Was tun? Das Verhandeln von Partizipation und das spielerische Öffnen von liminalen Räumen an den Schnittstellen von intervenierender Kunst, kritischer Kunstvermittlung und Forschung

 

an einer Wäschleine sind Zettel aufgehängt. Unte anderem mit der aufschrift wer sagt, was richtig oder falsch ist"

Abbildung 1: Slogans und Fragen zum Pflücken (Foto: Pia Streicher)

 

Einleitung

Eine Schülerin hält einen Korb, in dem sich Kärtchen mit aufgedruckten Slogans befinden. Sie spricht eine Passantin an, ob diese ein Kärtchen aus dem Korb ziehen möchte. Die Passantin ist neugierig – sie nimmt eine Karte, auf der steht „Live like there’s no tomorrow“ und lacht erfreut. Daraufhin fordert die Schülerin sie auf, eine oder mehrere dazu passende Fragen von den weiteren auf einer Wäscheleine aufgehängten Kärtchen zu pflücken, doch die Passantin möchte lieber eine Frage aussuchen, die ihr gefällt. Sie wählt „WER sagt was schön oder hässlich ist?“ Die Schülerin und die Passantin beginnen ein Gespräch.

Mit dem Spiel Slogans & Fragen zum Pflücken wurde im Rahmen der Präsentation des Projektes Making Art – Taking Part! öffentlich experimentiert. Der gemeinsame Entwicklungsprozess von Spielregeln zwischen Lernenden und Lehrenden sowie seine öffentliche Präsentation stellen ein Beispiel für das gemeinsame Verhandeln und Ausloten von Partizipation und das spielerische Öffnen liminaler Räume dar. In dem Prozess entstanden viele Fragen: Wie können wir spielerisch partizipative Räume öffnen? Und wie sieht eine kritische Verhandlung von gesellschaftlicher Teilhabe bzw. die aktive Teilhabe an Entscheidungsprozessen aus? In pädagogischen Zusammenhängen ist dabei zumeist die Mitgestaltung von Lernenden gemeint, das zumeist ein risikoreiches Unterfangen ist. Denn wenn Schüler_innen die Auswahl der Themen und Inhalte mitbestimmen, selbst forschen, in Öffentlichkeiten intervenieren und die Ergebnisse von eigenständigen Prozessen selbst präsentieren, dann befinden wir uns auf dem Terrain des Unplanbaren.

Das Projekt Making Art – Taking Part! Künstlerische und kulturelle Interventionen von und mit Jugendlichen zur Herstellung von partizipativen Öffentlichkeiten (www.takingpart.at) wurde mit Schüler_innen (14-16 Jahre alt) in Salzburg, Österreich, durchgeführt. In diesem Projekt erprobten, verhandelten und erforschten wir gemeinsam mit den Schüler_innen Handlungsstrategien und -optionen zur Selbstermächtigung und gesellschaftlichen Mitgestaltung. Im Fokus unserer Reflexion stand einerseits das gemeinsame kritische Verhandeln und Ausloten von Partizipation und andererseits das spielerische Öffnen von liminalen Räumen. In einem gemeinsamen Wissenstransfer von Lernenden und Lehrenden wurden gewohnte und normierte Handlungs- und Denkmuster dekonstruiert und selbstermächtigende Handlungsoptionen entwickelt. Dabei begleitete uns ständig die Frage, was die Grenzen der Partizipation in der Gesellschaft sind.

Das Projekt war an den Schnittstellen von intervenierenden künstlerischen und kulturellen Praxen, kritischer Kunstvermittlung und partizipativer Forschung situiert. Was diese drei Ansätze vereint, ist der Anspruch, offene Handlungsräume und gemeinsame Erfahrungsräume zu öffnen, um kollaborativ gesellschaftliche Machtverhältnisse kritisch zu hinterfragen und selbstermächtigendes Handeln zu erproben. Diese Intention wurzelt in einem emanzipatorischen Bildungsverständnis. Bildung verstehen wir in der Tradition kritischer und radikaler Pädagogik als Prozess der Selbstermächtigung und der Politisierung (Freire [1970] 1978;star (*9) hooks 1994;star (*14) Huber/Zobl 2014).star (*15) In diesem Verständnis sind es der Auftrag und das Ziel von Bildung, einen Beitrag zur Entwicklung emanzipatorischer Handlungsstrategien zu leisten. Der Artikel ist wie folgt aufgebaut: Zu Beginn stellen wir die transdiziplinären Ansätze vor und erläutern den theoretischen Kontext des liminalen Raums. Ausgehend davon diskutieren wir in der Fallstudie anhand von Projektsituationen das Verhandeln und Ausloten von Partizipation und das spielerische Öffnen liminaler Räume mit Strategien der kritischen Kunstvermittlung wie der Dekonstruktion und der Intervention. In der Conclusio kommen wir auf unsere transdisziplinären Ausgangspunkte zurück. Der vorliegende Artikel ist ein Ergebnis der Reflexionen im Teamprozess. Insofern stellt die Verschriftlichung eine Fokussierung des gemeinsamen Gedankenaustausches mit den Projektmitarbeiterinnen Elke Smodics und Veronika Aqra sowie der zum Teil eingebundenen Künstlerin Moira Zoitl dar.

 

Transdisziplinäre Ausgangspunkte

Die drei transdisziplinären Ausgangspunkte dieses Beitrages (und auch des Projektes), die wir im Folgenden erläutern wollen, sind: Partizipative Kunst, kritische Kunstvermittlung und partizipative Forschung.

