„Ich sehe da die Möglichkeit der Buntheit …“

Conny Felice im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger.

Conny Felice ist seit vielen Jahren ein aktives Mitglied des gemeinnützigen Vereins Homosexuellen Initiative (HOSI) Salzburg, einem der ältesten queeren Vereine in Österreich, der verschiedene Kunst-, Kultur- und Bildungsbereiche abdeckt. Felice ist insbesondere in den HOSI-Bildungsprojekten Schule der Vielfalt und Vielfalt im Beruf beteiligt. Im Interview sprechen wir über kulturelle Teilhabe aus LGBTIQ-Sicht, safe spaces, die HOSI als wichtiger Bestandteil der Kunst- und Kulturszene Salzburgs sowie Kulturproduktion in den oben genannten Bildungsprojekten.

Was bedeutet für die HOSI Salzburg kulturelle Teilhabe?

Ich sehe da die Möglichkeit der Buntheit oder der Vielfalt, dass die Menschen überall teilhaben können, dass alles in einem sicheren Space, einem sicheren Umfeld stattfindet. Das ist ganz wichtig, weil damit die Grundstimmung geschaffen wird, aus der heraus gearbeitet werden kann. Dass Kooperationen mit anderen Institutionen möglich sind und wir in Salzburg mit vielen Menschen aus anderen Bereichen sprechen können und willkommen sind. Dass man letztendlich auch Förderungen bekommt für LGBTIQ-Projekte und als HOSI auch als Teil der Buntheit von Salzburg wahrgenommen wird. Da stehen zum Glück Stadt und Land Salzburg hinter uns.
Von der anderen Seite her gedacht, von der Seite der Einzelnen, die an der Kultur in Salzburg teilhaben: Ich bin weniger im alternativen Kulturbereich unterwegs, eher im Mozarteum und Landestheater. Da fühle ich mich sicher und bin sichtbar, auch ein paar andere sehe ich immer wieder. Das ist einfach schön, dass wir da als bunte Menschen, als vielfältige Menschen, als LGBTIQ, als queere Community teilnehmen können. Selbst in einer sehr konservativen Stadt wie Salzburg. Es könnte natürlich noch mehr sein, es gibt eben keine so alternative Szene wie in Wien, sogar in Linz gibt es wesentlich mehr alternative Kunst- und Kulturangebote.
Aber es gibt die legendären HOSI-Feste in der ARGE, die Bestandteil der Salzburger Kulturszene sind. Gerade in der Buntheit bereichert das die Salzburger Szene ganz wesentlich, das ist geradezu ein Meilenstein.

Kennst du andere queere oder LGTBTIQ-Vereine und Kunstinitiativen in Salzburg?

Es gibt ein paar Einzelkämpfer*innen, die auch im kulturellen Bereich unterwegs sind, aber nicht in einer organisierten Form.

Und weißt du, wie das am Land ist?

Noch weniger. Wir kommen mit dem Projekt Vielfalt im Beruf auch in die Gebirgsregionen, St. Johann, Zell am See und so weiter. Da merken wir, dass wir allein schon durch das, was wir dort versuchen zu vermitteln, in einem Raum ohne queere Sichtbarkeit sind. Ich glaube nicht, dass es da irgendeine Gruppierung gibt, die innergebirg aktiv wäre, geschweige denn etwas veranstaltet.

Das heißt, wenn queere Leute in Salzburg was wollen, gehen sie in die Stadt Salzburg?

Dann müssen sie nach Salzburg, ja.

Sind kulturelle Teilhabe, Kultur für alle, Zugang von LGBTIQ+ oder Vielfalt im Kulturbereich Themen für die HOSI? Wobei ich die Workshops und die Materialien, die ihr für die Workshops produziert, auch als Kulturproduktion sehe – im Sinne eines breiteren Kulturbegriffs.

Wenn für dich Kultur all das umfasst, dann sind wir breit aufgestellt, vielleicht breiter als viele andere Institutionen: Das HOSI-Fest ist eine kulturelle Sache. Mit den Queer Topics tangieren wir manchmal auch kulturelle Themen – zusätzlich kommen da Bildung, Diversität und vielleicht auch Arbeit, Kultur und so weiter dazu. Ich persönlich finde es wichtig, weil Kultur grundsätzlich das Denken aufbricht und die Kombination mit queeren Menschen oder Themen kann nur der Sache dienen – der queeren und der kulturellen Sache. Ich glaube, dass eins das andere ergibt. Mit unserem sozialen und dem Bildungsbereich sehen wir uns definitiv da drin, gerade mit Schule der Vielfalt und Vielfalt im Beruf.

