„It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra“

Analyse eines Gesprächs mit dem Orchestergründer Raed Jazbeh: erste Einblicke

Einleitung

Im Rahmen meines musikwissenschaftlichen Dissertationsprojekts ‚Das Syrian Expat Philharmonic Orchestra: Über einige Perspektiven‘ untersuche ich musikalische Aktivitäten im Kontext gegenwärtiger Phänomene der Fluchtmigration. Mein besonderes Interesse gilt dabei dem seit 2015 bestehenden Syrian Expat Philharmonic Orchestra, das ich hinsichtlich seines Potenzials, gesellschaftliche Transformationen von Teilsystemen anzustoßen, analysiere. Im Zentrum stehen Fragen nach den Zielsetzungen der Orchester-AkteurInnen, nach der Zusammenarbeit mit anderen AkteurInnen sowie nach der öffentlichen Rezeption.

Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Syrian Expat Philharmonic Orchestra erscheint auf den ersten Blick kaum experimentell zu sein. Wird der Begriff „Experiment“ in seiner etymologischen Bedeutung als „Versuch“ bzw. „Probe“ verstanden (vgl. DWDS 2017),star (*2) können jedoch im weiteren Sinne durchaus experimentelle Aspekte angedeutet werden – und zwar in zweifacher Hinsicht. Einerseits ist das Syrian Expat Philharmonic Orchestra selbst ein (neuartiger) Versuch, insofern als die spezielle Form eines syrischen Exilorchesters*1 *(1) meines Wissens bislang ein Novum darstellt. Der Orchestergründer Raed Jazbeh betritt also  unbekanntes Terrain und setzt dadurch einen Prozess in Gang, der oftmals durch Ausprobieren, (Ver-) Suchen und Entdecken gekennzeichnet ist.*2 *(2)

Andererseits begebe auch ich mich in ein neues Forschungsfeld, da eine (musik-) wissenschaftliche Verknüpfung von Musik- und Migrationsphänomenen bis dato selten ist.*3 *(3) Daher kann mein Forschungsprojekt ebenso als Versuch begriffen werden, Neues zu entdecken und zu erforschen. Dies trifft vor allem insofern zu, als es bisher keine Vergleichsstudien zu dem syrischen Exilorchester gibt. Deshalb habe ich das Forschungsdesign erst gegenstandsbezogen (neu) entwickelt und durch mehrmaliges (Ver-)Suchen ausprobiert. Im Folgenden gebe ich einen ersten Einblick in meinen Forschungsprozess, wobei ein besonderes Augenmerk auf dem Interview mit dem Orchestergründer Raed Jazbeh und dessen Auswertung liegt.

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Amri, Samih (22. 09. 2015): Flüchtlinge musizieren gemeinsam im syrischen Exil-Orchester. Online unter http://p.dw.com/p/1GaD1 (25. 08. 2016).

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DWDS (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache) (2017): Experiment. Online unter https://www.dwds.de/wb/Experiment(30. 06. 2017).

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Kruse, Jan (2015): Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. 2., überarb. u. erg. Aufl. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.

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Kruse, Jan/Schmieder, Christian (2012): In fremden Gewässern. Ein integratives Basisverfahren als sensibilisierendes Programm für rekonstruktive Analyseprozesse im Kontext fremder Sprachen. In: Kruse, Jan/Bethmann, Stephanie/Niermann, Debora/Schmieder, Christian (Hg.): Qualitative Interviewforschung in und mit fremden Sprachen. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 248-295.

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Leopold, Silke (2013): Musikwissenschaft und Migrationsforschung. Einige grundsätzliche Überlegungen. In: Ehrmann-Herfort, Sabine/Leopold, Silke (Hg.): Migration und Identität. Wanderbewegungen und Kulturkontakte in der Musikgeschichte (= Analecta Musicologica; 49). Kassel [u.a.]:, S. 30‑39.

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o. V. (17. 09. 2015): Syrische Flüchtlinge gründen Exil-Orchester. Online unter http://www.zeit.de/news/2015-09/17/musik-syrische-fluechtlinge-gruenden-exil-orchester-17075602 (03. 07. 2017).

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B2: Interview mit Raed Jazbeh, Gründer des Syrian Expat Philharmonic Orchestra, Berlin, 09. 09. 2016 (39:24).

Der Zusammenschluss von im Exil lebenden MusikerInnen per se stellt hingegen keine Neuheit dar, wie Ralf Döring anmerkt. So sieht er die Formation des Syrian Expat Philharmonic Orchestra im Zusammenhang mit einer deutschen Orchestertradition. Er nennt hierzu beispielhaft die Bamberger Symphoniker, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Osten nach Deutschland ausgewanderte MusikerInnen vereinigten, sowie die Philharmonia Hungarica, die sich aus ungarischen MusikerInnen zusammensetzte, die nach dem 1956 durch sowjetische Truppen niedergeschlagenen Volksaufstand ihre Heimat verlassen hatten. (vgl. Döring 2017)

In einem Artikel der Zeit Online wird das Syrian Expat Philharmonic Orchestra explizit als „großes Experiment“ (o. V. 2015: o. S.) bezeichnet.

Die Musikwissenschaftlerin Silke Leopold beispielsweise stellt fest: „Musikwissenschaft und Migrationsforschung sind zwei Bereiche, die bisher eher von gegenseitiger Nichtwahrnehmung als von Zusammenarbeit geprägt sind.“ (Leopold 2013: 30)

Bei der Auswertung meiner Interviews orientiere ich mich an der qualitativen Interviewforschung nach Jan Kruse. Dieser plädiert für das sogenannte integrative Basisverfahren, das sich als ein „durch die genuin sozialwissenschaftliche Zielperspektive gerahmtes gesprächs- bzw. textlinguistisches Verfahren“ (Kruse 2015²: 463) versteht. Dementsprechend setzt es in einem ersten Schritt auf der sprachlichen Ebene an. Am Beginn der Analyse stehen das Wie des Sprechens und damit die Frage nach Bedeutungszuschreibungen und -konstruktionen qua sprachlicher Mittel. Dabei gilt das Prinzip der Offenheit und Verlangsamung, das heißt Deskription und Interpretation werden „auseinandergezogen“. (vgl. Kruse/Schmieder 2012: 272f.; 277f. und Kruse 20152: 477–479) In einem zweiten Schritt werden auf dieser Grundlage erste Lesarten bzw. Interpretationen formuliert und schließlich nach und nach konkretisiert und verdichtet. (vgl. Kruse 2015²: 479)

Magdalena Marschütz ( 2017): „It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra“. Analyse eines Gesprächs mit dem Orchestergründer Raed Jazbeh: erste Einblicke. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/its-not-a-refugees-orchestra-its-syrian-expat-philharmonic-orchestra/