Künstlerische Interventionen im urbanen Raum – über “Die Kunst des urbanen Handelns”

Buchrezension

Das im Januar 2014 erschienene Buch „The Art of Urban Intervention / Die Kunst des urbanen Handelns“ dokumentiert den Reflexionsprozess im Rahmen des gleichnamigen internationalen Projektes von sechs Kunstinstitutionen*1 *(1) und versammelt Beiträge der ProjektpartnerInnen sowie darüber hinausgehend Beiträge über künstlerische Interventionen in anderen europäischen Städten, sowie überarbeitete Vorträge aus der im Rahmen des Projektes realisierten Konferenz „Urban Neighbourhood Cultures – Diversity, Participation, Spaces of Negotiation“, 2011 in Graz.*2 *(2)

Die rund 17 Artikel des Sammelbandes gliedern sich in drei Bereiche: Der erste Teil befasst sich mit dem Grazer „Annenviertel“ – einem Gretzel im Umbruch, dessen Name im Rahmen eines Projektes durch den Kunstverein < rotor > geschaffen wurde. Der zweite Teil stellt Projekte aus neun Städten (Mailand, Hamburg, Istanbul, Sofia, Ústí nad Labem, Rotterdam, Paris, London und Zagreb) vor, in denen KünstlerInnen zusammen mit BewohnerInnen in den lokalen Stadtraum eingreifen. Und der dritte Teil gibt Einblicke in stadt- und kulturtheoretische Diskurse über das künstlerische Eingreifen in den Stadtraum (vgl. Laister 2014: 10-19).star (*2)

Als Rahmenthema des Bandes stellt sich die Problematik der Gentrifizierung und die Rolle von Kunst und KünstlerInnen in diesen Prozessen städtischer Transformation dar. Das Agieren und Intervenieren von KünstlerInnen im städtischen Raum und zusammen mit den lokalen BewohnerInnen bewegt sich zumeist in Widersprüchen zwischen den Potenzialen kollektiver Handlungsmacht einerseits und der Instrumentalisierung der AkteurInnen in Strategien der neoliberalen Stadtplanung.
Im Folgenden seien ein paar Schlaglichter des Bands herausgegriffen:

Im Grazer „Annenviertel“ war bereits die Namensgebung eine Intervention in den städtischen Alltag sowie in die Symbolpolitik des Stadtgefüges. Prompt wurde der im Rahmen des Kunstprojektes geschaffene Name von der Stadtentwicklung und in Folge von der Immobilienbranche übernommen und damit ein Paradebeispiel für Gentrifizierungsprozesse vorexerziert, was nicht zuletzt im Projektkontext kritisch reflektiert wurde (vgl. Markovec/Lederer 2014: 20-37).star (*3)

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Vier von 350 Zeichnungen aus dem Teilhabeprojekt 333 x Nachbarschaft, das Tere Tecarens in der Wohnanlage Idlhof im Grazer Annenviertel 2010 realisierte. Fotos: Tere Recarens & rotor

Als effektive Widerstandsstrategie im Kontext von Gentrifizierung sieht Antonio Brizioli (2014: 93)star (*4) eine Weiterentwicklung des Konzepts „site specific“ hin zum Konzept „fight specific“, wie er dies bezugnehmend auf das Isola Art Center in Mailand ausführt: Die Allianzenbildung und Solidarität zwischen KünstlerInnen und anderen StadtteilbewohnerInnen „erzeugt eine aktive Community, die rund um die Durchsetzung gemeinsamer Werte und die Verwirklichung strategischer künstlerischer und politischer Aktionen Form annimmt“ (Brizioli 2014: 93).star (*4)

Das gemeinsame Lernen auf Augenhöhe wird auch von dem Istanbuler Künstlerinnenkollektiv Oda Projesi unterstrichen, das von 1997-2005 einen Kunstraum in einem Istanbuler Arbeiterstadtteil betrieb und ihre künstlerischen und kuratorischen Projekte im Stadtteil als Nachbarschaftsprojekte unter NachbarInnen verstehen und erst in zweiter Linie als künstlerische Projekte – vielmehr stehen das solidarische Agieren und das gemeinsame Intervenieren in den Alltag des Stadtteils im Vordergrund (vgl. Oda Projesi 2014: 112-127).star (*5)

