Mehr dezentrale Kulturarbeit, bitte!

Wie können mit Kunst und Kultur neue Achsen des Zusammenlebens geschaffen werden? Inwiefern können künstlerische Initiativen regionale Entwicklungsprozesse mitgestalten? Warum sollte dezentrale Kulturarbeit als gesellschaftliche Ressource gestärkt werden? Mit der P-ART Akademie wurden diese Fragestellungen in öffentlichen Veranstaltungsreihen intensiv diskutiert, in zahlreichen Impulsworkshops künstlerisch erprobt und in der Projektwerkstatt von vielfältigen Konzeptideen aufgegriffen.

Im Herbst 2018 wurde mit der P-ART Akademie ein neuartiges Vermittlungs- und Wissensproduktionsformat am und für den Standort Salzburg*1 *(1) realisiert, das die Bedeutung einer dezentralen und transdisziplinären Kulturarbeit in den Fokus rückte: Ob als künstlerische Initiativen in der Stadtteilarbeit, ob als (Re-)Aktivierung von kulturellen Begegnungszonen in der regionalen Vereinsarbeit oder auch als Outreach-Projekt mit spezifischen Bevölkerungsgruppen – dezentrale Kulturarbeit ist vielfältig, umfasst dabei jedoch stets eine räumliche Dimension wie auch die Betonung eines prozess- und dialogorientierten Kunst- und Kulturverständnisses.

Intention der P-ART Akademie für dezentrale und transdisziplinäre Kulturkonzepte war, einen öffentlich zugänglichen Raum für wissenschaftlichen, kulturellen und künstlerischen Austausch zu schaffen und parallel ein kompaktes Weiterbildungsangebot im Bereich der partizipativen und regionalen Kulturarbeit am und für den Standort Salzburg zu etablieren.*2 *(2)
(Siglinde Lang, Leiterin P-ART Akademie)

Abseits von beziehungsweise vielmehr ergänzend zu etablierten Infrastrukturen kennzeichnet dezentrale Kulturprojekte, dass sie Partizipation, Mitbestimmung und den Bezug zu den Lebenswelten der beteiligten Personen als wesentliche Parameter ihrer Struktur und Programmatik definieren. Lokalspezifität, Selbstorganisation und das inhaltliche Aufgreifen aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen bilden zumeist zusätzliche Charakteristika. Diese aktuellen Entwicklungen im Kunst- und Kultursektor hat die P-ART Akademie in Bezug zu jenen wissenschaftlichen, kulturmanagerialen sowie künstlerischen Diskursen gesetzt, die eine stärkere Ausrichtung auf eine praxisbezogene und gesellschaftlich relevante Forschung und Ausbildung fordern: Mit dem Themenfokus ‚mit_ein_ander(s)‘ wurde ein konkretes gesellschaftliches Phänomen multiperspektivisch verhandelt. Dieser inhaltliche Referenzrahmen war vielschichtig und anwendungsorientiert in das gesamte zweiwöchige Programm integriert. Dieses umfasste ein breites öffentliches Veranstaltungsangebot sowie ein Weiterbildungsformat, dessen Teilnahme über Stipendien der Stadt Salzburg und des Landes Salzburg ermöglicht wurde. Die P-ART AKADEMIE war eingegliedert in das Forschungsprojekt Kulturelle Teilhabe in Salzburg, ein vom Land Salzburg gefördertes Drittmittelprojekt.

