„Zuerst müssen wir uns die Frage stellen: Von welcher Kultur sprechen wir denn hier?“

Thomas Philipp im Gespräch mit Anita Moser über Herausforderungen und Maßnahmen für ländliche Räume

Was bedeutet kulturelle Teilhabe in Salzburg und darüber hinaus? Wie kann sie in Stadt und Land Salzburg verwirklicht werden? Für Thomas Philipp – maßgeblich an der Umsetzung und wissenschaftlichen Begleitung des Kulturentwicklungsplans (KEP) des Landes Salzburg beteiligt – ist dabei die kritische Hinterfragung von Kulturbegriffen und des „hochleveligen“ Diskurses über kulturelle Teilhabe zentral, ebenso der Fokus auf die Förderung von Projekten und Initiativen, die bereichsübergreifend, kleinräumig und prozessorientiert arbeiten. Das Gespräch gibt Einblicke in teilhabeorientierte Ansätze im Bereich der Volkskultur, Herausforderungen und Maßnahmen für ländliche Räume und die Rolle des Kulturentwicklungsplans.

Was fällt dir zu kultureller Teilhabe in Salzburg ein?

Eine naheliegende Assoziation ist die zum Kulturentwicklungsplan des Landes Salzburg, da kulturelle Teilhabe im Kulturentwicklungsplan tatsächlich eine wichtige Rolle einnimmt. Es gibt ein eigenes Kapitel dazu. Das zweite, was mir einfällt, sind verschiedene diesbezügliche Projekte, unter anderem die, die hier beim Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst durchgeführt werden, aber auch die, die in den ländlichen Raum gehen: Projekte wie Querbeet beispielsweise, wo es meiner Meinung nach um kluge Ansätze geht, Teilhabeformen auszuprobieren und anzuwenden, die nicht im klassischen Sinne in einen Kunstbereich, sondern tatsächlich in den Kulturbereich hineingehen. Darüber hinaus geht es auch um Schnittstellen wie jener zur Bildung – von der kulturellen Teilhabe ist man sehr schnell bei der kulturellen Bildung. Oder um Schnittstellen zu Integration, Migration oder auch in gesellschaftspolitische Bereiche, wo es beispielsweise um Antira- und Antifa-Arbeit geht.

Welche Ausschlüsse sind wirksam? Gibt es dabei Aspekte, die spezifisch in Bezug auf Salzburg sind?

Ganz allgemein und naheliegend geht es immer um gesellschaftliche Gruppen, die – aufgrund bestimmter Ressourcen, die sie nicht zur Verfügung haben und die ihnen nicht von der so genannten Mehrheitsgesellschaft zur Verfügung gestellt werden – von kulturellen Prozessen ausgeschlossen sind. Klassisch sind das People of Color, Menschen, die ein bestimmtes Alter erreicht oder noch nicht erreicht haben, also Kinder, Jugendliche, ältere und alte Menschen, Menschen mit Beeinträchtigungen. Eine benachteiligte Gruppe sind auch Frauen.

Die Frage, wie sich das in Salzburg gestaltet und wo dort Ausschlussmechanismen in Bezug auf diese Gruppen, die von potenzieller Diskriminierung betroffen sind, wirksam werden, ist schwierig. Da wäre zum einen zwischen eher städtischen und eher ländlichen Räumen und zum anderen im künstlerisch-kulturellen Feld selbst zu differenzieren. In Bezug auf die kulturelle Strukturierung ist mir aufgefallen, dass es in den freien Szenebereichen und in unabhängigen Kulturinitiativen einige Projekte gibt, die Ausschlüsse ganz bewusst thematisieren und versuchen, dagegen zu wirken. Ein Beispiel wäre die ARGEKultur Salzburg, wo bewusst versucht wird, People of Color auf die Bühne zu bringen.

In den klassischeren, auch als Hochkultur angesehenen Bereichen, sind mir in Salzburg solche Thematisierungen weniger aufgefallen, interessanterweise am meisten aber in der Volkskultur. Ich glaube, dass die Volkskultur in Salzburg – sicher nicht alle Bereiche, die Schützen würde ich ausnehmen – fast progressiv daran interessiert ist, kulturelle Teilhabe zum Beispiel für Menschen mit Migrationshintergrund zu ermöglichen. Dort wird nicht nur über Interkultur, sondern über Transkultur gesprochen, und das ist tatsächlich auch ernstgemeint. Die Umsetzung bleibt zwar oft im Folklorebereich hängen, trotzdem wird versucht, über diesen Bereich hinauszugehen, beispielsweise in den Regionalmuseen.