Das „UrbanFestival“ in Zagreb versteht sich ebenfalls als Weg, Kunst in den Alltag zu bringen und sie als gesellschaftliche Praxis zu verstehen – mit einer Strategie der kleinen „Stiche“ werden durch künstlerische Eingriffe „Mini-Antagonismen“ überall in der Stadt sichtbar (vgl. Vikovic 2014: 209, 213).star (*6)

In diesem Kontext ist nicht zuletzt der Begriff des „Urban Curating“, des Kuratierens des urbanen Raums, von Interesse. Der ursprünglich im Bereich der Architektur geprägte Begriff scheint sich mittlerweile ebenso im künstlerischen Bereich zu etablieren und die „Arbeit an der Gemeinschaftlichkeit“ als zentrale Aufgabe zu sehen (vgl. Krasny 2014: 229ff.)star (*7)

Als Um und Auf, um Prozessen der Gentrifizierung entgegenzuwirken, sehen Laimer/Rauth jedenfalls „Konflikten nicht aus dem Weg“ zu gehen sowie das Vorhandensein von AkteurInnen, die über den Zusammenhang von „Kunst, Stadtentwicklung und Politik Bescheid“ (Laimer /Rauth 2014: 277, 279)star (*8) wissen. Eine Re-Politisierung der KünstlerInnen sei dabei grundlegend sowohl für eine Bottom-up Kulturpolitik als auch für eine Solidarisierung über die eigenen Milieugrenzen hinweg: „(…) egal ob KünstlerInnen, politische AktivistInnen oder Geschäftsleute – durch Nachbarschaftsmobilisierung mit Ideenentwicklung und Kommunikation auf Augenhöhe, Witz, Smartness und dem kreativen Schaffen von Öffentlichkeit“ kann gemeinsam gegen Gentrifizierung sowie gegen die Instrumentalisierung künstlerischer Arbeit in diesem Kontext vorgegangen werden (Laimer /Rauth 2014: 279).star (*8)

Gegenseitiges Lernen, kollektive Wissensproduktion auf Augenhöhe aber auch Konflikt und Dissens figurieren als wichtige Parameter einer „Kunst des urbanen Handelns“, die das Eingreifen in den städtischen Alltag als demokratiepolitische Teilhabe fasst.

Empfehlung: Laister, Judith/ Markovec, Margarethe / Lederer, Anton (Hg.) (2014): The Art of Urban Intervention/Die Kunst des urbanen Handelns. Wien: Löcker.

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Laister, Judith/ Markovec, Margarethe / Lederer,  Anton (Hg.) (2014): The Art of Urban Intervention/Die Kunst des urbanen  Handelns. Wien: Löcker.

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Laister, Judith: Einführung. In: Laister, Judith/ Markovec, Margarethe / Lederer,  Anton (Hg.) (2014): The Art of Urban Intervention/Die Kunst des urbanen  Handelns. Wien: Löcker. S. 10-19.

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Markovec, Margarethe /Lederer, Anton: Nachbarschaft und Empowerment. In: Ebd., S.20-37.

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Brizioli, Antonio: Das Isola art Center und die Vorteile der Zersprengung. In: Ebd., S. 82-95.

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Projesi, Oda: Ohne Dach, jedoch mit Hof. In: Ebd., S.112-127.

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Viković, Vesna: Die Kunst (der Produktion) des Raums. In: Ebd., S. 204-219.

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Krasny, Elke: Urban Curating: Jetzt Wi(e)der. In: Ebd., S. 220-235.

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Laimer, Christoph /Rauth, Elke: Catch 22 oder: Nichts tun ist auch keine Lösung. In: Ebd., S. 264-279.

Am Projekt beteiligt waren < rotor > Center for Contemporary Art/Graz, University of J.E. Purkyne/Ústí nad Labem, [BLOK] – Local Base for cultural refreshment/Zagreb, The Blue House Foundation/Amsterdam, Institute of Contemporary Art Sofia, NABA – New Academy
of Fine Arts/Milano.

Die Konferenz wurde von < rotor > veranstaltet und fand im Theater im Bahnhof statt.

Laila Huber ( 2014): Künstlerische Interventionen im urbanen Raum – über “Die Kunst des urbanen Handelns”. Buchrezension. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 05 , https://www.p-art-icipate.net/kunstlerische-interventionen-im-urbanen-raum-uber-die-kunst-des-urbanen-handelns/