„Außer Sichtweite ‑ ganz nah“

Künstlerische Teilhabe praktizieren

„Das Licht selbst wird zwar von allen geteilt, doch es ist nur in konflikthafter Weise allen gemeinsam.“ (Rancière 2013: 17)star (*1)

In meinen künstlerischen Projekten findet Partizipation und Teilhabe auf sehr unterschiedliche Weise statt. Bereits seit Beginn meiner künstlerischen Praxis Ende der 90er Jahre stelle ich mir im Rahmen der gemeinsamen Arbeit mit den an meinen Videoarbeiten Beteiligten die Frage, ob und wie sich die Komplexität von gesellschaftlichen Konflikten und Aushandlungsprozessen darstellen lässt und wie Realitäten des Miteinander imaginierbar sind. Im Kontext der gemeinsamen Produktion stellen sich dabei weitere Fragen: Welche Form der Darstellung eignet sich am besten, um das Erlebte in seinen Brüchen und Widersprüchen zu vermitteln? Wer hat welchen Anteil an künstlerischen Prozessen und seinen Ergebnissen? Wie verhält es sich dabei mit der jeweiligen Autor*innenschaft? Welche Rolle nehme ich als Künstlerin in diesen Prozessen ein? Diese und weitere Fragen treiben mich bis heute an, immer wieder neue Formen des ‚Zeigens/Darstellens’, der Teilhabe und des Zusammenarbeitens zu finden.

base mix – Die Konstruktion des ‚eigenen Lebens’?

Ende der 1990er Jahre arbeitete ich für die Videoinstallation base mix (1998) mit meiner Mutter zusammen und machte sie zur Protagonistin der Erzählung. Sie hatte im zweiten Bildungsweg ebenfalls ein Kunststudium absolviert, konnte jedoch ihre künstlerische Arbeit aufgrund der ökonomischen Zwänge als alleinerziehende Mutter nur neben ihrem Brotberuf als Beratungslehrerin ausüben. Diese biografisch prägende ‚Basis’ meiner eigenen Existenz war Ausgangspunkt für die Videoarbeit base mix und meine weitere künstlerische Praxis. base mix ist ein fingiertes Interview, in dem subjektive und gesellschaftspolitische Bezüge in Hinblick auf die Rolle als Künstlerin in der Gesellschaft vermischt werden. „Dabei geht es mir allerdings nicht so sehr darum, authentische Ereignisse abzubilden, sondern vielmehr darum, strukturelle Forschungen zu betreiben“, sagt Gloria Zoitl im Video und gibt damit auch über meine Arbeitsweise im Drehbuch Auskunft.

Moira Zoitl, base mix (1998), Videostill

Moira Zoitl, base mix (1998), Videostill

Im 2014 erschienenen Katalog „Doppelagent-in“ schreibt Franziska Lesák im Vorwort zu meiner Vorgehensweise:

„Die eigene Lebens- und Arbeitswelt dient [Moira Zoitl] immer wieder als Inspirationsquelle […]. Es ist ihre künstlerische Strategie, dokumentarische Verfahren einzusetzen, was auch ihren präferierten Umgang mit Dokumenten, Zeugnissen und Relikten – als Wirklichkeitsbezug – erklärt. Durch dieses Hineinnehmen von Dingen aus dem Alltag wird auch auf emotionaler Ebene eine Zugänglichkeit geschaffen. In den raumgreifenden Displays der Künstlerin wird das Ausschnitthafte, die fragmentarische Realitätserfahrung herausgestellt, die durch die Montage unterstrichen wird, in der die unterschiedlichen Themenfelder – wie zum Beispiel die Vorstellungen von Frauen in der Gesellschaft, die Rolle der Frau in der Geschichte der Kunst, die Rolle der Frau nach ihrer sozialen Herkunft – miteinander verknüpft sind. Gezeigt werden aktive Momente, Handlungsabläufe, in denen die Personen agieren und nicht passiv sind.“ (Zoitl 2014: 20f.)star (*2)

In der Arbeit mit den Beteiligten meiner Projekte und Videos ist mir ein ‚dialoghaftes’ Vorgehen wichtig. Am Beginn jeder Arbeit steht der Austausch von Wissen und Erfahrungen. Deshalb bezeichne ich einige meiner Videoarbeiten auch als ‚kollaborative Porträts’ was den Anteil der Darsteller*innen am Dargestellten verdeutlichen soll, sowie auf den stattgefundenen Wissenstransfer anspielt.