Dezentrale Kulturarbeit als ‚Königsdisziplin‘

Ob Symposium, Frühstück, Diskussionsforum oder künstlerischer Event ‑ zahlreiche Programmpunkte der P-ART Akademie boten die Möglichkeit, sich in unterschiedlichen Formaten an dem Vermittlungsangebot zu beteiligen und sich intensiv mit Herausforderungen, Intentionen und Programmatiken dezentraler Kulturarbeit auseinanderzusetzen. Vor allem in der abendlichen Veranstaltungsreihe P-ART Impuls wurde dabei lebhaft und durchaus kontrovers diskutiert: Inwiefern das Potential Peripherie?! als regionale Herausforderung zu begreifen und anzupacken ist, stand im Mittelpunkt der Podiumsdiskussion im MARK Kulturzentrum. Dass Sprache als antidiskriminatorische Praxis dazu beiträgt, Parolen gegen ein ‚mit_ein_ander(s)‘ Paroli zu bieten, wurde multiperspektivisch im Café Unikum Sky verhandelt. Darüber, dass dezentrale Kulturarbeit stets eine Einladung zur Partizipation darstellt, war Konsens einer dennoch vielschichtigen und kritischen Auseinandersetzung in der akzente Jugendinfo. Und inwiefern ‚mit_ein_ander(s)‘ als programmatischer Kulturauftrag interpretiert werden kann, war Anlass, um in der Stadtgalerie Lehen über das Potential von Kunst quer durch und auch mit alle(n) Bevölkerungsschichten sowie die damit verbundenen Herausforderungen zu debattieren.

Doch was kann rückblickend als Credo von dezentraler Kulturarbeit als Königsdisziplin (Rüdiger Wassibauer) angesehen werden? Ob es das Zusammenbringen von Menschen, die sich sonst nicht begegnet wären (Birgit Mandel) ist; ob es die ständige Reibung mit sich selbst und den Anderen (Gerd Pardeller) ist; ob es das notwendige Zurückschrauben des eigenen professionellen Anspruchs (Kim Habersatter) ist; ob es ein Geben von Vorbildern des Quer-Denken-Könnens (Günther Friesinger) ist; ob es ein Aufzeigen von Probenutzungen und damit regionalen Entwicklungsmöglichkeiten (studioachtviertel) ist; oder ob es die unmittelbare und persönliche Anerkennung von kreativem Schaffen (Onur Bakis) ist – dezentrale Kulturarbeit denkt, macht und lebt vor, wie kulturelle Teilhabe gelingen kann: Es gilt, neue Achsen des Zusammenlebens, räumlich, sozial, künstlerisch und gesellschaftlich zu schaffen – und dabei kulturelle und künstlerische Produktion gesamtheitlich und schnittstellenorientiert zu denken. Wird kulturelle Teilhabe als eine, ja die zentrale Voraussetzung für ein aktives Gestalten des eigenen Lebensumfeldes verstanden, sind es dezentrale Initiativen, die exakt diesen Anspruch zu verwirklichen suchen.

Einen Prozess zu initiieren, diesen zu moderieren und eine kollaborative Gestaltungsaufgabe einzuleiten, kann dabei als eine der vorrangigen Intentionen dezentraler Kulturinitiativen verstanden werden: Dabei den eigenen Schutzraum auch verlassen können (Hans Peter Graß), das Unerwartete zulassen können (Marcel Bleuler) oder auch einen Anstoß zu geben und sich dann zurückzuziehen (Swetlana Heger) waren zentral thematisierte Merkmale, die weniger eine reine Ergebnisorientierung als viel mehr die Ansprache und Aktivierung eines gemeinsamen Tuns und Handelns definieren. Diese Aktivierung hat dabei auch viel mit der Übernahme von individueller und kollektiver Verantwortung zu tun, mit einem ‚Sich-Gemeinsam-Zuständig-Fühlen‘ und findet ihren Anstoß zumeist dadurch, dass neue Gemeinschaften ermöglicht werden. Diese benötigen jedoch Raum für Austausch und Erfahrungen, um zusammenzuwachsen und sich über diese neue, oft temporäre, gemeinsame Verantwortlichkeit definieren zu können.

‚mit_ein_ander(s)‘ als Referenzrahmen

 Dieser Raum für Austausch und neuartige Erfahrungen wurde in der P-ART Akademie mittels des alle Programmpunkte verbindenden Referenzthemas ‚mit_ein_ander(s)‘ zu multiplizieren intendiert. So wurden Fragestellungen rund um sozietäre Beziehungsstrukturen, Diversität und kulturelle Teilhabe nicht nur diskursiv verhandelt und in Fallstudien analysiert, sondern konnten in den künstlerischen, wissenschaftlichen und kulturmanagerialen Workshops auch unmittelbar erfahren und erprobt werden. Ob Collagen-Workshop, die Durchführung von Interviews mit Passant*innen, ein Eintauchen in die Welt des Poetry Slams oder die Teilnahme an einem Erzählcafé – der Themenfokus spiegelte sich sowohl methodisch als auch inhaltlich in allen Programmpunkten wieder.