Wenn du an Schule der Vielfalt oder Vielfalt im Beruf denkst, was ist da eure Praxis in Bezug auf kulturelle Teilhabe? Was macht ihr, um diesen Bereich zu öffnen? Zum Beispiel methodisch?

Die Workshops der beiden Projekte sind eine sehr interaktive Herangehensweise, wo man die Menschen dort abholt, wo sie sind. Das hört sich komisch an, aber wir versuchen, sie mit etwas auszustatten, was ihnen tatsächlich einen Mehrwert gibt, wo sie auch wirklich mehr wissen und vielleicht andere Positionen verstehen und vertreten können. Der Perspektivenwechsel ist immer wichtig. Die Teilnehmenden sind vom ersten Moment an gefordert, Fragen zu stellen. Wir werfen ganz oft Fragen hinein, die auch dazu dienen, etwas in Bewegung zu setzen, dass die Antworten auch aus der Gruppe selbst kommen, egal ob Jugendliche oder Erwachsene. Wir geben natürlich auch unsere Perspektive dazu. Was hat das alles mit queer zu tun? Was hat queer mit Menschenrechten zu tun? Das ist für mich persönlich die große Klammer, um die es geht: Alle Menschen sind gleich an Rechten und Würde geboren. Wenn wir von Menschenrechten sprechen, dann sind wir bei queer und umgekehrt. Das stellen wir häufig in den Workshops klar. Wir sehen uns nicht als Sexualkundeunterricht. Wenn Fragen dazu kommen, freuen wir uns, dass wir in dem Zusammenhang auch ein bisschen gefordert sind. Wir sehen uns aber als Team, das Menschenrechtsarbeit betreibt und versucht, Mobbing oder Diskriminierungsmechanismen sowie Lösungen dafür aufzuzeigen. Das machen wir methodisch mit ein paar interessanten Sachen, glaube ich.

Habt ihr da selbst Materialien geschaffen oder verwendet ihr welche, die es schon gibt?

Wir haben einen relativ breiten Methodenkoffer, der schon vorhanden ist, den zum Beispiel die Queer Connection in Wien als Partnerinstitution auch verwendet. Wir haben aber auch die eine oder andere Methode selbst entwickelt. Etwa die von mir entwickelte Stressskala, anhand derer wir aufzeigen, welche Verhaltensweisen im zwischenmenschlichen Bereich stattfinden, von „solidarisieren“ bis „bestrafen“. Wir fordern die Teilnehmenden in Kleingruppen auf, interaktiv eine Reihung vom besten zum schlechtesten Begriff zu machen. Bisher hatten die Gruppen noch nie das gleiche Ergebnis, es regt wieder zum Diskutieren an, gerade in dieser Zeit, wo wir mit ganz vielen Ausgrenzungen und Zuschreibungen konfrontiert sind, nicht nur die queere Community, sondern insgesamt. Diesen Gruppenzuschreibungen im populistischen Bereich muss man etwas entgegensetzen.

Kann man sagen, dass gesellschaftliche Veränderungen euer Ziel sind, also zu schauen, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene in ihrem Arbeits- oder Schulumfeld einen Safe Space haben, sich wohlfühlen, dort sein und leben können?

Genau. Unser Auftrag ist für mich tatsächlich folgender: Ich weiß, in jeder Klasse oder Gruppe sind zehn Prozent queere Teilnehmende. Wenn ich von 20 Menschen ausgehe also durchschnittlich zwei. Mit unseren Workshops schaffen wir es, der Gruppe oder dem System dort zu helfen, damit diese zwei Personen leichter durchs Leben gehen können, dass sie nicht ausgegrenzt, nicht gemobbt, nicht diskriminiert werden. Denkt man an die ganzen Folgeerscheinungen, landen gar nicht so wenige davon irgendwo im Sozialsystem als Kostenfaktor. Das hören wenige gerne, weil man immer sagt, der Mensch steht im Vordergrund. Aber letztendlich geht es ja auch im Sozialbereich um Budgets. Wer zahlt die Beratungsleistungen? Wenn wir im schulischen Bereich sind und Kinder ausgegrenzt werden, dann sprechen wir von Nachhilfe, das erste Symptom. Dann muss Schulsozialarbeit betrieben werden oder möglicherweise werden Therapien notwendig, die die Eltern dann zahlen müssen. Wir können versuchen, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Menschen sich entfalten können, anstatt wegen ihrer Buntheit ausgegrenzt zu werden.

