„Es geht darum, Möglichkeitsräume zu öffnen!“

Ein Interview mit Marty Huber, Steffi Müller und Klaus Dietl

Wie wird Partizipation in künstlerischen Praxen gelebt? Welche Rolle spielt dabei die AutorInnenschaft? Wie kann konkret mit künstlerischen Strategien in soziale Mikrokosmen interveniert werden? Wie kann Sichtbarkeit geschaffen werden, ohne gleichzeitig die neoliberale Sichtbarkeitsdoktrin zu reproduzieren? Und in welchem Verhältnis stehen dabei Kunst und Aktivismus?
Die KünstlerInnen Marty Huber, Steffi Müller und Klaus Dietl waren von Februar bis Mai 2016 Teil des Projektteams von „Making Art – Taking Part!“ in der Zusammenarbeit mit dem BORG Mittersill. Im Gespräch mit Elke Zobl, Veronika Aqra und Laila Huber sprechen sie über ihre künstlerische Praxis, über Ansätze der Partizipation und Intervention sowie über Zwischenräume des Dialogs und Konflikts und reflektieren den gemeinsamen Projektprozess.

Laila Huber: Künstlerische und kulturelle Interventionen sind in unserem Projekt zentrale Begriffe, wobei wir uns im Projektprozess laufend mit dem Begriff des Intervenierens befasst haben und er weiter in Verhandlung bleibt. Was bedeutet der Begriff der (künstlerischen) Intervention für euch und für eure künstlerische Praxis?

Elke Zobl: Es geht uns um den Charakter des Intervenierens, des Eingreifens.

Marty Huber: Das Erste, was ich damit assoziiere, ist eigentlich Intervention als Unterbrechung des Alltags oder des Normalen, des Natürlichen. Ich finde es spannend zu überlegen, ob es eine Intervention ist, die eine Aussetzung macht, also eine Pause, oder eine Setzung. Letzteres bringt ein Statement, eine Idee, eine Parole; eine Aussetzung hingegen bringt eigentlich nichts außer eben eine Aussetzung. Ein Beispiel dafür wäre der Begriff „proletarischer Streik“, der nicht schon die Lösung proklamiert, sondern einfach die Arbeit unterbricht, um dann erst zu schauen: Wer ist hier mit mir, und was wollen wir eigentlich? Und nicht schon vorweg zu sagen „wir wollen“. Sondern „wir unterbrechen“, „wir setzen aus“. Das ist das, was man eine Aformation nennt. Das Nicht-Tun. Also nicht Performation, sondern Aformation. Ich finde, es hat alles seine Berechtigung.

Laila Huber: Und in deiner Arbeit sind beide Zugänge von Relevanz, oder ist einer dieser beiden Aspekte stärker?

Marty Huber: Ich glaube, ich habe unterschiedliche Phasen. Im Moment bin ich mehr in der performativeren Phase. Der Performanz-Begriff besagt ja, dass ich durch Sprechen handle. Und das heißt schon sehr konkret etwas vorschlagen. Zum Thema Aussetzen: Es gibt eine Methode, die ich sehr gerne mag, die im FLIC FLAC* mit „Schwärmen“ benannt ist. Man geht zusammen in einem Schwarm, hält einen gewissen Abstand voneinander, spricht nicht miteinander und bewegt sich so durch einen Raum. Dabei wird die Richtung immer wieder neu ausverhandelt, durch Ziehen oder Pushen. Man produziert eigentlich auch so etwas wie eine Aussetzung oder einen Moment des Bruches der Normalität: Wie bewegen sich zum Beispiel Leute im Supermarkt dadurch, dass sich einige Leute unoffensichtlich anders bewegen? Die Wahrnehmung von anderen wird ganz marginal verschoben. Ich habe dann oft mit Leuten geredet, die sagten: „Man merkt, es ist in diesem Raum irgendwas komisch. Man kann nicht sagen, was das ist, aber es gibt hier ein anderes Netz, das darüber gelegt ist.“ Ich finde solche subtileren Formen interessant. Aber gleichzeitig mag ich es auch, wenn es klare Ansagen gibt wie: „Ihr habt zwei Minuten, jetzt beginnt es. Das ist die Frage, los!“ Und in diesem Zwangssystem wiederum den Freiraum zu suchen – im Improvisieren den Schwung zu holen, eine Dynamik zu finden. Und zu sagen, das ist ein ganz rigides System, das eine Setzung hat. Das fängt bei Null an und hört bei 2,0 auf. So gesehen ist weder das Eine noch das Andere besser oder schlechter.