Es gibt Regionen, in denen sich im Zuge der Fluchtbewegungen Plattformen herausgebildet haben, wo übergreifend versucht wird, kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Die Plattform Köstendorf oder Neumarkt am Wallersee würden mir dazu einfallen. Dort wird gezielt mit einem sehr modernen Anspruch von kultureller Teilhabe gearbeitet, bei dem es nicht darum geht, diese zu verengen und beispielsweise nur den Museumseintritt zu verbilligen oder gratis zur Verfügung zu stellen.

Was genau meinst du mit modern? Kannst du das konkretisieren?

Modern wäre für mich, dass Teilhabe auf keinen Fall auf den engeren Kulturbegriff reduziert wird. Zu eng wäre für mich der Zugang zu künstlerischen Angeboten und Leistungen, also in das klassische Museum zu gehen oder an einem Festival oder einer Theateraufführung teilzuhaben. Es geht darum, das Ganze bereichsübergreifend zu sehen, damit auch Bildungsinitiativen und -institutionen aktiviert werden und Kunst- und Kulturinitiativen mit Sozialinitiativen und dem AMS gemeinsam an einem Tisch sind. Dass übergreifend gearbeitet wird, ist für mich ganz wichtig, wenn man von kultureller Teilhabe spricht.

Nochmals zurück zur Volkskultur: Sind es einzelne Personen, die sich engagieren und in Richtung Öffnung arbeiten, oder gibt es dazu in Salzburg eine Art Geschichte? Und wie sehen solche Zusammenarbeiten in der Praxis aus?

Es sind eigentlich immer einzelne Personen. Im Volkstanz zum Beispiel wird auf sehr niederschwellige Art und Weise versucht, mit selbstorganisierten migrantischen Communities zusammenzuarbeiten. Das heißt aber nicht, dass man sich nur in reiner Folklore ergießt nach dem Motto: Ihr präsentiert brav eure Kultur und wir präsentieren unsere. Sondern es wird darüber hinaus versucht, so einen Zugang ansatzweise aufzulösen, zu vermischen, voneinander zu lernen. Man muss aber schon sagen, dass die Positionen letztlich wieder in die bekannten Machtverhältnisse zurückgehen, da diese Zusammenarbeiten temporär sind. Das zeigt sich beispielsweise dann, wenn es um Förderungen geht: Die klassischen volkskulturellen Verbände bekommen viel mehr Förderung als die migrantischen Communities, die ja auch viel kulturelle Leistung erbringen. Ich kann es jetzt nicht beziffern, aber das ist verschwindend gering gegenüber dem, was in den Bereich der klassischen Volkskultur hineinfließt.

 

„Fast alle Gruppen, die in Bezug auf kulturelle Teilhabe ausschlussgefährdet sind, haben es im ländlichen Raum um einiges schwerer, Hürden zu überwinden.“

Du hast den Stadt-Land-Unterschied bereits angesprochen. Was sind die gravierendsten Unterschiede bzw. Problematiken in Bezug auf ländliche Räume?

Fast alle Gruppen, die in Bezug auf kulturelle Teilhabe ausschlussgefährdet sind, haben es im ländlichen Raum um einiges schwerer, Hürden zu überwinden, damit es überhaupt zu kultureller Teilhabe kommen kann. Kinder- und Jugendkultur ist im ländlichen Raum eine unglaublich schwierige Geschichte. Für ältere und alte Menschen kommen zusätzlich Mobilitätsfragen dazu. Auch Ressourcen sind eine Frage und die so genannte Landflucht eine andere große Problematik. Das macht sich bemerkbar, wenn es darum geht, dass sich kleine Kulturinitiativen zusammenfinden. Es werden Konzerte oder ein Festival veranstaltet – und wenn die Leute in das Alter von 20 Jahren kommen und studieren gehen, löst sich das Ganze wieder auf. Es ist also unglaublich schwierig, im ländlichen Raum überhaupt die Strukturen für kulturelle Teilhabe zu schaffen.