Würdest du sagen, dass eine Folge solcher Mechanismen auch ist, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene weniger in den klassischen Kunst- und Kulturbereich gehen oder überhaupt weniger Kultur wahrnehmen? 

Ich kann dir höchstens sagen, dass sich die Möglichkeiten des Austausches mit Internet und Co. verändert haben. Menschen kommunizieren auf eine andere Art und Weise miteinander, im Positiven wie im Negativen. Natürlich sind Ausgrenzung und Mobbing auf dem elektronischen Weg noch viel einfacher als im persönlichen Aufeinandertreffen. Da haben sich maximal die Mittel verändert, aber ich glaube nicht, dass das früher mehr oder weniger gewesen wäre. Das Internet macht die Hürde relativ flach, jemanden auszugrenzen oder zu beschimpfen.
Wir versuchen unsere Workshops sehr offen zu halten. Natürlich kommen persönliche Geschichten auch von den Teilnehmenden, aber die versuchen wir im Idealfall in einem Beratungssetting anzusprechen. In diesen Gruppen geht es darum, der ganzen Gruppe etwas zu ermöglichen. Natürlich wollen wir Betroffene „abholen“, wir nehmen sie ernst. Das ist für mich etwas ganz Wichtiges. Wenn da irgendeine Meldung kommt, dann greifen wir es auf und lassen die Gruppe diskutieren. Die kommt in der Regel immer auf ein gutes Ergebnis. Es kann nicht sein, dass nur Hass herauskommt. Möglicherweise wären wir dann gar nicht in diesem Setting. Denn was wir machen, findet in einem Flaschenhals statt. Da sind ja schon Menschen dort, die uns eingeladen haben, das Bewusstsein ist also schon da. Wir merken auch, dass unsere Workshops wirken, zum Beispiel weil wir weiterempfohlen werden. Anfragen kommen von Ecken, die wir vorher überhaupt nicht am Radar hatten. Das könnte wesentlich mehr sein, aber da sind wir wieder beim Thema Geld: Unsere Workshops kosten etwas. Sehr viel unserer Arbeit findet im Ehrenamt statt, aber für diese Workshops wollen wir eine finanzielle Gegenleistung. Das ist auch ein Flaschenhals. Für manche Schulklassen oder Jugendsettings ist dann genau das Geld der springende Punkt, an dem es scheitert. Die Eltern sollen für den Theaterbesuch und für den Wandertag zahlen und dann für das auch noch. Es dreht sich ja um fünf Euro oder so, also ganz überschaubare Größenordnungen. Trotzdem scheitert es daran manchmal.

Was macht ihr, damit so viele wie möglich in euren Projekten teilnehmen oder mitmachen können? 

Vor einigen Jahren gab es ein aktives Verkaufsmarketing, wo Schulen kontaktiert wurden und man unsere Workshops verkaufen wollte. Das war nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Wen erreicht man in den Schulen? Das Sekretariat, die Direktion, irgendein*e Lehrer*in, der*die gerade abhebt und abwimmelt. Gerade im ländlichen Bereich bekommt man Antworten wie „Bei uns in der Schule gibt es das nicht“ oder „Homosexualität war noch nie ein Thema bei uns.“ Dem etwas entgegenzusetzen ist natürlich schwer. Deshalb vertrauen wird auf die Multiplikatorenwirkung. Viele Schulen holen uns auch immer wieder, jedes Jahr oder alle zwei Jahre. Gemessen an der Zahl der Schulklassen sind das Sandkörner, trotzdem ist mir jeder einzelne Workshop wichtiger, als hätten wir nichts getan. Ich denke auch, dass wir viel für die Sichtbarkeit tun. Wo immer ich unterwegs bin, erwähne ich sehr oft die HOSI zusätzlich zu meiner beruflichen Tätigkeit. Darüber sind auch schon einige Anfrage gekommen.
Weiters halten wir die Eintrittshürde sehr niedrig. Ich denke, wir holen die Menschen dort ab, wo sie sind. Sie müssen kein Vorwissen haben. Wir laden sie ein, alles zu fragen, was immer ihnen auf der Zunge liegt. Da kommen oft spannende Fragen, die wir eben auch wieder zurückspielen können. Wir hatten schon Workshops, wo die Teilnehmenden nicht wussten, wer da überhaupt kommt und mit welchem Thema. Das war zum Beispiel in Arbeitsmarktförderungsprojekten mit Jugendlichen zwischen 17 und 23, wo die Betreuer*innen das Bedürfnis hatten, Vielfalt hineinzubringen. Zu Beginn haben es einige Betreuer*innen nicht geschafft, uns bzw. das Thema LGBTIQ vorab anzukündigen. Die hatten selbst eine Scheu.
Im beruflichen Bereich, in der Arbeit mit Erwachsenen sehe ich es im Moment sogar fast anders rum. Im heurigen Jahr sind alle unsere Workshops durch Weiterempfehlung zustande gekommen.