In der Videoarbeit base mix stand beispielsweise ein Faxfragebogen am Anfang, in dem ich meine Mutter zu ihren Lebens- und Arbeitszusammenhängen befragt habe. Aus diesen textlichen Fragmenten und Zitaten von Künstlerinnen der Generation meiner Mutter, wie Ulrike Rosenbach, VALIE EXPORT, oder Carolee Schneeman, entwickelte sich dann das Videoskript, das wir gemeinsam in Szene setzten.

Der Anspruch, ein durchgängiges Bild einer Einzelperson zu zeichnen, lässt sich nicht erfüllen. Begreift man die Subjektentwicklung als Ausbildung verschiedener Persönlichkeitsstrukturen, zeigt sich, dass sie über unzählige Brüche und Sprünge verläuft. Dementsprechend fragmenthaft erzählen auch die Protagonist*innen meiner Videos über das ‚eigene Leben’. (Ebd.: 21)star (*2) In base mix (1998) drückt meine Mutter Gloria Zoitl das so aus: „Ich glaube nicht recht an das, was man das ‚eigene Leben’ nennt; was immer es auch sein mag, so ist es bereits kolonisiert von den Prinzipien und ästhetischen Idealen, die die Gesellschaft dir anbietet. So etwas wie ein losgelöstes ‚abstraktes Selbst’ gibt es nicht. Bei dieser Vorstellung handelt es sich um einen meist männlichen Mythos.“ ‑ Und bezieht sich dabei auf eine Aussage VALIE EXPORTs aus einem Interview in den 1990er Jahren.

Panoramen der Stadtgesellschaft: Das Projekt Außer Sichtweite – ganz nah

Ich möchte nun exemplarisch auf die im Jahr 2015 entstandene 21-minütige Videoarbeit Außer Sichtweite – ganz nah näher eingehen – eine Kooperation mit Verkäufer*innen der Straßenzeitung Apropos, die auf Einladung des Salzburg Museums im Rahmen der Ausstellung WUNSCHBILDER gestern. heute. morgen. entstanden ist. – Schauplatz und Drehort der Videoarbeit ist das Sattler-Panorama; vor dessen Hintergrund eine Gruppe Verkäufer*innen der Straßenzeitung Apropos als Performer*innen agieren. Die aus dem Off vorgetragenen und von den Verkäufer*innen verfassten Texte beschäftigen sich mit ihren ‚Vorstellungen von Arbeit in Bezug auf die Stadt Salzburg’.

„Die Aproposverkäufer*innen Evelyne Aigner, Georg Aigner, Vasilica Feraru, Ogi Georgiev, Jürgen Kling, Viorica Linguraru, Constantin Miu, Marinella Miu und Luise Slamanig sprechen in ihren Beiträgen von den unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen in denen sie beschäftigt waren. Vom Verlust von Arbeit und der Tätigkeit als Zeitungsverkäufer/in, die ihnen neue Perspektiven eröffnet. Sie versetzen sich in die Zeit Sattlers – gedanklich und physisch – und sprechen von gesellschaftlicher Teilhabe heute. Sei es als Wirtschaftsflüchtlinge, als Arbeitsuchende oder als Menschen die aus dem herkömmlichen Arbeitsmarkt herausgefallen sind. Georg Aigners Resümee bringt es auf den Punkt: „Alles zusammengefasst könnte man das schon als Arbeit betrachten – für mich ist es aber mehr als das, es sind Teile meines eigenen Lebens.“ Und so hat jede/r der Beteiligten versucht eine eigene Sprache zu finden um über sein/ihr Arbeitsleben nachzudenken und zu berichten. Sei es in Form eines Texts, eines Gedichts, eines Spruchs oder im Interview. Am Ende des Films fügen sich alle Beteiligte in ein Tableau Vivant – ein lebendes Gesamtbild – ein. Hier verbinden sich die einzelnen in Form und Inhalt sehr unterschiedlichen Erzählungen und werden zur Äußerung einer Gruppe von Menschen, die die gleiche Tätigkeit teilen.“ (Zoitl 2015: 9)star (*3)

