HipHop Linguistics, Street Culture und Ghetto-Männlichkeit
Zur Bedeutung von postmigrantischem HipHop in Österreich
Dieser Artikel lotet die soziale und politische Bedeutung der translokalen kulturellen Praxis von jungen, in Österreich geborenen und aufgewachsenen männlichen Rappern der zweiten Generation türkischer MigrantInnen aus. Die Rapper eignen sich die globalisierte HipHop-Kultur an, sie vermischen und vermengen diese Elemente mit Traditionen und Quellen der Kultur des Herkunftslandes ihrer Eltern sowie mit jenen der österreichischen Popularkultur. Ihre erfolgreiche Verhandlung unterschiedlicher populärer Kulturen und deren fortwährende Vermischung, die etwa in türkisch- und deutschsprachige Rap-Songs mündet, stehen im Kontext der Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen, hegemonialen Migrationsdiskursen und Repräsentationen von MigrantInnen. Die postmigrantischen Jugendlichen, also MigrantInnen der zweiten und dritten Generation, die selbst nicht eingewandert sind, stünden, so der dominante Diskurs, zwischen zwei Kulturen und würden sich weder der einen noch der anderen Kultur zugehörig fühlen. Sie seien orientierungslos, weil sie sich zwischen zwei gegensätzlichen und als starre Entitäten aufgefassten Kulturen gefangen sehen. Hinter dieser Vorstellung über postmigrantische Jugendliche als „zerrissene Generation“ verbirgt sich ein national und räumlich fixiertes Kulturverständnis, das nahelegt, sich für die eigene Verortung und identitäre Selbstdefinition geografisch und kulturell auf ein Gebiet festlegen zu müssen (Yildiz 2010) (* 26 ).
Die für diesen Artikel interviewten Musikschaffenden, die beiden Rapper Esref Balkan und Nasihat Kartal und der Sänger iBos, zerstören dieses Kulturverständnis bzw. diese „Utopie der Sesshaftigkeit“ (Yildiz 2010) (* 26 ), indem sie ihren eigenen (Lebens-)Raum – einen „dritten Raum“ (Bhabha 2000) (* 5 ) – entwickeln, in dessen Mittelpunkt HipHop, eine ursprünglich afroamerikanische Jugendkultur, steht. Die translokale kulturelle Praxis des HipHop, bestehend aus den vier Elementen Rap, DJ-ing, Graffiti und Breakdance, ermöglicht, heterogene Bedeutungen unterschiedlicher Kulturen zu integrieren, neue Zugehörigkeiten zu Szenen und ihren Netzwerken zu produzieren und hybride Identitäten zu entwickeln. Die hybriden Identitäten stellen dominante Identitätskonzepte und nationalstaatliche Raumkonzeptionen infrage, weil sie eine „in-between“-Position (Hall 1995) (* 11 ) darstellen. HipHop lässt sich somit als „Arena des symbolischen Widerstands gegen ein essentialistisches Verständnis sozialer Identität“ verstehen und steht in „Kontrast zu stereotypischen Darstellungen von Migrantenjugendlichen“ (Androutsopoulus 2003: 18) (* 2 ).