Laila Huber: Steffi und Klaus, gibt es etwas in Martys Ausführungen, wo ihr anknüpfen möchtet?

Steffi Müller: Das meiste, an dem ich beteiligt bin, geht in Richtung Sichtbarmachen, sichtbar werden und Gehör verschaffen. Es ist ein sehr kommunikativer Ansatz. Ich habe das Gefühl, dass ich oft etwas wie eine Plattform schaffe. Ich mag es, wenn am Anfang Botschaften oder klare Ideen noch nicht so da sind, sondern erst im Prozess beim Aussetzen, beim Voranbringen, beim Machen entstehen. Ich denke an ein Beispiel, bei dem die Idee gemeinsam von ganz vielen verschiedenen Menschen kam: Die „Tage der geschlossenen Türe“, eine Aktionsreihe, die wir 2012 ins Rollen gebracht haben. Da waren SchülerInnen, KünstlerInnen dabei – ganz gemischt, darunter auch Menschen, die aufgrund von Mobilitätseinschränkungen im Alltag behindert werden und eine Performance-Gruppe in München ins Leben gerufen haben: „abArt“. Es stand eine Unterführungspassage im öffentlichen Raum zur Verfügung. 70 Menschen waren beteiligt, aber die Passage war für mindestens 15 von ihnen nicht zugänglich.  Daraus entstand die Idee der „Tage der geschlossenen Türe“. Uns war eigentlich nur bewusst, dass wir eine Ausstellung auf Rädern brauchen, die die zugangsbeschränkte Ausstellungsfläche jederzeit verlassen kann und draußen im Stadtraum allen offen steht. Es ging ums Sichtbarmachen von Missständen und darum, Gehör zu finden.
Beim Gehen oder im Rollen durch die Stadt gab es viele Zwischengespräche. Ich liebe diese Zwischensituationen, sie sind mir oft wichtiger als das, was ich mir eigentlich vorgenommen habe. Aber ganz ehrlich gesagt, nehme ich mir gar nicht so oft etwas Strenges vor. Wenn etwas zu zielorientiert ist, merke ich, dass ich dann einen inneren Widerstand entwickle. Ich habe oft Feedback gekriegt, dass sich die KünstlerInnen wundern, warum ich scheinbar überhaupt keinen Wert auf Kuration lege. Ich brauche diese Freiheit für den Prozess. Ich mag es, wenn Positionen und unvorhergesehene Situationen aneinander kratzen, und dadurch wieder etwas Drittes entsteht.

Marty Huber: Also würdest du dich eher als Situationistin sehen? Denn da geht es ja auch darum, Situationen herzustellen, in denen etwas passieren kann.

Steffi Müller: Das liebe ich.

Marty Huber: Es geht darum, Möglichkeitsräume zu öffnen!

Steffi Müller: Ja, genau. Und dass Menschen, egal wo sie herkommen, egal wer sie interessant oder spannend findet, egal wer sie sind, diese Räume befüllen können.

Marty Huber: Ich finde es gerade sehr spannend, über das Wort Sichtbarkeit nachzudenken. Wir leben in einer Gesellschaft, die sich in einem Exzess von Sichtbarkeitsdoktrin befindet.  Unsere medialisierte Welt lebt davon, alles sichtbar zu machen. Und ich finde es spannend, dass du sagst, es gibt Dinge, die dazwischen passieren, die aber undokumentiert bleiben sollen – denn die Sichtbarkeit zerstört eigentlich diesen Moment. Ich empfinde das immer wieder als ein Dilemma, dass bei geförderten Projekten oft Formen der Produktivitätsnachweise gefragt sind, dass man Sichtbarkeit produzieren muss. Denn es ist ein Unterschied, ob ich sage: Ich entscheide mich, ich will jetzt sichtbar sein. Oder ich sage: Ich brauche diese Räume, aber es soll eigentlich niemand davon wissen. Das verkauft sich extrem schlecht.