 

Das Spannungsfeld des Projekts basierte auf dem Zusammentreffen eines bürgerlichen Salzburg, das ja auch in hohem Maße durch Institutionen wie jene des Museums repräsentiert wird, und Menschen, die auf der untersten sozialen Stufe stehen und zum Teil langzeitarbeitslos, wohnungs- oder obdachlos sind. Nur eine reiche Stadtgesellschaft kann sich den Erhalt der Räumlichkeiten und den Betrieb eines Museums leisten und so die Erinnerung an eine frühere kulturelle Entwicklung der Stadt konservieren. Das Salzburg-Panorama ist genau so ein kulturgeschichtliches Denkmal. An den Begriff Denkmal „sind zudem Aspekte der Erinnerungskultur und des kulturellen Gedächtnisses ebenso geknüpft, wie Fragen nach dem Begriff der Öffentlichkeit und Dauerhaftigkeit.“  (Menkovic 1998: 10)star (*4) Wobei sich der Umgang mit dem Salzburg-Panorama über die Jahrhunderte und vor allem auch in den letzten Jahrzehnten sehr verändert hat. Im 19. Jahrhundert richtete sich das Panorama, das in einer provisorisch aufgeschlagenen Rotunde gezeigt wurde, an ein breites Publikum. Johann Michael Sattler reiste mit seiner Attraktion zehn Jahre lang durch Europa und präsentierte sein Rundgemälde gegen Eintritt an den zentralen Orten der Städte. „Der Erfolg der Panoramen basierte in erster Linie auf der zukunftsweisenden Entdeckung einer vorher noch nicht in Erscheinung getretenen Zielgruppe: des Massenpublikums. “ (Schaffer 2005: 8)star (*5) Denn die mobile Präsentation des Sattler-Panoramas wandte sich nicht nur an eine kulturell gebildete Oberschicht, sondern ebenso an die ‚einfachen’ Leute, „eine flanierende Laufkundschaft, die außerhalb der Gotteshäuser noch nie mit Werken der Malerei in Berührung gekommen war.“ (Ebd.)star (*5)

Umso interessanter ist der Umstand, dass im 20. Jahrhundert eine sukzessive Rücküberführung des Panoramas in den hochkulturellen Kontext des Museums stattfand. War es von 1977 bis 2001 noch im ehemaligen Café Winkler auf dem Mönchsberg ‑ zugegebenermaßen unter ungünstigen klimatischen Bedingungen ‑ einer breiten Bevölkerung öffentlich zugänglich, wird es heute, nach langen Restaurierungsarbeiten, in einem eigens dafür konzipierten Museum gezeigt. Wodurch das Rundgemälde allerdings auch ein wenig aus dem kulturellen Gedächtnis vieler Salzburger*innen verschwunden ist.

Bedingungen für Begegnung schaffen – Autor*innenschaft verhandeln

Der Videoarbeit gingen einige Organisations- und Produktionsschritte voraus. Ein Treffen mit den Redakteur*innen in den Räumen von Apropos; und als Ausgangspunkt für die gemeinsame Arbeit mit den Verkäufer*innen ein Workshop im Salzburg Museum. Die Idee war es, zunächst das Museum und das Sattler-Panorama, das als szenischer Hintergrund diente, vorzustellen. Der „offizielle“ Charakter der Einladung mit Führung durch das Panorama und Einführung zum Projekt in den Vermittlungsräumen des Museums half eine gemeinsame Basis herzustellen und sich in der Folge auf Augenhöhe zu begegnen. Die beiden Institutionen traten als Partner*innen für das Projekt auf, und so fühlten sich auch die Verkäufer*innen mit ihren Erfahrungskontexten und ihrem Wissen ernst genommen: als Expert*innen für die Dinge, die sie erlebt haben und die sie regelmäßig im Rahmen der Zeitung beschreiben und veröffentlichen, oder tagtäglich beim Zeitungsverkauf vermitteln.