Die Plattformen aber, von denen ich vorher gesprochen habe, sind im ländlichen Raum etwas einfacher zu bilden als im städtischen Raum. Vielleicht ist im ländlichen Raum eher so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl vorhanden, weil nicht alles so anonym abläuft. In Salzburg gibt es genauso wie in anderen Bundesländern immer wieder Beispiele, wo alle protestieren, wenn Familien abgeschoben werden. Mir wäre aber kein Beispiel aus der Stadt Salzburg oder auch aus Graz oder Linz – wo sicher auch Flüchtlingsfamilien abgeschoben worden sind – bekannt, also dass sich dort eine ganze Stadt zusammenschließt und protestiert und demonstriert. Am Land geht meist der Pfarrer mit der Schuldirektorin vorne weg. Auf einer anderen Ebene sind aber die Ressourcen in der Stadt viel stärker, um im Bereich Integration und Migration mehr an kultureller Teilhabe zu ermöglichen.

Ich glaube, dass es im ländlichen Raum ungleich schwieriger ist, kulturelle Teilhabe herzustellen. Kulturelle Teilhabe kann ja auch sein, bei irgendeinem Sportlerinnen- und Sportlermaskenball mitmachen zu können.

Das bringt mich zum Thema Kulturbegriffe: Bei Kulturveranstaltungen im Rahmen von Sportevents wird von einem anderen Kulturbegriff ausgegangen als beispielsweise bei einer Ausstellung. Mit welchen Kunst- und Kulturbegriffen wird in Salzburgs Kulturpolitik gearbeitet?

Es gibt einen sehr starken Repräsentationsansatz, der Kultur eben als repräsentatives, symbolisches Moment begreift, nicht nur in der Stadt Salzburg, sondern auch am Land. Dieser wird – und ich war auch überrascht, nachdem ich mich sehr intensiv damit auseinandergesetzt habe – auf alle Fälle von einem starken Drang in Richtung zeitgenössischer Kunstproduktion durchbrochen. Das zieht sich durch alle Ebenen durch, von den großen Tankern bis hin zu den kleinen Initiativen. Volkskultur ist in Salzburg auch stark. Jeder sechste oder siebte Salzburger Bürger ist in einer volkskulturellen Initiative engagiert.

Wenn wir von kultureller Teilhabe sprechen, müssen wir uns zuerst die Frage stellen: Von welcher Kultur sprechen wir denn hier? Dann können wir über die Frage des Begriffs der Teilhabe sprechen, die ja auch spannend ist. Partizipation ist wieder etwas anderes.

Wenn wir von echter Teilhabe sprechen, prägen wir über den Teilhabebegriff den Kulturbegriff gleich mit, weil diese Teilhabe für uns keine Konsum-, Repräsentations- oder folkloristische Kultur beinhaltet, sondern einen fortschrittlichen Ansatz, der eher in Richtung zeitgenössischer Kunstproduktion geht, die aber für alle zugänglich ist und wo alle mitmachen können.

Würdest du sagen, dass Partizipation und Teilhabe etwas ganz anderes ist?

Nein, ganz etwas anderes nicht. Aber Teilnahme und Teilhabe sind etwas anderes. Bis in die 1990er Jahre war der Teilnahmebegriff viel stärker und dann ist aus einem emanzipatorischen Anspruch der Teilhabebegriff herausgekommen. Der Partizipationsbegriff war immer schon da, hat aber sicher auch in den letzten 15, 20 Jahren größeres Gewicht erhalten. Es gibt aber auch berechtigte Kritik am Partizipationsbegriff, weil er so viel vermischt und auf so vielen Ebenen daherkommt. Banal gesagt kommt mir ein Wort wie Scheinpartizipation sofort über die Lippen, aber bei Scheinteilhabe spießt es sich.

