Von Toiletten als Grabsteinen, KünstlerInnen als (sinnlichen) ManagerInnen und dem besten Kaffee auf Erden

Ein persönlicher Rückblick auf sechs Wochen Forschungsaufenthalt in Zypern

Ausgestattet mit meinem Laptop, einer 250-seitigen Dissertationsschrift und viel Vorfreude auf einen sechswöchigen Forschungsausenthalt als „Art-based-Scientist“ am Cornaro Institut in Larnaca lande ich im März 2014 in Zypern. Bereits nach den ersten Minuten fühle ich mich auf dieser am Rande Europas gelegenen Insel herzlichst aufgenommen: Ein freundlicher Plausch mit dem Taxifahrer erläutert mir, dass ich bei frühlingshaften 25 Grad und strahlendem Sonnenschein die beste Zeit in Zypern erwischt habe, dass das Meer mit 22 Grad bereits zum Baden einlädt und dass ich mir als allein reisende Frau in Zypern keinerlei Sorgen zu machen brauche, da die Kriminalitätsrate unterdurchschnittlich gering ist. Denn in Zypern – so der Taxifahrer – stehen Gelassenheit, Gastfreundschaft und gutes Essen an der Tagesordnung.

Diese Worte werden mich die folgenden Tage und Wochen begleiten. Denn sie haben treffend formuliert, was den Charme der Insel ausmacht. So herrscht auch am Cornaro Institut eine entspannte, freundliche und offene Atmosphäre. Das kleine, aber sehr engagierte Team nimmt mich herzlich in Empfang: Pete, Künstler und derjenige, der morgens als erster in seinem Atelier zu arbeiten beginnt, führt mich durch die Räumlichkeiten und stellt mir KollegInnen und StipendiatInnen vor: Angela, Sekretariatsleiterin, winkt mir von ihrem großen Schreibtisch in der Bibliothek zu. Sie wird mich in den nächsten Wochen bei organisatorischen Belangen unterstützen und dabei immer wieder ihre Begeisterung für Shakespeare und die Welt des Theaters versprühen.

Als Nächsten lerne ich Andreas Efstathiou kennen, einen großartigen zypriotischen Maler, der mich nicht nur mit seiner feinen Technik, individuellen Bildsprache*1 *(1) und einem gewaltigen Farbenspektrum begeistert, sondern auch durch sein eigens entwickeltes Patent, Kaffee in alter zypriotischer Tradition zu brauen. Einen besseren Kaffee habe ich selbst in Italien nicht getrunken – und in Gesprächen bei Espresso und Keksen erläutert er mir nicht nur seine Arbeitsweise als Maler, sondern erzählt auch von einer seiner künstlerischen Interventionen, die er aus „Zorn auf die Bankenhaie“ entwickelt hat:

20 toilettenartige Skulpturen, die parallel Assoziationen an Grabsteine wecken, wurden aus einem Putzgemisch erstellt, in den frühen Morgenstunden nach Nicosia gebracht und noch vor Tagesanbruch vor dem Eingang der größten Bankzentrale der Hauptstadt im öffentlichen Raum aufgestellt. Nicht nur die Reaktionen der BankerInnen, sondern auch der PassantInnen und der Presse war enorm – und Andreas, ein eher publicityscheuer Zeitgenosse – war aufgrund der Kanalisation seiner Wut in diese bildgewaltige Protestaktion für mehrere Tage Gesprächsstoff nationaler wie auch internationaler Medien.

Vor Ort live miterlebt hat auch Laura die Reaktionen auf Andreas Intervention: „PassantInnen sind zumeist schmunzelnd-nickend verlangsamt vorbeigeschlendert.“ Sie ist aktuell Stipendiatin am Institut und kommt aus Nicosia. Mit ihr tausche ich mich nicht nur über Bourriauds Konzept der Relationalen Ästhetik aus, sondern erhalte auch zahlreiche Tipps zur zeitgenössischen Kunst- und Kulturszene in der zypriotischen Hauptstadt.

Derek wiederum, Künstler und Dozent am College, schwärmt vom besonderen Licht auf Zypern, das er als künstlerischer Fotograf sehr zu schätzen weiß. Diese Meinung teilt auch Sam, Stipendiat aus Australien, mit ihm. Mit einem sehr guten Auge und Gespür für besondere Momente sucht Sam nicht nur Zypern fotografisch zu erforschen, sondern hält auch einen exzellenten Vortrag über das Verhältnis von sinnlicher und kognitiver Wahrnehmung und erschließt mir in anschließenden Diskussionen neue Blickwinkel auf meine Forschungsarbeit.

