PARTIHIHIZIPATION! Oder: Sind wir schon souverän?

Sie haben richtig gelesen: Partihihizipation*1 *( 1 ). Hihi, kein Schreibfehler, sondern Absicht. Hier macht sich jemand lustig über einen Begriff, der derzeit ziemlich ernst genommen wird, meines Erachtens zu ernst. Dieser Begriff, oder viel mehr das, was hinter ihm steckt, drückt ein Zeitgeist-Phänomen aus, das sich eigentlich im Begriff selbst schon desavouiert und dennoch von Politikern so häufig benutzt wird, dass allein schon der inflationäre Sprachgebrauch misstrauisch machen sollte. Um es gleich vorweg zu sagen: Partizipation ist, so meine ich, ein Begriff, der genau das verschleiert, was den Menschen, für deren Anliegen er verwendet wird, zusteht. Niemand will nämlich Teilhabe an etwas gewährt bekommen, das ihm eigentlich schon immer gehört: Souveränität. Es sei denn, er oder sie nimmt sich selbst nicht ernst.

In diesem Beitrag soll anhand des Beispiels „Stuttgart 21“ (kurz: S21), des geplanten Bahnhofs und der Proteste gegen das Projekt aufgezeigt werden, wie das Engagement von Bürgern für das „Recht auf Stadt“ mit politischen Schachzügen ausgebremst wurde und am Ende dann mit scheindemokratischen Partizipationsinszenierungen wie „Schlichtungsgespräch“ und „Volksabstimmung“ dem als „Wutbürgertum“ diskreditierten S21-Widerstand der Wind aus den Segeln genommen wurde. Das zugrunde liegende Ansinnen, die Durchsetzung des demokratischen Souveränitätsprinzips, blieb im Partihihizipations-Gedöns auf der Strecke. Weshalb der Widerstand dennoch sinnvoll war und welcher Gewinn hinsichtlich der Frage nach der Souveränität zu verzeichnen ist, soll die folgende Reflexion über zwei künstlerische Interventionen im besetzten Stuttgarter Schlossgarten aufzeigen. Dabei geht es auch um die Frage des möglichen Mehrwertes ästhetischer Strategien im Kontext gesellschaftlicher Praxis.

 

Beispiel 1: PARKBEFRIEDUNG

Als Reaktion auf die mit dem Bau des umstrittenen Tiefbahnhofes drohende Rodung des Schlossgartens und seines Jahrhunderte alten Baumbestandes, versuchten Aktivisten direkt nach dem „Schwarzen Donnerstag“, diesen zu besetzen. An diesem Tag waren einige Demonstranten zum Teil schwer verletzt worden, als bei der gewaltsamen polizeilichen Räumung mit Pfefferspray und Wasserwerfern den Stuttgartern klar gemacht wurde, wie ökonomische Interessen in den kommenden Jahren vor Ort durchgesetzt werden sollten.

Die Parkbesetzung war ein schwieriges Unterfangen, da zu diesem Zeitpunkt beiden Seiten klar war, dass es sich auch um einen „Krieg der Bilder“ handeln würde. Der Wert von Medienbildern, wie dem des Rentners Dietrich Wagner, dem mit einem Wasserwerferstrahl die Augen aus dem Kopf gedrückt wurden, war zum symbolischen Kapital der Projektgegner geworden und die Polizei war ängstlich darauf bedacht, keine weitere Bilder-Schlacht mit der Gegenseite so kläglich zu verlieren. Räumungsaktionen sollten daher in Zukunft möglichst unauffällig vonstatten gehen, die S21-Gegner wollten hingegen mit passenden Bildern einen hohen Sympathiewert in den Medien erzielen.

Die Park-Besetzung erfolgte daher in einer Salamitaktik, bei der das Verbot, Zelte in öffentlichen Grün-Anlagen aufzustellen, mit Witz umgangen wurde, indem zunächst Sonnenschirme als provisorische Behausungen genutzt wurden, die sich jedoch mit der Zeit subtil in „Schirmburgen“ verwandelten. Eine Strategie, gegen die die Polizei machtlos war und die sogar in einem Architektur-Fotographie-Wettbewerb preisgekrönt wurde. Eins zu Null für die ästhetischen Strategien der S21-Gegner.