 

Partizipation und Intervention im Kontext kritischer künstlerischer Praxen

Künstler_innen setzen sich vor allem seit den 1960er und 70er Jahren mit vielfältigen künstlerischen Strategien der Partizipation (Bishop 2012;star (*3) Feldhoff 2011;star (*7) Hildebrandt 2013; Milevska 2006/star (*20)2015;star (*21) Rollig/Sturm 2002)star (*29) und der Intervention (Besand 2012;star (*1) von Borries et al. 2012;star (*42) Höller 1995;star (*12) Mouffe 2008,star (*24) 2014;star (*25) Thuswald 2010;star (*41) Wege 2001)star (*44) auseinander. Diese Strategien sind Teil der Genealogie eines erweiterten Kunstbegriffs, der die Grenzen zwischen Kunst und Leben stetig neu verhandelt (vgl. Wege 2014).star (*45) Für die 1990er Jahre wird ein „participatory turn“ in der Kunst konstatiert (Ziese 2010: 72),star (*48) der in einer Vielzahl von sozial engagierten Praktiken und relationalen Kunstpraxen (z.B. new genre public art, community art) sichtbar wird und neue Wege der Kommunikation und der Kollaboration aufzeigt.

In diesen neuen Formen der Zusammenarbeit im Kunstfeld bewegen sich die beteiligten Akteur_innen oft in ambivalenten Widersprüchlichkeiten. Partizipation und Intervention sind zu Modeworten – oder auch zu „konzeptionellen Fetischen“ (Graham/Vass 2014)star (*11) – in der zeitgenössischen Kunst geworden, ohne das „Versprechen von Demokratisierung und Emanzipation“ (Milevska 2015star (*21)) tatsächlich einzulösen. Wenn wir partizipative und interventionistische künstlerische Praxen als Strategien für eine Demokratisierung der Gesellschaft ansehen (Milevska 2015),star (*21) dann müssen wir die Frage stellen, welche Möglichkeiten und Grenzen solche Praxen im Kontext unserer gegenwärtigen neoliberalen Gesellschaften haben. Mit Paula Hildebrandt (2013)star (*49) fragen wir danach, unter welchen Bedingungen partizipative und intervenierende künstlerische Praxen als Lernorte für demokratische Teilhabe fungieren können.

Die Hauptaufgabe kritischer künstlerischer Praktiken („critical art“) im Kontext gegenhegemonialer Interventionen sieht Chantal Mouffe (2014)star (*25) darin, „Menschen auf der affektiven Ebene anzusprechen“ (ebd. 148).star (*25) Durch diese Interventionen können Prozesse der Aneignung angestoßen werden, mit dem Ziel der Transformation und politischen Handlungsmacht. Gerade im Kontext kritischer Bildungsarbeit kommt dieser Funktion von Kunst eine wichtige Rolle zu, indem wir neue Erfahrungen und Bezüge zu einem kritischen Verhandeln gesellschaftlicher Sachverhalte herstellen können und sich uns ungewohnte Perspektiven und Handlungsräume eröffnen.

 

Dekonstruktion und Verlernen im Kontext kritischer Kunstvermittlung

Mit dem Ziel, kulturelle Teilhabe für möglichst viele gesellschaftliche Gruppen zu ermöglichen, wurden in der Kunst- und Kulturvermittlung zahlreiche strategische und methodische Instrumente entwickelt. In der kritischen Kunstvermittlung (vgl. u.a. Institute for Art Education 2013;star (*17) Settele/Mörsch 2012;star (*34) Schnittpunkt 2013;star (*31) Sturm 2011)star (*38) werden wichtige Fragen zum Lernen in Bezug auf die Wechselbeziehungen von Lernen und hegemonialen Verhältnissen sowie in Bezug auf das Erschüttern von angelernter Praxis und gängigem Wissen diskutiert, um Räume für Dissens und Möglichkeiten des Unerwarteten zu öffnen (Sternfeld 2014).star (*37)

Seit dem „educational turn in curating“ (Rogoff [2008] 2013) sowie dem „educational turn in education“ (Jaschke/Sternfeld 2012a: 18)star (*16) tritt die Entwicklung von Kunstvermittlung als kritische Praxis unter Bezugnahme auf kritische und radikale Bildungsansätze in den Vordergrund. Es geht um das Anerkennen einer Gleichwertigkeit unterschiedlicher Wissensformen, wie jener des Erfahrungswissens und des akademischen Wissens, sowie um die Thematisierung ungleicher Machtverhältnisse und einen bewussten Umgang mit ebendiesen der beteiligten Akteur_innen (vgl. Landkammer 2012).star (*19)
Als wichtige Diskurse der kritischen Kunstvermittlung sind der dekonstruktivistische und der transformative zu nennen, die laut Carmen Mörsch in der institutionellen Kunstvermittlung neben den affirmativen und reproduktiven Diskursen entwickelt wurden und von einem selbstreflexiven Bildungsverständnis geprägt sind (vgl. Mörsch 2009: 13f.).star (*22)

Die Strategie der Dekonstruktion greift das im Kontext von postkolonialer Theorienbildung und Kritik verankerte Konzept des „Unlearning“ von Gayatri Spivak (1990)star (*36) auf. Bei diesem geht es darum, Machtverhältnisse bewusst zu verlernen und die strukturelle Dimension von Ausschlussmechanismen zu erkennen sowie „gegenhegemoniale Prozesse zu formieren“ (Sternfeld 2014: 16ff.).star (*37) Ein wichtiger Aspekt des Unlearning ist laut Nora Sternfeld im Performativen angesiedelt. Machtverhältnisse stehen mit Lernprozessen in Beziehung, sie werden tagtäglich gelernt und aufgeführt und somit reproduziert oder auch subvertiert. Gängiges und mächtiges Wissen kann somit in der pädagogischen oder künstlerischen Vermittlungstätigkeit dekonstruiert werden und offene Räume für alternative Wissensproduktionen können geschaffen werden.