Als translokale kulturelle Praxis ist HipHop zudem eine ethnische und nationale Grenzen überschreitende Alltagspraxis, die von lokalen und globalen Einflüssen gleichermaßen geprägt ist. Die Globalisierung des HipHop befördert regionale Dialekte und die Wiederentdeckung ethnischer Traditionen, gleichzeitig transportiert HipHop den Gedanken des Lokalen, des Dialekts und der Differenz in die global agierenden Kulturindustrien (Klein/Friedrich 2003) (* 17 ). Die Texte der Rapper, der spezifische Einsatz von Sprache oder die Graffitis an Hauswänden verweisen auf die „Produktion von Lokalität“ (Appadurai 1995) (* 4 ) unter den Bedingungen der kulturellen Globalisierung. Lokalität definiert sich folglich über die Beziehung zur „Global HipHop Nation“ – eine multilinguale, multiethnische „Nation“ mit weltweiter Verbreitung (vgl. Alim 2009) (* 1 ) – sowie über eine geteilte Vorstellung von lokalem Raum. Tony Mitchell (2003) (* 18 ) spricht im Kontext der Globalisierungs- und Lokalisierungsprozesse von HipHop von einem rhizomatischen, diasporischen Fluss der Rapmusik außerhalb der USA, der in die Formierung synkretischer „glokaler Subkulturen“ mündet. Richard A. Peterson und Andy Bennett (2004) (* 20 ) referieren auf den Terminus der Translokalität für die Beschreibung von Musikszenen, die, wie lokale Szenen, auf ein Musikgenre spezialisiert sind und durch den regelmäßigen Austausch mit AkteurInnen in ähnlichen lokal verankerten Szenen und den Aufbau von Netzwerken zu translokalen Szenen werden. Wir beschreiben die kulturelle Praxis der postmigrantischen Rapper in Österreich als translokal, weil sie sich in Wechselwirkung zwischen dem Strom der global verfügbaren HipHop-Diskurse und deren lokaler Aneignung und Adaption entwickelt und von Interaktionen mit AkteurInnen, wie etwa musikalischen Kooperationen, in anderen lokal verankerten HipHop-Szenen geprägt ist.
Wie postmigrantische Rapper in Österreich die globalisierten HipHop-Diskurse in den lokalen Kontext einbetten und variieren und dabei eine eigene, zum Teil widerständige „agency“ entwickeln, die dominante Repräsentationen über postmigrantische Jugendliche zurückweist, illustrieren die folgenden Ausführungen. Im ersten Kapitel werden zunächst die Sprachpraktiken der Rapper anhand einzelner Songs analysiert und die Charakteristika der lokalisierten Variante der „HipHop Linguistics“ beschrieben. Das zweite Kapitel widmet sich der Frage, wie Vorstellungen über eine authentische urbane „street culture“ durch die Identifikation der HipHopper mit ihrem Wiener Heimatbezirk artikuliert werden und rekonstruiert die performative Darstellung einer „Ghetto-Männlichkeit“ in ausgewählten Musikvideos. „HipHop Linguistics“, „street culture“ und „Ghetto-Männlichkeit“ sind, so unsere These, wesentliche Elemente des „dritten Raums“, den die postmigrantischen HipHopper durch ihre translokale kulturelle Praxis produzieren.
Der Artikel basiert neben den erwähnten Interviews auf der Analyse von Rap-Songtexten und Musikvideos sowie Beobachtungen bei Szene-Events.
HipHop Linguistics der postmigrantischen Rapper
Sprache ist das omnipräsente Medium des HipHop, weil sich über das Rappen kulturelle Praktiken ausdrücken und konstituieren und die Rap-Songs mit ihren „Rhymes“ eine spezifische Form der sprachlichen Kreativität verkörpern sowie auf den Wettbewerb der RapperInnen verweisen. Samy H. Alim (2009: 5) (* 1 ) beschreibt die Sprachpraktiken der RapperInnen weltweit als HipHop Linguistics, die in den USA zur Entstehung einer „HipHop Nation Language“ geführt haben und Prozesse der Transformation, Rekonfiguration und Aneignung durchlaufen und in lokalen Kontexten unterschiedliche Ausprägungen erfahren. In die globale Kulturindustrie wird jedoch keine abstrakte Sprache eingespeist, es handelt sich dabei vielmehr um spezifische Sprachformen, -genres und -praktiken der HipHop Linguistics (Alim 2009: 6) (* 1 ). Dass in diese Sprachpraktiken auch widerständige Momente eingelagert sind, zeigt Russell A. Potter in seinem Buch „Spectacular Vernaculars“ (1995) (* 22 ). Er konzipiert afroamerikanische Rap-Songs als „resistance vernacular“, womit er eine Form der widerständigen Minderheitensprache beschreibt, die die Regeln der Intelligibilität der dominanten Sprache verformt und repositioniert. Diese Widerständigkeit scheint vielen Rap-Songs heute durch Misogynie, Sexismen, Homophobie und Gewaltverherrlichung verloren gegangen zu sein. Dennoch, argumentiert Tony Mitchell (2003) (* 18 ), lässt sich der Einsatz von Dialekten und Minderheitensprachen im HipHop in spezifischen lokalen Kontexten als Beispiel für „resistance vernacular“ verstehen. Wie entwickeln nun die postmigrantischen Rapper in Österreich eine lokalisierte Variante der HipHop Linguistics?
