Partizipative Räume als Nährboden kultureller Bedeutungsproduktion

Räume, die Prozesse eines Anders- und Umdenkens zu ermöglichen suchen, benötigen (lokalisierbare) räumliche Strukturen*1 *(1), in denen herrschenden Ordnungen andere Ordnungen entgegengesetzt und konventionelle Denkstrukturen aufgebrochen werden. Sie stellen räumliche Herausforderungen für die gesellschaftliche Ordnung dar, da sie innerhalb der Gesellschaft aus ihr heraustreten und als Ort in Widerspruch zu allen anderen Orten stehen*2 *(2).  Weisen diese Räume dabei Strukturen auf, die alle Individuen, die diesen Raum betreten und damit Teil von diesem werden, als gleichberechtige und (inter)agierende Raumkonstituent_innen interpretiert, kann von partizipativen Räumen gesprochen werden. Inwiefern diese partizipativen Räume als Nährboden für kulturelle Bedeutungsproduktion erfasst werden können, skizziert der folgende Beitrag.*3 *(3)

Der Begriff ‚Raum‘ referenziert  ein Spektrum an Definitionen und einen sehr weitreichenden wissenschaftlichen Diskurs: In zahlreichen unterschiedlichen Disziplinen von der Architektur, der Raum- und Stadtplanung sowie der Geografie über die Soziologie, die Cultural Studies und die Gender Studies bis hin zu Kunst in Theorie und Praxis reichen Reflexionen zu ‚Raum‘ – in ihrem jeweils fachspezifischen Kontext. Zentral verbindend ist aktuellen Debatten, dass Räume losgelöst, dabei durchaus aber auch in Referenz zu ihrer materiellen oder geographischen Verortung analysiert und erfasst werden.

Raumkonstitutionen als soziale Handlungen und (bestehende) Machtstrukturen

Dass „die Existenz von Räumen an menschliche Konstruktionsleistungen gebunden zu sein [scheint]“ und es „daneben quasi alltagspraktisch die Erfahrung [gibt], dass Räume materiell gestaltet sind“, lässt „zwischen dieser Materialität der Räume und dem konstruierten Raum“ einen Widerspruch entstehen. So beschreibt die Soziologin Martina Löw prägnant jenes „Dilemma“ (2001: 139),star (*16) das aktuelle Debatten rund um den Raumbegriff aufgreifen und thematisieren: Raum ist ein Produkt konkreter sozialer Praxen und wird über (soziale) Handlungen hergestellt und produziert (vgl. Lefebvre 1974star (*25)), parallel übernehmen jedoch (gebaute) Räume und räumliche Anordnungen handlungsstrukturierende Funktionen (vgl. Busch 2007: 15).star (*4) In dieser „Wechselwirkung zwischen Handeln und Strukturen“ entstehen Räume bzw. sind sie in diesem Wechselverhältnis konstituiert.

Räume definiert Löw als „relationale (An)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern“. Sie sucht den reziproken Prozess mit „Spacing“ und einer „Syntheseleistung“ (2001: 158f.)star (*16) zu fassen: „Spacing“ bezeichnet den Formierungsprozess und das Positioniert-Sein von materiellen und symbolischen Elementen*4 *(4) (auch Menschen) zu räumlichen Anordnungen oder konkreten Orten. Als Raum wirksam wird eine durch diese Platzierungen geschaffene (An)Ordnung allerdings erst dadurch, dass die Elemente dieser (An)Ordnung aktiv durch Menschen verknüpft und (wieder)erkannt werden. Dies geschieht über Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse. Löw nennt dies Syntheseleistung.

Diese Syntheseleistung geschieht – so Löw – jedoch „in der Regel aus einem praktischen Bewusstsein heraus“ (2001: 160)star (*15) und wird in alltäglichen Routinen folglich kaum wahrgenommen oder bewusst reflektiert. Vielmehr reproduzieren wir mit unseren repetitiven Handlungen Räume und ihre bestehenden Konstitutionen – und damit auch diesen innewohnende Machtstrukturen. Denn bereits die Anordnung der Elemente als soziale Güter sowie ihre Verfasstheit und Wirkung (prä)determiniert die (potentielle) Syntheseleistung.