 

Partizipative Forschung im Kontext gesellschaftlichen Eingreifens

Wenn von partizipativer Forschung die Rede ist, steht zuallererst die Frage, wozu Forschung stattfindet. Zielt die Erforschung der sozialen Welt auf ihre Beschreibung und Reproduktion oder auf ihre Veränderung? Mit den Begriffen „partizipative Forschung“, „Aktionsforschung“, „Teamforschung“, „participatory action research“, „community-based participatory research“ etc. werden unterschiedliche Ansätze partizipativer Forschungspraxen benannt, denen allen gemeinsam der Anspruch des Eingreifens in gesellschaftliche Kontexte und deren Veränderung durch das gemeinsame Forschen ist (vgl. Reason/Bradbury 2001,star (*27) Kindon/Pain/Kesby 2010).star (*18) Sie alle stellen die Definitionsmacht der Forscher_in und der akademischen Institution in Frage und teilen den Wunsch, aus dem Elfenbeinturm herauszutreten. Partizipative Forschung in der Tradition der Aktionsforschung rückt den Begriff der Partizipation anstelle der Aktion stärker in den Mittelpunkt (vgl. von Unger 2014: 3).star (*43) Hella von Unger versteht partizipative Forschung als Beispiel dafür, wie sich Grenzen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft verschieben und neue Formen der Wissensproduktion entstehen (vgl. von Unger 2014: 6).star (*43) Forschen wird hier als kollaborative Wissensproduktion verstanden. Durch den wiederkehrenden Zyklus von Aktion und Reflexion im Forschungsprozess wird situatives Wissen produziert, das als Erfahrung übertragbar ist und als Teil von Bildungs- und Politisierungsprozessen gesehen werden kann. Die partizipative Forschung setzt beim gemeinsamen Dekonstruieren und Hinterfragen von Machtverhältnissen an, darauf aufbauend werden Strategien der Intervention entwickelt, die auf Prozesse der Aneignung, Selbstermächtigung und Transformation zielen.

Innerhalb eines partizipativen Forschungsprozesses kann es unterschiedliche Ebenen und Phasen mit jeweils mehr oder weniger Beteiligung und Mitbestimmung der Co-Forscher_innen geben – je nach dem definierten Erkenntnisinteresse und Forschungsdesign (s. Wright 2010: 42).star (*47)

Ansätze der partizipativen Forschung wurden ebenfalls im Feld der Kunstvermittlung aufgegriffen (Mörsch 2012;star (*23) Landkammer 2012;star (*19) Settele 2012).star (*33) Partizipative Forschung ist dabei nicht nur Werkzeug zur Weiterentwicklung der kritischen Kunstvermittlung sondern konstitutiver Bestandteil eines Methodensets zur gesellschaftskritischen, partizipativen Bildungs- und Kulturarbeit.

 

Theoretischer Kontext: Liminale Räume

Vor dem Hintergrund dieser Ausgangspunkte präzisieren wir nun im theoretischen Kontext das spielerische Herstellen und Öffnen von Erfahrungs- und Handlungsräumen über den Begriff der Liminalität, der eine Bewegung und Reibung kennzeichnet. Es ist ein Raum, der als „third space of alternative enunciation“ (Soja 2009: 58)star (*35) verstanden werden kann. Liminality und marginality sind Standpunkte an der sozial-räumlichen Peripherie, von denen aus eine spezifische Kritik aus dem Erfahrungswissen der Akteur_innen formuliert werden kann (hooks 1990;star (*13) Soja 2009;star (*35) Bhabha 1994).star (*2) bell hooks spricht von Marginalität als einem Raum für radikale Offenheit (hooks 1990: 149;star (*13) Soja 2009: 57).star (*35) Diesen Raum möchten wir mit einem mikropolitischen Zwischenraum verbinden, der durch emanzipatorische Bildungsarbeit hergestellt und geöffnet wird, und als „liminalen Raum“ bezeichnen.

Die Intention im Projekt war, im sozialen Mikrokosmos der Schule Erfahrungs- und Handlungsräume zu öffnen, indem wir gemeinsam gesellschaftliche Teilhabe bzw. die aktive Teilhabe an Entscheidungsprozessen ausloten, verhandeln und mit verschiedenen Strategien  (spielerisch und reflexiv) experimentieren. Im gemeinsamen Verhandeln von Partizipation werden Prozesse initiiert, die bis zu einem gewissen Grad unvorhersehbar sind. Dieses Öffnen eines uneindeutigen Raums, den sich die Handelnden erst durch das gemeinsame, spielerische Erproben und Erforschen aneignen können, definieren wir in Anlehnung an Victor Turners (1989a,star (*40) b)star (*41) Begriff der „Liminalität“.

Liminalität (von lat. limen – die Schwelle) beschreibt bei Turner einen Zustand der labilen Zwischenexistenz, der den Übergang und eine Neu-Definition von Identität markiert und somit kulturelle Spielräume für Experimente und Innovation eröffnet. Die liminale Erfahrung impliziert das In-Bewegung-Sein und die stetige Aktualisierung von sozialen Beziehungen und Strukturen und weist dabei auf ihre soziale Konstruktion und somit auf ihre Veränderbarkeit hin.

Diesen Aspekt des kontinuierlichen Verhandelns und Aktualisierens oder Veränderns sozialer Beziehungen und Machtverhältnisse, greift Paula M. Hildebrandt (2013)star (*49) auf und verbindet ihn mit jenem der künstlerischen Intervention (zum Begriff der Liminalität im Kunstkontext s. auch Fischer-Lichte 2004).star (*8) Dazu setzt Hildebrandt das Moment des Initiierens in den Vordergrund und fasst Intervention als eine Strategie bzw. Form von Partizipation – im Sinne der Ausverhandlung von Gemeinschaft/Zusammenleben – auf. Sie versteht Intervention als ein Moment des „Umbruchs und potentiellen Aufbruchs“ (Hildebrandt 2013: 147)star (*49) und fragt: „Welche Möglichkeiten ergeben sich durch diese Potentialität eines kontinuierlichen Neubeginns für Artikulations- und Ausdrucksprozesse demokratischer Selbstbestimmung?“ (Hildebrandt 2013: 147).star (*49) Die Intervention schafft einen Zwischenraum, um Fragen nach Ein- und Ausschlüssen zu stellen: „Die Intervention, das heißt der Einbruch in gewohnte Handlungsweisen und Routinen, beinhaltet dabei nicht nur die Chance zum Perspektivenwechsel und Neubeginn, also die Schwelle zu übertreten, sondern eröffnet zugleich einen Zwischenraum, um quasi auf der Schwelle grundlegende Fragen nach der Konstitution von Ordnungen, von Ein- und Ausschluss, anders zu perspektivieren.“ (Hildebrandt 2013: 148)star (*49)