Diese ersten Siege wurde jedoch von den S21-freundlichen Stuttgarter Medien schnell wieder gegen die S21-Gegner gewendet, indem sie das Camp im Park als angeblichen „Schandfleck“ im sauberen Stuttgarter Stadtbild diffamierten. Spätestens mit Wintereinbruch gaben die unter den Schneemassen begrabenen Behausungen tatsächlich kein fotogenes Bild mehr her, dazu kam die Bedrohung durch eisige Temperaturen und nächtliche Angriffe von Projekt-Befürwortern, die sogar vor Brandanschlägen nicht zurückschreckten. Der Widerstand im Park kam schon beinahe zum Erliegen, als Mitglieder der Künstlergruppe SOUP (Stuttgarter Observatorium Urbaner Phänomene) mit einer künstlerischen Intervention den campierenden Aktivisten zu Hilfe eilten.

Mit einem Wall aus großdimensionierten Fotoleinwänden, die Bildmotive des Brandenburger Tores in Originalgröße zeigten, umfriedeten sie kurzerhand das Camp und der Presse blieb nichts anderes übrig, als diesen Coup positiv zu würdigen. Selbst die Bild-Zeitung titelte „Was macht das Brandenburger Tor im Schlossgarten?“star (* 1 ). Die Schandfleck-Diskussion war ab diesem Zeitpunkt ihres Gegenstandes beraubt. Bei dieser Aktion kam die Uneindeutigkeit und das nicht festmachbare, objektivierbare Moment, das künstlerische Strategien von wissenschaftlichen Methoden unterscheidet, schon in der Überschrift des mitgelieferten „Bekennerschreibens“ zum Ausdruck: So sei die Aktion „Ein Akt der Parkbefriedung“.

Der Titel „Parkbefriedung“ intoniert eine Doppeldeutigkeit, die sich weder eindeutig auf die eine noch die andere Seite der „Stuttgarter Gegnerschaften“ aufrechnen lässt. Die Frage nach einer „Befriedung“ der gespaltenen Bevölkerung beschäftigt seit Jahren die Stuttgarter Medien. Einen Schutzwall, der die Projektbefürworter vor dem Anblick eines angeblichen Schandfleckes bewahrt und zugleich die dahinter hausenden Projektgegner vor Wind, Wetter und Angriffen schützt, als „Befriedungsmaßnahme“ zu deklarieren, zeugt von einer gehörigen Portion Schlitzohrigkeit. Als die Polizei nach zwanzig Minuten am Gelände eintraf, war das Werk vollendet, der Schutzwall geschlossen und die uniformierten Einsatzkräfte ratlos. Der Mehrwert künstlerischer Strategien zeigte sich hier zugleich in der Öffnung einer festgefahrenen Diskussion als auch in der „Unangreifbarkeit“ der Aktion – sowohl konkret als auch diskursiv. Die Politik scheute sich, dieses friedliche Bild kollektiver Kreativität gewaltsam räumen zu lassen, der Wall blieb in den Folgemonaten tatsächlich unangetastet bestehen. Das nun vor dem disziplinierenden staatlichen Blick geschützte Parkbesetzer-Camp konnte unauffällig ausgebaut und stabilisiert werden – und ein schönes Bildmotiv für die Medienberichterstattung und Protest-Touristen gab es gratis dazu.