Steffi Müller: Dieser Moment, den die Menschen, die am Prozess beteiligt sind, miteinander aushandeln, ist für mich interessant. Mir geht es darum, dass die Fragen und die Ideen, die ausgehandelt werden, eine Chance bekommen, in den Machtdiskurs hineinzukommen. Es gibt so viele Menschen, die da keinen Platz finden oder bekommen, obwohl sie auch etwas zu sagen haben. Wie können ihre Gedanken und Beiträge in den breiten Diskurs einfließen? Welche Kanäle können dabei genutzt zu werden? Wie lässt sich Stück für Stück ein kommunikatives Netzwerk stricken, das aus den Nischen nach außen dringt, wie eine Krake.

Laila Huber: Da geht es also um die Frage der Nachhaltigkeit. Ist es so gemeint, dass du in deiner Praxis an Prozessen mit verschiedenen Leuten über mehrere Jahre zusammenarbeitest oder dass sich bei Menschen etwas tut und sich das vielleicht erst nach längerer Zeit auswirkt? Welche Rolle nimmt ein temporäres Projekt im Vergleich zu einem längerfristigen Projekt in deiner Praxis ein und welche Bedeutung hat das jeweils?

Steffi Müller: Beides. Manchmal gibt es Projekte, bei denen es einfach dauert, oder es sich zieht, wo es eine gewisse Zeit braucht, bis es sich setzt. Manchmal sind Projekte auch räumlich weit verteilt, dass sie nur eine Chance haben, wenn man ihnen auch genug Zeit gibt. Und andererseits müssen sich die Dinge setzen können, um dann etwas anzukurbeln. Das Gerade mit jüngeren Menschen habe ich oft erlebt, dass nach vier, fünf Jahren plötzlich wieder ein Kontakt zustande kommt und etwas aufgegriffen wird, was in einem Workshop oder in einem längeren Projekt Thema war. Das ist oft überraschend, aber ich finde es schön, dass da Fragmente hängen geblieben sind. Ich kenne das auch von mir selbst, dass dann viel später etwas angekurbelt wird. Ich finde, dass manche Dinge Zeit brauchen. Im Kunstkontext erlebe ich oft, dass die Erwartungshaltungen so sind: Du lernst eine neue Gruppe im Januar kennen und im März soll sich diese Gruppe super gut verstehen und gemeinsam eine riesige Skulptur hinklatschen. Das ist gar nicht meins.

Marty Huber: Ich möchte noch einmal zurückkommen auf die Frage von Intervention und Zeit oder langfristig und ad hoc. Ich bin zum Teil in sehr langfristigen Prozessen involviert, zum Beispiel feiere ich gerade 20 Jahre Aktivismus in der Türkis-Rosa-Lilla-Villa, da bin ich quasi eine der Ältesten. Es geht dabei auch um Wissenshierarchien, Geschichte, Historizität, Erfahrungen und neue Generationen. In der Villa sind schon mehrere aktivistische Generationen, das ist das eine. Dann geht es auch um Sichtbarkeitsfragen oder Methoden der politischen Intervention des Hauses, das ja auch sehr stark in den öffentlichen Raum hineinwirkt. Das hat wiederum mit der Ressource dieses langen Seins und auch der dadurch behaupteten Macht zu tun. Im Gegensatz dazu funktionieren Formen wie das Ladyfest oder andere DIY-Organisationen, die sich ad hoc als Kollektiv zusammentun, um dann für einen Festivaltag, oder für einige Tage etwas zu verschieben, strukturell anders. Diese spontanen Formen sind auch ganz wichtig, um Querverbindungen zu schaffen zwischen Menschen, die ähnliche Interessen haben, aber sonst vielleicht nicht zusammen arbeiten würden. Und dann gibt es die anderen, die langfristige Räume schaffen, wo auch viel an Selbstorganisationen etc. passiert.