Ausgehend von Hildebrandts Überlegungen zum liminalen Charakter der Intervention und der darin bestehenden Möglichkeit für Artikulationsprozesse demokratischer Teilhabe, fragen wir im Folgenden danach, wie wir im Projektprozess Momente des Umbruchs und potentiellen Aufbruchs, oder der Dekonstruktion und Selbstermächtigung, gemeinsam verhandelt – und damit experimentiert – haben und wie wir liminale Räume spielerisch geöffnet haben.

Case Study mit Projektsituationen

Im Folgenden stellen wir zwei Projektsituationen beispielhaft vor, in denen wir mit Strategien der Dekonstruktion, Intervention und Aneignung sowie verschiedenen Vermittlungstools experimentierten. Ziel ist es, unterschiedliche Aspekte des gemeinsamen Verhandelns und Auslotens von Partizipation herauszuarbeiten und Momente der Öffnung spielerischer liminaler Räume in den Blick zu nehmen.

 

Écriture Automatique und das Fragenstellen

„Warum sind die Lehrer da?“ ‑ Diese Frage stellte ein Mädchen im Rahmen der Vermittlungsstrategie „écriture automatique“ in der ersten Projektphase. Etwas zögerlich und mit rotem Gesicht gab sie selbst die Antwort darauf: „Weil sie da sein müssen!“. Ihre Antwort provozierte ausgelassenes Lachen der Mitschüler_innen, Lehrerinnen und von uns. Diese unscheinbare Frage deutet bereits auf ein Hinterfragen des sozialen Miteinanders sowie von Hierarchien und Machtverhältnissen hin, um die es im weiteren Projektverlauf immer wieder gehen sollte.

Die von den Surrealisten entwickelten Methode der „écriture automatique“ (Automatisches Schreiben) adaptierten wir als Fragenspiel und setzten es als Anregung und Hinführung zum kritischen Fragen-Stellen ein: Wir nannten nacheinander Fragewörter (Warum, Wie, Was, Wozu, Wie lange, Wohin, Woher) und die Schüler_innen notierten auf einem Blatt Papier zu jedem davon eine Frage. Danach falteten die Schüler_innen das Papier, sodass die gerade geschriebene Frage verdeckt war und reichten das Blatt an die/den Sitznachbar_in weiter. Wir wiederholten die Abfolge neun Mal – durchwegs mit chaotischen Zwischenrufen, aufgrund von Staubildungen bei der Weitergabe der Zettel, akustisch oder sprachlich nicht verstandener Frageworte oder heiterer Verwirrung über das gerade stattfindende Spiel. Das zuletzt erhaltene Blatt zerschnitten die Schüler_innen in einzelne Papierstreifen, mit jeweils einer Frage darauf. Die Papierstreifen sammelten wir ein und durchmischten sie. Dann zog jede_r nach Zufallsprinzip eine Frage, las diese vor und beantwortete sie. Die Fragen reichten von spontanen Scherzfragen bis hin zu tiefer gehenden Fragen – wie „Warum haben wir Schule?“, „Warum müssen wir das machen?“, „Wozu lernst du?“, „Wie bist du nach Österreich gekommen?“ oder eben „Warum sind die Lehrer da?“.

Diese Vermittlungsstrategie erprobten wir in der ersten Projektphase, um auf ein Hinterfragen von Machtstrukturen hinzuführen und durch das Interaktionssetting einen Austausch auf Augenhöhe erfahrbar zu machen. In dieser ersten Projektphase ging es wesentlich darum, durch die Handlungs- und Diskurssettings den Jugendlichen zu signalisieren, dass es um das Öffnen eines gemeinsamen Diskurs- und Handlungsraums und das gemeinsame Ausverhandeln von sozialen Spielregeln *1 *(1) im Projektprozess geht.

Das Handeln nahm in dieser Übung unterschiedliche Formen an, die sich vom schulischen Lernen durch Frontalunterricht oder auch Gruppenarbeiten (sowie der in Montessori-Schulen üblichen selbstständigen Freiarbeit) durch den spielerischen und lustvollen Charakter unterschieden: Das Schreiben unter Zeitdruck, das Falten des Blattes Papier (um die gerade notierte Frage zu verdecken) und das Weitergeben desselben an die Sitznachbar_in erzeugten eine Dynamik zwischen Denken und Handeln, die auf einfache Art und Weise den Zyklus von Reflexion und Aktion – wie dieser den Aktionsforschungsprozess strukturiert – widerspiegelte und in einer anderen Form erlebbar und nachvollziehbar machte. Dekonstruiert werden konnte dabei die Annahme, dass es nur eine richtige Antwort gäbe, sowie die Angst davor, etwas nicht richtig zu machen – denn die Schüler_innen stellten häufig Fragen wie „Darf ich das machen?“, „Ist das richtig so?“. In diesem Prozess wird momenthaft ein liminaler Raum spielerisch geöffnet.

 

Strategien der Intervention und der Aneignung

„Wir sind alle anders!“ steht in großen Lettern auf den Schaumstoffwürfeln, die die Schüler_innen mit beiden Armen in die Höhe halten. Ein Gruppenfoto wird aufgenommen und kurz darauf fliegen die Schaumstoffwürfel durch die Luft und eine ausgelassene Stimmung macht sich breit. Die Projektpräsentation und Intervention im öffentlichen Raum ist gelungen. Die Schüler_innen sprechen mit den Besucher_innen darüber, was sie im Projekt gemacht haben und vermitteln ihre Themen und Inhalte.