Mir ist es wichtig, gute Bedingungen für eine Begegnung miteinander zu schaffen. Diese Arbeit an einem geeigneten gemeinsamen Umfeld, einem ‚Setting’ im räumlichen, aber auch im psychologischen Sinne begreife ich als wesentlichen Teil eines Projekts. Es bildet den Referenzrahmen und das gemeinsame Arrangement, innerhalb dessen zusammengearbeitet wird und in dem Austausch stattfinden kann.
Arbeitet man als Künstler*in mit großen Institutionen wie einem Museum zusammen, steht man als Einzelperson einer hierarchisch organisierten Struktur gegenüber. Das bedeutet, dass man erst einmal selbst die Bedingungen für die Durchführung eines Arbeitsvorhabens aushandeln muss: auf struktureller, organisatorischer und nicht zuletzt finanzieller Ebene.

Diese Hierarchien und die eigene Abhängigkeit von der Institution Museum wirken sich natürlich auch auf die am Projekt Beteiligten aus. Durch den institutionellen Rahmen der Zeitung Apropos und das Engagement der Redakteur*innen konnten jedoch die Bedingungen im Sinne der Verkäufer*innen direkt mit dem Museum ausgehandelt werden – wie beispielsweise die Bezahlung oder die bestmöglichen Arbeitszeiten. Da das Salzburg Museum täglich geöffnet ist, konnte erst ab 17 Uhr gedreht werden, was sich beispielsweise als problematisch für die rumänischen Verkäufer*innen herausstellte, da sie darauf angewiesen waren, abends rechtzeitig in der Notschlafstelle der CARITAS einzutreffen, um dort einen der begrenzten Schlafplätze zu erhalten. Das Problem wurde gelöst, indem am ersten Drehtag die Notschlafstelle über ein verspätetes Eintreffen informiert und am zweiten das Interview mit Familie Miu vorgezogen wurde. So wurde versucht, die Bedürfnisse aller Beteiligten (Einzelpersonen und Institutionen) aufeinander abzustimmen.

Diese Hierarchien wirken auch auf die Ausverhandlung von Autor*innenschaft: Die Autor*innenschaft der PerformerInnen/Straßenzeitungsverkäufer*innen setzte sich, über die Mitwirkung in der Videoarbeit hinausgehend, in einer Ausgabe der Zeitung Apropos fort und verschränkte sich dabei mit meiner Autor*innenschaft, die sich auf die Gestaltung und Produktion der Videoarbeit bezog, indem ich mich gemeinsam mit meinem Team*1 *(1) um das Setting, Darstellung und die Bildfindung gekümmert habe.

Handlungsspielräume. Agieren und nicht passiv sein!

Die Verkäufer*innen schreiben sich im Rahmen des Projekts in mehrfacher Weise in das Sattler-Panorama als Denkmal ein. Sie schlüpfen in Kostüme aus der Zeit Sattlers und thematisieren zugleich ihre Tätigkeit als Zeitungsverkäufer*in und damit ihr gegenwärtiges Arbeitsleben. Sie sind tagtäglich im Stadtraum präsent und unterwegs und werden trotzdem vielfach nicht als Teil der Stadtgesellschaft begriffen. Einige der verfassten Texte gehen explizit auf diese Ambivalenz ein. Georg Aigner drückt es im Video folgendermaßen aus:

