„Eigentlich eine einfache Antwort: ‚Alle’ ist ‚alle’“

Monika Schmerold im Gespräch mit Dilara Akarçeşme über Enthinderung im Kunst- und Kulturbereich als Menschenrechtsaufgabe

Monika Schmerold ist langjährige Menschenrechtsaktivistin, u.a. Obfrau des Salzburger Vereins knack:punkt sowie im Vorstand von Selbstbestimmt Leben Österreich. Im Interview spricht sie über das Prinzip „Nichts über uns ohne uns“, selbstbestimmte kulturelle Teilhabe und Missstände im Kunst- und Kulturbereich.

Was bedeutet für Sie Kunst und Kultur für alle?

Kunst und Kultur für alle bedeutet selbstverständliche Teilhabe an allen Veranstaltungen. Da sind wir schon beim Hauptproblem. Das ist nicht möglich. Mit der Zeit entwickelt man da einen Frust, denn wenn ich genauer nachsehe, gibt es immer irgendwelche Hürden, gerade für Menschen mit Behinderung. Kunst und Kultur für alle bedeutet also generell Teilhabe für alle, ganz uneingeschränkt und selbstverständlich.

Mein Ärger geht eigentlich dahin: Ich schlage die Zeitung auf und sehe großartige Veranstaltungen der Stadt. Im Hintergrund weiß ich, dass das auch durch meine Steuergelder finanziert wird. Dann denke ich mir als Rollstuhlfahrerin: „Ist das barrierefrei zugänglich oder nicht? Ist das für mich geeignet oder nicht?“ Als Salzburgerin weiß ich, welche Veranstaltungsorte wie beschaffen sind. Ich weiß, was möglich ist und was nicht, und brauche nicht mehr nachzusehen. Da denke ich mir: Ok, das ist nicht barrierefrei und für mich gestrichen, das Nächste auch, das Übernächste auch. Beim Vierten könnte es vielleicht sein. Da muss ich aber dann zu recherchieren anfangen. Da beginne ich auf der Homepage, suche im Internet nach Bildern und komme im Endeffekt darauf, dass das auch nicht barrierefrei ist. Mich ärgert das, wenn Programme von der Stadt ausgesendet werden, wo nicht markiert ist, ob das barrierefrei ist oder nicht – abgesehen davon, dass eigentlich alles barrierefrei angeboten werden müsste. Wir haben den Gleichstellungsgrundsatz. Da wir uns jedoch derzeit in einer Übergangsphase befinden, wäre eine Kennzeichnung hilfreich, dass man nicht jedes Mal lange recherchieren muss. Die Homepages der Veranstaltungsorte, gerade Theater oder Schauspiel, sind schlecht aufbereitet und haben keine bis sehr wenige Hinweise. Es fehlen vor allem Fotos. Das reklamiere ich immer wieder: Bitte gebt Fotos auf die Homepage, damit sich jeder, der eine Behinderung hat, selbst ein Bild machen kann. Beschreibungen in Leichter Sprache fehlen durchgängig, die gibt es ganz selten. Das nehme ich vom Verein her immer wieder mit, dass sich Menschen mit Lernschwierigkeiten dadurch ausgeschlossen und nicht erwünscht fühlen.