Sind das eher Leute, die noch nie etwas von queer und LGBTIQ+ gehört haben oder sind das eher solche, die entweder selbst queer sind oder irgendwelche queeren Familienmitglieder oder Freundschaftspersonen haben? 

Wir arbeiten mit gemischten Gruppen. Gerade im beruflichen Bereich mit Erwachsenen ist das klasse zu sehen, dass im Lauf der Workshops genau diese Thematiken an die Oberfläche kommen. Dann kommen eben sehr persönliche Fragen und Hintergründe heraus, wo man merkt, da ist irgendeine queere Person. Entweder ist sie selbst da, manche sprechen es auch ganz offen in diesem Setting an. Bei anderen merken wir auch, dass sie es in diesem Setting noch nie angesprochen haben. Das ist quasi ein Outing. Da versuchen wir auch diesen geschützten Rahmen zu halten. Gar nicht so wenige haben tatsächlich Familienangehörige mit queerem Thema, egal ob Eltern, Geschwister, Kinder, Onkel, Tante, Cousine oder wer auch immer. Aber auch Menschen, die noch nie Erfahrungen und Kontakt mit LGBTIQ hatten, besuchen unsere Workshops.

Glaubst du, dass eure Workshops, wenn wir jetzt von Schule der Vielfalt und Vielfalt im Beruf reden, die Kultur, also die Unternehmens- oder Schulkultur, verändern?

Ja, definitiv. Für mich ist ganz wichtig, dass man den Menschen auch etwas mitgibt, wie jede einzelne Person das Umfeld so gestalten kann, dass queere Personen wissen, dass sie in einem Safe Space sind. Das sind so einfache und kleine Tipps wie ein Regenbogenaufkleber an der Tür oder an einem Schaufenster oder die Regenbogenflagge auf der Homepage. Es reichen ja oft diese kleinen Signale, damit queere Menschen wissen, dass sie willkommen und sicher sind. Diese Präsenz macht natürlich etwas mit der Unternehmens- oder Schulhauskultur, sie verändert, klar. Das steht und fällt natürlich mit den Menschen, die dahinterstehen und – ich möchte fast sagen – es wagen, einen Aufkleber irgendwo hinzutun oder die Regenbogenfahne zu hissen. Es ist ja ein Statement, mit dem möglicherweise gleich wieder eine Zuschreibung verbunden ist.
Ich bin überzeugt, dass wir die Unternehmens- und Schulhauskultur verändern, wenn auch auf einen sehr kleinen Bereich bezogen. Mein persönlicher Traum wäre es, mit Schulleiter*innen zu arbeiten. Jedes System hat eine Leitung und die muss davon überzeugt sein, wie wichtig es für ein System ist. Wenn es nur von einzelnen Lehrpersonen kommt, ist es eben geduldet, aber wenn eine ganz klare Ansage von oben kommt – dass bei uns die Schulkultur so ist, dass das Wort „schwul“ nicht im Alltag als etwas Negatives verwendet wird … –, verändert sich das ganze System.
Je höher die Autorität der bestimmenden Menschen, desto mehr ist möglich. Natürlich kann das Thema auch vom Kollegium, vom Lehrpersonal und von den Kindern und Jugendlichen eingefordert werden. Aber um „bei denen da oben“ zu arbeiten, müssen wir was weiß ich was machen. Es ist noch nicht so weit, aber auch nicht unmöglich. Gerade so ein Interview, wie ich es jetzt mit dir führe, wird dann möglicherweise in einer Bildungsdirektion irgendwo gelesen oder von irgendeinem politisch verantwortlichen Menschen, der oder die dann sagt, dass sie das machen sollten. Da genügt ein kleiner Workshop bei einer Veranstaltung. Wenn das fünf Menschen gemacht haben, verändert sich schon wieder etwas.