Esref Balkan, Nasihat Kartal und iBos verwenden für ihre Songtexte Türkisch und/oder Deutsch bzw. Wienerisch. Dass sie diese Sprachen wählen, lässt sich auf ihre kulturelle Sozialisation in der Kindheit und Jugend zurückführen. Ihre Eltern hören, wie viele MigrantInnen, die Musik ihrer Herkunftsländer im Radio und Fernsehen zu Hause, bei Autofahrten oder Festen, und sie sprechen in der Privatsphäre ihre Muttersprache. Diese Räume, die u.a. durch Sprache und Musikkonsum konstituiert werden, verweisen auf kulturelle Differenz, soziale Grenzen und die geografische Distanz zwischen Österreich und dem Herkunftsland der Eltern, der Türkei. Für Esref Balkan, Mitbegründer der in Wien ansässigen HipHop-Crew Eastblok Family, erlangte zudem der Wiener Dialekt eine besondere Bedeutung, weil sich sein Vater, zusätzlich zu türkischer Volksmusik, auch für österreichische Popmusik interessiert und in den 1970er und 1980er Jahren die Musik von Wolfgang Ambros, Georg Danzer oder Rainhard Fendrich hörte. Die „Austropopper“ bedienen sich des Wiener Dialekts, der Sprache der ArbeiterInnenschicht, die vorrangig in Bezirken wie Favoriten, Simmering, Meidling, Ottakring oder Brigittenau gesprochen wird, in denen heute zunehmend auch MigrantInnen leben. Deutsch bzw. Wienerisch und Türkisch sind die Alltagssprachen der Rapper – diese Multilingualität verweist auf ihr kulturelles Erbe der „parent culture“ sowie auf ihre Sozialisation und ihre gesellschaftliche Position in Österreich. Diese beiden Sprachen nutzt Esref Balkan, um die gewünschten Inhalte und Emotionen in den Rap-Songs zu transportieren:
Wenn ich auf Wienerisch […] rappe, dann kann ich eigentlich das Gleiche sagen, wie wenn ich auf Türkisch rappe, weil ich genauso mit Emotion auf Wienerisch rede […]. Das Wienerische ist einfach dieses Dreckige, dieses Tiefe, dieses ,Heast Oida‘ und so. Wenn ich das auf Hochdeutsch sage, das kommt nicht so rüber, wie ich es sagen will. Für mich ist Wienerisch auf jeden Fall sehr wichtig. (Esref Balkan)
Neben der Kultur der Eltern und der österreichischen Popularkultur waren in der Kindheit und Jugend der Rapper vor allem US-amerikanischer HipHop und später deutsch- und türkischsprachiger Rap aus Deutschland, Letzterer vor allem von Cartel mit dem Lied Türksün (Ich bin Türke), prägend. Durch den Konsum von HipHop konnten Esref Balkan und der in Salzburg lebende Rapper Nasihat Kartal in der Jugend ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Musikszene und eine eigene Sprache entwickeln – eine Körpersprache durch das Breakdancing sowie eine visuelle Sprache durch das Sprayen von Graffitis –, die sie später durch das Verfassen eigener Songtexte und das Rappen erweiterten.
Diese Sprach- und Musiksozialisation durch drei Kulturen – die „parent culture“, die österreichische Popularkultur und die HipHop-Kultur (vgl. Horak 2003: 184) (* 15 ) – ist für die Herstellung eines „dritten Raums“ wesentlich, weil die festgelegten Bedeutungen und die Symbole der türkischen wie der österreichischen Kultur hinterfragt und ein- und dieselben Zeichen neu übersetzt und rehistorisiert werden können (vgl. Bhabha 2000: 57) (* 5 ) sowie die globale HipHop-Kultur in den lokalen Raum eingebettet und variiert werden kann.