Ich komme noch einmal auf die Veranstaltungsstätten zurück. Wenn ich ins Theater oder ins Kino gehe, kann ich nicht erwarten, dass automatisch meine Begleitperson neben mir sitzt. Es ist sehr unangenehm, wenn meine Begleitperson dann vor mir, hinter mir oder vielleicht sogar Reihen entfernt sitzt, weil es nicht möglich ist, dass man daneben einen Platz hat oder dass es einfach baulich nicht so gemacht ist, dass man nebeneinandersitzen kann. Zusätzlich wird nie bedacht, dass ein Rollstuhl beim Sitzen eine größere Tiefe hat. Das heißt, meine Begleitung sitzt immer so hinter mir, dass ich mich komplett verdrehen muss, dass ich überhaupt mit ihr oder ihm sprechen kann. Da ist baulich einfach nicht mitgedacht worden. Es muss der Platz dahinter auch noch frei sein, dass man sich mit dem Rollstuhl so positionieren kann, dass man in einer Linie mit der Begleitperson bzw. mit dem Rest der Reihe sitzt. Meistens sitze ich auch in der ersten Reihe. Ich würde mir aber gern aussuchen, wo ich sitze. Ich mache viele Dinge im Kulturbereich, vor allem Theater und Konzerte, aber baulich bin ich nirgends erfreut über die Gestaltung. Man bezieht keine Expert*innen ein, die sich in diesem Bereich gut auskennen. Ansonsten würde ich mir wünschen, dass die Stadt Barrierefreiheit verpflichtend macht, wenn etwas neu gebaut wird, wenn eine Kulturstätte oder ein Kino umgebaut wird. Da muss jeder Kinosaal barrierefrei zugänglich sein, ohne dass er den Rollstuhlplatz in der ersten Reihe hat. Ich persönlich habe mir auf meinem Handy schon aufgeschrieben, welches Kino Plätze hat und in welchem Bereich, ob vorne, in der Mitte oder hinten. Wenn ich mir einen Film ansehen möchte, orientiere ich mich nicht am Film, sondern am Saal, den sie gerade bespielen. Das heißt, ich muss zuerst schauen, welchen Saal sie bespielen und danach erst, welchen Film sie spielen. Ich kann mich also nicht frei entscheiden. Da sehe ich keine Gleichberechtigung.

Was bedeutet „alle“ für Sie?

Eigentlich eine einfache Antwort: „Alle“ ist „alle“ (lacht). Es bedeutet, dass niemand ausgeschlossen wird, egal ob das eine Behinderung, Ethnie oder was auch immer ist, dass wirklich alle miteinbezogen werden, auch Kinder, Ältere, Jugendliche und dass sich alle selbstbestimmt aussuchen können, was für sie passt und wo sie gerne teilhaben möchten und dann auch teilhaben können. Das ist „alle“ für „alle“.

Im Projekt ist uns das Stadt-Land-Gefälle wichtig. Können Sie uns dazu mehr erzählen?

Für Menschen mit Behinderung ist vor allem die Mobilität ein großes Thema. In den Regionen am Land ist vor Ort oft wenig Infrastruktur vorhanden. Gerade in kleinen Dörfern gibt es oft nicht einmal ein Kino. Man muss also in den nächstgrößeren Ort fahren. Es gibt kaum barrierefreie Möglichkeiten irgendwohin zu kommen. Wenn es einen Bus gibt, dann ist der oft sehr teuer. Gerade Menschen mit Behinderung – sehr viele arbeiten ja in Werkstätten – bekommen im Monat ein Taschengeld von höchstens 100 Euro. Wenn man zwei Mal mit dem Bus fährt – eine Strecke kostet oftmals schon 10 Euro, hin und retour 20 –, kann man sich ausrechnen, dass nicht viel möglich ist. Das schränkt die Teilhabe ein. Dann kommt natürlich auch noch dazu, wie barrierefrei es im nächstgrößeren Ort ist. Je weiter man in die Salzburger Regionen geht, desto weniger barrierefrei sind sie. Wenn Personen, die am Land leben, bis in die Stadt fahren müssen, wird es noch mal schwieriger. Einzelne Städte oder Orte haben schon sehr fortschrittliche Bürgermeister, die barrierefrei veranstalten wollen, aber die sind wirklich sehr dünn gesät. Aber diese am Land sehr verbreiteten, traditionellen Veranstaltungen wie zum Beispiel Bierzelte, die auch zur Kultur dazugehören, sind für jemanden mit Rollstuhl kaum möglich. Dort gibt es oft diese Holzpaletten, über die man darübersteigen muss, oder andere Herausforderungen, wo nicht mitgedacht wird. Es gibt Märkte, wo man das Angebot nicht sieht, wenn man sitzend vorbeifährt. Das sind Dinge, die von den Verantwortlichen einfach nicht reflektiert werden. Es hängt wirklich von einzelnen Personen an den Entscheidungsstellen ab. Wenn sie selbst im Umfeld jemanden mit Behinderung haben, ist es leichter, sie zu sensibilisieren.