In den abschließenden intensiven vier Projekttagen entwickelten wir in einem gemeinsamen Ausverhandlungsprozess eine Intervention im öffentlichen Raum und setzten sie in der Projektpräsentation um. Dafür evaluierten wir als Projektteam im ersten Schritt, welche Themen von den Schüler_innen in den vorangegangenen Workshops eingebracht wurden. Es war uns wichtig, Ausgrenzungserfahrungen begrifflich umzukehren und die durch die Schüler_innen aufgeworfenen Themen zu perspektivieren. Als ein durchgängiges Thema stellte sich „Ungleichheit“ und damit die Fragestellung „Wie zusammenleben?“ heraus. Das Thema „Zusammenleben“ thematisierten die Jugendlichen im Projektprozess in zwei Schwerpunkten: Zum einen die Produktion von Ungleichheiten – Widersprüche des Zusammenlebens, Anforderungen des Bildungs- und Gesellschaftssystems – und zum anderen Zukunftsvisionen einer anderen Gesellschaft.

Aus diesem Grund wählten wir auf der inhaltlichen Ebene das Wort „Zusammenleben“ als zentralen Begriff für die Intervention. Um die Inhalte für diese zu entwickeln, diskutierten wir in Kleingruppen die Begriffe Protest, Sprache, Stereotyp, Rassismus und Antirassismus (s. Glossar von trafo.K 2009).star (*10) Wir fragten: „Was ist wichtig dabei? Welche wichtige Information ist in dem Text enthalten? Gibt es unverständliche Wörter? Und welche Strategien gibt es gegen Ausschlüsse? Was könnte man dagegen tun?“ Im Gespräch wurden Zukunftsvisionen entwickelt, wie Zusammenleben ausschauen kann/könnte: Welche Handlungsstrategien und Gegenstrategien können wir gegen Ausgrenzung (er-)finden? Wie kann dagegengesteuert werden? Dazu notierten wir vereinfachte Schlagworte. Auf der Ebene der Vermittlungstools regten wir als Projektteam an – aufbauend auf die Ideen der Schüler_innen aus den vorangegangenen Workshops – einen mobilen Infowagen zu bauen, diesen als „Tauschbörse“ (von Ideen, Materialien etc.) zu denken und davon ausgehend Aktionen mit den Passant_innen zu initiieren, um diese in einen inhaltlichen Austausch einzubeziehen. Die weiteren Vermittlungstools basierten ebenfalls auf Impulsen der Schüler_innen: eine Würfelinstallation, ein fotografisches Gesten-ABC und Handlungsanleitungen der Slogans und Fragen zum Pflücken, sowie Buttons zum Selber-machen und Mitnehmen. Der mobile Infowagen wurde mithilfe eines Tischlers konzipiert und gebaut. Wichtig waren eine Tischfunktion, Transportfunktion durch Schubladen sowie unterschiedliche Display-Möglichkeiten (s. Abbildung 2).

ein Wagen in Tischform aus Holz mit Sonnenschirm

Abbildung 2: Infowagen (Foto: Pia Streicher)

Die Würfelinstallation bestand aus 14 Stück 30x30x30cm großen Schaumstoffwürfeln, die wir mit Pinsel und Acrylfarbe sowie teilweise mithilfe von Schablonen bemalten. Für die inhaltliche Gestaltung wurde gemeinsam entschieden, auf eine Seite der Würfel in einzelnen Buchstaben das Wort „Zusammenleben“ zu schreiben. Zur Frage „Wie wollen wir zusammenleben?“ formulierten die Schüler_innen Begriffe als (vorwiegend) Verben, die die Art und Weise des Zusammenlebens aus ihrer Sicht am treffendsten charakterisierten: Verstehen, freuen, lieben, frei sein, stärken, vertrauen, respektieren, mitdenken, unterstützen, offen sein, mitbestimmen, wertschätzen, anerkennen, kritisch sein, gleichberechtigt, gewaltfrei und zuhören. Die Schüler_innen übersetzten die Verben in die verschiedenen im Klassenverband vorhandenen Sprachen: Albanisch, Persisch, Arabisch, Bosnisch, Englisch, Kroatisch, Russisch, Tagalog/Visayas, Tschetschenisch, Türkisch sowie Vietnamesisch. Ein Slogan, der in der Diskussion der Begriffe wiederholt von den Schüler_innen eingebracht wurde, hieß: „Wir sind alle anders!“. Gemeinsam beschlossen wir, diesen auf die letzte freie Seite der Würfel zu schreiben (s. Abbildung 3, 4). Und zu guter Letzt warfen wir immer wieder Fragen auf. Daher gestalteten wir einen Würfel mit den Fragewörtern Wie, Wer, Warum, Was, Wo.

Schüler und Schülerinnen mit selbst beschrifteten Schaumstoffwürfeln mit den Worten Mitbestimmen, respektieren, fragen, vergstehen, offen sein, mitdenken wertschätzen unterstützen zuhören anerkennen gleichberechtigung

Abbildung 3: Würfelinstallation. Foto: Pia Streicher

schülerinnen und schüler werfen schaumstoffwürfel mit buchstaben darauf in die luft

Abbildung 4: Würfelinstallation. Foto: Pia Streicher

 

Für das Gesten-ABC entwickelten die Schüler_innen mit der Künstlerin Moira Zoitl Gesten zu den Begriffen „Zuschreibung“, „Gleichberechtigung“, „Gleichstellung“, „Zusammenhalt“, „Anerkennung“, „Protest“, „Rassismus“, „Solidarität“, „Freundschaft“, „Zugehörigkeit“, „Sprache“. Die Künstlerin fotografierte die Gesten und wir brachten die Fotos zusammen mit den Begriffen auf der Vorderseite und Rückwand des Infowagens an. Das Gesten-ABC ist sozusagen eine visuelle und spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema „Zusammenleben“.