Exemplarisch zeigt sich dieser Übersetzungs-, Rehistorisierungs- und Lokalisierungsprozess im Song Unkraut von Esref Balkan, der in Anlehnung an das Austropop-Lied Die Blume aus dem Gemeindebau (1977) von Wolfgang Ambros entstand, jedoch nicht von einer begehrenswerten Frau erzählt, die im kommunalen sozialen Wohnbau der Stadt Wien lebt. Im Song Unkraut (2010) heißt es (Auszug aus den Lyrics):
Heast Hawara ned deppat sein, sei gusch und hoit die Pappn,
weil sonst kumm i mit de Leit und du beruhigst di auf die Gachn,
des is Simmeringer Tiarkn-Rap, jeder in ana Wachn,
oida wüst das ned verstehn oder muass i di erst watschn?
[…]
Mir hobn kane Bluman, sondern Unkraut im Gemeindebau,
und wenn da des ned passt, is ka Problem, donn konnst di schleichen a,
die Zeiten san vorbei, schau mir san do olle versammelt,
wie die Toten am Zentralfriedhof, die Rosn a vergammelt.
[…]
Das Lied thematisiert das Leben und den Kampf um Anerkennung der postmigrantischen HipHopper, die in einem Wiener Gemeindebau in Simmering aufgewachsen sind, als „Unkraut“ beschimpft werden und ihr Territorium verteidigen. Mit dieser inhaltlichen Ausrichtung wird die österreichische Mehrheitsbevölkerung mit der Lebensrealität der postmigrantischen Musiker konfrontiert und die gängige Vorstellung über das Leben der ArbeiterInnenschicht im Gemeindebau infrage gestellt. Die Lebensrealität dieser Jugendlichen ist u.a. geprägt durch individuelle und strukturelle Benachteiligung, Rassismus- und Gewalterfahrungen, denn sie werden – obwohl sie in Österreich geboren sind – aufgrund äußerlicher Erscheinungsmerkmale, ihrer Namen oder sprachlicher Akzente nicht als ÖsterreicherInnen wahrgenommen. Diese Erfahrungen spielen für die Selbstpräsentation und -stilisierung der HipHopper eine bedeutende Rolle. Sie bezeichnen sich als „Türken“, „Ausländer“ und „Kanaken“ und stilisieren sich in ihren Songtexten und Videos als potenziell gewaltbereite junge Männer. Diese Selbstpräsentationen und die, wenngleich überspitzte, Beschreibung ihrer Lebensrealität erlaubt den Rappern „Realness“ und Authentizität zu verkörpern, womit sie einem im HipHop zentralen Motto folgen: „Keeping it real means keeping it culturally local“.
Durch diese Strategien – die Herausforderung der Vorstellungen der Mehrheitsbevölkerung über das Leben im Gemeindebau, die Aneignung von Schimpfwörtern bzw. zugeschriebenen Begriffen und das Ringen um Selbstdefiniton und -bestimmung – entwickeln die Rapper eine lokalisierte Variante der HipHop Linguistics. Sie lässt sich als eine widerständige Alltagssprache verstehen, weil sich die HipHopper am diskursiven Kampf um die Bedeutung von Zeichen und Symbolen beteiligen. Sie produzieren „oppositionelle Codes“ und konstruieren eine „in-between“-Position, „always unsettling the assumptions of one culture from the perspective of another, and thus finding ways of being both the same as and at the same time different from the others amongst whom they live” (Hall 1995: 206). (* 11 )
Wie die Vorstellungen über postmigrantische Rapper auch innerhalb der österreichischen HipHop- und Rap-Szene herausgefordert werden, illustriert das folgende Zitat:
Wenn ich denen [Wiener Rappern, Anm.] was auf Türkisch vorrappen würde, würden sie sagen, was ist das für ein Blödsinn. Ich solle mich schleichen, sie verstehen nichts. Ja, das ist so. Du musst der Wahrheit ins Auge sehen. Das ist einfach so. […] Aber das sorgt auch ein bisschen für Aufmerksamkeit, wenn ein Türke Wienerisch rappt. Oder, wenn sich dann Wiener Rapper denken: Oida, a Türk rappt auf Wienerisch!? Bist du deppat, wo gibt es denn so was? (lacht) (Esref Balkan)
Durch die Veröffentlichung von deutsch- und türkischsprachigen Rap-Songs werden dominante Vorstellungen über postmigrantische Identitäten infrage gestellt, die davon ausgehen, entweder ÖsterreicherIn oder Türke/Türkin sein zu müssen und demzufolge eben nur eine Sprache für Songtexte zu verwenden. Den Hintergrund dieser Vorurteile bilden hegemoniale politische und mediale Diskurse über (Post-)MigrantInnen und das diesen Diskursen zugrunde liegende nationale und räumlich fixierte Kulturverständnis.