Ich schreibe oft proaktiv Leute in den Regionen an, dass sie sich Expert*innen holen sollen, wenn ich in der Zeitung lese, dass sie etwas machen wollen. Ich bekomme dann nicht einmal Rückmeldungen. Da gibt es eine lustige Geschichte, weil ich gerade „Das Kino“ an der Wand sehe. Ich habe Frau Wurm geschrieben, dass ich von der neuen Bestuhlung gelesen habe. Ich habe reklamiert, bitte darauf zu schauen, dass man als Rollstuhlfahrer auch den Platz innerhalb der Reihen bekommt und eine Begleitperson daneben hat. Sie hat mir dann recht nett zurückgeschrieben. Es hat zwar relativ lange gedauert, aber sie hat da einen Prozess gestartet. Das sind die positiven Beispiele. Es gibt aber auch negative Beispiele, wo ich angefeindet werde. Zum Beispiel in einem Salzburger Traditionscafé. Ich habe der Geschäftsleitung geschrieben, dass ich mich freue, dass ich als Stadt-Salzburgerin, hier aufgewachsen und geboren, jetzt auch in dieses Café gehen kann, weil ich gelesen habe, dass umgebaut wird und dass ich mich freue, dass es barrierefrei wird. Sie schreibt daraufhin, dass sie sich freut, dass ich komme. Leider gäbe es eine Einschränkung. Aus verschiedenen Gründen sei es nicht möglich, ein barrierefreies WC zu machen, aber sie wären mit der Stadt im Gespräch, dass man in der Nähe ein öffentliches macht. Über diese Haltung bin ich schockiert. Ich habe ihr sehr ausführlich zurückgeschrieben, ob sie sich das vorstellen könne, in ein Kaffeehaus zu gehen, wo sie kein WC vorfindet, und sie dann im Winter auf die Toilette muss, ihren Kaffee stehen lässt, sich die Jacke anzieht, Decke überlegt, weil es kalt ist, vielleicht noch einen Schirm nehmen muss, und dann 50, 100 Meter zum nächsten öffentlichen WC geht, alles auszieht, auf die Toilette geht, wieder anzieht und alles wieder retour. Bis dahin ist der Kaffee nicht nur kalt, sondern auch abserviert. Das ist Diskriminierung. Dann wurde sie im Ton schon ein bisschen schärfer. Sie meinte, dass das aus Denkmalschutzgründen nicht funktioniert. Ich habe mir gedacht, dass das mit ihr nicht funktioniert, und ich habe an die Stadt geschrieben, wie man so einen Plan ohne das WC genehmigen kann. Ich habe mit Frau Hody vom Denkmalschutz gesprochen, mit der auch in der Vergangenheit immer gute Gespräche möglich waren, die immer sehr konstruktiv arbeitet und schaut, dass man wirklich alles unter einen Hut bringt. Wir haben immer gute Lösungen gefunden. Sie hat sich dann noch einmal eingesetzt und mir dann auch gesagt, sie habe schon vorab gebeten, dass man mich miteinbezieht und das sei eben nicht passiert. Sie würde nochmal mit ihr reden. Das hat sie dann auch gemacht. Es hat sich dann herausgestellt, dass dieses WC unten in einem Raum hinter der Stiege möglich wäre. Das wäre meiner Meinung nach die beste Lösung. Es kommen ja auch Leute mit Rollator und viele ältere Personen in dieses Traditionscafé. Es können auch Mütter mit Kinderwagen ins WC und müssen das Kind nicht allein im Kaffeehaus stehen lassen. Es hätte viele Vorteile. Sie meinte, sie