„Es braucht die Zeit, um über Wertschätzung, Anerkennung und Verantwortung zu sprechen.“
Zentrale Aspekte und Herausforderungen in der Reallabor-Arbeit.
Hanna Noller im Gespräch mit Katharina Anzengruber
Das Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur in Stuttgart, initiiert von der Universität Stuttgart, war eines von mehreren vom Land Baden-Württemberg geförderten Laboren. Es lief über den Zeitraum von Oktober 2014 bis März 2020. Im Fokus standen Fragen rund um das Thema Mobilitätskultur. Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft entwickelten und erprobten gemeinsam mit Studierenden und Wissenschaftler:innen der Universität Stuttgart, der Stadtverwaltung Stuttgart und dort angesiedelten Unternehmen Ideen für Realexperimente, die gemeinsam umgesetzt und wissenschaftlich begleitet wurden. Hanna Noller, 2018 bis 2020 Koordinatorin des Reallabors und ehemalige Mitarbeiterin am Institut für Städtebau der Universität Stuttgart, stellt im Interview mit Katharina Anzengruber das Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur vor. Sie spricht über wesentliche Faktoren, um ein Reallabor erfolgreich durchführen zu können, etwa Zeit, finanzielle und personelle Ressourcen, Wertschätzung, Kommunikation auf Augenhöhe und Verantwortung, und thematisiert auch damit verbundene Herausforderungen und Schwierigkeiten.
Eingangs bitte ich Sie, kurz zu skizzieren, worum es sich beim Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur gehandelt hat. Was waren die Ideen und Intentionen dahinter? Wie war 2014 die Ausgangslage?
Es gab 2014 eine Ausschreibung vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg, auf die sich Projektgruppen dafür bewerben konnten, Reallabore zu eröffnen. Das Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur, eingereicht von der Universität Stuttgart, war eines von sieben anderen Projekten, die gefördert wurden. In der ersten Förderphase waren sechs, in der zweiten fünf Institute aus unterschiedlichen Fachrichtungen der Universität, die Stadtverwaltung, Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft, die damals die Pionier:innen des Wandels genannt wurden, und verschiedenste Unternehmen aus dem Bereich Mobilität am Reallabor beteiligt. Dieses Netz und die erforderlichen Kontakte aufzubauen, hat – so wie ich es vom damaligen Team mitbekommen habe – die ersten eineinhalb Jahre in Anspruch genommen. Das ist bis zum Schluss eigentlich die Hauptarbeit in einem Reallabor: Wenn man disziplinübergreifend und transdisziplinär zusammenarbeiten möchte, muss man zunächst einmal eine gemeinsame Sprache sprechen lernen und den Dialog dann auch pflegen.
Die Idee hinter diesem Reallabor war es, nicht nur über Technologien in der Mobilität zu sprechen, sondern vor allem über die Mobilitätskultur. Es sollte ausgelotet werden, wie wir uns gemeinsam und sozial gerecht fortbewegen wollen. In der zweiten Förderphase – als ich ins Team dazukam – haben wir uns damit am Städtebau-Institut aus einer stadträumlichen Perspektive beschäftigt: Wie sollte der öffentliche Raum umgewandelt und umgebaut werden, so dass wir uns dort sozialverträglich, miteinander und lebenswert fortbewegen und darüber diskutieren können? Dafür haben wir verschiedene Realexperimente entwickelt. Die Parklets für Stuttgart, eine Idee, die noch umgesetzt wurde, bevor ich Teil des Teams war, ist ein Beispiel für ein sehr großes, bekanntes Experiment, das auf jeden Fall die Diskussion im so engen Stadtraum Stuttgart angefacht hat. Ein weiteres Beispiel wäre das Experiment StadtRegal. Dazu muss man wissen, dass in der Stuttgarter Innenstadt ein großer Kampf um jede Fläche zwischen Autofahrer:innen, Fußgänger:innen und Radfahrer:innen herrscht.
Welches Fazit würden Sie jetzt am Ende ziehen, wenn Sie auf das Reallabor zurückblicken?