Vorurteile und dominante Annahmen über migrantische Identitäten werden aber auch durch die Thematisierung von erlebten Rassismen zurückgewiesen. Dieses Moment der kulturellen Politik der lokalisierten HipHop-Linguistics verweist auf den US-amerikanischen HipHop-Ursprung in der Bronx. Nasihat Kartal orientiert sich in doppelter Hinsicht an diesem Ursprung, indem er sich sowohl mit den musikalischen, stilistischen und sprachlichen Aspekten der HipHop-Kultur identifiziert, als auch mit der Widerständigkeit der RapperInnen gegen rassistische Politik:
Die ersten Rapper in Amerika waren unterdrückte Menschen. […] Das war wahrscheinlich ein Grund, warum diese schwarzen Menschen angefangen haben zu rappen. Sie haben über die Probleme, die Ghettos usw. gerappt. Wenn du als Migrant in Österreich lebst, egal ob du da geboren bist oder nicht, erlebst du automatisch Rassismus. Das ist so. Obwohl ich in Salzburg geboren bin, mein Leben lang schon in Salzburg lebe, erlebe ich heute noch Rassismus. […] Wenn du so was erlebst, das ist ein Problem und automatisch sprichst du das auch in deinen Texten an. (Nasihat Kartal)
Die Rassismuserfahrungen werden in türkischer und/oder deutscher Sprache bzw. im lokalen Dialekt sowie durch die Übernahme von US-amerikanischen Slangwörtern wie „cop“, „bitch“ oder „motherfucker“ vermittelt, wie etwa in den Rap-Songs F.D.P. – Fick die Polizei von der HipHop-Formation Bludzbrüder, Unkraut von Esref Balkan oder Simsalabimbo von Azman und Noli.
Diesen Mix aus Türkisch, Deutsch und amerikanischem Englisch beschreibt Ayhan Kaya in seiner Studie über die türkische HipHop-Kultur in Berlin als „a verbal celebration of ghetto multiculturalism, twisting German, Turkish and American slang in resistance to the official language“ (Kaya 2001: 147; zit. n. Pennycook/Mitchell 2009: 36) (* 19 ). Mit diesen Songs schreiben sich die Rapper in die bereits vorhandene Geschichte über HipHop ein, gleichzeitig stellt die lokalisierte Variante der HipHop Linguistics die globale Dominanz des englischsprachigen HipHop infrage, weil sie letzteren mit bereits existierenden lokalen Elementen der österreichischen Popularkultur wie etwa der Austropop-Tradition und Elementen der „parent culture“ verweben. Letzteres zeigt sich in der kritischen Auseinandersetzung mit der Migrationsgeschichte und der Kultur der Elterngeneration, die seit den 1960er Jahren nach Österreich kam. Im Lied HİÇ BİR NASİHAT VEREN YOKMU nimmt Nasihat Kartal eine kritische Haltung gegenüber MigrantInnen mit mangelnder deutscher Sprachkompetenz ein, die er auf ihre Lebenseinstellung zurückführt:
HİÇ BİR NASİHAT VEREN YOKMU
(Auszug aus den Lyrics, Übersetzung aus dem Türkischen von Nasihat Kartal)
[…]
mein Thema sind die Gastarbeiter, also geht es um uns alle/
deshalb werde ich in der WIR Form sprechen/
es war einmal, es war kein mal/
wenn wir zurückblicken, also in die 1960er/
kommen wir in einer schwierigen Zeit an/
wo unser Platz nicht klar war/
putzen, Geschirr abwaschen waren unsere ersten Jobs/
der Plan war klar; Geld verdienen und in die Heimat zurückkehren/
mittlerweile sind ca. 40 Jahre verstrichen/
wir träumen noch immer vom Zurückkehren/