 

auf eine holzwand geklebte fotos mit gesten und worte sind zu sehen. solidarität, gleichberechtigung, zusammenhalt

Abbildung 5: Gesten ABC (Foto: Pia Streicher)

 

Die Slogans und Fragen zum Pflücken sowie die Buttons wurden als weitere Vermittlungs- und Interaktionstools entwickelt. Die Präsentation der Projektergebnisse in Form einer Intervention im öffentlichen Raum am letzten Projekttag startete am Schulvorplatz. Nach rund einer Stunde des Austausches mit anderen Schüler_innen klappten wir den Wagen zusammen und schoben ihn zur zweiten Station, der Stadtbibliothek Salzburg. Bei der Präsentation vor der Stadtbibliothek wurden insbesondere Prozesse der Aneignung und Selbstermächtigung sichtbar. Zwei Lehrerinnen waren mit ihren Klassen mit dem Bus gekommen, um die Intervention zu sehen. Als die anderen Schüler_innen ankamen, zeigte die Projektklasse begeistert die Vermittlungstools und erzählte in informellen Gesprächen vom Projekt.

Der Moment des Öffentlich-Machens und insbesondere des Aufsuchens einer Öffentlichkeit, die über jene unmittelbare Öffentlichkeit der Schule hinausging, führte bei den Schüler_innen zu einer konkreten Aneignung und Selbstermächtigung: Bei der Präsentation schlüpften die Schüler_innen in die Rolle der Vermittler_innen und beschrieben den Besucher_innen die Intervention und das Projekt: Sie erklärten, was sie gemacht hatten, warum, und was es bedeutete. Die Präsentation stellte insofern ein spezifisches Moment der Selbstermächtigung und der Aneignung dar, als der gemeinsame kritische Ausverhandlungsprozess und die spielerische Öffnung eines Raumes in dem Rollenwechsel von Lernenden zu handlungsmächtigen Akteur_innen, die sich selbst zu erklären wissen, verdichtet sichtbar gemacht wurde. Dabei war es wichtig, für die Präsentation eine Form des informellen Wissensaustausches herzustellen und eine hierarchische Präsentationssituation zu vermeiden. Zentral für die Projekttage – sowie das gesamte Projekt – war der offene Prozess. Dabei versuchten wir, Prozesse zu initiieren und Strukturen zu schaffen, die Diskurs- und Handlungsräume öffnen und eine Gemeinschaftsarbeit ermöglichen, an der alle teilhaben können. Der mobile Infowagen, die Würfelinstallation, die Slogans und Zitate zum Pflücken sowie das Gesten-ABC und die Buttons sind Vermittlungstools, mit denen wir mittels des Öffentlich-Machens und der Strategie der Intervention spielerisch experimentiert und ausgelotet haben, wie eine kritische Verhandlung von gesellschaftlicher Teilhabe bzw. die aktive Teilhabe an Entscheidungsprozessen aussehen kann.

 

Diskussion

Die zentrale Frage, die sich stellt, ist: „Mit welchen Strategien der Dekonstruktion, Intervention und Aneignung können wir experimentieren, um in einem gemeinsamen Ausverhandlungsprozess ausgehend von den Ideen, Erfahrungen und dem Wollen der Jugendlichen, gesellschaftliche Teilhabe (Partizipation) auszuloten, zu verhandeln und spielerisch liminale Räume zu öffnen?“ Im Rückblick können wir feststellen, dass die Jugendlichen den inhaltlichen Diskurs vorgegeben haben, indem wir als Projektteam einen (prozesshaften) Erfahrungsraum für die Perspektive und Erfahrungen der Jugendlichen öffneten. Die Aufgabe des Projektteams war es, diesen Raum bei jedem Treffen neu zu öffnen bzw. daran weiterzuarbeiten und zu fokussieren und ihn jedes Mal wieder neu gemeinsam auszuverhandeln. Dieses gemeinsame Ausverhandeln von Teilhabe am Projektprozess und grundsätzlich von gesellschaftlicher Teilhabe ist zentraler Kernpunkt des Projektes und setzt voraus, dass die Jugendlichen UND das Projektteam – oder Lernende und Lehrende – aktiver Teil des Projektes sind, die gemeinsam die Prozesse gestalten. Dadurch öffnet sich ein gemeinsamer Erfahrungsraum für das kritische Verhandeln und Ausloten von Partizipation und für Aneignungsprozesse.

In der selbstreflexiven Analyse ergeben sich trotzdem einige Herausforderungen: Die Spielregeln im Projektverlauf gaben wir vorwiegend als Projektteam vor: Wir bauten dabei auf Impulse der Schüler_innen auf, doch kam es nicht zu einer vollständigen Übernahme von Entscheidungsmacht durch die Schüler_innen. Wir machten Vorschläge und öffneten damit Handlungsräume, die die Jugendlichen mitgestalteten und sich aneigneten. Dabei kam es insbesondere bei der Umsetzung der Intervention im öffentlichen Raum im Rahmen der Schlusspräsentation zu einer Aneignung und zu Momenten der Selbstermächtigung.

In den Projekttagen und der Präsentation verbanden wir die Vermittlungstools mit aus der kritischen Kunstvermittlung kommenden Strategien der Dekonstruktion, Intervention und Aneignung: Die Tools der „Pflück-Botschaften“ und der Würfel basieren auf einer Dekonstruktion von Begriffen, die gesellschaftliche Verhältnisse, Normen und Werte betreffen. Das Tool des mobilen Infowagens mit den davon ausgehenden Aktionen (das Fragen-Antwort-Spiel, die Würfel und die Buttons) fassen wir als eine interventionistische Strategie im öffentlichen Raum und in der Öffentlichkeit. Das Moment des Öffentlich-Machens und die Interaktion mit den Besucher_innen lösten Prozesse der Aneignung und Selbstermächtigung aus. Das Öffnen und Schließen der Handlungsräume – das fokussierte Zusammenfassen und ergebnisorientierte Umsetzen von Ideen und Impulsen im Projektprozess – wurde im Projektverlauf jeweils von uns als Team gesetzt. Der Schritt der Transformation und vollständigen Entscheidungsmacht, indem die Schüler_innen den Projektprozess selbst in die Hand nahmen, fand nicht statt. Um diesen Schritt zu erreichen, wäre eine längere Zusammenarbeit und möglichst in einer kleineren Gruppe erforderlich gewesen.