Wenn nicht mit_ein_ander(s), dann: jede*r für sich?
(Bettina Egger, Workshopleiterin ‚Comic zeichnen‘)

 Ohne mit_ein_ander(s) gibt es keine Gesellschaft und ohne Gesellschaft funktioniert Kunst nicht, weil das Publikum fehlt. (Tamara Soma Volgger, Workshopleiterin ‚Graffiti‘)

 Es gibt viele Arten des Miteinanders – diese zu erforschen, gemeinsam zu gestalten oder auch ganz neu zu erfinden, sehe ich als wichtigen Beitrag einer eingreifenden künstlerischen und forschenden Praxis.
(Laila Huber, Workshopleiterin ‚Partizipativ forschen‘)

Die inhaltlichen und künstlerischen Impulse aus den Veranstaltungen und Workshops wurden in der Projektentwicklung von den Stipendiat*innen aufgegriffen und mündeten in Konzeptideen, die sich auf vielfältige Weise mit Aspekten von Nachbarschaft, Gemeinwohl, transkulturellem Austausch, Re-Aktivierung von Leerstand oder auch regional-partizipativer Visionsarbeit programmatisch auseinandersetzten.

 Das Jahresthema war Motivation mich zu bewerben und mein Projekt wird sich mit der Frage des ‚mit_ein_ander(s)‘ auseinandersetzen.
(Sophie Hichert, Stipendatin)

 Die entstandenen Diskussionen über das Jahresthema waren für mich sehr bereichernd und haben mir neue Sichtweisen eröffnet, für die ich sehr dankbar bin.
(Patrizia Biber, Stipendiatin)

 Miteinander ist der Schlüssel zu allen meinen Partizipationsprojekten. Hier wurden viele Aspekte nochmal nachgeschärft. (Margit Beling, Stipendiatin)

 ‚Mit_ein_ander(s)‘ war jedoch nicht nur Referenzrahmen der P-ART Akademie, sondern spiegelte auch jene Atmosphäre wieder, die zwei intensive Wochen der Zusammenarbeit mit den Stipendiat*innen – sowie Publikum und Gastvortragende –- geprägt hat: Denn wenn zehn engagierte und hoch motivierte Kulturarbeiter*innen und Kunstschaffende von (früh)morgens bis (spät)abends zusammenkommen, um individuelle Konzepte auszuarbeiten, in denen sie ihre persönliche Leidenschaft für ein konkretes Kulturvorhaben sowie die eigenen Vorstellungen einer partizipativen Kulturarbeit zum Ausdruck bringen wollen, dann schafft das ein Miteinander, das sich über Offenheit für neue Begegnungen, Lust auf alternative Erfahrungen, Selbstreflexion wie auch ein Einlassen auf kritische Debatten und Konsensfindung definiert.

So hat sich in diesem Kokon einer konzentrierten Arbeits- und Weiterbildungsstruktur eine Gemeinschaft gebildet, die das repräsentiert, was ein ‚mit_ein_ander(s)‘ kennzeichnet: Individuelle Eigenheiten, biografische Erfahrungen und persönliche Erwartungen haben die Gruppe zusammenwachsen lassen, haben eine Atmosphäre geschaffen, die von Streitgesprächen und Kontroversen ebenso wie von Toleranz, Freundschaft und Respekt geprägt war. Die Freude am (gemeinsamen) Tun, die von allen geteilte Vision einer gelebten kulturellen Teilhabe und die verbindende Überzeugung, dass Kunst Möglichkeitsräume eröffnen kann, hat alle Beteiligten Gemeinschaft als stützenden und kraftvollen Motor erfahren lassen.

