Performatives Lesen in Zeiten des Aufruhrs

Rezension von Julius Deutschbauers „Antirassismusvergnügungspark“

Ein dunkelblauer Baucontainer steht vor dem Unipark in Salzburg. Verschiedene Plakate sind daran aufgehängt, doch wirklich spektakulär sieht das Objekt auf den ersten Blick nicht aus. Auf den zweiten dafür umso mehr. An jedem der elf Festivaltage der Sommerszene öffnen sich um Punkt 19 Uhr die Türen des Containers und man erblickt Tisch und Stuhl darin. Dort sitzt der Performer, Künstler und Autor Julius Deutschbauer, nackt, nur mit einem braunen Kunstpelz bekleidet und trägt der in einer je zwanzigminütigen Lesung Statements zu Stichworten wie „Flüchtlinge“ oder „Willkommenskultur“ vor. Jeden Tag sind es zwei andere Texte, die er gegenüberstellt. Das ganze Performanceprojekt im Baucontainer nennt der Künstler Antirassismusvergnügungspark.

Darling, ich habe schon wieder eine Bibel verbrannt.
Darling, ich habe schon wieder einen Koran geschrumpft.
Darling, ich habe schon wieder meinen Pass verbrannt.
Darling, ich habe schon wieder einen Tempel gesprengt.
Darling, ich habe schon wieder einen Flüchtling geschleppt.
Darling, ich habe schon wieder einen Schläfer geweckt.

Sechs Sätze, sechs Plakate und ein Container, wie sie an sämtlichen europäischen Grenzen aus dem Boden schießen. So wird das Setting in Deutschbauers Aussendung beschrieben. Diese Sätze beinhalten allesamt sensible Aussagen und Stichwörter und in ihnen  finden sich die Leseperformances programmiert.

Am 27. Juni las Deutschbauer unter dem Titel Darling, ich habe schon wieder meinen Pass verbrannt die Sonnenfinsternis von Arthur Koestler sowie Wadim S. Rogowins Die Partei der Hingerichteten. Es ist Stalin, der in diesen beiden Texten im Fokus steht. Koestler schrieb in seinem Roman über die Zeit der Stalin’schen Säuberungen in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, und auch der Historiker Rogowin beschäftigt sich mit dieser Zeit, genauer mit dem dritten Schauprozess gegen die alten Bolschewiki in der Sowjetunion.

Andere Abende standen wiederum unter Schlagworten, wie beispielsweise am 25. Juni Prost Mahlzeit, wobei man wohl als letztes James Joyces Ulysses erwartet hätte. Der Text steht Jonathan Swifts Ein bescheidener Vorschlag, wie man verhindern kann, daß Kinder der Armen ihren Eltern oder dem Lande zur Last fallen gegenüber. Joyces Aneinanderreihung scheinbar zufälliger Eindrücke gegen Swifts Satire von 1927. Es mag willkürlich erscheinen, die Irrgänge von Joyces ProtagonistInnen Jonathan Swifts Vorschlag, übermäßige Geburtenzahlen durch Schlachtung und Verzehr von Kindern zu dämmen, gegenüber zu stellen. Doch Willkür ist vielleicht auch das Schlüsselwort, das manche Vorgänge im Umgang mit der aktuellen Flüchtlingssituation recht treffend beschreibt.

Julius Deutschbauer: Antirassismusvergnügungspark. © David Jagerhofer

Julius Deutschbauer: Antirassismusvergnügungspark. © David Jagerhofer

Deutschbauer hat etwas zu sagen, bei jeder Temperatur und Witterung, bei viel oder wenig Publikum. Wo Gegensätze aufeinandertreffen, entsteht Reibung und damit Energie. Energie, die das Publikum zum Nachdenken anregen soll.

Nachdenken, das war auch das Anliegen der diesjährigen Sommerszene: Perspektiven zu wechseln und die Umwelt mit anderen Augen zu sehen. Deutschbauers Performance war zusammen mit anderen unter dem Titel Zusammenleben in einer komplexen Gegenwart versammelt. Der Antirassismusvergnügungspark machte dies mit seinen Gegenüberstellungen deutlich und mit tagespolitischen Fragen noch aktueller. Hier war keine Vorstellung wie die andere.

Larissa Schütz ( 2016): Performatives Lesen in Zeiten des Aufruhrs. Rezension von Julius Deutschbauers „Antirassismusvergnügungspark“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/performatives-lesen-in-zeiten-des-aufruhrs/