bräuchte den Platz und es würde oben ein WC kommen mit einem Treppenlift. Ich weiß aber aus eigener Erfahrung, dass kein*e Rollstuhlfahrer*in gern einen Treppenlift nutzt. Die sind sehr unangenehm zum Draufstellen, weil die Plattform mit der Zeit zu hängen beginnt. Es ist ein langer Prozess. Man muss eigentlich schon einplanen, dass man später auf die Toilette muss, weil es eben so lange dauert, bis man das alles ausgeklappt, wieder zusammengeklappt hat, bis man oben steht, bis man rauffährt und oben dann wieder alles retour. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Leute mit Behinderung so einen Treppenlift nicht nutzen wollen und solche Cafés meiden. Natürlich erweckt das dann bei den Verantwortlichen im Café den Eindruck, dass den niemand nutzt. Aber es ist nie hinterfragt worden, warum. Dann kommt auf die Szene eine ganz schlechte Rückmeldung zu. Der Lift ist dann mit einer Verzögerung von einem halben oder dreiviertel Jahr gekommen. Das habe ich beobachtet. Ich habe ihn nicht ausprobiert, denn ich möchte selbst nicht mit Treppenliften fahren. Also weiß ich auch nicht, wie das WC oben ausgestattet ist, ob das wirklich barrierefrei ist. Ich muss mich selbst erst sammeln und irgendwann werde ich es sicher testen. Ich war aber bereits im Café und habe festgestellt, dass bei einem Zugang auf die Terrasse zwei Stufen eingebaut wurden, obwohl man das Gelände leicht ebnen hätte können, dass man auch mit dem Rollstuhl drüberfahren kann. Von dieser Seite gibt es eine automatische Tür hinein. An der Hauptseite gibt es zwei Doppelflügeltüren, wo ein Flügel jeweils so schmal ist, dass ich nicht durchkomme. Ich habe einen 70er-Rollstuhl und könnte eigentlich durch 70er-Türen fahren. Das ist vom Architekten einfach schlecht geplant worden. Das heißt de facto, dass ich vier Personen brauche, die mir jeweils die Türen aufhalten, damit ich überhaupt reinkomme. Da fühle ich mich abgelehnt und diskriminiert. Das Reinkommen wird mir schwer gemacht, sie wollen mich nicht als Gast und Konsumentin. Es wird sicher nicht zu meinem Stammlokal werden, aber ich werde es natürlich weiter beobachten. Es gibt viele solche Geschichten in der Stadt. Die Stadt muss mehr darauf schauen und die Politik muss beschließen, dass ein Umbau dem Gleichheitsgrundsatz entspricht, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention oder das Behindertengleichstellungsgesetz verlangen. Da sehe ich die Verantwortung bei der Stadt, in den Regionen bei den einzelnen Verantwortlichen, etwa dem Gemeindebund und dem Städtebund. Es muss mehr Kunst- und Kulturveranstaltungen in den Regionen geben, denn es gibt gerade unter Menschen mit Behinderung sehr viele, die der Kunst zugetan sind, aber das einfach noch nie erkannt haben, weil sie nicht die Möglichkeit dazu gehabt haben. Sie sitzen ja oft zu Hause und kommen wirklich nicht raus. Dieses Bild muss man sich genau so vorstellen. Sie sind zu Hause eingesperrt, auch wenn man vor die Tür kann, aber es passiert nichts, weil man nicht wegkommt.