Es gibt verschiedene Stufenmodelle, ladders of participation, wo der Partizipationslevel aufgeschlüsselt wird. Teilhabe ist da eher am höheren Level angesetzt, aber nicht ganz oben, denn dort geht es um vollkommene Selbstermächtigung und ganz eigene Aushandlungsformen. Wenn ich Politiker wäre, könnte ich sagen, dass es ein partizipativer Prozess sei, wenn ich irgendwo informiert habe und Bedürfnisse ein bisschen abgefragt habe. Wir würden aber sagen: Moment, Teilhabe ist das aber nicht.

 

Den engen Kulturbegriff durchlöchern

Was wären die drei wichtigsten Maßnahmen, um eine breitere kulturelle Teilhabe in ländlichen Regionen zu ermöglichen?

Als Erstes wäre es wichtig, verstärkt solche Maßnahmen, Projekte und Initiativen zu organisieren, die auf sehr kleinräumiger Ebene arbeiten und die den engen Kulturbegriff durchlöchern. Da geht es auch darum, Bildungsinitiativen, Sozialinitiativen und auch kreativwirtschaftliche Player mitreinzuholen und trotzdem kulturelle Projekte umzusetzen. Querbeet ist ein gutes Beispiel dafür.

Nummer Zwei ist eine Stärkung von dem, was in Richtung kultureller Bildung im allerengsten Sinn geht. In diesem Doppelbegriff verschwimmt unglaublich viel, in einem engen Sinn betrifft er das klassische Bildungssystem, vor allem das Schulsystem. Da hat es einen Rückschritt gegeben und es muss sich wieder gravierend etwas ändern. Ich denke zum Beispiel an die Aktion Kultur in Schulen. Da ist in den letzten Jahren aus verschiedensten Gründen einiges verloren gegangen. Es gibt Ansätze dazu, dass Künstler_innen, Kulturarbeiter_innen tatsächlich in kleinen Projekten mit den Schulen zusammenarbeiten, wo es unglaublich engagierte Lehrkräfte gibt. Dort werden Projekte an den und aus den Schulen heraus initiiert. Damit meine ich keine Projekte, wo es nur darum geht, dass Schulklassen in das Literatur- oder Schauspielhaus oder in das Landestheater fahren und es einen Reisekostenzuschuss oder einen Schulbus gibt. Das hat es immer gegeben, früher zumindest, als es noch finanziert war. Das ist zwar nett und schön und hat auch mit kultureller Teilhabe und Ermöglichung von kultureller Teilhabe zu tun, aber eigentlich geht es vielmehr um direktes Arbeiten vor Ort mit den Schülerinnen und Schülern.

Als Drittes würde ich alles, was im Bereich interkultureller Initiativen passiert, ansprechen. Ich würde dort reingehen und selbstorganisierten migrantischen Initiativen Geld in die Hand geben, damit sie Initiator_innen von interkulturellen Initiativen sein können. Das passiert oft aus einer etwas paternalistischen Haltung heraus. Im Sinne einer Selbstermächtigung müsste man nicht einfach nur Geld geben, sondern auch gemeinsam einen Rahmen abstecken. Aber so könnte man Projekte starten. Das war jetzt fast alles projektiv, aber ich glaube, dass man mit diesen drei Punkten sehr viel machen kann.

Gibt es im ländlichen Raum von Salzburg selbstorganisierte Migrantinnen- und Migrantenorganisationen?

Im ländlichen Raum ist das gar nicht so einfach, aber türkische Communities und Communities aus dem ehemaligen Jugoslawien gibt es. Wahrscheinlich gibt es irgendwo mittlerweile auch kleine Ansätze von – was immer man unter dem Community-Begriff versteht – syrischen oder afghanischen Communities. Zur Black Community würde mir auch in größeren Städten wie Hallein oder Zell am See jetzt nichts einfallen.

Man muss ohnehin doppelt und dreifach hinschauen, denn nur weil es eine selbstorganisierte migrantische Community gibt, heißt das noch lange nicht, dass sie kompatibel mit einem progressiven Ansatz ist, den man mit kultureller Teilhabe verbindet. Man will ja nicht mit irgendwelchen super folkloristischen, nationalistischen, türkischen oder ex-jugoslawischen Vereinen zusammenarbeiten. Genauso wenig Sinn macht es, mit den Schützen ein kulturelles Teilhabeprojekt aufzuziehen. Da sind die eigenen Ressourcen woanders besser aufgehoben. Erzwingen braucht und kann man es sowieso nicht.