An diesen Diskussionen beteiligt sich auch Michael, der Leiter des Institutes und Sohn einer der bekanntesten Künstlerpersönlichkeiten Zyperns, Stass Parnakos, sehr lebhaft. Er ist promovierter Kunstwissenschaftler und profunder Experte der Kunst- und Kulturgeschichte des Landes. Als Kunstkritiker vertritt er in Bezug auf den künstlerischen Schaffensprozess einen Ansatz, der die „physische Beteiligung“ ins Zentrum des Kunstwerkes stellt und dieses folglich als ästhetisches Objekt und weniger als „Illustration einer Idee“ verortet. Er fordert speziell für eine zeitgenössische Kunst, die sich immer mehr konzept-basiert präsentiert, eine Rückbesinnung auf die Kraft des Sinnlichen und auf das Vertrauen in Kunst als ästhetisch-physisches Gestaltungs- und Ausdrucksformat.

Gerade von ihm erhalte ich viele Anregungen für meine Arbeit: Denn Ziel meines Forschungsaufenthaltes ist es, die Erkenntnisse meiner Dissertation zu „Art goes Culture“*2 *(2) aus einer verstärkt künstlerisch-praktischen Perspektive zu reflektieren: Im Rahmen einer sogenannten Fokusgruppe*3 *(3) werde ich mit den Kunstschaffenden sowie Michael als Leiter über die Interdependenzen von Kunst und kultureller Bedeutungsproduktion intensiv diskutieren. Nach einer kurzen Einführung in die Themenstellung präsentiere ich ihnen jenen Modellablauf partizipatorischer Kunstprojekte, den ich auf Basis von Fallstudien sowie einer interdisziplinären hermeneutischen Auseinandersetzung erstellt habe.

Modell_Grafik

Abbildung: Art goes Culture. Grafische Gestaltung: ger2

Meine Fragestellungen an die GruppenteilnehmerInnen zielen vor allem darauf ab, ob sie ihre eigene künstlerische Herangehensweise, den Verlauf ihrer kreativen Prozesse innerhalb dieses Ablaufmodells und der formulierten Phasen wiedererkennen – auch wenn sie selbst keinen partizipatorischen Kunstansatz vertreten. Die entstehende Diskussion ist äußerst lebhaft und konstruktiv. Speziell der Diskussionsverlauf zeigt auf, dass es vor allem Reflexionsprozesse sind, die spontane Abwehrhaltungen in eine Wiedererkennung der eigenen Tätigkeit münden lassen. Denn erste Reaktionen bringen vor allem zum Ausdruck, dass sich ein künstlerisch-kreativer Prozess „so nicht kanalisieren“ lässt bzw. „Kunstschaffende nicht nach solchen Zielen arbeiten“ – und „Management“ doch so gar nichts mit Kunst zu tun habe.

Doch bei erneuter Erläuterung des Modells anhand eines konkreten Beispiels ist es vor allem der sogenannte Mikrokosmos in der konzentrischen Mitte, der Raum zwischen dem „Was ist“ und dem „Was sein könnte“, der ein Nicken seitens der Kunstschaffenden hervorruft – und in Folge die Diskussionen vor allem darum kreisen lässt, wie das denn nun sei, mit dem „Austausch mit der Welt da draußen“? Nun mehren sich auch die Stimmen, die in den einzelnen Phasen und Vorgängen Ähnlichkeiten zu der eigenen Arbeit feststellen. Jedoch – und das kann auch als das Resümee der Fokusgruppe angesehen werden – wird betont, dass diese enge Verbindung zu verschiedenen Teilöffentlichkeiten von den meisten Kunstschaffende „so“ nicht „gelebt wird“, sondern dies eher im Arbeitsbereich von KuratorInnen, ManagerInnen oder den Medien gesehen wird.

Doch nicht nur die Fokusgruppe und ihre – im Transkriptionsverfahren mehrfach analysierten – Ergebnisse waren Aufgabe meines Aufenthaltes in Zypern. Parallel habe ich mich auf Recherchereise zu spannenden zeitgenössischen Kunst- und Kulturstätten (Süd-)Zyperns begeben. Das Ergebnis meiner Erkundungen werde ich nicht nur ab Oktober mit Studierenden des Studienschwerpunktes teilen, sondern vor Ort im April 2015 erneut mit hoffentlich zahlreichen neu gewonnenen Zypernfans fortsetzen: Wer mit dabei sein möchte, dem sei folgender Link empfohlen: Link Vorschau Hot Spot Cyprus. Auf bald in Zypern!

Eine Fokusgruppe ist eine Forschungsmethode der qualitativen Sozialforschung, in der in Form einer Gruppendiskussion eine spezifische Idee, ein Prototyp oder ein Konzept nach vorab bestimmten Regeln, einem Leitfaden und verschiedenen Moderationsstufen erörtert und reflektiert wird.

Siglinde Lang ( 2014): Von Toiletten als Grabsteinen, KünstlerInnen als (sinnlichen) ManagerInnen und dem besten Kaffee auf Erden. Ein persönlicher Rückblick auf sechs Wochen Forschungsaufenthalt in Zypern. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 05 , https://www.p-art-icipate.net/von-toiletten-als-grabsteinen-kunstlerinnen-als-sinnlichen-managerinnen-und-dem-besten-kaffee-auf-erden/