Laila Huber: Ist das Längerfristige für dich auch stärker an das Aktivistische gebunden, und das spontane ad hoc Intervenieren stärker performativ-künstlerisch? Oder würdest du es gar nicht so trennen?

Marty Huber: An und für sich gibt es eine reichhaltige Kulturarbeitsszene: Wie etwa FS1 oder die Radiofabrik in Salzburg, das sind medienaktivistische Kontexte; oder die ARGE Kultur da gab es auch Besetzungen vor 20-30 Jahren. Bei der Professionalisierung solcher Räume stellt sich dann immer die Frage: Wo gibt es noch kritisches Potenzial? Ich kann das auch aus 20 Jahren Villa sagen: Das geht mal so und dann wieder so. Es gibt dann Phasen in der Kunst, die sind einfach nur schnöde. Da ist so wenig an Kritik vorhanden, da zeichnen alle Selbstportraits. Das sage ich jetzt einfach so.

Laila Huber: Steffi und Klaus, wie seht ihr diese Frage der künstlerischen Praxis und nach dem Wechselspiel zum Aktivistischen oder aktivistischen Netzwerken? Soviel ich weiß, seid ihr in München und auch darüber hinaus sehr stark vernetzt. Wie steht für euch die künstlerische Praxis in Bezug zu aktivistischen Praxen? Welche Rolle spielt das Wechselspiel zwischen dem Künstlerischen und dem Politischen für euch?

Steffi Müller: In Bezug auf München erlebe ich mit, dass beide Stränge extrem wichtig sind. Wenn es keine Szene oder keine aktivistischen Strukturen gäbe, die diesen roten Faden vorantreiben, dann hätte vieles andere keine Chance. Das ist oft auch der Nährboden, damit die Stadtpolitik überhaupt nur einen geringen Funken Verständnis für andere Formen von Öffentlichkeit mitbringt. Das ist ein langer Kampf, deswegen schätze ich das selber total und deswegen vermischt es sich bei mir: Ich kann oft gar nicht sagen, ist das jetzt künstlerisch oder aktivistisch? Für mich ist es alles, und für mich gehört es auch zusammen. Denn wenn ich kommunizieren will, dann kann ich keines von beiden ausklammern.

Veronika Aqra: Du versuchst also, diese Wissensvorsprünge wegzulassen und antihierarchisch an deine Projekte heranzugehen. Ist das auch ein Versuch, die Machtbeziehungen, die es normalerweise gibt, zu dekonstruieren oder ihnen entgegenzuwirken?

Steffi Müller: Ja, das macht schon Spaß. Ich erinnere mich z.B. an einen Workshop, wo ganz junge SchülerInnen dabei waren, und ich war selber noch total jung, gerade mal 20. Die Jugendlichen hatten Lust, sich erst mal ein Oberteil oder so zu nähen. Ich hingegen war voller aktivistischer Ansprüche und dachte: „Nein, die müssen irgendetwas total Dekonstruiertes machen, das gar nichts Wirkliches mehr ist.“ Da habe ich von den SchülerInnen gelernt, dass ich sie erst mal lassen muss. Und wenn sie das gemacht haben, dann gibt es auch die Offenheit, etwas anderes entdecken zu wollen. Diese Lockerheit habe ich selbst auch erst erlernen müssen.

Veronika Aqra: Und wenn wir jetzt zum Projektprozess, also der Zusammenarbeit mit dem BORG Mittersill übergehen, wie war das für dich in der Arbeit mit den Schülerinnen, das Prozesshafte versus die Ergebnisorientierung?

Steffi Müller: Ich glaube, da geht es Klaus und mir ähnlich.

Klaus Dietl: Ja, gedacht war es als prozessorientiert. Aber natürlich schwebt es immer mit, dass man ein Ergebnis braucht. Ich bin ja relativ spät eingestiegen. Also habe ich dann für mich eigentlich so zusammenklauben müssen: Wo bin ich jetzt, wer ist das, was haben sie schon gemacht, auf was soll es hinauslaufen? Und die Präsentation war schon Damoklesschwert-artig immer da. Das Schwierige ist, dann das gegenseitige Vertrauen zu finden, dass wir etwas ausprobieren und diskutieren. Da hatten wir ja eigentlich lange Zeit nichts Greifbares.