[…]
Nasihat Kartal beschreibt das Leben der „FremdarbeiterInnen“ in Österreich und ihre Vorstellung, mit dem verdienten Geld wieder in das Ursprungsland zurückzukehren; den Erwerb fundierter Deutschkenntnisse erachteten viele aus dieser Generation von MigrantInnen als zweitrangig. Der im Rap-Song vermittelte Lebensstil der Elterngeneration referiert auf die reale Erfahrung der befragten Postmigranten. Der in Wien lebende Sänger iBos, der mit unterschiedlichen HipHop-Formationen in Wien wie Sua Kaan, Bludzbrüder oder Weisssgold kooperiert, thematisiert diese Erlebnisse und sein Bestreben, nicht aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse diskriminiert werden zu wollen:
Ich habe mir mit meiner Sprache sehr viel Mühe gegeben, weil ich das mitbekommen habe, wie meine Mutter und mein Vater wegen ihrem Akzent und wegen ihrer Grammatikfehler ausgegrenzt worden sind. (iBos)
Der „dritte Raum“, den die Rapper durch die Entwicklung einer lokalisierten Variante der HipHop Linguistics produzieren, erlaubt es, eine kritische Position gegenüber der ersten Generation von MigrantInnen, der Elterngeneration, und deren Vorstellungen über (Arbeits-)Migration und die Rückkehr in ihr Ursprungsland einzunehmen. Wesentliche Elemente für den „dritten Raum“ bzw. die „in-between“-Position der postmigrantischen HipHopper sind zudem die Vorstellung von HipHop als authentische „street culture“ und die Entwicklung einer spezifischen Form von Männlichkeit. Beides wird in zahlreichen Videos der Rapper deutlich.
HipHop als authentische „Street Culture“
Die Rapper thematisieren in ihren Songs häufig ihre Erfahrungen als Postmigranten in Wien. Als Kulisse werden in den Videos die im HipHop verbreiteten städtischen Klischeebilder eingesetzt, wie etwa Rapper auf Hochhäusern, auf Straßen, in eingezäunten Sportplätzen, verlassenen Parks oder vor Graffiti-Wänden. Diese Kulissen rufen eine globale kollektive Identität des HipHop wach, sie sind aber auch „ein Ausstattungsmerkmal, ein theatrales Mittel, um lokale Identität herzustellen und den Glauben an Authentizität zu befördern“ (Klein/Friedrich 2003: 87) (* 17 ). Ein zentrales Referenzsystem der Wiener Rapper ist der Verweis auf die Bezirke, in denen sie leben. Der Name der HipHop-Formation Stonepark 12 beispielsweise referiert auf einen Park im zwölften Wiener Gemeindebezirk Meidling, der Rap-Song WIEN10 von R-KAN lässt sich als „Hymne“ auf seinen Lebensraum, den zehnten Wiener Gemeindebezirk Favoriten, verstehen. In zahlreichen Videos stehen die Rapper auf einem Hochhaus oder sie gehen durch die Parks und Straßen von Meidling, Ottakring oder Brigittenau, wobei der Bezirk als multikulturelle und multilinguale Heimat porträtiert wird, wie etwa im Song Selam von Mevlut Khan (Refrain):
Selam aleikum, ich bin Mevlut Khan,
1988 geboren in OTK [Ottakring, Anm.].
Seit dem ersten Tag leb ich mit Kupos,
Türken, Albanern, Arabern und Jugos.
Ich hab noch nie einen Bruder verraten,
deshalb schätzen mich viele auf diesen Straßen.
Das ist mein Tagebuch, meine Geschichte,
all diese Droogs [друг, russischer Begriff für Freund, Anm.] erleben, was ich berichte.