Wo würdest du eine Grenze setzen?

Die Grenze ist sicher Nationalismus, Rassismus. Das ist ganz bewusst nicht auf die Religion bezogen, die sehr oft mit hineinspielt. Aber ich würde nicht einen Begriff wie islamistisch verwenden, sondern nationalistisch, rassistisch, antisemitisch. Die Initiativen können konservativ sein oder vielleicht sogar leicht in das Reaktionäre gehen – mit dem muss man dann arbeiten können. Da wäre ich ziemlich offen.

Es kann sicher interessant sein, egal mit welcher gesellschaftlichen Gruppe man arbeitet, sich im Rahmen von kultureller Teilhabe über ästhetische Fragen oder den ästhetischen Raum zu unterhalten. Auf der anderen Seite ist es nicht nur spannender, sondern haut einen selbst vom hohen Ross herunter, wenn es plötzlich um ethnologischen Fragen oder um traditionelle Entwicklungen von Kultur geht.

Auf meine Frage nach einem offenen, Teilhabe ermöglichenden Kulturprojekt in Salzburg nannte simon INOU die Rodelweltmeisterschaften, eine für und mit Afrikaner_innen jährlich durchgeführte Veranstaltung. Das fand ich interessant, da dabei von einem anderen Kulturbegriff ausgegangen wird als jenem, mit dem wir üblicherweise arbeiten.

Der Begriff der kulturellen Teilhabe ist, so wie er in den Diskursen, in denen wir verfangen sind, schon ein sehr hochleveliger Begriff und wir haben ein hochleveliges Verständnis davon. Das ist schwierig, oder? Für mich ist es viel naheliegender, von Interkultur zu sprechen. Dann gibt es noch Inklusion als Begriff mit einem neuen Verhältnis zum Sozialbereich oder einen alten Begriff, mit dem wir alle nicht mehr glücklich sind: Integration. Da denke ich als Erstes an Sportprojekte, an Sport als Integrationsmittel und nicht unbedingt an Kultur.

Kultur schafft gerade durch Begrifflichkeiten wie kulturelle Teilhabe, kulturelle Partizipation und kulturelle Bildung, aber vor allem aufgrund dessen, dass wir immer mit Kunst konfrontiert sind, die im Zentrum irgendwie herumschwirrt, sehr schnell eine Stufe, die unglaublich schwierig zu übersteigen ist. Das gilt für viele Leute, die man eigentlich aktivieren will, mit denen man sich austauschen und von denen man etwas lernen will. Man glaubt selbst, man kann irgendetwas darbieten und gegenseitige Lernprozesse starten. Sport oder andere Felder sind da vielleicht besser geeignet, auch Do-it-yourself-Kreativsachen.

Je weiter man in den engeren Kulturbereich geht, desto größer wird das Unbehagen bei Leuten, die mit kultureller Teilhabe zu tun haben. Wenn es dann zum Beispiel um Esskultur geht, sitzt man zu Hause und kocht miteinander und isst. Dieser Esskulturbegriff banalisiert alles, was mit Kultur sonst in Verbindung steht. Natürlich kocht und isst man gerne – aber als Kulturprojekt?

 

Schauen, wo es nicht funktioniert: „Was ist super abgehoben, elitär oder exklusiv?“

Du hast viele Kulturentwicklungsprozesse begleitet und dich mit dem Format auch theoretisch intensiv auseinandergesetzt. Gibt es einen Prozess oder dabei gesetzte Maßnahmen bzw. Aktivitäten, die gut für Salzburg wären? Was könnte man als Impuls denken oder als Good-Practice-Beispiel?

Aus diesen kulturellen Entwicklungsplanprozessen heraus ist kulturelle Teilhabe ein Punkt bzw. ein Thema, das behandelt werden muss, das fast überall behandelt wird, manchmal ernsthaft, manchmal weniger ernsthaft. Wenn es um eine solche Art von Prozessen geht, ist man in Salzburg mit dem Kulturentwicklungsplan gut beraten und gut unterwegs.