Das Wichtigste in der Reallabor-Arbeit ist der Dialog und dafür muss ausreichend Zeit da sein. Man kann nicht, wie in anderen Projekten, einen Plan machen und diesen dann auf Biegen und Brechen durchführen und durchsetzen, sondern es braucht erstmal viele Absprachen zwischen den einzelnen Akteur:innen. Der Austausch muss gefördert, ein Miteinander und nicht ein Gegeneinander produziert werden. Es ist beispielsweise sehr schwierig, Wissenschaft und Unternehmen auf einen Nenner zu bringen. Unternehmer:innen haben oft das Problem der Geheimhaltungspflicht von Innovationen und können nicht immer offen sprechen. Sie haben auch eigene Interessen, die sie verfolgen. Die Wissenschaft hat den grundsätzlichen Anspruch an die Fragestellung. Und dann gibt es da noch die Zivilgesellschaft, die zunächst erfreut ist, gefragt zu werden und teilhaben zu können. Vor allem die Pionier:innen des Wandels, die ohnehin in verschiedenen Vereinen und Initiativen aktiv sind, engagieren sich und arbeiten gerne mit. Sie sind auch daran interessiert, Gesprächspartner:innen aus der Stadtverwaltung und Wissenschaft kennenzulernen. Aber nach einiger Zeit kann da auch eine gewisse Frustration eintreten, weil sie für ihren Aufwand nicht entlohnt werden, also eigentlich kostenlos arbeiten, aber die auf der Straße sichtbaren Hauptakteur:innen sind. Das führte immer wieder zu Konflikten in den einzelnen Projekten. Ich glaube trotzdem an das Modell Reallabor. Ich denke nur, es braucht einfach die Zeit, um über Wertschätzung, Anerkennung und Verantwortung zu sprechen. Dass das die springenden Punkte in der Reallabor-Arbeit sein würden, war am Anfang des Projektes nicht so deutlich.
Sie haben jetzt schon einzelne Phasen der Reallabor-Arbeit angesprochen und skizziert, wer daran beteiligt war. Wie aber kann man sich diesen Prozess des gemeinsamen Arbeitens, Entwickelns und Experimentierens konkret vorstellen?
Erstmal wurde quasi aus dem Reallabor-Team heraus, das ja auch die Koordination innehatte, geschaut, welche Akteur:innen es denn in der Stadt gibt. Dieser Schritt bedurfte auch der Mithilfe von Menschen, die sich vor Ort auskannten und einen Bezug zu den dringlichen Themen und bereits bestehenden Initiativen in Stuttgart hatten. Dann wurde das Recherchierte gesichtet und es gab eine große Auftaktveranstaltung. Hier wurde versucht, alle einzuladen, Themenfelder zu eröffnen und zu vermitteln, worum es eigentlich gehen soll – aus der Perspektive aller Bereiche. Infolgedessen gab es erste Szenarien, erste Workshops, wo Ideen eingereicht wurden. Sie konnten von allen Seiten kommen, auch von den Pionier:innen des Wandels. Es wurde dann eine Jury gebildet, die einige Projekte auswählte, die umgesetzt werden sollten. Wir an der Universität boten auch Studierenden die Möglichkeit, sich einzubringen. Das war, glaube ich, ein wichtiger Faktor für die Umsetzung der Realexperimente. Es gab auch Gruppen von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, die nicht oder nicht mehr studierten. Aber für das Parklet-Projekt oder das StadtRegal beispielsweise waren hauptsächlich die Studierenden maßgebend.
Einen Parking Day Stuttgart, an dem Parkplätze von der Bevölkerung umgestaltet werden können, gab es ja auch im Oktober 2020 und wird es auch in diesem Jahr wieder geben, obwohl das Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur mit März 2020 ausgelaufen ist. Ist das Parklet-Projekt eine Initiative, die sich unabhängig vom Reallabor weiterentwickelt und verstetigt hat?