Laila Huber: Ja, wir hatten – gefühlt – wenig Zeit, und das „Damoklesschwert“ der Präsentation stand sehr wohl stark im Raum. Wir mussten also bis zu einem gewissen Grad darauf fokussieren, das etwas herauskommen muss. Es war schon offen, aber gleichzeitig auch sehr orientiert auf eine bestimmte Sache.

Marty Huber: Vielleicht verstehe ich es als philosophische Frage, aber kann etwas offen und geschlossen sein? Kann etwas offen sein und gleichzeitig vorhaben, ein Produkt zu werden? Ist das nicht ein Widerspruch?

Steffi Müller: Ich glaube, dass immer etwas herauskommt. Das ist mein Vertrauen in den Prozess. Deswegen hatte ich Lust mitzumachen, weil mir keiner gesagt hat, da muss jetzt das und das dabei herauskommen. Ich glaube, ich hätte Schwierigkeiten gehabt, wenn mir jemand gesagt hätte: „Am Ende der Woche soll so eine genähte Figur rauskommen.“ Ich würde mir dann denken: „Haben die überhaupt Bock zu nähen? Ist das überhaupt ihr Modus oder ihr Tempo?“

Marty Huber: Ich glaube, wir leben in einer visuellen Welt, wo es große Wertigkeiten gibt, was als repräsentativ gilt. Und ich denke, dass wir auch sehr große Vorstellungen haben, wenn etwas als „offen“ bezeichnet wird. Aber trotzdem glaube ich, dass diese Maschine in uns arbeitet, die sagt: visuelle Kultur, das ist schon was. Wenn wir jetzt z.B. sagen, wir sitzen alle Workshop-Tage in der Shoppingmall, und experimentieren mit Formen des Gehens, wie etwa mit dem „Schwärmen“…

Steffi Müller: …ich fände es super.

Marty Huber: Dann ist die Frage: Traut man sich das? Kann ich als Künstlerin sagen: Ich bestehe darauf? Und werden die SchülerInnen mit uns mitgehen, oder gehen die weg? Vielleicht ist es ihnen zu blöd und stellen sich die Frage: „Was mach ich hier?“ Oder wir sagen: Hey, ich häng hier ab mit euch.

Klaus Dietl: Ich glaube, die Frage ist, wie erleben sie es.

Veronika Aqra: Es ist ja öfter betont worden, dass das Prozesshafte eine große Rolle spielt, oder dass es darum geht, eine Plattform zu öffnen, wo sich dann was entwickeln kann, was deren Wünschen, Vorstellungen entspricht. Daran anknüpfend würde mich noch interessieren, inwiefern für euch überhaupt der Begriff oder die künstlerische Autorenschaft eine Rolle spielt.

Laila Huber: Im Kontext von kollaborativen Projekten.

Steffi Müller: Bei mir ist es insgesamt sehr gering. Ich habe eher lernen müssen, dass es für manche sehr wichtig ist und dass ich darauf achte.

Marty Huber: Das ist bei mir ganz unterschiedlich, weil ich ja auch viele Texte schreibe, da ist man sehr schnell in der Frage der Autor*innenschaft. Ich schreibe sehr wenig an kollektiven Texten, obwohl ich ganz viele Sachen kollektiv mache. Aber ich glaube Texte sind irgendwie anders bzw. habe ich wohl die Person noch nicht getroffen, mit der das so leicht gehen würde. Und dann schreibe ich auch meinen Namen hin, oder andere Namen. Es gibt ja auch performative Figuren, die anders heißen. Eigentlich schreibe ich viel anonymisiert im Netz, ohne Autorinnenschaft. Ich bin quasi eine lästige Twitterantin mit etwa 40 000 Tweets und ca. 1600 Followern. Diese Denk-Page ohne irgendwelche Freundinnen-Netzwerke habe ich wirklich bei Null angefangen, um zu schauen, wohin man kommt. Und in den kollektiven Zusammenhängen ist es teilweise egal, wer man ist, manchmal ist es aber schwierig, denn einer „alten Häsin“ wird automatisch eine wichtiger Anteil zugesprochen, aber da gibt es viele wichtige weitere Anteile. Hier muss man manchmal auch Dekonstruktionsarbeit leisten. Für die Leute ist es wichtig, um die Person zu identifizieren, die die Sprecherin ist für das und das. In der „Villa“  wollen wir zum Beispiel keine Präsidentinnen und Generalsekretärinnen, die ihre Funktion 20 Jahre lang ausüben, daher wechselt das alle zwei Jahre. Jetzt bin ich halt wieder im Vorstand. Und das wäre so ein Beispiel von kollektiven Entscheidungen. Wir lösen das andauernd auf. Da ist zum Beispiel die Frage der Repräsentation eine andere. Aber manchmal ist es auch ganz gut, dann einfach seinen Namen unter etwas schreiben zu können, etwa wenn man irgendwo etwas beantragt.