Es gibt kaum Interkulturpläne. Auf Stadtviertelebene hat Hamburg so etwas einmal gemacht, was aber in die Richtung Stadtentwicklung geht. Regionalentwicklungsprozesse finde ich auch spannend, wie es mit Agenda 21 und ähnlichen passiert ist, aber das ist nur ein Teil von mehreren. Es gibt zum Beispiel fast keine Kinderkulturpläne. Die Entwicklung einer Kinderkultur wäre ein wichtiger Teil. Es wäre auch wünschenswert, dass es etwas zum Thema Intergeneration gäbe, um also auch die älteren und alten Menschen dazu zu bewegen, die kulturelle Teilhabe nicht zu verlieren.

Welche Projekte findest du in Bezug auf kulturelle Teilhabe besonders gelungen – in Bezug auf Österreich oder darüber hinaus?

Da gibt es viele. Es gibt die bekannten Beispiele wie das Hamburger Park Fiction und Co aus dem Kunstbereich. In Österreich gibt es im Kulturbereich im engeren Sinn viele, die nur auf einen Aspekt abzielen, aber wichtig sind: Die Aktion Hunger auf Kunst und Kultur beispielsweise, auf Festivalebene das Festival der Regionen. Durch meine Beiratstätigkeit am BKA Kunst habe ich einen relativ guten Überblick: Es gibt Initiativen und Projekte in den einzelnen Bundesländern, die kulturelle Teilhabe schaffen. Die sind oft im ländlichen Raum: Zum Beispiel eine steirische Kleingemeinde mit etwa 1.000, 2.000 Einwohner_innen, wo die gesamte Gemeinde fast eine ganze Woche ein Dorffestival veranstaltet, aber mit Anspruch. Das ist als kulturelles Teilhabeprojekt sehr niederschwellig und dort werden alle tatsächlich auch aktiv. Dann gibt es noch die Brunnenpassage, aber dieses Beispiel kennt man ja.

Vielleicht ist es auch gut, zu schauen, wo es nicht funktioniert? Was ist super abgehoben, elitär oder exklusiv? Oft ist es ja in der freien Szene so, dass man glaubt, alles berücksichtigt zu haben, dann aber doch exklusiv unterwegs ist, weil man vielleicht den großen Tankern in der zeitgenössischen Kunstproduktion nachhechelt. Dabei hat man aber die Mittel eines Museums gar nicht – das Salzburg Museum würde mir zum Beispiel einfallen – um die Website in Leichter Sprache zu machen, barrierefreie Zugänge zu schaffen, ein Kontingent an Karten verbilligt oder auch Führungen in anderen Sprachen anzubieten. Es lohnt sich wahrscheinlich, da hinzuschauen, zu kritisieren und auf blinde Flecken zu achten. Welche Gruppen gibt es eigentlich, die von kultureller Teilhabe ausgeschlossen sind, abseits der vorhin genannten klassischen Gruppen? 90 Prozent aller kulturellen Teilhabeprojekte, in denen es um Aktivierung geht, arbeiten irgendwie mit diesen Gruppen. Welche Gruppen gibt es sonst noch?

Von ökonomischen Ausschlüssen Betroffene.

Armut, klar.

Was würdest du dir in Bezug auf kulturelle Teilhabe wünschen – allgemein oder konkret für Salzburg? Welche Visionen hast du?

Ich würde mir wünschen, dass mehr als ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen, um vor allem kleine Projekte und Initiativen anleiern zu können, die bereichsübergreifend, aber kleinräumig, kleinteilig und prozessorientiert arbeiten können. Es geht darum, dass Strukturen geschaffen werden, die aber nicht zu groß sind, ansonsten wird es sehr schnell aufwändig und bürokratisch.

Außerdem würde ich mir für Salzburg wünschen, dass es ein Sonderförderprogramm in der Größenordnung von ein paar Millionen Euro gäbe, damit man anschieben kann – im Bereich kulturelle Bildung, Kinder, Jugendliche, Schulen und im Bereich Interkultur.

Vielen Dank für das Gespräch! 

Anita Moser, Thomas Philipp ( 2019): „Zuerst müssen wir uns die Frage stellen: Von welcher Kultur sprechen wir denn hier?“. Thomas Philipp im Gespräch mit Anita Moser über Herausforderungen und Maßnahmen für ländliche Räume. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/zuerst-muessen-wir-uns-die-frage-stellen/