Initiator:innen waren drei Studierende, die sich unter dem Namen Parklets für Stuttgart zusammengetan haben. Sie hatten schon vor dem Start des Reallabors aus Eigeninitiative heraus begonnen, vor dem eigenen Haus oder vor der eigenen WG Parklets zu platzieren. Diese Studierenden haben ihre Aktion in den Ideen-Pool gegeben, der zu Anfang befüllt wurde. Die Idee wurde aufgegriffen und ein Seminar dazu entwickelt. Die drei waren dann als Studierende, aber gleichzeitig auch als Tutor:innen dabei. Das Startteam ist mittlerweile leider nicht mehr in Stuttgart. Aber dieses Projekt hat sich weiterentwickelt, weil andere Studierende, aber auch Akteur:innen von außen dazukamen. Ich weiß nicht, ob es sich dabei um einen Verein handelt oder eine lose Gruppe, aber es hat sich aus dieser ursprünglichen Idee die Initiative Parking Day Stuttgart entwickelt, die nach wie vor besteht.
Im Grunde ist ein Reallabor ja eine Einrichtung, die langfristig angelegt sein sollte. Inwiefern das möglich ist, hängt aber von den Fördergeldern ab. Konnten sich – neben dem Parklet-Projekt – weitere Initiativen verstetigen bzw. den Anstoß für andere Projekte liefern, oder ist da vieles auch wieder verschwunden?
Einige Projekte gibt es nicht mehr, aber andere haben sich tatsächlich weiterentwickelt. Teils haben sich Leute auch zusammengetan und etwas Eigenes entwickelt, das auf unserer Website oft gar nicht mehr auftaucht. Zum Beispiel die Wanderbaumallee Stuttgart. Diese Initiative knüpft an die Parklet-Idee an, aber versucht, Orte und Parkflächen mit Stadtgrün aufzuwerten und nicht nur mit einer Sitzmöglichkeit oder Ähnlichem. Sie setzt sich für mehr Bäume, Natur, Pflanzen und Grün in der Stadt ein. Die Wanderbaumallee hat sich völlig unabhängig vom Reallabor aus ursprünglichen Projekten heraus entwickelt und existiert weiter. Ich selbst bin in der Initiative Stadtlücken aktiv, die zum Beispiel auch auf der Website auftaucht. Stadtlücken hat sich unabhängig vom Reallabor gegründet und existiert jetzt auch für sich selbst weiter. Es ist ein Stück weit eine Kunst in der Reallabor-Arbeit, Freiheit und Offenheit zuzulassen und zu sagen, etwas entwickelt sich natürlich weiter, anderes verschwindet wieder. Personen beispielsweise, die vor fünf Jahren noch im Studium waren, haben inzwischen in den Job gewechselt, eine Familie gegründet oder sind weggezogen. Dementsprechend entwickeln sich dann auch die Projekte weiter.
Ich glaube, das ist nichts, was man festhalten oder beeinflussen kann. Es muss einem im Vorhinein bewusst sein, dass da ein Wandel existiert. Da geht es einerseits auch um Geld, aber vor allem um einen wertschätzenden Austausch, für den es allerdings die personellen Ressourcen braucht. In unserem Reallabor war manchmal nicht die Möglichkeit da, alle Realexperimente weiter zu begleiten. Die finanziellen Mittel, die wir in der zweiten Förderphase zur Verfügung hatten, waren viel geringer als in der ersten Phase. Noch einen Workshop anzubieten, noch einen Austausch zu organisieren und noch ein Gespräch zu führen, war manchmal nicht mehr möglich. Dabei könnte man eigentlich ununterbrochen mit den Akteur:innen vor Ort sprechen. Das ist so ein bisschen wie ein schwarzes Loch. Die Arbeit geht nie aus. Da müssen alle Beteiligten auf sich aufpassen, weil es zu diesen Themen unglaublich viel zu tun gibt. Auf der ganzen Welt gibt es sehr viel umzugestalten im Moment. Das ist einerseits unglaublich schön und motivierend für alle, andererseits muss man immer wieder schauen, wo es Sinn macht und wo die Grenzen liegen. Wir in der Koordination haben es nicht immer geschafft, mit allen die Gespräche zu führen, die noch nötig gewesen wären. Wenn ich jetzt nochmal neu in ein Reallabor einsteigen oder eines planen würde, würde ich für den Austausch zwischen den einzelnen Parteien klar mehr Zeit einplanen.