Da würde ein weiteres Modell ansetzen, die persönliche Assistenz. knack:punkt hat mit nur 18 Personen ein Pilotprojekt umgesetzt. Wir arbeiten daran, dass es in den Regelbetrieb kommt. Es ermöglicht Personen rauszukommen und wo hin zu fahren. Mit Assistenz ist das alles viel einfacher. Ich erlebe das selbst, mit Assistenz habe ich eine viel größere Freiheit und mehr Selbstbestimmung. Das ist eine wichtige Grundlage für die Teilnahme an Kunst und Kultur. Also man sieht schon, es ist einfach ein weites Feld. Es beschränkt sich jetzt nicht nur auf die zwei Themen, die Ihnen wichtig sind, sondern es greift auch in die Politik und die Strukturen ein, die man Menschen mit Behinderungen bietet und es wäre wichtig, dass da auch etwas gemacht wird, auch bezüglich finanzieller Unterstützung für Menschen, die in Werkstätten arbeiten. Wir haben ein Mitglied im Verein, der einen hohen Querschnitt hat und ein international bekannter Mundmaler ist. Man sieht da, dass grundsätzlich mit der zur Verfügung gestellten Assistenz alles möglich ist.

Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach die Zivilbevölkerung, Einzelpersonen, Lai*innen, Amateure in Bezug auf Kunst und Kultur für alle?

Es hat hauptsächlich mit der Haltung gegenüber Menschen mit Behinderung zu tun. Wir werden oft negativ dargestellt, das pflanzt sich in der Gesellschaft fort. Gerade Menschen mit Behinderung werden sehr oft angefeindet. Wir haben viele, die sich nicht wehren können, die sprachlich nicht dazu in der Lage sind und ihre Rechte nicht kennen.

Hier wirkt auch wieder das Stadt-Land-Gefälle. In der Stadt funktioniert es besser, dass Betroffene selbst sensibilisiert sind und ihre Rechte kennen. Je weiter wir in die Regionen gehen, desto weniger haben die Personen die Haltung: „Das ist mein Recht und das fordere ich jetzt.“ Am Land ist der Fürsorgegedanke weit verbreitet: „Wir machen eh alles für dich. Du brauchst nichts selbst entscheiden.“ Das haben wir teilweise in der Stadt auch noch. Im Verein etwa ist es schwierig, die Leute zu finden, die aufstehen und sagen: „Das passt nicht. Ich möchte das beanspruchen. Das muss geändert werden.“ Da sind die Leute oft noch sehr zurückhaltend. Wir müssen die Betroffenen selbst, also unsere Community schulen, was alles möglich ist und was man sich zutrauen kann. Ein weiterer Aspekt unserer Arbeit.

Weiters muss die Gesellschaft sensibilisiert werden, dass Teilnahme und Teilhabe für alle wichtig sind. Ich spreche jetzt hauptsächlich für Menschen mit Behinderung, aber man sieht, wie schwer es für manche Minderheiten ist, überhaupt teilnehmen zu können mit der derzeitigen Entwicklung in der Politik. Wir haben das im Bereich der Menschen mit Behinderung, dass man noch mehr angefeindet und beim Planen von Kunst- und Kulturveranstaltungen nicht mitgedacht wird. Es braucht immer Einzelinitiativen wie knack:punkt in Salzburg, wo ich sehr aufmerksam die Zeitung lese und sofort wahrnehme, wann wo etwas passieren sollte und ich sofort aufspringen und mich vorab einbringen muss, dass Barrierefreiheit mitgedacht wird. Manchmal nimmt man sich Expert*innen mit dazu, manchmal nicht. Das merkt man daran, ob Barrierefreiheit wirklich umgesetzt wurde oder nicht. Es hängt schon von den Einzelpersonen ab, vor allem von den Verantwortlichen, den Entscheidungsträger*innen. Es hängt davon ab, wie die jeweiligen Stellen besetzt sind. An diesen wichtigen Stellen bräuchte man viel mehr Menschen mit Behinderung, genauso wie bei Migrant*innen müssen Betroffene unbedingt miteinbezogen werden. Wenn es um Kinder geht, soll man auch Kinder miteinbeziehen, wenn man ein Kulturprojekt entwickelt, oder auch bei Kindern mit Behinderung.

Was muss getan werden, damit alle an den Salzburger Kunst- und Kulturangeboten teilnehmen und mitmachen können bzw. wo ergibt sich Handlungsbedarf?

Wie immer dreht es sich um Geld. Man braucht einfach Förderungen. Das Projekt Hunger auf Kultur finde ich gut. Das könnten wir noch ausweiten. Persönliche Assistenz ist ganz wichtig für Menschen mit Behinderung. Außerdem müssen Kultureinrichtungen und Veranstaltungen barrierefrei werden. Barrierefreiheit beginnt beim Parkplatz vor der Tür und geht bis zum Angebot von Strohhalmen für Pausengetränke.

Vielleicht können Sie uns ein paar Beispiele nennen? Führen Sie uns quasi vom Parkplatz bis zum Strohhalm.