Hast du das Gefühl, dass ihr Leute ausschließt, dass Leute bei euch nicht teilnehmen können, aus welchen Gründen auch immer?

Nein, also von unserer Seite definitiv nicht. Stopp, falsch. Ich habe einmal jemanden tatsächlich aus einem Workshop ausgeschlossen, allerdings nicht wegen inhaltlichen Themen, sondern weil der respektvolle Umgang innerhalb der Gruppe durch diese Person nicht gegeben war. Ein solcher Ausschluss steht mir als Workshopleiterin frei. Man hat dann sofort gesehen, wie sich die Frage- und Gesprächskultur in der Gruppe änderte. Das war aber keine Aktion, sondern eine Re-Aktion auf das Infragestellen des Workshopziels. Ich bin für das Setting verantwortlich. Ansonsten würde ich liebend gerne gerade mit Gruppen arbeiten, die nicht so queer-affin sind. Die Frage ist nur, wie man da rankommt. Wie kann man diese Offenheit auf der anderen Seite erhalten? Mein politisches Engagement ist sehr breit. Ich persönlich habe in fast allen Bereichen sehr gute Kontakte, auch in der Kirche. In manchen Institutionen hat die jeweilige Person innerhalb der Institution nicht das Standing, das Thema durchzusetzen.

Du hast vorher kurz die digitalen Medien oder digitale Möglichkeiten erwähnt und zwar auf eine bestimmte Art und Weise: Digitale Medien als Möglichkeit, Menschen auszuschließen. Arbeitet ihr mit digitalen Möglichkeiten oder Medien? 

Wir als HOSI haben zwar die Homepage als Plattform und Ressource für ganz viele Sachen, die man abrufen kann und als Schule der Vielfalt sowie HOSI haben wir einen Facebook-Account, aber das war‘s dann schon. Hier geht es natürlich wieder um personelle Ressourcen. Bei den Schulprojekten machen wir gerne ein Foto von uns vor dem Schulgebäude, vor der Institution oder nach dem Workshop, wir sind aber sehr vorsichtig. Wir stellen zum Beispiel keine Fotos von Teilnehmenden oder von spezifischen Settings online, damit keine Zuschreibungen passieren. Das schränkt unsere Möglichkeiten allerdings wieder sehr ein. Am liebsten wäre es mir natürlich, ein Foto mit 20 grölenden Kids im Hintergrund zu haben, die sagen, dass es ihnen Spaß gemacht und gefallen hat. Das geht aber nicht.

Hast du das Gefühl, das liegt am Thema TGBTIQ+? Es gibt ja mittlerweile ganze digitale Ausstellungen. Es wird oft argumentiert damit, dass Leute am Land sind und nicht so mobil sind. Am Salzburger Land gibt es nicht immer kulturelle Angebote. Die Leute, die vielleicht kein Auto haben, ältere und andere Leute, die nicht in dem Ausmaß mobil sind, können sich dann diese Ausstellung im Internet trotzdem ansehen. Das ist eine Form des Einschlusses. Ich höre bei dir so ein bisschen raus, dass LGBTIQ ein sehr sensibles Thema ist, da immer die Gefahr besteht, jemanden zu outen oder eine Person bekommt Zuweisungen, die sie nicht haben will – ob sie stimmen oder nicht ist dann ja dahingestellt.

Genau. Zu den Medien. Die HOSI Salzburg hat, glaube ich zumindest, die größte Bibliothek in Österreich, was queere Themen angeht. Die ist natürlich analog. Im Internet findet man alles, wenn man ein bisschen googlet. Ich glaube, das ist auch nicht Aufgabe der HOSI, da jetzt weiß Gott wie tiefgehend und spezialisiert etwas anbieten zu müssen. Was die HOSI allerdings im Internet sehr wohl gemacht hat, ist Meinungsbildung, etwa Pressemeldungen lancieren oder andere politische Medien kommentieren. Dazu ist das Internet perfekt und Facebook ist ein wichtiges Instrument. Das machen wir.

