Amsterdam: Toleranz als Leitmotiv …?

Malerische Grachten, schmale Gassen, und Tulpen soweit das Auge reicht. So stellt man sich Amsterdam vor dem inneren Auge vor. Im Rahmen der Lehrveranstaltung Hot Spot: Amsterdam hatten Studierende die Möglichkeit, den Klischees über die niederländische Hauptstadt auf den Grund zu gehen. Unter der Leitung von Siglinde Lang und Josef Kirchner wurde im Sommersemester 2016, am Programmbereich Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion die Kulturlandschaft Amsterdams in den Fokus gerückt. Sowohl die Historie der Stadtentwicklung, als auch die Kulturpolitik der Niederlande ‑ wobei der Fokus auf der zeitgenössischen Kunstszene lag ‑ wurde eingehend analysiert, und zu Beginn der Lehrveranstaltung  kritisch hinterfragt.*1 *(1)

Durch diese fundierte Herangehensweise wurde eine gute Basis geschaffen, um sich im Mai auf Exkursion zu dem Hot Spot Amsterdam zu begeben. Die Anreise gestaltete sich aufregend und hürdenreich, da ausgerechnet jener Bus ausfiel, der die Gruppe von Salzburg zum Flughafen bringen sollte. Schnell wurde ein Shuttle organisiert und die Gruppe traf rechtzeitig in München ein, um den Flug nach Amsterdam zu nehmen. Ermüdet, jedoch mit neugierigem Leuchten in den Augen, trafen die Studenten und Studentinnen in der Hauptstadt der Niederlande ein, und erhielten auf einer Bootstour einen ersten Überblick. Ein Museumsbesuch im Amsterdam Museum rundete den sanften Einstieg ab. Nach einem ersten Aufeinandertreffen mit den Studenten und Studentinnen der Universität Hildesheim wurden diverse Fragen aufgegriffen und festgehalten, die allen schon lange im Kopf herumschwirrten: Wie ist es in der Realität um die Toleranzkultur der Niederlande beschaffen? Wie wird Kultur produziert und vermittelt? Wie ist es dabei um die alternative Szene bestellt? Mit vielen Fragezeichen im Kopf sammelte die nun erweiterte Gruppe bei einem gemeinsamen Essen Energie für das Nachmittagsprogramm. Eine Architekturführung zeigte uns das stetig wachsende Amsterdam, bevor wir noch einen Besuch im Filmmuseum EYE und dem Kulturpark Westergasfabriek abhielten.

Am nächsten Tag gab Marielle Hendriks von der Boekmann Stiftung in einem ausführlichen Vortrag Einblick in die Prinzipien, nach denen die Kulturindustrie in Amsterdam operiert. Die Stadt gilt als Sinnbild für Freiheit. Doch dieser idyllische Eindruck bestätigte sich bei eingehender Überprüfung nur zum Teil. Die Toleranzkultur der Niederlande ist von starkem Pragmatismus geprägt, und hat ihren Ursprung in der Herausforderung, ein Zusammenleben zwischen Menschen mit unterschiedlichsten Interessen zu ermöglichen. Toleranz wird so im originären Wortsinn verstanden, und bedeutet in erster Linie die Freiheit sein Leben nach eigenen Werten zu verfolgen, jedoch auch andere nicht damit zu belasten. So wird in der Ausübung dieser Freiheit stark zwischen Privatheit und Öffentlichkeit unterschieden, und die Wurzeln sind durchaus auch in ökonomischen Überlegungen zu finden. Diese Grundeinstellung beeinflusst auch die Kulturpolitik, die stark von Wirtschaftlichkeit geprägt ist. Neben diversen Förderprogrammen ist die eigenständige Finanzierung ein Grundpfeiler, und führt zu einer Zunahme an reiner Unterhaltungskultur, und Abnahme der Vielfalt, da kritische Annäherung oftmals nicht massentauglich ist.

Im Rijksmuseum, einem kunsthistorischen Museum mitten im Museumsviertel der Stadt, wird die institutionalisierte und kapitalistisch geprägte Kulturpolitik spürbar. Keine Ermäßigungen für Gruppen, Massenabfertigung und Ticketpreise ab 17 Euro. Kein freier Zugang für Schüler und Schülerinnen. Keine Kunst- und Kulturvermittlung abseits der klassischen Audioguides. Die Hürde zu Kunst und Kultur wird durch das massive Gebäude untermalt. Ganz im Gegensatz dazu steht die Kunststad, ein an der NDSM Werft gelegenes Areal, an dem Künstler und Künstlerinnen seit 2007 Arbeitsplatz anmieten können. Grund für die Ansiedlung in diesem Gebiet waren die niedrigen Mieten. Inzwischen sind die Gentrifizierungsprozesse unübersehbar: Der Standort wurde zum Interessengebiet der Politik, da durch die künstlerische Gestaltung Mehrwert geschaffen wurde und die Vermarktbarkeit steigt. Die Mietpreise steigen ebenso, was die Initiatoren und Initiatorinnen einer ungewissen Zukunft entgegenblicken lässt. Im Paradiso, einer alten Kirche, die seit 1968 einen Freiraum für kreative Talente bieten soll, kann man beobachten, wie eine Symbiose zwischen alternativer Kunst und Mainstream aussieht. Getragen wird die Kultureinrichtung durch Förderungen, sowie von hohen Eigenfinanzierungen durch diverse Konzertveranstaltungen. Dadurch wird die ökonomische Unabhängigkeit gewährleistet und es werden monetäre Mittel für unpopuläre Sparten frei geschaufelt. Ein gelungenes Projekt, ganz im Zeichen der niederländischen Kulturpolitik.

Amsterdam ist somit eine Stadt der Gegensätze. Hier gilt die Freiheit in den Entfaltungsmöglichkeiten als ebenso wichtig wie die Vernunft und Nutzbarkeit eben dieser. Dass dadurch Ideale auf die harte Realität stoßen und die Gefahr der Eindimensionalität droht, bleibt unausweichlich. Gleichzeitig entwickeln sich spannende Lösungsansätze und ein ehrgeiziger Überlebenswille bei jungen NachwuchskünstlerInnen, die darauf hoffen lassen, dass die bunte Kunstszene erhalten bleibt und alternative Pfade findet, um sich neu zu definieren.

Ein Teil der Lehrveranstaltung und Exkursion wurde in Kooperation mit Studenten und Studentinnen der Universität Hildesheim realisiert, wobei wir vor allem Informationen zu den kulturellen Produktionsbedingungen in den Niederlanden ausgetauscht haben.

Jana Winkelmayer ( 2016): Amsterdam: Toleranz als Leitmotiv …?. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/amsterdam-toleranz-als-leitmotiv/