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Nach de Certeau Orte, die durch (künstlerisches) Handeln zu Räumen gemacht werden. (vgl. de Certeau 2006: 345)

Dieses (Gegen-)Raumverständnis folgt Michel Foucaults Konzept einer Heterotopie (vgl.  Foucault 1992). Der Interpretations- und Gedankenstrang wird hier jedoch stärker in Richtung eines Zwischenraums (vgl. Bhabha 1990) bzw. partizipativen Raums, der in bewusster Relation zu dem uns umgebenden ‚Normalraum‘ und zu alltäglichen Lebenswelten steht, entwickelt.

Der Beitrag versteht sich als inhaltlicher Status quo in Referenz zum aktuellen Forschungsprojekt ‚Partizipative Räume und kollaborative Wissensproduktion‘ (2015-2017), das ich gemeinsam mit meiner Kollegin Dr. Sandra Chatterjee am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst durchführe.

Löw definiert diese sozialen Gütern vor allem als materielle Elemente, die auch symbolische Güter sind: „Angeordnet werden also Güter in ihrer materiellen Eigenschaft, verstanden können diese Anordnungen jedoch nur werden, wenn die symbolischen Eigenschaften der sozialen Güter entziffert werden“. (2001: 153)

Wird Kultur – im Sinne der Cultural Studies – als Teil des Alltags verstanden, findet sie nicht nur in sogenannten Artefakten wie literarischen Texten, musikalischen oder künstlerischen Werken ihren Ausdruck, sondern in alltäglichen Gewohnheiten, Handlungen und Gegenständen.

analog zu sozialen und politischen Identitäten

Der Terminus Cultural Production geht auf Pierre Bourdieu zurück, der in „The Field of Cultural Production“ (Bourdieu 2003) verdeutlicht, inwiefern sogenannte „multiple mediators“ (vielfach beteiligte Vermittlungsinstanzen) an kulturellen Bedeutungszuschreibungen mitwirken und durch ihre Einflussnahme Kultur produzieren (vgl. dazu Lang 2015: 44f.)

Kulturelle Produktion wird hier als ein aktives Mitbestimmen kultureller Bedeutungsprozesse aufgefasst. Dies impliziert, dass das Verhältnis von Kultur und Macht(-erhalt) mittels zivilgesellschaftlicher Mitsprache verschoben und zumindest partiell aufgebrochen wird (vgl. u.a. Zobl/Lang 2012; Klaus 2012; Lang 2014; Lang 2015: 59f.).

In diesem Zusammenhang sei – exemplarisch – auf Max Fuchs und seine umfassende Arbeit zu „Kunst als kulturelle Praxis“ (2011) verwiesen, in der er zahlreiche (auch) potentielle Funktionen und Intentionen von Kunst und (auch) Ästhetik erläutert.

Dieser Distanzbegriff, auf den auch Cassirer seine Überlegungen aufbaut, geht (zwar) auf Theodor Adorno und sein Verständnis eines „Doppelcharakters von Kunst“ zurück, Cassirer sieht aber Kunst, trotz ihr Eigenart, als eine im Verhältnis zu anderen kulturellen Symbolen analoge symbolische Form und kulturelle Praxis (und nicht wie bei Adorno im Widerspruch zu anderen kulturellen Praxen).

In der Kommunikationswissenschaft bezieht sich das Verhältnis von Fakt und Fiktion primär auf Fragestellungen des Infotainments bzw. Unterhaltungsaspekte in medialen Vermittlungsformaten. Diese Debatte ist hier nicht gemeint, vielmehr orientiert sich Warning (2009) an literaturtheoretischen Begriffsbestimmungen: Mit ‚Fiktion‘ ist eine Aussage und Darstellung eines Sachverhalts oder Geschehens ohne überprüfbare Referenz gemeint, und verweist ‑ wie bereits Aristoteles formuliert hat – auf etwas, das geschehen könnte. Durch ihre ‚Kontextfaktoren‘ bezieht sich Fiktion als gedankliches Konstrukt zwar auf das, was unter ‚Wirklichkeit‘ verstanden wird, bleibt dabei aber eine (rein) imaginäre Vorstellung dessen, was auch ‚Wirklichkeit‘ sein könnte (vgl. Lang 2015: 87).

Siglinde Lang ( 2015): Partizipative Räume als Nährboden kultureller Bedeutungsproduktion. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 06 , https://www.p-art-icipate.net/partizipative-raume-als-nahrboden-kultureller-bedeutungsproduktion/