Sie haben es bereits angedeutet, ich würde hier gerne trotzdem explizit noch einmal nachfragen: Gab es auch Ideen, die nicht von Studierenden in Lehrveranstaltungen bzw. vom Projektteam entwickelt und angestoßen, sondern von außen herangetragen und umgesetzt wurden?
Auf jeden Fall. Es gab zum Beispiel die Mobilitätsschule. Der Gedanke dahinter ist, dass Jugendlichen schon im Fahrschulalter auch andere Mobilitätsarten vermittelt werden als nur der Führerschein fürs Auto oder Motorrad. Diese Idee wurde von einer zivilgesellschaftlichen Akteurin, einer ehemaligen Fahrschullehrerin, bereits ganz zu Beginn ins Reallabor getragen, wurde aufgegriffen, weiterentwickelt und existiert nach wie vor. Ebenso die Plusrad App, für die sich ein Akteur im Rahmen des Reallabors eingesetzt hat. Aber gerade bei solch großen Projekten stellt sich für jemanden, der eigentlich hauptberuflich einen anderen Job hat, früher oder später immer die Frage: „Wie viel kann ich einbringen? Und ab wann will ich Ideen vielleicht auch nicht mehr kostenlos mit allen teilen?“
Das verstehe ich sehr gut. Irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich fragt „Soll ich das weiterhin alles mehr oder weniger unentgeltlich machen?“ Und oft geht es wahrscheinlich gar nicht in erster Linie darum, aber ohne gute Einbettung etwas voranzutreiben, das überschreitet die Ressourcen irgendwann … Da braucht es wohl auch viel Gespür seitens des Projektteams?
So ist es. In der zweiten Förderphase zum Beispiel machten wir einen Workshop, zu dem wir Studierende und Zivilgesellschaft einluden. In dieser Konstellation wurden gemeinsam Ideen diskutiert und entwickelt; es bildeten sich in diesen Prozessen automatisch Teams, die auch gemischt waren. Dann gründeten wir eine Jury, bestehend aus uns Initiator:innen, aber auch aus Menschen aus Stadtverwaltung, Uni, Kunst, Kultur und Theater. Es wurden drei Projekte ausgewählt, wobei ein Projektteam nur aus Studierenden bestand, die beiden anderen waren gemischt. Da waren also schon Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft dabei, die sich allerdings entsprechend weniger eingebracht haben als die Studierenden, die dafür ihre ECTS-Punkte erhielten und dementsprechend darauf achteten, ihr Projekt auch zu Ende zu bringen oder weiterzuentwickeln. Diese Zusammenarbeit funktionierte gut. Für uns war das Involviert-Sein der Studierenden daher immer schon so ein bisschen die Garantie, dass sich die Projekte auch wirklich weiterentwickelten. Dazu kann man ja niemanden zwingen ‑ und das will man ja auch nicht.
Wie würden Sie die Rolle beschreiben, die Sie als an der Universität beschäftigte Wissenschaftler:innen eingenommen haben? Neben der Koordination war Ihre Aufgabe ja auch die wissenschaftliche Begleitung. Wie kann man sich diese vorstellen?
