.
Sommersemester 2012: Übung: I am a Cultural Producer II (2 Wochenstunden)
Der Fokus der Lehrveranstaltung liegt in diesem Semester auf der konkreten Umsetzung des erarbeiteten Konzeptes. Die Projektentwicklung und -implementierung wird schrittweise mit den Studierenden umgesetzt. Dabei werden auch anwendungsorientierte Kompetenzen in der PR-Arbeit erworben: (durch das Verfassen von Presseaussendungen, die Gestaltung einer Facebookseite sowie dieer Drucksortenerstellung).
2. Ziele und Parameter des LV-Konzeptes
Bei der Konzeption der projektorientierten Lehrveranstaltung „I am a Cultural Producer“ war die zentrale Anforderung an die Lehrveranstaltung rasch formuliert: Über die Theorie- und Faktenvermittlung hinaus sollte durch kritische Reflexion und aktive Selbsttätigkeit kreatives und problemlösendes Denken vermittelt und evoziert werden. Die Lehrveranstaltung war von Beginn an als offener Prozess und moderierte Projektentwicklung konzipiert. Wir haben daher folgende Parameter als Zielvorgabe definiert:
#1 Wissenserwerb, -vertiefung und -umsetzung als Anregung zu kritischem, kreativem und problemlösendem Denken
Die Hinführung zu einer eigenständigen „Kulturproduktion“ der Studierenden und das Erleben von vielfältigen Möglichkeiten der Partizipation und der Intervention mittels künstlerischer Strategien standen im Vordergrund der Wissensvermittlung. So wurden theoretischer Input und Diskussionen mit praktischen Workshops in den Bereichen Plakat-, Magazin- und Jingle-Gestaltung verbunden, so dass die Studierenden ihr Wissen anwenden, kritisch reflektieren und zugleich praktisch umsetzen konnten. Dieser Prozess des Transfers von Wissenserwerb in die eigene Praxis war von einem Diskurs begleitet, der zwar durch die LV-Leiterinnen moderiert wurde, aber auch rein innerhalb der LV-Gruppe unter den Studierenden stattfand. Ein Blog hat dabei zentral die Lehrveranstaltung unterstützt.
#2 Transfer des Wissenserwerbs auf und Integration der Fachliteratur in eigene Konzepte
Die Studierenden bekamen kontinuierliche Aufgaben pro Lehreinheit, die nach nochmaliger Reflexion in die Abschlussaufgabe der Studierenden mündeten: Ziel dieser Aufgabe war die Erstellung eines eigenen Konzeptes zur Projektentwicklung und Veranstaltungsorganisation zur 50-Jahr-Feier Universität beim Altstadtfest der Universität Salzburg im Juni 2012, damit fand das erworbene Wissen eine praxis- und realitätsbezogene Anwendung. Für die Erstellung dieses Konzeptes war erforderlich, sämtliche Inhalte und bisherigen (kleineren) Aufgaben der LV mit dem Wissenstand zu „Cultural Production“ zu verknüpfen, aber auch im Hinblick auf die tatsächliche Realisierung als Veranstaltung die praktische Anwendbarkeit zu reflektieren. Da es sich bei der Veranstaltung um eine öffentliche Vermittlung der Inhalte der LV handelte, war hier besonders der Transfer von Wissenschaft in einen (verständlichen) Alltagskontext gefragt.
#3 Entwicklung einer eigenen Perspektive und Formulierung einer persönlichen Sichtweise auf Basis von Reflexion und Interpretation
Speziell im Kontext von zeitgenössischer Kunst gibt es keine „vorgefertigten, richtigen“ Antworten. Daher – und grundsätzlich! – ist die Entwicklung und Formulierung der eigenen Perspektive von zentraler Bedeutung. Die LV hat entsprechend auf zentrale Aspekte der Kunst – nämlich das Fragen stellen, das Hinterfragen, die Entwicklung neuer Sichtweisen und das Vorantreiben neuer gesellschaftlicher Prozesse – Bezug genommen, um den Studierenden in Theorie und Praxis die eigenen Perspektiven greifbar zu machen und konkret die Möglichkeit zu eröffnen, den eigenen Handlungsraum zu erkennen, zu nutzen und persönliche Sichtweisen zu entwickeln und zu reflektieren. Ganz wichtig ist uns darüber hinaus, die eigene Kritikfähigkeit und die Entwicklung der eigenen Meinungsfähigkeit zu fördern, da wir darin eine wichtige Voraussetzung für eine wissenschaftliche Herangehensweise sehen. Dabei hat der Austausch innerhalb der Gruppe – in Form von Diskursen im Blog, aber auch innerhalb von Gruppenarbeiten – eine zentrale Rolle gespielt.
#4 Kollektive und kollaborative Problemlösung auf Basis individueller Sichtweisen und Vorstellungen (schrittweise Begleitung und Anleitung)
Die Tendenz zu kollaborativem und netzwerkorientiertem Arbeiten in der zeitgenössischen Kunst bildet sich auch in der Lehrveranstaltung durch kontinuierliche Kommunikation und interaktives Lernen in der Gruppe ab. Die Studierenden wurden in Aufgabenstellungen angeleitet, eine kollektive Sichtweise zu generieren, die mehrere Perspektiven umfassen sollte.