Ausgehend von der kritischen Kunstvermittlung und emanzipatorischen Pädagogik verstanden wir im Projektprozess Bildung selbst als Gegenstand der Dekonstruktion und potentiell der Transformation. In diesem Zusammenhang stellten wir fest, dass das Ausverhandeln der sozialen Spielregeln im Projektprozess einen wesentlichen Teil der kollaborativen Wissensproduktion darstellte. Da es im Projekt um die Erprobung und Erforschung von Partizipationsprozessen ging, war die Selbstreflexion des partizipativen Projektprozesses ein wesentlicher Aspekt. In den Gruppeninterviews sowie in den Plenumssituationen zu Beginn und am Ende der Workshops ging es immer wieder darum, uns über den Fortgang des Projektes, die aufgegriffenen Themen und Vermittlungstools auszutauschen. Nicht immer wurden unsere Überlegungen von den Schüler_innen angenommen (z.B. ein Forschungstagebuch als Reflexionstool zu verfassen).

Das Konzept des liminalen Raums eröffnet einen fokussierten Blick auf die oben genannten Momente des Umbruchs und Aufbruchs: Wann und wo kam es bei den Schüler_innen zu einem Moment des Hinterfragens und Erprobens sowie des Aufladens der Handlungsstrategien mit ihren eigenen Inhalten und Bedeutungen? Ein „Einbruch gewohnter Handlungsweisen“ (Hildebrandt 2013: 147)star (*49) erfolgte bereits zu Beginn des Projektprozesses, indem der Raumwechsel an die Universität einen neuen Rahmen schuf. Aus der gewohnten Umgebung des Schulalltags hinauszugehen und unbekannte Orte aufzusuchen sowie die Arbeit vorwiegend in Kleingruppen  unterstützte in der ersten Projektphase den Prozess der Dekonstruktion gewohnter Strukturen. Im zweiten Teil des Projektes wollten wir mit den Schüler_innen ausgehend von ihrer Expertise den Stadtteil, in dem sie leben und zur Schule gehen, kennenlernen. Die darauffolgenden Termine hielten wir in der Schule ab, was allerdings dazu führte, dass die Schulregeln sich über das Projekt stülpten, angefangen von den fixen Pausenzeiten durch das Läuten der Glocke bis hin zu disziplinierenden Verhaltensregeln im Schulgebäude. Insgesamt hatte der Ort Schule eine negative Beeinflussung auf Prozesse, da er zu einschränkend wirkte.

Wir versuchten einen kollaborativen Wissensaustausch und eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe umzusetzen. Dieser Anspruch, eine gleichberechtigte Interaktionssituation zu schaffen, war jedoch vor dem Hintergrund der bestehenden strukturellen Hierarchien nur bedingt möglich, da wir als universitär verankertes Projektteam mit ökonomischem und symbolischem Kapital ausgestattet sind. Die strukturellen Zwänge unsererseits in Hinblick auf die Rechenschaft eines „erfolgreichen“ Projektes den Geldgebern gegenüber, äußerte sich zudem darin, den offenen Prozess dennoch stark in Richtung der Umsetzung einer Intervention im öffentlichen Raum zu lenken. Im Projektprozess wurde dieser Anspruch auf Augenhöhe durch uns selbst immer wieder gebrochen (beispielweise durch die Notwendigkeit für Ruhe für Gespräche zu sorgen), doch auch gestärkt, indem wir das Wissen der Jugendlichen und unser Unwissen (bspw. über ihren Stadtteil) und sie als Expert_innen anerkannten. Somit wechselte unsere Rolle zwischen einer leitenden und disziplinierenden einerseits, sowie andererseits einer bestärkenden und zuweilen unwissenden und lernenden Rolle. Die Schüler_innen wechselten ebenso zwischen lernenden und vermittelnden Momenten, sowie Momenten des Aneignens und der Selbstermächtigung, indem sie beim Erforschen und Erproben während der Workshops sowie beim Intervenieren und Vermitteln während der Projektpräsentation Handlungen initiierten.

Welche Momente des Um- und Aufbruchs wurden sichtbar? Umbrüche wurden sichtbar in Phasen der Dekonstruktion und Diskussion, die beispielsweise markiert wurden durch Aussagen wie „Ich kann das!“ oder „Jetzt weiß ich, worum es geht. Es geht darum, dass wir die Orte so gestalten, dass sie uns gefallen.“ Aufbrüche wurden sichtbar beim Intervenieren und der Aneignung des öffentlichen Raums sowie der Sprechposition als Vermittler_innen ihrer Intervention. Offene Handlungsräume wurden im Projektprozess durch die Strategie der Dekonstruktion, insbesondere im Fragenstellen, geöffnet. Wir stellten den Schüler_innen von Beginn an Fragen und forderten sie auf, ebenfalls Fragen zu stellen: sich selbst, untereinander, uns und der Gesellschaft. Das bei den Jugendlichen sehr beliebte Fragen-Stellen kam im Projektprozess als geplanter methodischer Zugang als auch als spontane Abwandlung geplanter Methoden und auf Wunsch der Schüler_innen vor. Das spielerische Öffnen von Räumen erfolgte durch die Strategien der (künstlerischen) Intervention und Aneignung zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlicher Intensität. Der Entwicklungsprozess von Interventionen im öffentlichen Raum zog sich über die gesamte Projektlaufzeit – vom Vermitteln von Strategien der Intervention, über das Erproben (z.B. in der Entwicklung von Superfiguren und deren Einsatz im öffentlichen Raum) bis zum letztendlichen Umsetzen.