Mein persönlicher Aufgabenbereich war, wie gesagt, ein Stück die Koordination innerhalb der Institute. Darüber hinaus entwickelten wir am Städtebau-Institut Lehrformate, um die Studierenden einzuladen, Teil des Projekts zu werden. Dann entwickelten wir noch verschiedene Workshops. Wir unterstützten die Studierenden bei der Ausarbeitung ihrer Ideen, aber auch bei deren Umsetzung. Wir waren also von der Metaebene der Idee, in welche Richtung das Projekt gehen soll, bis hin zur Eins-zu-Eins-Umsetzung dabei. Dass mein Kollege und ich zufällig auch Schreiner sind und deshalb auch wirklich bei der Umsetzung vor Ort noch helfen konnten, war von Vorteil. Aber diese vielen Tätigkeiten waren schon immer wieder auch eine Herausforderung: der Austausch mit der Stadtverwaltung, das Einholen von Genehmigungen, Versicherungsfragen und daneben aber auch die Umsetzung und die wissenschaftliche Begleitung. Die Fragen: Wo wollen wir hin? Welche Frage stellen wir hier eigentlich gerade an die Stadt und an das Experiment? Das war schon viel. In der wissenschaftlichen Begleitung hatten wir aber zum Glück Unterstützung aus der Sozialwissenschaft. Die Experimente zu evaluieren und auszuwerten war dann beispielsweise nicht meine Aufgabe.
Auch mit Blick auf unser Projekt Räume kultureller Demokratie würde ich gerne bei der wissenschaftlichen Begleitung bleiben: Worin bestanden die Forschungsfragen in Ihrem Reallabor? Was waren die besonderen Forschungsinteressen im Projekt?
Naja, unsere Studierenden, die alle aus der Architektur und Stadtplanung kommen, und ich als Architektin und Stadtplanerin haben uns natürlich stark für räumliche Veränderungen interessiert. Wie könnte der städtische Raum anders gestaltet sein? Dieser Frage in der Praxis auf den Grund zu gehen, sozusagen die Veränderung des Stadtraums im Eins-zu-Eins-Maßstab auszutesten, wenn auch beispielsweise nur für sechs Wochen oder auch nur punktuell, das war für uns sehr spannend. Eine weitere Frage, die wir uns beispielsweise im StadtRegal-Projekt gestellt haben, war die nach sozialer Gerechtigkeit und danach, ob es sie überhaupt gibt. Im Rahmen dieses Projektes haben sich an einem Punkt eine offene Küche, aber auch ein Schlafplatz und ein Lastenrad-Verleih gebildet. Das hatte die Begegnung unterschiedlichster Menschen zur Folge. In diesem Stadtraum entwickelte sich dadurch eine sehr bunte, teilweise auch explosive, aber sehr dynamische Stimmung. Das war sehr interessant zu beobachten. Diese Prozesse wurden wiederum von den Studierenden, aber mit der Betreuung aus der Sozialwissenschaft, evaluiert, beobachtet und ausgewertet. Konkret wurde gefragt: Welche Begegnungen haben dort wann und wie stattgefunden? Wie hat dieses Projekt den Raum beeinflusst, in der Zeit, in der es umgesetzt wurde?
Welche Rolle haben künstlerische Zugänge im Zuge des Projektes bzw. für einzelne Realexperimente gespielt? Haben Sie auch mit Künstler:innen zusammengearbeitet?
Da würde ich sagen, wir als Architekt:innen sehen uns ja ein Stück weit selbst als Künstler:innen. Deshalb waren auf jeden Fall der Einfluss und auch die Kontakte da. Es haben auch einige zivilgesellschaftliche Akteur:innen, die als Künstler:innen arbeiten, an Realexperimenten mitgewirkt. Auch die Studierenden hatten in ihrer Rolle als angehende Architekt:innen in ihren Experimenten künstlerische Ansprüche. Es war ihnen wichtig, dass sie nicht nur funktionieren, sondern auch die Ästhetik stimmt. Die ansprechende Aufbereitung der Experimente war auch ein wichtiger Punkt in der Kommunikation nach außen. Wir arbeiteten von Anfang an mit einem Studio für visuelle Kommunikation zusammen, das Grafik und Website usw. gestaltete. Darauf zu achten, ist aus meiner Sicht auch besonders wichtig für die Kommunikation mit den Akteur*innen, da es Wertschätzung ihrer Arbeit gegenüber vermittelt. Dabei ist die Herausforderung, trotzdem die Offenheit dafür zu bewahren, sich selbst einzubringen und nicht mit fertig designten Projekten in die Öffentlichkeit zu gehen. Ein wichtiger Aspekt ist, die Balance zu finden, zwischen „Wie viel gibt man vor?“ „Wie viel gestalten wir schon selbst?“ und „Wie viel kann dann aber auch noch eingebracht werden?“ Die Kunst spielt auf jeden Fall eine unglaublich wichtige Rolle, damit Inhalten das Trockene, Wissenschaftliche, Technologische genommen wird. Auch bietet die Kunst eine Chance, auf einer anderen Ebene Diskussionsräume zu öffnen.