Zugleich war der Wall um das Camp eine Einladung zur weiteren ästhetischen Okkupation des Schlossgartens. Unter anderem zierten Transparente mit Textapplikationen die schützende Struktur, ebenfalls mit ästhetisch kodierter Mehrdeutigkeit. Neben dem Hinweis auf die Website der Errichter des Walls (www.schlossgartenfreiheit.de) waren Botschaften wie „TANZ DEN WIDERSPRUCH“, „WE ARE THE MULTITUDE“ oder „WIR SIND SOUVERÄN“ zu lesen. Während das Zitieren des Multitude-Begriffes von Hardt/Negristar (* 2 ) zum Ausdruck bringen wollte, dass im Park tatsächlich eine klassenübergreifende Solidarisierung von Menschen stattfand, verbunden durch ein gemeinsames biopolitisches Interesse, nämlich den Schutz ihrer Stadt gegen Investoren-Interessen, bezog sich der Hinweis auf den Souveränitätsbegriff auf die Hinterfragung der politischen Macht an diesem Ort: Ist eine Staatsgewalt, die sich so offensichtlich gegen Bürgerinteressen auf die Seite von Investoren schlägt und die Polizei derart gewalttätig einsetzt noch demokratisch legitimiert? Oder greifen hier bereits Überlegungen einer juristischen Grundsatzdiskussion, die ein zivilgesellschaftliches Widerstandsrecht gegen die Aushebelung des Grundgesetzes durch Machtmissbrauch geltend macht? Sich selbstbewusst als Souverän zu bezeichnen, spielt mit der Doppeldeutigkeit des Wortes, je nachdem ob es als Adjektiv oder Substantiv gelesen wird. Im ersteren Fall gibt es eine selbstbewusste Selbsteinschätzung wieder, im zweiten eine politische Klarstellung. Jedenfalls war das Transparent mit dieser Aufschrift fortan auf vielen Medienbildern zu sehen, die damit eine Diskussion eröffnete. Dementsprechend möchte ich die Frage „Sind wir schon souverän?“ im Folgenden noch vertiefen.

Beispiel 2: UNSER PAVILLON
Ermutigt von diesem unvorhersehbaren Erfolg einer künstlerischen Aktion, beschloss ein Teil der Künstlergruppe SOUP, sich verstärkt im Schlossgarten zu engagieren und weitere bildhafte Interventionen in die Bewegung gegen S21 einzubringen. Eine längerfristige Okkupation des Parks wurde in Gestalt einer architektonischen Skulptur geplant, die eine Mehrfachfunktion von Begegnungsort, Schutzraum, Informations- und Ausstellungsraum übernehmen sollte. Drei Module, die auf Anhängern transportierbar waren, wurden in einer nächtlichen Aktion klammheimlich in den Park gebracht und dort zur Installation UNSER PAVILLON verbunden. Die Architektur griff dabei ein Motiv auf, das sich bereits bei der Skulptur Schichtung 107/Stuttgarter Tor – ebenfalls im Park aufgestellt – des Künstlers Thomas Lenk wiederfindet. Die Schichtungen dieser Skulptur aus den 1970er Jahren wurden beim Pavillon in Form von „Lamellen“ aufgegriffen, dadurch bekam er eine Form, die an einen Transformator mit Kühlrippen erinnerte. In einer Presseerklärung wurde UNSER PAVILLON dann auch noch zu einer „souveränen Erweiterung der autonomen Lenk-Skulptur“ erklärt. Damit verortete sich die illegale Aktion im „Schutzraum der Kunst“, eine Strategie die sich im weiteren Verlauf als sehr effektiv erwies. Die autonome Skulptur Stuttgarter Tor wurde sozusagen zum Eingangsportal ihrer eigenen souveränen Erweiterung in Form des funktional benutzbaren Innenraumes UNSERES PAVILLONS. Das Bild des angedockten PAVILLON-Containers verwies so auf eine paradoxe Denkfigur: Der Raum der Kunst als Ort der gesellschaftlich praktizierten Souveränität. Diese künstlerische Praxis ist nicht mehr, wie die Denkfigur der „Autonomie“ in Gestalt der Lenk-Plastik noch impliziert, als Entgegensetzung zwischen künstlerischer und politischer Sphäre konstituiert, sondern als deren Überschreitung im Sinne eines transversalen Bezuges von Kunst und Gesellschaft. Sie macht Ernst mit dem Paradoxon, das Adorno meinte, als er sinngemäß formulierte, es sei gerade der autonome Schein der Kunst, der ihre souveräne Wahrheit ausmachtstar (* 3 ).