„Heute in unserer Gesellschaft ist meine Beschäftigung als Straßenzeitungsverkäufer zwar eine Form der Beschäftigung, trotzdem wird es aber von vielen Menschen anders gesehen. Oft wird es auch so gesehen, dass man automatisch jemand ist, der am Rande der Gesellschaft steht. Es ist eigentlich etwas, das mitten unter der Bevölkerung jeden Tag geschieht, aber trotzdem abseits ist. Das merkt man an den persönlichen Fragen, die Menschen oft stellen. Ich habe aus diesen Gesprächen, während des Apropos-Verkaufens erkannt, dass unsere Gesellschaft sehr aufklärungsbedürftig ist, wenn es um bestimmte Themen geht. Themen wie Armut, langjährige Haftstrafen oder das Leben auf der Straße. Mir ist in meinem Leben all das widerfahren, bevor ich Apropos-Verkäufer wurde.“

Moira Zoitl, Außer Sichtweite – ganz nah (2015), Georg Aigner, Videostill

Moira Zoitl, Außer Sichtweite – ganz nah (2015), Georg Aigner, Videostill

Im Zuge des Projekts Außer Sichtweite – ganz nah gab es noch eine weitere Dimension des Austauschs und Wissenstransfers. Kurz vor der Eröffnung der Ausstellung WUNSCHBILDER gestern. heute. morgen.,*2 *(2) für die meine Videoarbeit produziert wurde, erschien im November 2015 eine Ausgabe von Apropos, die sich explizit mit dem Thema ‚Wünsche’ auseinandersetzte. Neben einem Interview mit den Kuratorinnen sowie einem von mir verfassten Kurztext zum Projekt, schildern auch die beteiligten Apropos-Verkäufer*innen „ihre Eindrücke von den Dreharbeiten im Sattler-Panorama“ und wie es ist „Teil eines ‚Lebendigen Kunstwerks’ zu sein.“star (*6) Die Texte bilden den Projektverlauf – das ‚Making off’ – auf unterschiedlichste Weise ab. Das beginnt mit der Beschreibung der Drehtage und dass die Beteiligten „in den Pausen gut versorgt“ (Georg Aigner) wurden und sich auch mal untereinander austauschen konnten. Den Verkäufer Jürgen Kling inspiriert das Erlebte zu einem Mundartgedicht über eine Karriere als Filmstar und das schweißtreibende lange Stehen und konzentrierte Schauen unter den Scheinwerfern.

Ogi Georgiev beginnt seine Reflexion über das Projekt mit einer Geschichte aus seiner Kindheit, um dann zu einer Beschreibung des Sattler-Gemäldes überzuleiten:

„Niemand war so erfolgreich wie Meister Sattler in der Fähigkeit, die farbigen Erscheinungsweisen der freien Natur im wechselnden Licht der Tage und Jahreszeiten auf der Leinwand festzuhalten. Wenn ich frage, können Sie mit einem Blick den Horizont vor Ihnen erfassen? Vielleicht antworten Sie, dass wir immer nur sehen, was zulässig ist für die menschliche Übersicht. Aber dort in der alten Stadt Salzburg im „eingesperrten“ Raum werden sie über den Horizont hinaussehen. Kommen Sie und erfreuen Sie sich an der Natur als Kunstwerk im Panorama Museum. Nehmen Sie etwas mit, das Ihnen in schöner Erinnerung bleiben wird und keine Illusion der Zudringlichkeit politischer Trugbilder ist.“

Und endet mit: „Ihr Mitbürger Ogi.“star (*7)

Das Unterschreiben seines Textes mit der Bezeichnung „Mitbürger“ und die direkte Anrede an seine Leser*innen, die Ogi Georgiev wählt, spiegelt den Wunsch danach wider, wahrgenommen zu werden, und kann zugleich als ein Akt des Aufbegehrens gelesen werden, eine Aufforderung ihm zuzuhören und ihn als Bürger der Stadt Salzburg zu begreifen. Auch die anderen Reflexionen in der Zeitung zeigen, wie wichtig der ‚Ort’ Apropos für die Verkäufer*innen ist. Hier haben sie eine Stimme, erfahren Wertschätzung und können das gesellschaftliche Leben aktiv mitgestalten.