Finden Sie wichtig, dass die Kunst sich in die Vermittlung von gesellschaftlich relevanten Themen einbringt?
Ich glaube, das, was Künstler:innen sehr gut können, ist zu irritieren und Menschen in ihren alltäglichen Diskussionen, Handlungen einmal durcheinanderzubringen, etwas aufzubrechen und Menschen sozusagen aufzuwecken, zu fragen: „Moment einmal, warum machst du das eigentlich?“ Im Reallabor wünscht man sich ja inter- und transdisziplinären Austausch. Aber das bedeutet auch, dass sich erstmal alle von ihren bequemen Stühlen aufbewegen und alltägliche Handlungen hinterfragen müssen. Kunst kann, finde ich, dabei helfen und dazu inspirieren, etwas aus einem anderen Blickwinkel heraus zu betrachten. Sie kann einer Gesellschaft den Spiegel vorhalten und das ist ja auch ihre Aufgabe, zumindest ein Stück weit.
Ich komme jetzt zu einem Begriff, der für unser Forschungsprojekt ganz zentral ist: die Vermittlung. Was bedeutet Vermittlung für Sie? Was ist dabei zentral zu bedenken? – Vielleicht gerade dann, wenn es darum geht, spezifische Themen wie etwa die nachhaltige Mobilität zu vermitteln?
In Bezug auf die Reallabor-Arbeit muss einem in diesem Zusammenhang bewusst sein – und das ist eine weitere Herausforderung –, dass man immer wieder von vorne beginnen muss, weil laufend neue Akteur:innen, neue Studierende, neue Menschen dazukommen, die ‚auf einen Stand‘ gebracht werden müssen. Man startet und versucht sich zu öffnen, alle mitzunehmen, aber mit der Zeit festigt sich dann ein Akteur:innennetzwerk, bestehend aus Menschen, die sich schon auskennen, die gelernt haben, eine Sprache zu sprechen. Diese festen Strukturen immer wieder aufzubrechen und zu öffnen, bedarf immer wieder neuer Veranstaltungen und Workshops. Es passiert dann auch, dass die Teilnehmer:innen aus den ersten Phasen ungeduldig werden. „Warum sprechen wir denn schon wieder darüber? Das ist doch eigentlich klar! Wir müssen radikalere Entscheidungen treffen!“ – Sätze wie diese kamen auch in unserem Reallabor immer wieder in der Diskussion auf. Von daher: Ein zentraler und zugleich herausfordernder Aspekt der Vermittlungsarbeit in einem Reallabor ist meiner Meinung nach, zu vermitteln, dass die Vermittlung zu jedem Zeitpunkt eine große und wichtige Rolle spielt und dafür auch die Voraussetzungen zu schaffen.
Wenn man Ihre Website betrachtet, dann sieht man, dass ganz unterschiedliche, vielfältige Vermittlungsräume in den Realexperimenten realisiert wurden. Gibt es hier oder gab es hier einen konkreten Ort oder konkrete Orte, die Sie zur Verfügung hatten bzw. zur Verfügung stellen konnten? Also gab es beispielsweise so etwas wie mobile Räume?