Diesem neuen Raum der Souveränität wurde konsequenterweise im ersten Stadium seiner Nutzung keine eindeutige Funktion zugeordnet, sondern ein „Bild“. Seine räumlichen Eigenschaften als eine leere, dunkle Kiste wurden im Sinne einer Korrespondenz von Inhalt und Form thematisiert, indem er als Camera obscura genutzt wurde. Ein winziges Loch an seiner Stirnseite genügte, um diese Funktion tatsächlich zu ermöglichen. Im Inneren der begehbaren Kiste erschien auf einem transparenten Schirm das Bild des umkämpften Kopfbahnhofes – der Logik optischer Gesetze folgend auf dem Kopf stehend: Oben wurde Unten, Unten wurde Oben. Der Slogan der Stuttgarter Kopfbahnhof-Verteidiger (K21) „Oben bleiben“ bekam damit eine überraschende Bildhaftigkeit und UNSER PAVILLON eine interessante Vieldeutigkeit: beobachtend als Camera obscura sowie bildgebend für den Beobachtungsgegenstand, den Bahnhof. Das Bild, das sich im Pavillon zeigte, wurde später auch tatsächlich auf Fotopapier ausbelichtet, beschriftet mit den etwas irreführenden Richtungsangaben „unten“ und „oben“ und so zu einem ersten Artefakt der pavillonistischen Kunstproduktion. Reale Funktionalität und fiktionale Bildhaftigkeit gingen durch diesen Kunstgriff nahtlos ineinander über.

Die Idee der Camera obscura war darüber hinaus die Blaupause zu einem Coup, mit dem die Aufstellung des Pavillons im polizeilich schwer bewachten Mittleren Schlossgarten überhaupt erst möglich wurde. Im Vorfeld der Aktion beantragte SOUP beim Ordnungsamt eine „Genehmigung zur temporären Aufstellung einer Kamera obscura zum Zwecke einer Langzeitbelichtung des Stuttgarter Bahnhofes“. Verschwiegen wurde dabei die tatsächliche räumliche Dimension dieser Kamera. Die Strategie ging auf: Als bei der illegalen nächtlichen Aufstellung des PAVILLONS die Polizei erschien, konnte das Schreiben bewirken, dass eine Klärung des Sachverhaltes mit dem Ordnungsamt erst am folgenden Tag möglich und UNSER PAVILLON bis dahin fertig aufgebaut war sowie als Camera obscura funktionieren würde. Der durch diese Strategie reklamierte Status als Kunstwerk schützte im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung mit den Behörden tatsächlich vor einer Vollstreckung der ansonst permanent angedrohten Räumung. Die Undercover-Strategie, ein Kunstprojekt quasi als „Trojanisches Pferd“ für die Realisierung eines gesellschaftspolitischen Anliegens zu benutzen, ging auf, trotz seines rechtlich illegalen Charakters konnte UNSER PAVILLON fast ein ganzes Jahr im Park verbleiben.

Eine weitere Intervention kann die paradoxe Strategie der „PAVILLONISTEN“ in Hinblick auf ihre uneindeutige Verortung zwischen künstlerischer und gesellschaftlicher Praxis noch weiter verdeutlichen. Eine der ersten Aktionen von SOUP war die REINIGUNG DER LENK-SKULPTUR, eine quasi rituelle Aktion, in deren Verlauf der mit Aufklebern verschandelten Lenk-Skulptur die „Aura der Autonomie“ zurückgegeben wurde. Man könnte dies als eine affirmative Haltung sehen, die die Kunst lediglich behüten will vor heteronomen Vereinnahmungen. Bedeutsam war jedoch, dass bei dieser Aktion die Vandalismus-Spuren gesammelt wurden, um anschließend in UNSEREM PAVLLON als „Kunst“ wieder gezeigt zu werden. Mit dieser Geste wird ein diskursiver Raum eröffnet, der die Fiktionalität der Kunst in einen komplexen Zusammenhang bringt mit der gesellschaftlichen Realität: Es ist alles eine Frage des Kontextes, ästhetisch/fiktionale/autonome Strategien können nahtlos übergehen in eine gesellschaftlich/reale/souveräne Praxis und umgekehrt, Widersprüche inbegriffen.

Während UNSER PAVILLON an seinem okkupierten Ort verblieb, bot er Raum für zahlreiche Aktivitäten: Ausstellungen, Performances, Video-Präsentationen, Konzerte und weitere künstlerische Formate verschmolzen mit Info-Veranstaltungen, Vorträgen und Diskussionsrunden zu einer kulturellen Dimension des Widerstandes, die eine Unterscheidung zwischen künstlerischer und gesellschaftlicher Praxis als zu kurz greifende Interpretation der tatsächlichen Komplexität obsolet werden ließ. Die uneindeutigen und damit jedes politisch-rationale Kalkül unterlaufenden Strategien der SOUP-Künstler wurden zunächst von einigen politischen Aktivisten als irritierend und irrelevant empfunden und umgekehrt hatten einige Künstler ihre Schwierigkeiten mit klaren politischen Ansagen, mit der Zeit wuchs jedoch das gegenseitige Verständnis dafür, dass die unterschiedlichen Intentionen gerade in ihrer Widersprüchlichkeit ihr spezifisches Potential entfalten können.