Wahnsinn, so lange haben wir, glaube ich, nicht Zeit. Es muss an die Toiletten gedacht werden, eine reicht allerdings nicht aus, es sollte mehrere geben. Dixi-Klos sind keine gute Alternative, außerdem gibt es ganz wenige barrierefreie. Selbst diese können nicht alle benutzen. Mit den Veranstaltungsorten wird es eng in Salzburg, wir haben kaum welche. Wenn wir von knack:punkt aus etwas anbieten wollen, machen wir es meistens an der FH. Dort gibt es zumindest vier barrierefreie WCs im Haus verteilt und das Gelände ist gut erreichbar – die öffentliche Anbindung ist wichtig, weil gerade Menschen mit Behinderung oft keinen Führerschein und kein Auto haben. Dann muss natürlich innen alles barrierefrei sein. Es muss in Leichter Sprache ausgeschildert sein. Eine Induktionsanlage ist auch eine wichtige Grundlage. Im Vorfeld müssen die Veranstaltungsfolder entsprechend gekennzeichnet sein, also was alles angeboten wird. Auch Gebärdendolmetschen, dass man sich informieren und anmelden kann, wenn man einen braucht und auch einen bekommt. Es gibt in Wien oft Veranstaltungen, die automatisch Gebärdendolmetscher*innen dabeihaben. Da stoßen wir aber auch an Grenzen, weil es nur sehr wenige Gebärdendolmetscher*innen gibt. Das müsste mehr beworben werden und es müssten mehr Leute ausgebildet werden. Je nachdem welche Veranstaltung es ist, braucht es eine Audiodeskription. Bei der Bestuhlung muss man sich überlegen, dass die Rollstuhlfahrer*innen in die Reihen integriert sind. Es muss ausgeschildert sein, wo das induktive Hörfeld ist, wenn es eine portable Induktionsanlage ist, die nur für die Veranstaltung eingebaut wird. Wenn es Stehtische gibt, muss es auch niedrige Tische geben mit Stühlen für Begleitpersonen oder Assistent*innen. Wenn es ein Buffet gibt, muss es so niedrig sein, dass ich mich selbst hinbewegen kann und dass es unterfahrbar ist. Es muss vegane Speisen geben, die breiförmig oder leicht kaubar sind. Da kommt es immer auf die Zielgruppe an, denn natürlich gibt es immer einen finanziellen Rahmen. Das ist nicht immer so einfach, aber Gedanken im Vorfeld sind wichtig. Ich entwickle selbst gerade eine barrierefreie Veranstaltungsbroschüre. Da gibt es eine Checkliste, dann kann nicht so einfach etwas vergessen werden ‑ nur absichtlich (lacht). Wenn es wie so oft Parkplätze in den Wiesen gibt, dann soll der barrierefreie nicht in der Wiese sein, ein Horror beim Aussteigen. Gerade Rollstuhlfahrer*innen können oft noch selbst aussteigen und stehen, aber man kann sich nicht bewegen in einer Wiese. Es muss wirklich eine ebene Fläche sein. Es muss auch in Leichter Sprache gesprochen werden. Auf alle Fälle müssen bei der Zielgruppe von Menschen mit Lernschwierigkeiten die Ampelkarten ausgelegt sein. Die können sich die Menschen nehmen und damit aufzeigen, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Das muss vorab von der Moderation genannt werden, damit sich die anderen auskennen. Wir sind jetzt in der Phase, in der es auch um eine Sensibilisierung der breiten Bevölkerung geht. Die sollen mitbekommen, dass es Menschen mit Lernschwierigkeiten gibt, die Ampelkarten haben und wenn sie etwas nicht verstanden haben, erklärt die Moderation das noch einmal. Weiters muss klar sein, wer bei Problemen die Ansprechperson ist.