Laila Huber: Klaus, weil du vorher gemeint hast „Manchmal ja, manchmal nein“ – spielt es für dich eine Rolle?

Klaus Dietl: Selten. Wenn ich male, dann ist es schon Klaus. Aber zum Teil gründen wir Kollektivnamen, die dann irgendwo rumgeistern, wo kein Mensch weiß, wer das ist. Besonders geheimnisvoll ist es, wenn wir sagen, das ist explizit offen, wenn wer in unserem Sinne was machen kann und diesen Namen auch verwenden kann.

Laila Huber: Ich habe eine letzte Frage. Welche Erfahrungen habt ihr aus dem Projekt mitgenommen? Gibt es in aller Kürze etwas, das am eindrücklichsten in Erinnerung geblieben ist? Als letztes Highlight?

Klaus Dietl: Dass die Jugendlichen wirklich kaum Platz für sich haben. Ist nicht besonders positiv, aber da sind mir ein bisschen die Augen geöffnet worden.

Elke Zobl: Glaubst du, hat das mit dem Ländlichen zu tun? Oder generell?

Klaus Dietl: Ich glaube, dass es generell ist.

Veronika Aqra: Für die SchülerInnen war es Neuland, dass man auch Kritik äußern kann, dass man nicht alles hinnehmen muss, wie es ist.

Marty Huber: Ich fand die Frage interessant, welchen Zugang zu Information oder welche Ressourcen gibt es im ländlichen Bereich, und welche gibt es im städtischen Bereich. Und wie gut oder wie schlecht es ist, dass wir ein bisschen wie „Aliens“ dort waren? Das kann einen Vorteil haben, das ist aber oft auch dieses Dilemma mit Interventionen oder Unterbrechungen:  Man erweckt Sehnsüchte oder gedankliche Möglichkeitsräume, und dann ist man wieder weg. Das ist eine Frage von Nachhaltigkeit oder auch eine Verantwortung, die versuchen sollte, eine Antwort zu finden auf eine Frage, die man auch hören muss.

Steffi Müller: Für mich ist es eine wichtige Frage, welche Hoffnungen so ein Projekt aufmacht, oder wie schwierig es ist, wenn wir dann wieder weg sind. Ich bin auch vom Land, und mich haben solche Projekte am Leben gehalten. Da war ich hungrig und gierig danach. Ich denke, es kommt auch auf die Menschen an, die das Projekt machen. Wenn jemand mit einem zu festen Schema da reingeht, funktioniert es meiner Meinung nach nicht, egal wo. Mir ist die Frage von einem der Schüler hängen geblieben, ob es überhaupt einen konkurrenzfreien Raum gibt. Sehr desillusionierend haben die meisten MitschülerInnen darauf gesagt, „nein, gibt es nicht“, weil sie sich sogar vor sich selbst beweisen müssen, wenn sie alleine im Zimmer sind. Diese Gedanken fand ich sehr interessant.

Danke für das Interview!

Für die Transkription bedanken wir uns bei Dilara Akarcesme.

Elke Zobl, Laila Huber, Veronika Aqra ( 2016): „Es geht darum, Möglichkeitsräume zu öffnen!“. Ein Interview mit Marty Huber, Steffi Müller und Klaus Dietl. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/es-geht-darum-moglichkeitsraume-zu-offnen/