Das Projekt Außer Sichtweite – ganz nah ermöglichte das gemeinsame ‚Agieren’ in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten. Die Handlungsspielräume in den Institutionen Museum und Straßenzeitung wurden durch das Transferieren von Inhalten aus der Zeitung ins Museum und aus dem Museum in die Zeitung erweitert. Zudem versuchte ich mit dem Projekt, einen Raum für die Imaginationen der Beteiligten herzustellen. Die Kostümierung half dabei, sich neu zu denken und die eigenen Realitäten in Bewegung zu bringen. Zugleich verschiebt im Video der Wechsel von Zivilkleidung zu Kostüm die Bedeutung der Texte aus dem Off.

Realitäten des Miteinander imaginieren

Hila Peleg schreibt in ihrem Text Der Ort des Konflikts: Narration und das Dokumentarische: „Realität wird als ein Schauplatz der Transformation verstanden, als ein Ort des gesellschaftlichen und kulturellen Widerstandes und der Imagination; sie wird begriffen als ein Feld, in dem komplexe Kräfte und aktive Prozesse wirksam sind, die von den Dynamiken der Macht strukturiert werden.“ (Peleg 2014: 6)star (*8)

Mit dem Bewusstsein, dass Realität nichts Festgeschriebenes ist, sondern einer stetigen Veränderung unterworfen ist, bieten partizipative Kunstprojekte die Möglichkeit, ‚Dynamiken der Macht’ zu durchbrechen. Sie können Räume des ‚gesellschaftlichen und kulturellen Widerstandes’ herstellen, indem sie die Spielregeln des Miteinander-Arbeitens immer wieder neu zur Disposition stellen und aushandeln.

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Rancière, Jacques (2013): Geschichtsbilder. Berlin: Merve, 2013, S. 17.

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Vorwort(e), Franziska Lesák und Moira Zoitl im Gespräch. In: Zoitl, Moira (Hg.) (2014): Moira Zoitl – Doppelagent-in/Double Agent. Berlin. S. 20-21.

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Zoitl, Moira (2015): Außer Sichtweite – ganz nah. In: Apropos – Die Salzburger Straßenzeitung, Ausgabe Nr. 146, November 2016, S. 9.

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Menkovic, Biljana (1998): Politische Gedenkkultur. Denkmäler: die Visualisierung politischer Macht im öffentlichen Raum. Wien: Braumüller.

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Schaffer, Nikolaus (2005): An den Ursprüngen der Schaulust. In: Das Salzburg-Panorama von Johann Michael Sattler, Band 1, Salzburg. S. 7-36.

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Apropos – Die Salzburger Straßenzeitung, Ausgabe Nr. 146, November 2016.

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Georgiev, Ogi: Präzision. In: Apropos – Die Salzburger Straßenzeitung, Ausgabe Nr. 146, November 2016. S. 11.

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Peleg, Hila (2014), Der Ort des Konflikts: Narration und das Dokumentarische in Berlin Documentary Forum 3 Magazine.

Das Team beim Dreh von Außer Sichtweite – ganz nah umfasste u.a.: Regieassistenz, Maske, Kostüm: Patrizia Hollosy, Kamera: Nicole Baïer, Ton: Stefan Traunmüller, Andreas Voithofer, Dolmetscherin am Set: Doris Welther, begleitende Kuratorin: Sandra Kobel

WUNSCHBILDER gestern. heute. morgen. Ausstellung im Salzburg Museum. 20.11.2015 bis 27.03.2016, kuratiert von den Kunstvermittlerinnen, Nadja Al Masri-Guttering, Esra Ipek-Kraiger, Sandra Kobel, Renate Wonisch-Langenfelder. www.salzburgmuseum.at

Moira Zoitl ( 2016): „Außer Sichtweite ‑ ganz nah“. Künstlerische Teilhabe praktizieren. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/auser-sichtweite-%e2%80%91-ganz-nah/