Haben Sie positive Beispiele, wo Sie sagen, dass sie noch am ehesten dran sind? In Salzburg haben Sie gesagt „Das Kino“…

Ich habe in Schottland erlebt, dass die Gesellschaft viel selbstverständlicher mit dem Thema umgeht. Sie sind viel barrierefreier sind als wir. Das ist so angenehm, dass man in jedem abgelegenen Dorf ein barrierefreies WC findet, das auch nutzbar ist und wo keine Putzwagen stehen. Dort kann man wirklich bei jedem Museum davon ausgehen, dass es barrierefrei ist. Das ist bei uns noch nicht selbstverständlich. Wir haben uns das Schiff von Queen Elizabeth, die Britannia, angeschaut. Das liegt als Museum im Trockendock. Das ganze Schiff war barrierefrei: Man hat mich automatisch beim Eingang gefragt, ob ich einen Audioguide zum Umhängen haben möchte. Ich konnte mit dem Rollstuhl in jede Ecke kommen. Es gab sogar eine barrierefreie Toilette. Das haben sie ganz toll mit einer Falttür gelöst, weil die Gänge natürlich nicht so breit sind. Die haben das wirklich so zugänglich gemacht, dass in jedem Stockwerk von außen die Anbindung mit einer Säule und einem Aufzug war. So konnte man sich wirklich jede Etage des Schiffs anschauen. Ich habe auch den Maschinenraum gesehen.

Es gibt in Salzburg kaum Hotels, die barrierefreie Zimmer anbieten. Auch das ist wichtig für Kunst und Kultur. Es gibt meines Wissens nur das Motel One. Bei den Zimmern kann man davon ausgehen, dass sie wirklich barrierefrei sind.

Sie haben vorhin gesagt, dass wir uns in einer Transitionsphase befinden. Wie ist die rechtliche Grundlage dafür?

Das Problem ist, dass die Entscheidungsträger*innen in der Stadt das auf die Besitzer oder die Unternehmer abwälzen und sagen, dass sie das entscheiden müssen, weil sie dafür verantwortlich sind. Die Besitzer sagen dann oft, dass es der Denkmalschutz war. Das ist immer die erste Ausrede. Die zweite Ausrede ist, dass das so genehmigt wurde. Die rechtliche Handhabe, die wir haben, ist nur die persönliche Diskriminierung. Diese ist im Behindertengleichstellungsgesetz geregelt. Das regelt aber nur, dass ich nicht diskriminiert werden darf. Das heißt, wenn der Eingang oder eine Veranstaltung nicht barrierefrei sind, dann kann ich beim Sozialministeriumsservice eine Schlichtung einreichen. Mit den jeweiligen Schlichtungspartner*innen, kann ich mir eine Entschädigungszahlung vereinbaren, mehr nicht. Nur wenn die Schlichtung nicht zustande kommt, kann ich klagen, aber nur, wenn ich das Klagerisiko selbst trage. Es ist also ein zahnloses Gesetz. Wir arbeiten seit Jahren mit dem Klagsverband in Wien an einer Änderung. Es ist leider nicht so leicht umsetzbar, weil sie natürlich wissen, was das auslösen würde. Mit Kunst- und Kultureinrichtungen habe ich noch keine Schlichtung gehabt. Ich weiß, dass Kultureinrichtungen finanziell sehr niedrig eingestuft sind und grundsätzlich bemüht sind. Ich suche mir lieber die aus, wo man sensibilisieren muss, etwa einen Konzern mit vielen Filialen. Da macht das Sinn, wenn ich mir den großen Aufwand antue.