Deutlich wurde dies beispielsweise, als nach der verlorenen Volksabstimmung die PAVILLONISTEN ihre strahlend weiße Architektur mit schwarzem Filz umhüllten. Während einige S-21-Gegner dies als Ausdruck der Resignation deuteten und daher ablehnten, erinnerte andere dieses Erscheinungsbild an die Ästhetik des „Schwarzen Blockes“ und sie verstanden es als Hinweise auf eine militantere Positionierung des Widerstandes. Auch die Text-Applikation „WARM ANZIEHEN“ auf der schwarzen Hülle trug wenig zur eindeutigen Erhellung bei: War dies nun ein guter Ratschlag an die Tiefbahnhofsgegner gegen die winterliche Kälte oder eine subtile Drohung an die Adresse der Befürworter? Als ästhetisch formulierte Botschaft blieb dies prinzipiell offen und damit auch justitiabel irrelevant.

Nach einem Jahr gemeinsamer Widerstandspraxis im Park hatte das PAVILLON-Team einen Standard für Irritationsstrategien entwickelt, der es ihm erlaubte, auf Situationsveränderungen flexibel zu reagieren. Irgendwann kam der hinausgezögerte Räumungsbescheid dann doch noch, damit drohte den PAVILLONISTEN eine hohe Geldstrafe bei Nichtbefolgung. Während die SOUP-Künstler schon den Rückzug antreten wollten, kam von Seiten der politischen Aktivisten ein kreativer Vorschlag, der die Irritationsstrategie der Künstler adäquat aufgriff: Wir deklarieren UNSEREN PAVILLON als SANITÄTS-STATION unter dem Schutz der Genfer Konvention! Immerhin waren am „Schwarzen Donnerstag“ Schwerverletzte zu beklagen und die Verantwortlichen hatten es versäumt, beim Polizeieinsatz entsprechende notärztliche Vorsorge zu organisieren. Mit diesem genialen Einfall gelang es tatsächlich ein weiteres Mal, die Räumung des PAVILLONS zu verhindern.

Im wahrsten Sinn des Wortes gekrönt wurde UNSER PAVILLON dann anlässlich der polizeilichen Räumung des Parks im Februar 2012. Die SOUP-Künstler und Aktivisten setzen ihm einen krönenden Aufbau auf das Dach, eine Plattform, von der aus die Räumung beobachtet und dokumentiert werden konnte. Die neue Polizeiführung (nach der Landtagswahl unter einem grünen Ministerpräsidenten) verfolgte nämlich inzwischen eine De-Eskalationsstrategie, die die geplante Räumung durch „embedded journalists“ entschärfen sollte. Dass dies allenfalls als Augenwischerei funktionieren würde, war den S21-Gegnern klar, die Reaktion war, eine Art Gegen-Öffentlichkeit durch „self-embedded-artists“ zu schaffen, die mit eigenen Medien von der Beobachtungsplattform via Satelliten-Schüssel die Räumung live ins Internet übertrugen.