Das Internet ist ja auch eine Generationenfrage. In meinen Trans-Studies-Forschungen gibt es „vor dem Internet“ und „nach dem Internet“. Du hast ja auch gesagt, mittlerweile gibt es so viel Zugang zu queerem Wissen, und nicht wenige LGBTIQ-Leute organisieren sich in Gruppen, sie sind oft weltweit vernetzt. „Vor dem Internet“ fand auch Vernetzung statt, aber über Zeitungsannoncen oder Treffen. Es war eine andere Kultur, zu Informationen zu kommen, sich auszutauschen, sichtbar zu sein. Das Internet ermöglicht es ja auch, dass man in geschlossenen Online-Gruppen out ist, gleichzeitig aber im Dorf versteckt bleibt.

Ihr arbeitet mit Kindern und Jugendlichen an Schulen. Arbeitet ihr mit Apps oder verwendet ihr Printmaterialien?

Wir arbeiten mit Karten. Die Methoden sind alle sehr einfach. Ich bin aber persönlich auch überzeugt, nicht nur weil ich jenseits von einem Digital Native bin, dass die Lernerfahrung eine andere ist. Die Leute sind bei uns im Workshop in Bewegung. Sie sitzen zwar zu Beginn im Sesselkreis, aber dann sind wir ganz viel im Raum unterwegs und da werden alle Sinne beansprucht. Sie müssen sich positionieren, sie müssen miteinander reden, sie müssen argumentieren. Da findet ganz viel statt. Da bin ich persönlich der Meinung, dass man das nicht mit einer App machen könnte. Mag sein, dass es ganz großartige Apps gibt, um mit Menschen draußen in der weiten Welt und auch sozusagen hinten im letzten Dorf zu arbeiten. Mein Auftrag im Workshop ist, diese Menschen aufeinander abzustimmen und zu helfen, dass sie miteinander gut können. Dazu kommen zu Hause ihre Systeme, draußen ihre Peer Groups, wenn sie skaten oder auf den Fußballplatz gehen oder allein sind. Das Internet hat da wenig Raum, bei mir sowieso nicht. Die Hebelwirkung ist viel größer, wenn ich Menschen vor mir habe. Das bringst du online nicht rüber. Mag sein, dass ich in zwei Jahren überzeugt von irgendeiner App bin, die dann kommen wird und super funktioniert.

Mich interessiert bei unserem Forschungsprojekt die HOSI unter anderem deswegen, weil ich glaube, dass ihr Kulturproduktion macht: Ihr macht Flyer, ihr macht eine Homepage, ihr macht Workshops und verändert damit eben die (Unternehmens- und Schulhaus-)Kultur, die Gesellschaft allgemein. Dafür braucht es auch Geld und Förderungen. Welche Empfehlungen oder Forderungen habt ihr an die Kulturpolitik des Landes Salzburg? 

Jeder Euro, den man in präventive Arbeit investiert, gerade im Gesundheits- und Sozialbereich, erspart acht Euro an Folgekosten. Ich sehe da draußen gerade einen Skaterplatz. Wenn da draußen ein Skaterplatz zur Verfügung gestellt wird, dann hat das Einfluss darauf, dass weniger Vandalismus in dieser Ortschaft sein wird, weil die Möglichkeiten andere sind. Es ist einfach eine finanzielle Sache. Das Land oder überhaupt politische Entscheidungsträger*innen sollten bewusst mit diesem Verhältnis 1:8 arbeiten. Sie werden die Rechnung ja irgendwann aus irgendeinem Topf bezahlen müssen, ob das nun Psychotherapien, Suizide oder Suizidversuche sind. Die gesellschaftlichen Kosten sind so wahnsinnig hoch. Wir sind überzeugt, dass da im queeren Bereich viel davon verursacht wird, weil die Systeme, in denen sich queere Menschen bewegen, zu wenig Spielraum für sie lassen. Der beste Hebel, um da vorzubeugen, ist Bildung  nicht Strafe hintennach, sondern präventive Bildung. Ich würde mir wünschen, dass es eine Fortbildung zu LGBTIQ+ für Schulleiter*innen gibt und für das Lehrpersonal. Was nützt mir eine Klasse, die zwar vier Jahre im Zwangssystem Schule verhaftet ist, aber danach draußen ist? Wenn ich mit einer Lehrperson arbeite, ist die möglicherweise 20 oder 30 Jahre an der Schule wirksam und kann einen sicheren Raum für alle Schüler*innen schaffen. Da ist der Hebel, der finanziert sein kann und sollte. Es kann nicht sein, dass ein paar persönlich Betroffene und Engagierte diesen großen gesellschaftlichen Auftrag stemmen.