 

Conclusio

Das Projekt ermöglichte das Erproben der Strategie der Dekonstruktion und der Entwicklung von Vermittlungstools rund um das Fragen-Stellen und die Strategie der Intervention im öffentlichen Raum, sowie die Strategie der Aneignung durch das Erproben und die Erfahrung des Öffentlich-Machens. Durch das Experimentieren mit diesen Strategien und die Entwicklung der Vermittlungstools verhandelten wir gemeinsam Teilhabe am Projektprozess und an Öffentlichkeit/Gesellschaft und öffneten spielerisch liminale Räume des Um- und Aufbruchs. Die großen Ziele des Verlernens und der Transformation – als Aneignung von Entscheidungsmacht und Politisierung – wurden im Projekt jedoch nicht erreicht, dazu wäre eine längerfristige Kooperation erforderlich gewesen.

In allen drei Feldern, von denen wir ausgegangen sind – partizipative Kunst, kritische Kunstvermittlung und partizipative Forschung – geht es um die Transformation von einer passiven Position und gesellschaftlichen Zuschreibung der Zuschauer_innen/des Publikums oder Forschungsobjekts hin zu einer aktiven Position und Zuschreibung der Handlungsfähigkeit. Sowohl die vormaligen Zuschauer_innen/Kunstrezipient_innen als auch das vormalige Forschungsobjekt werden zu handelnden Akteur_innen, Subjekten und Erzähler_innen ihrer selbst (Rancière [2008] 2009). In der Kunst zeichnete sich die Entwicklung vom_von der Zuschauer_in zum_zur Akteur_in (Feldhoff 2012)star (*7) und vom Objekt zum Subjekt (Milveska 2006)star (*20) ab. Der Perspektivenwechsel weg vom Objekt hin zum Subjekt wurde ebenso in einer selbstreflexiven Wende in der Kunstvermittlung (Mörsch 2012)star (*23) sowie in der sozialwissenschaftlichen Forschung seit dem Paradigmenwechsel (Salzborn 2013: 33-53)star (*30) eingeläutet.

In Anlehnung an Paula Hildebrandt (2013)star (*49) verstehen wir die temporären Räume, die durch den partizipativen Projektprozess an der Schnittstelle von kritischer Kunstvermittlung, partizipativer Kunst und Forschung initiiert wurden, als Möglichkeitsräume einerseits des Auslotens und der Verhandlung von Partizipation und von Zusammenleben und andererseits als spielerisch sich öffnende liminale Räume. Das gemeinsame Ausverhandeln, Erproben und Erforschen von Handlungsstrategien und -optionen zur Selbstermächtigung und gesellschaftlichen Mitgestaltung setzte die Produktion von offenen, prozessorientierten und partizipativen Räumen voraus. Im Sinne der partizipativen Forschung haben wir festgestellt, dass der Begriff „Zusammenleben“ und das Fragen nach dem „Wie“ des Zusammenlebens klar auf den Punkt bringen, worum es in diesem Projekt geht. Insofern verstehen wir den Aushandlungsprozess der sozialen Rollen, Beziehungen und Bedeutungen im partizipativen Projektprozess als wesentliches Moment des kritischen Verhandelns von Partizipation. Dabei stellte sich im Projektprozess das Fragen-Stellen als zentrale Methode heraus: Einerseits überhaupt das Fragen-Stellen an sich (auf verschiedenen Ebenen: wissenschaftlich, im Team untereinander/im Prozess, mit den Schüler_innen und den Multiplikator_innen/Lehrerinnen, in den künstlerisch-pädagogischen Materialien) und andererseits das Wie des Fragen-Stellens, so dass diese offen formuliert sind und etwas auslösen (können). Prägend ist hier für uns die Frage: „Warum ist das so?“ Wir stellten fest, wie wichtig es ist, Prozesse zu öffnen und nicht zuzumachen, den Blick zu verschieben (Dekonstruktion), um Irritationen auszulösen (Intervention) und damit wieder Fragen aufzuwerfen, und von Neuem etwas zu dekonstruieren. Wir haben aber vor allem die Erfahrung gemacht, wie wichtig das gemeinsame Lernen und der Austausch – und die Freude daran – sind, so dass ein offener Reflexions- und Handlungsraum auf Augenhöhe entstehen kann, und gemeinsam zu überlegen „Was tun?“.*2 *(2)

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Der Begriff Spielregeln wird im Sinne Pierre Bourdieus verstanden, der soziale Felder bzw. Räume als „Spiel-Räume“ (Bourdieu 1985: 27, zit. n. Schwingel 1998: 78) definiert und als „autonome Sphären, in denen nach jeweils besonderen Regeln ‚gespielt‘ wird.“ (Bourdieu 1992: 187, zit. n. Schwingel 1998: 78)

Dieser (gekürzte) Beitrag wurde erstmals auf Englisch veröffentlicht in: Conjunctions Conjunctions. Transdisciplinary Journal of Cultural Participation. Vol.3, No. 1, 2016, S. 1-17. http://www.conjunctions-tjcp.com/. Wir danken Elke Smodics und Veronika Aqra für das konstruktive Feedback an dem Beitrag.

Elke Zobl, Laila Huber ( 2018): Was tun? Das Verhandeln von Partizipation und das spielerische Öffnen von liminalen Räumen an den Schnittstellen von intervenierender Kunst, kritischer Kunstvermittlung und Forschung. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/was-tun-das-verhandeln-von-partizipation-und-das-spielerische-oeffnen-von-liminalen-raeumen-an-den-schnittstellen-von-intervenierender-kunst-kritischer-kunstvermittlung-und-forschung/