Zum einen konnten wir die Räumlichkeiten der Uni nutzen, auch die Werkstätten, in denen die Studierenden arbeiten konnten. Aber auch da waren immer wieder Fragen der Versicherung und Betreuung zu regeln. Zum anderen war es aufgrund der engen Zusammenarbeit mit der Verwaltung der Stadt Stuttgart möglich, einige Aktivitäten im Rathaus stattfinden zu lassen. Auch im Stadtpalais beziehungsweise im Stadtmuseum Stuttgart, oder im Kunstverein Baden-Württemberg konnten immer wieder öffentliche Veranstaltungen, Workshops oder Ausstellungen stattfinden. Es war uns sehr wichtig, regelmäßig die Uni zu verlassen, um eben nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft zu bleiben und so niederschwellig wie möglich zu sein. Wir bemühten uns, raus in die Stadt, in den öffentlichen Raum zu gehen, denn nur dort ist es für alle möglich, Zugang zu Themen zu finden, die ja auch alle betreffen – in unserem Fall die Mobilität. Durch die Zusammenarbeit mit der Initiative Stadtlücken konnten wir beispielsweise auf den ehemaligen Parkplatz Österreichischer Platz zugreifen und dort Realexperimente umsetzen. Man konnte dort auch zufällig vorbeikommen. Es war uns also möglich, an verschiedenen Orten zu sein. Das war uns auch von Anfang an sehr wichtig.
Welche Bedeutung messen Sie dem digitalen Raum im Kontext Vermittlung bei? Wo sehen Sie da persönlich Potenziale, wo vielleicht aber auch Nachteile? Haben Sie den digitalen Raum, abgesehen von der Website, auch für Realexperimente genutzt?
Ja. Gerade für das Parklet-Projekt hat Facebook eine entscheidende Rolle gespielt, weil sich über diese Plattform eine große Diskussion entwickelt hat. Die Studierenden haben oft ganz von selbst für ihr eigenes Projekt eine Website oder eine Seite auf Facebook oder Instagram angelegt. Das waren zusätzliche, wichtige Diskussionsplattformen. Aber auch im Hinblick darauf, dass überhaupt Aufmerksamkeit für ein Thema wie das der Mobilität geschaffen wird, spielt der digitale Raum eine große Rolle. Gerade auch unsere Website hat eine ganz andere Reichweite für das Projekt gebracht. Von daher sehe ich eine Website immer als Informationsbasis. Da muss sich nicht täglich was verändern. Die sozialen Medien sind eine tolle Ergänzung, um tagesaktuelle Themen rausschicken zu können und auch den Diskurs darüber anzuregen und Aufmerksamkeit zu erzeugen. – Auch überregional, also für Menschen, die nicht in Stuttgart sind, aber sich trotzdem für diese Themen interessieren.
Sie haben wesentliche Aspekte im Laufe unseres Gesprächs bereits angesprochen, vielleicht können Sie sie an dieser Stelle aber noch einmal zusammenfassen, sozusagen als eine Art Fazit: Was braucht es an Informationen, Wissen, Erfahrungen, Zugängen zu Ressourcen, an lokalen Möglichkeiten, an verschiedensten Skills, so dass Menschen aktiv an einer demokratischen Gesellschaft teilhaben und diese mitgestalten können?
Ich glaube, es braucht einen relativ klaren Rahmen, in den die zivilgesellschaftlichen Akteur:innen einsteigen können, an dem sie sich orientieren können und in dem auch Verantwortung klar definiert ist. Gleichzeitig müssen Möglichkeiten bestehen, sich auch zu bewegen. Für die Akteur:innen sollte deutlich sein: „Der Rahmen ist äußerlich so gesetzt, im Sinne einer Stütze, und innerhalb kann ich mich aber einbringen und entfalten.“ Das funktioniert für mich, indem man erstmal über die Metaebene einsteigt, also über konkrete Themen und sich dazu informiert. Über regelmäßige Veranstaltungen, generell über Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit, über die bereits angesprochene Kommunikation nach außen – im besten Fall aber über eine Art Büro vor Ort – muss der Rahmen geschaffen werden, um in den Austausch zu treten und ihn zu pflegen. Dann ist es auch wichtig, dass es in den Realexperimenten immer klare Verantwortlichkeiten gibt: „Welche Versicherung haftet wo? Wer klärt welche Themen ab?“ Das muss klar definiert sein. Daneben muss aber auch die Möglichkeit gegeben sein, frei einzusteigen und sich künstlerisch und kreativ einzubringen. Besonders wichtig ist auch der regelmäßige Dialog mit der Stadtverwaltung und der Politik. Es ist wichtig, mit diesen Einrichtungen gleich von Beginn an auch über Möglichkeiten der Verstetigung von Experimenten zu sprechen, denn es kann zu großer Enttäuschung führen, wenn die Akteur:innen viel Engagement und Energie in die Umsetzung eines Projektes investieren und dann verschwindet es einfach wieder, weil es die entsprechenden Entscheider:innen gar nicht erreicht hat.