#5 Methodik des aktiven Lernens: Initiierung einer „participatory culture“ in der Lehrveranstaltung und Projektentwicklung
Der Thematik der Lehrveranstaltung („Kulturelle Produktion als engagiertes, teilweise kritisches und auch produktives Mitgestalten der eigenen Lebenswelt“) ist der Prozess des aktiven Lernens sowie kritisches, problemlösendes Denken per se immanent. In Bezug auf die in der LV u.a. verwendete Fachliteratur von Henry Jenkins et. al haben wir versucht, das Konzept einer „Participatory Culture“ (Jenkins et. al 2006) (* 3 ) als Ausgangspunkt zu nehmen und die Leitlinien auf die Lehrveranstaltung zu transferieren. Das Konzept der „Participatory Culture“ spielt eine wichtige Rolle im Kontext kultureller Beteiligung. Henry Jenkins et. al beschreiben in ihrer zentralen Studie „Confronting the Challenges of Participatory Culture“ (Jenkins et. al 2006) (* 3 ) diese als eine Kultur mit niedrigschwelligem Zugang für künstlerischen Ausdruck und ziviles Engagement, in der Menschen als aktive Beitragende und TeilnehmerInnen in kultureller und medialer Produktion (vor allem online und kollaborativ) agieren, sich gegenseitig in Netzwerken und Communities unterstützen und über informelles Mentoring Wissen teilen und weitergeben (Jenkins et. al 2006, S. 3) (* 3 ). Bis dato wurde das Konzept in medienpädagogischen Kontexten und in Bezug auf online Entwicklungen diskutiert: In dieser Lehrveranstaltung wird es auf Interventionsmöglichkeiten im Bereich zeitgenössischer Kunst und den „realen“ Raum angewandt.
In loser Anlehnung an die von den Studien-AutorInnen definierten vier Formen einer „participatory culture” – affiliations, expressions, collaborative problem-solving und circulations (Jenkins et al. 2006) (* 3 ) – haben wir folgende Parameter innerhalb der LV umzusetzen versucht:
- Affiliations (als Aufbau einer temporären „Community“): Es gab von Beginn an die klare Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel, nämlich die öffentliche, gemeinsam konzipierte und realisierte Gestaltung einer Veranstaltung zu „I am a Cultural Producer“ bei der 50-Jahr-Feier der Universität. Durch die laufende Involvierung der Studierenden in die Aufgabenstellungen, zahlreiche Gruppenarbeiten, Workshops und den kontinuierlichen Austausch im Blog hat sich rasch das Gefühl einer Zugehörigkeit zum Projekt und zur Lehrveranstaltungsgruppe als „Community“ entwickelt. Dieses Zugehörigkeitsgefühl hat im Januar 2012 in der – eigenständigen – Benennung der Gruppe zu „Die Kulturproduzentinnen“ geführt. Unter diesem „Label“ fand der Round Table am 2. Juni 2012 im Furtwänglerpark beim Altstadtfest in Salzburg statt.
- Expressions (als produktive (Mit-)Gestaltung neuer kultureller Formen): Die Studierenden werden nicht nur selbst zu (Mit-)OrganisatorInnen des Round Tables, sondern gestalten als ProduzentInnen künstlerischer und kultureller Interventionen aktiv die thematische Auseinandersetzung und zeichnen für die öffentliche Aufbereitung der Forschungs- und Lehrinhalte (mit-)verantwortlich. Sie lernen dabei, die besprochenen Inhalte der Lehrveranstaltung für die Öffentlichkeit aufzubereiten und setzen das erlernte Wissen unmittelbar in die Praxis um.
- Collaborative Problem-solving (als gemeinschaftlicher Prozess): Schrittweise wurden die Studierenden in der Lehrveranstaltung und durch moderierte Gruppenaufgaben und -gespräche dabei unterstützt, selbst eine Definition von „kultureller Produktion“ im Kontext eines individuellen Handlungsraums zu entwickeln. Dabei wurden zahlreiche Einzelperspektiven eingebracht, die im Diskurs auf ein komplexes und weit reichendes, aber dennoch klar konturiertes Determinationsfeld abgestimmt wurden. Eine gemeinsame Definition von „Cultural Production“ war eines der zentralen Resultate der Lehrveranstaltung.
- Circulations (als Zirkulationsprozess): Die kontinuierliche Erweiterung des Kommunikationsraumes über die Lehrveranstaltung hinaus (in Form von Facebook-Einträgen, eines eigenen Blogs und zuletzt eines öffentlichen Transfers in Form der Veranstaltung bzw. auch Ausstellung) erweitert den Rahmen der Lehrveranstaltung um und in den öffentlichen Raum. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dadurch nicht nur ein externer Wissenstransfer ermöglicht wird, sondern die Studierenden ihre Aufgaben im eigenen Projekt auch viel verantwortungsbewusster und konzentrierter wahrnehmen.
Die verschiedenen Lehr- und Lernaktivitäten wurden mit dem Lernziel – der Umsetzung des anwendungsorientierten Wissens zum Themenfeld „Cultural Production“ anhand der Realisierung eines eigenen Projektes – abgestimmt. Die kritische Reflexion des theoretischen Hintergrundes mit der praktischen Umsetzung von Plakatgestaltung, Zine- und Jingleproduktion führte zur erfolgreichen Entwicklung des Konzeptes des Round Tablefür das Altstadtfest, in dem die Studierenden selbst als „Die KulturproduzentInnen“ ihre Fragestellungen für die Öffentlichkeit aufbereitet, kulturelle Interventionen entwickelt und auf diese Weise einen öffentlichen Diskurs über die Mitsprache des Individuums in kulturellen Fragen initiiert haben.
„I am a Cultural Producer I“
Dokumentation der einzelnen Lehrveranstaltungseinheiten (Elke Zobl/Siglinde Lang)
Elke Zobl, Siglinde Lang ( 2012): „Kultur kollaborativ produzieren“. Das Lehrkonzept zu „I am a Cultural Producer“ Eine Lehrveranstaltung im Rahmen des Studienschwerpunktes Cultural Production & Arts Management an der Universität Salzburg in Kooperation mit der Universität Mozarteum . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 01 , https://www.p-art-icipate.net/kultur-kollaborativ-produzieren/