Resümee: Neue Dynamiken im Kunst- und Kultursektor

Das Pionierprojekt P-ART Akademie kann als ausgesprochen gelungenes Experiment bezeichnet werden: Gerade das verdichtete Zusammenspiel von wissenschaftlichen Diskursen, kulturpraktischen Erfahrungen, künstlerischen Methoden und schrittweiser projektmanagerialer Begleitung hat eine transdisziplinäre Herangehensweise (auch) strukturell erfahrbar, der Themenfokus ‚mit_ein_ander(s)‘ eine wesentliche Intention von dezentraler Kulturarbeit (auch) atmosphärisch erlebbar gemacht.

Doch diese dezentrale und transdisziplinäre Herangehensweise verlangt ein Umdenken im Kunst- und Kultursektor, sowohl von seinen Akteur*innen als auch von seiner zentral orientierten Ballung und der damit verbundenen finanziellen Förderstruktur. Das bedeutet etwa, dass das Selbstverständnis von Kunstschaffenden und Kurator*innen in Hinblick auf ihre gesellschaftliche Verantwortung für sozietäre Prozesse zu reflektieren oder Publikumsstatistiken nicht (nur) über die Anzahl der jährlichen Opern- oder Konzertbesuche und Adressierung einer homogenen Mehrheitsgesellschaft, sondern über die (vielfältige) Ansprache heterogener Bevölkerungsschichten zu definieren sein wird. Auch die Diskussion über die Schließung von Staatstheatern wird erneut Zündstoff erhalten, wenn stattdessen etwa ein regionales Wandertheater subventioniert werden kann.

Dezentrale Kulturarbeit bringt damit jene Bewegung und Dynamik in den Kunst- und Kultursektor, der von der Kulturnutzungsforschung seit Jahrzehnten gefordert wird: Das Erproben neuer Produktionsformate zwischen professionellem Kunstschaffen und zivilgesellschaftlicher Mitgestaltung gilt es ernst zu nehmen – auch wenn es die eigene Bis-dato-Legitimität als Kunstinstitution in Frage stellt. Ein Experimentieren mit kulturellem Brachland wird als regionalpolitische Maßnahme anzuerkennen sein – auch wenn dieser Ansatz eine abteilungsübergreifende Re-strukturierung (kultur-)politischer Förderstrukturen bedeutet. Künstlerische Qualitätskriterien werden nach dem Maßstab des Schaffens von (Zwischen-)Räumen zu definieren sein – auch wenn die dafür erforderliche Prozessoffenheit längere Projektlaufzeiten und Unsicherheiten verlangt.

Also, mehr dezentrale Kulturarbeit, bitte! Denn dezentrale kulturelle Initiativen schaffen exakt jene Räume des ‚mit_ein_ander(s)‘, die unsere Gesellschaft aktuell so dringend benötigt: Räume, die neuartige Beziehungsstrukturen ermöglichen, Reibungen durchaus zulassen, dabei jedoch Gemeinsames vor Trennendes stellen und kollektive Identitäten mit individuellen Haltungen, auch über diese hinaus, verbinden!

Dokumentation der P-ART Akademie 2018 mit Vorstellung der Stipendiat*innen und ihrer Projektkonzepte sowie zentralen Statements aus den Diskussionsrunden unter: LINK

Cover des Berichts der PARTAkademie

Dokumentation der P-ART Akademie 2018 mit Vorstellung der Stipendiat*innen und ihrer Projektkonzepte sowie zentralen Statements aus den Diskussionsrunden

 

Anmerkung: Stadt und Land Salzburg

Alle kursiv gesetzten Textteile sind Zitate aus: P-ART Akademie für dezentrale und transdisziplinäre Kulturkonzepte. Dokumentation und Reflexion 2018, nachlesbar unter https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2019/03/P_ART_Katalog_als_PDF.pdf

Siglinde Lang ( 2019): Mehr dezentrale Kulturarbeit, bitte!. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/mehr-dezentrale-kulturarbeit-bitte/