Wir haben das Behindertengleichstellungsgesetz, das sehr zahnlos ist. Wir haben die UN-Behindertenrechtskonvention, die kein Gesetz ist, sondern nur ein völkerrechtliches Übereinkommen, das für Bund, Länder und Gemeinden bindend ist. Die Gemeinden und die Länder nehmen sich aber da immer wieder raus. Man kann es zwar gut zum Argumentieren verwenden, aber im Grunde genommen gibt es ganz selten Klagen oder Ergebnisse, die in der Judikatur verwendbar sind. Wir haben natürlich auch die Bundesverfassung, die über allem steht. Die sagt auch, dass niemand diskriminiert oder schlechter behandelt werden darf. Alle müssten gleichbehandelt werden. Das ist zwar in einem Gesetz eingebettet, aber das ist für mich eher eine Zielvorgabe und nicht schon erfüllt. Wir haben diverse Landesgesetze wie das Chancengleichheitsgesetz oder das Arbeitnehmer*innenschutzgesetz. Die enthalten alle einen kleinen Behindertenpart. Jedes Bundesland hat aufgrund unseres Föderalismus ein eigenes Baugesetz. Dort ist auch überall ein bisschen etwas bezüglich Behinderung drin. Barrierefreiheit hat eigene Normen, die vom Austrian Standards Institute entwickelt werden. Das sind die Grundlagen, die man beim barrierefreien Bauen verwendet, und ebenfalls nicht das Gelbe vom Ei. Die Länder selbst sagen aber, dass das nur ein Regelwerk ist und sie das nicht so machen müssen, wie es drinsteht. Man hat also immer eine Möglichkeit, dass man sich rausnimmt. Für mich sind immer der menschenrechtliche Grundsatz und die gleichberechtigte Teilhabe das Wichtigste.

Wenn Ressourcen keine Rolle spielen würden, was wären ihre Visionen und Wünsche zur kulturellen Teilhabe in Salzburg?

Dass allen alles offensteht und zwar ohne irgendwelche Nachfragen, ohne irgendwelche Beschriftungen, also ohne dass man irgendwie ein Programm ausschreiben muss, wo steht: „Wir bieten Gebärdendolmetsch an“ oder Ähnliches, sondern dass es selbstverständlich ist, zu einer Veranstaltung, die mir gefällt, einfach nur hinzugehen, sodass ich mir nur die Zeit nehmen muss. Das wäre meine Vision und das wäre Gleichberechtigung, die wir dann erfüllt hätten. Mehr gibt es da nicht hinzuzufügen (lacht).

Zum Abschluss möchte ich noch sagen: Ich glaube, dass man beim Thema Behinderung weggehen muss von diesem Schubladendenken. Beim Bereich der Menschen mit Behinderung, ist der/die Rollstuhlfahrer*in ja schon eigentlich in der Gesellschaft angekommen. Sie stehen relativ weit oben. Da gibt es eben ein Ranking. Ich glaube, wir müssten alle gleichberechtigt auf einer Ebene betrachtet werden. Man kann nicht einfach sagen: „Gut, wir sind jetzt baulich barrierefrei zugänglich und dafür müssen wir das andere nicht mehr machen.“ Es muss wirklich das Optimum rausgeholt werden. Es müssen immer die Fachexpert*innen und die Betroffenen selbst miteinbezogen werden, wenn es um bauliche Maßnahmen geht. Wenn es um die Entwicklung von Projekten geht, ist die Partizipation von Menschen mit Behinderung wichtig. Die steht ja auch in der UN-Behindertenrechtskonvention. Dass man diese Partizipation ganz selbstverständlich bedenkt und auch wirklich alle hereinholt, ist wichtig, zum Beispiel über Vereine. Das ist auch ein Prozess, der in Gang gesetzt wird. Mundpropaganda funktioniert in der Community der Menschen mit Behinderung sehr gut. Facebook ist ein Medium, das sehr intensiv genutzt wird, weil man sich sehr rasch und einfach austauschen kann. Da weiß man einfach, was wo läuft und wie das gestaltet ist. Dann, dass die Regionen langsam mitreinwachsen und die Leute dort auch die Möglichkeiten haben und dass das nicht nur in der Stadt so ist, wobei das Angebot in der Stadt auch relativ gering bzw. schlecht beworben ist. Da braucht es mehr Einbindung über die großen Gremien, also den Gemeinde- und den Städtebund. Statt nur zu repräsentieren, sollten auch wirklich Betroffene drin sitzen, die Barrierefreiheit als Querschnittsthema laufend einbringen.

Danke für das Interview!

Dilara Akarçeşme, Monika Schmerold ( 2019): „Eigentlich eine einfache Antwort: ‚Alle’ ist ‚alle’“. Monika Schmerold im Gespräch mit Dilara Akarçeşme über Enthinderung im Kunst- und Kulturbereich als Menschenrechtsaufgabe. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/eigentlich-eine-einfache-antwort-alle-ist-alle/