Du hast ja gesagt, dass du bei Kunst- und Kulturveranstaltungen queere Leute als Teilnehmende wahrnimmst. Sind die aber auch im Programm vertreten? Fehlt dir da etwas oder findest du, dass das eigentlich ok ist, wenn queer nicht überall ist?

Ich denke, es könnte in Salzburg mehr sein. Ich merke, dass gerade im Kunstbereich häufig auch die Nachfrage gar nicht vorhanden ist. Ein paar junge Menschen aus alternativen Ecken kenne ich ja doch. Bei denen merke ich schon auch, dass Dinge viel kleiner oder gar nicht stattfinden, wenn die irgendetwas auf die Beine stellen wollen, weil zu wenig Interessierte dabei sind. Da kann man sagen, dass zu wenig Werbung betrieben worden ist. Wenn du mich fragen würdest, was wichtiger wäre, dann würde ich definitiv sagen, dass die Bildungsarbeit wichtiger ist als die kulturelle Arbeit. Durch die Bildungsarbeit und dieses Öffnen der Fenster oben im Kopf wird auch ganz viel kulturell möglich.

Weil sich die Kultur ändert?

Weil sich die Kultur ändert, ja, Dinge zulässt und auch interessanter macht.

Was sind für dich die Unterschiede in Bezug auf LGBTIQ+ am Land und in der Stadt? Was sind da deine Erfahrungen, wenn ihr Workshops für Schule der Vielfalt oder Vielfalt im Beruf anbietet? 

Am Land werden unsere Workshops oder die Informationen aus dem Workshop wie ein Schwamm aufgesaugt, es gibt sehr wenige Angebote zu LGBTIQ. Im Sozialbereich outet sich manchmal ein*e Klient*in, und die Mitarbeiter*innen wissen nicht, wie sie weitervermitteln sollen. In der Stadt gibt es ein breiteres Angebot. Das ist der Unterschied. Es ist schwieriger am Land etwas aufzubauen, einen Workshop zu bekommen. Es hängt eben auch von einzelnen Personen ab, die die Initiative ergreifen und die HOSI holen.

Weil das auch Sichtbarkeit bedeutet?

Genau. Es reichen ja allein schon Aufkleber oder eine Regenbogenfahne, zum Beispiel bei einer sozialen Institution oder einer Beratungsstelle, oder dass sie ein paar Flyer von uns aufliegen haben. Allein das ist ein Statement und bedeutet Sichtbarkeit.

Gibt es noch etwas in Bezug auf kulturelle Teilhabe in Salzburg, was aus HOSI-Sicht oder deiner Sicht wichtig ist?

Mir wäre ein Auftrag an die Politik wichtig, einen Paradigmenwechsel im Denken zu ermöglichen, Queerness nicht als Problem zu sehen und dass sie schon wieder etwas brauchen, sondern zu erkennen, welches kreative und soziale Potenzial im positiven Sinn da drinsteckt. Eigentlich muss man das nutzen. Das ist ein Geschenk. Wenn da drüben ein gemähter Rasen ist und am Rand sind diese bunten Blumen, dann ist diese Buntheit am Rand doch zehnmal interessanter als der gemähte Rasen. Dafür ist aber ein Wechsel im Denken notwendig. Das wäre für mich das Mascherl oben drauf: wenn es uns gelingt, das als Potenzial und als Ressource zu sehen, als Vielfalt, als Humus der Gesellschaft.

Vielen Dank für das Interview. 

Persson Perry Baumgartinger, Conny Felice ( 2019): „Ich sehe da die Möglichkeit der Buntheit …“. Conny Felice im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/ich-sehe-da-die-moeglichkeit-der-buntheit/