Auf die Identifikation der Rapper mit einem bestimmten Stadtgebiet verweist auch Rupa Huq (2003) (* 16 ) in ihrer Studie über französischen HipHop. Sie untersucht dieses Phänomen in den Banlieues, den verarmten Vororten von Paris. Die Rapper, afrikanische Franzosen und Französinnen der zweiten Generation, sind stolz auf die Banlieues und ihre geografische Verortung im städtischen Raum, denn das Bild von Banlieues als verarmt und „gefährlich“ vermittelt Originalität und Authentizität. Im Unterschied zu US-amerikanischen urbanen Ballungsräumen, in denen People of Colour die „street culture“ des HipHop in der Innenstadt entwickelten, sind es in Paris oder London die Außenbezirke und Vororte, in denen sich MigrantInnen ansiedeln.
In Wien lässt sich die „soziale Geographie“ (Rommelspacher 1995) (* 23 ), die über die Trennung der Lebenssphären von MigrantInnen und Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft hergestellt wird, auf die häufig anzutreffende Verweigerung von HausbesitzerInnen, ihre Wohnungen an MigrantInnen zu vermieten, zurückführen sowie auf die bis 2006 für den kommunalen Wohnbau der Stadt Wien geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen, die es MigrantInnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft verunmöglichten, Gemeindewohnungen zu mieten. Die Identifikation der HipHopper mit ihrem Heimatbezirk ist aber nicht nur ein Ergebnis der „sozialen Geographie“ Wiens, sie korrespondiert auch mit den Erfahrungen der Musiker, die der Sänger iBos im folgenden Zitat pointiert ausdrückt:
Dadurch, dass wir hier Ausländer sind, ist es nicht wirklich unser Österreich. Kein Türke wird sich mit ,mein Österreich‘ brüsten. Dafür wurden wir schon viel zu oft und viel zu lange von anderen Österreichern als Kanaken [beschimpft]. (iBos)
An die Stelle der Identifikation mit Österreich tritt jene mit dem Bezirk, die iBos als „Kompensation“ beschreibt:
Dadurch, dass wir keinen nationalen Stolz erleben und leben konnten oder durften und die Türkei schon lange nicht mehr unser Vaterland ist, haben wir kompensiert, indem wir unsere Bezirke zu unserer Heimat gemacht haben. Der 20. Bezirk, das ist mein Bezirk. (iBos)
Die Identifikation mit ihrem Heimatbezirk steht zudem vor dem Hintergrund, dass viele der postmigrantischen HipHopper in beengten Wohnsituationen aufgewachsen sind, die ihnen kaum Raum für die Entfaltung einer Privatsphäre ermöglichten. Eine für männliche Jugendliche idealtypische Reaktion auf diese Wohnsituation ist es, den öffentlichen Raum, die Straße und die Parks, für ihre Freizeitaktivitäten zu nutzen. Es verwundert daher kaum, dass die HipHopper in vielen Videos ihre Sozialisation und ihre Erfahrungen von Ausgrenzung und Rassismus mit der Identifikation mit ihrem Heimatbezirk verweben. Als Blaupause für dieses dichte Gewebe zur geografischen und identitären Selbstverortung dient häufig der US-amerikanische Gangsta- und Street-Rap, wobei der Bezirk als „Ghetto“ stilisiert wird und Themen wie (Polizei-)Gewalt, Geld und Drogen verhandelt werden. Diese Videos zielen darauf ab, eine lokalisierte Variante der authentischen urbanen Straßenkultur zu produzieren. Sie transportieren aber auch eine spezifische Ausprägung von Männlichkeit – eine „Ghetto-Männlichkeit“.