Ihr Einfallsreichtum half den Projektgegnern am Ende jedoch wenig, der Park wurde bei einem nächtlichen Polizeieinsatz, der seinem behördlichen Tarnnamen „D-Day“ wegen seiner militärischen Präzision alle Ehre machte, geräumt. Der Schutzwall wurde geschleift, die Parkschützer aus dem Park getrieben und nachdem die letzten angeketteten Besetzer abgeführt waren, fällte man über achtzig, teilweise Jahrhunderte alte Bäume innerhalb weniger Stunden – entgegen aller Abmachungen, die die Deutsche Bahn in Heiner Geißlers sogenanntem Schlichterspruch zugesagt hatte. Nach wenigen Stunden glich der Park einer öden Schlammwüste.
Mittlerweile okkupieren die Betreiber des S21-Projektes die ästhetischen Strategien ihrer Gegner. Der originale Bauzaun wurde ins Museum gebracht und an der Baustelle ein Imitat aufgestellt, auf dem Pro-S21-Botschaften von angeblichen Bürgern im „Bauzaun-Stil“ zu sehen sind: Texte in der Handschrift-Typografie eines Textprogrammes, frei erfunden von Werbefachleuten und auf PVC-Planen geplottet. Man sollte meinen, dreister geht es wirklich nicht, aber da unterschätzt man die Projektbetreiber. Inzwischen wurde auch die „Beobachtungsplattform“ UNSERES PAVILLONS konterkariert, die Begründung dazu lieferte der S21-freundliche Feuilleton-Leiter der Stuttgarter Nachrichten in einem Kommentar unter der zynischen Überschrift „Teilhabe erlebbar machen!“: „Gerade der Wunsch nach Teilhabe beflügelte doch bisher die Befürworter und Gegner des Verkehrs-und Städtebauprojektes Stuttgart 21. Umso mehr irritiert, dass die Projektbetreiber bisher keine Anstalten machen, die nun eröffnete Baustelle vor Ort erlebbar zu machen […] Eine Info Box wäre ein Ereignis im eigentlichen Sinn“star (* 4 ). Abgesehen davon, dass es sich hier um kein Städtebauprojekt, sondern ein Stadtzerstörungsprojekt handelt und bisher außer dem Teilabbruch des Bahnhofs und der Zerstörung des Parks noch kein Baufortschritt stattgefunden hat, ist es blanker Hohn, das bewundernswerte Engagement der Stuttgarter K21-Bewegung für ihre Stadt auf „Baustellen-Erlebnishunger“ zu reduzieren. Künstlerisch-politische Aktionen wie UNSEREN PAVILLON als Event missverstehen heißt, nichts von aktuellen Strategien der Kunst verstanden zu haben. Ein derartiges Verständnis von Teilhabe an politischer Gestaltung kann nur noch mit der Wort-Neuschöpfung PARTIHIHIZIPATION beantwortet werden. Die S21-Baustellen-Beobachtungsplattform wurde mittlerweile errichtet, mangels sichtbarer Baufortschritte wurde aber bisher noch kein partizipierender Bürger dort gesichtet, der die Schlammwüste im Park besichtigen wollte.

UNSER PAVILLON wurde nach einem kurzen Zwischen-Asyl im Württembergischen Kunstverein Stuttgart (WKV) mittlerweile eingelagert. Eine geplante Aufstellung auf der Skulpturen-Plattform des WKV wurde vom Haubesitzer, dem Finanzministerium Ba-Wü mit der Begründung verhindert, man dulde dort keine Kunst, die sich kritisch gegen das Projekt S21 verorte, ein eindeutiger Fall von Kunst-Zensur. Auch die eigens von der neuen Landesregierung berufene Staatsrätin für Bürger-Engagement sah keinen Anlass, dieses Projekt in irgendeiner Weise zu unterstützen, ihre Nicht-Reaktion auf eine Anfrage bzgl. Unterstützung des Projektes UNSER PAVILLON lässt darauf schließen, dass Partizipation in ihrem Verständnis weniger ein „bottom up“ als ein „top down“ Prozess ist.

Was bleibt, ist die Erfahrung, dass es in den aktuellen politischen Auseinandersetzungen in Stuttgart und anderswo nicht um die Gewährung von PARTIHIHIZIPATION geht, sondern um die Realisierung von Souveränität, dass diese aber nicht gewährt werden kann, sondern souverän behauptet und erkämpft werden muss, künstlerische Strategien der Vieldeutigkeit könnten dabei hilfreich sein.

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Bild-Zeitung vom 3.1.2011, Ausgabe Stuttgart, S. 3.

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Michael Hardt, Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire Campus 2004.

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Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1970; 13. Aufl., 1995. S. 159.

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„Teilhabe erlebbar machen.“ Kommentar von Nikolaus Forstbauer im Kulturteil der den Stuttgarter Nachrichten vom 5. März 2012.

Das Wortspiel wurde erfunden vom SOUP-Mitglied Karin Rehm anlässlich eines SOUP-Beitrages zum Symposium „Bürger. Macht. Staat“ an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen.

Andreas Mayer-Brennenstuhl ( 2013): PARTIHIHIZIPATION! Oder: Sind wir schon souverän?. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/partihihizipation-oder-sind-wir-schon-souveran/