Ziel der zweiten Förderphase war beispielsweise die Entwicklung eines Mobilitätsforums in Stuttgart, das in Richtung eines politischen Gremiums gegangen wäre. Da war das Problem, dass von Seiten der Stadtverwaltung gar nicht so schnell, wie die Anschlussförderung kam, eine Stelle geschaffen werden konnte, die aus der Stadt heraus mit uns zusammenarbeitet und über diese Themen nachdenkt. Gleichzeitig hätte nur ein Gemeinderat entscheiden können: „Ja, wir möchten dieses Gremium.“ Für uns stellte sich infolgedessen die Frage, inwieweit wir uns aus der Wissenschaft heraus dafür einsetzen können und sollen, dass sich aus der Zivilgesellschaft heraus ein politischer Wille bildet. Man kann so etwas anstoßen – und dann noch eine Demo organisieren und noch einen Brief schreiben – aber für uns stellten sich letztendlich immer wieder die Fragen „Kann das unsere Aufgabe sein, aus unserer Position heraus einen Wandel anzuführen? Wo sind hier die Grenzen? Wie weit kann und soll unsere Arbeit eigentlich gehen?“ In dem Sinne würde ich rückblickend sagen, es gibt eben Projekte, die weiterlaufen, die sich entwickeln können, und solche, bei denen das nicht funktioniert. Das ist auch eine Erkenntnis, die wir aus der Wissenschaft heraus als Ergebnis produzieren können.
Haben Sie abschließend das Gefühl, dass ich etwas außer Acht gelassen habe, was erwähnenswert gewesen wäre oder das Sie noch gerne sagen möchten?
Ich möchte vor allem klarstellen, dass ich mittlerweile nicht mehr an der Uni Stuttgart arbeite, weil das Projekt ja auch beendet ist. Dementsprechend liegen klar alle Rechte bei der Uni. Aus einem Institut heraus gibt es nun das Bedürfnis der Verstetigung. Das unterstütze ich einerseits grundsätzlich, andererseits stellt sich hier für manche Seiten – und auch das ist für mich nachvollziehbar – die Frage: „Wem gehört das gemeinsam Entwickelte dann am Ende?“ Ich glaube, es ist für so ein Projekt unglaublich wichtig, dass alle Beteiligten auf Augenhöhe miteinander sprechen können. Das möchte ich noch einmal unterstreichen. Auch die Fragen am Ende „Wer hat jetzt eigentlich die Rechte in der Hand? Und wie gehen wir damit um?“ müssen frühzeitig besprochen werden, und es sollte darauf geachtet werden, dass Menschen mit mehr Macht sich auf Augenhöhe der zivilgesellschaftlichen Akteur:innen begeben und offen sind. Das hat im Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur manchmal sehr gut und manchmal auch weniger gut funktioniert.
Interview am 28.09.2020
Hanna Noller,
Katharina Anzengruber
(
2021):
„Es braucht die Zeit, um über Wertschätzung, Anerkennung und Verantwortung zu sprechen.“.
Zentrale Aspekte und Herausforderungen in der Reallabor-Arbeit.
Hanna Noller im Gespräch mit Katharina Anzengruber
. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten
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