Männlichkeit, halten Raewyn Connell und James W. Messerschmidt (2005) (* 9 ) fest, wird über die soziale Produktion von Relationen zu Weiblichkeit einerseits und zu anderen Männlichkeiten andererseits hergestellt, und sie erlangt durch die hierarchische Anordnung dieser Relationen ihre gesellschaftliche Bedeutung und Wirkmächtigkeit. In den Videos der postmigrantischen Rapper wird „Ghetto-Männlichkeit“ mit spezifischen Eigenschaften verbunden, durch die sich die HipHopper sowohl von Weiblichkeit als auch von anderen Männlichkeiten, vor allem homosexueller, abgrenzen. Exemplarisch zeigt sich die Verbindung der „Ghetto-Männlichkeit“ mit Stärke, Härte und Durchsetzungsvermögen sowie die Abgrenzung von homosexueller Männlichkeit im Videoclip zum Rap-Song Balkanaken von Platinum Tongue und Mevlut Khan. Die HipHopper sind mit Schlagstöcken und einem Kampfhund zu sehen, sie machen symbolisch Gebrauch von Schusswaffen und rappen die Textzeilen „Pass gut auf, wenn du in meinen Block musst, Ottakringer Straße – klick, klack, Kopfschuss“ und „Das sind Raps von der Straße, Raps von den Parks, Raps von den Ausländern. Das ist kein Rap von Homo-Tunten, sondern Rap von Draufgängern“. Der Einsatz dieser aggressiven visuellen Stilmittel lässt sich als eine „kämpferische“ Behauptung der gesellschaftlichen Position als Postmigranten in Österreich verstehen, die textliche Referenz auf den Bezirk als symbolische Aneignung und Verteidigung jenes Territoriums, das sie als ihre Heimat definieren.
Diese translokale kulturelle Praxis des HipHop im Allgemeinen und des Gangsta- und Street-Rap im Besonderen verweist auf Kompetitivität, einen zentralen Modus zur Konstruktion von Männlichkeit (vgl. Heilmann 2011). (* 12 ) Das Ritual des Wettbewerbs, das sich in den „Battles“ der HipHopper wie in den Rap-Songs selbst manifestiert, erfüllt dabei eine doppelte Funktion: Es bringt die Rapper in Konkurrenz und positioniert sie in hierarchischen Relationen zueinander, gleichzeitig zieht der Wettbewerb eine homosoziale Vergemeinschaftung nach sich. Verstärkt wird diese homosoziale Vergemeinschaftung der Rapper durch die Verbindung der „Ghetto-Männlichkeit“ mit einem Ehrenkodex, der sich über „Respekt“ und die Absage an den „Verrat“ ausdrückt. Im Interview beschreibt Esref Balkan diesen Ehrenkodex mit dem Begriff „street credibility“:
Street credibility ist das Leben auf der Straße, die Regeln auf der Straße, wie man sich zu verhalten hat, was man alles machen darf, was man für Risiken eingeht, worauf man achten muss. Die größten Sachen auf der Straße sind Verrat und Respekt. Man darf niemanden verraten und man muss versuchen, Respekt zu zeigen. Man muss der Straße Respekt zeigen. Auf der Straße, so dumm es auch klingt, herrschen andere Regeln. (Esref Balkan)
Dass die Straße als öffentlicher Raum für die authentische performative Darstellung der „Ghetto-Männlichkeit“ wahrgenommen wird, spiegelt sich auch in den Rap-Texten und -Videos wider. Dem gängigen Gangsta- und Street-Rap-Klischee folgend sind Frauen in den Videos entweder abwesend oder sie nehmen die Position der Tänzerinnen in sexualisiertem Outfit ein, in den Texten werden sie häufig abwertend als „bitches“ oder „pussies“ bezeichnet. „Street credibility“ wird folglich männlichen HipHoppern zugeschrieben, die dieses „subkulturelle Kapital“ (Thornton 1996) (* 25 ) verkörpern und in den Videos gemeinsam mit ihren Crews durch ihre Song-Texte und ihren Habitus zur Aufführung bringen.
Die Crew dient den HipHoppern als eine lokale Ressource für Identitätsbildung und die Absicherung der „Ghetto-Männlichkeit“, denn innerhalb der Crew sind Zusammenhalt und „Respekt“ zentrale Werte. Als eine neue Form der Familie stellt die Crew ein Unterstützungssystem dar, sie ist geformt durch interkulturelle Verbindungen, die, wie bei Banden und Gangs, Unterstützung in einer komplexen sozialen Umgebung gewährleistet (Rose 1994: 34) (* 24 ). Die Crew, die Zugehörigkeit zu dieser und ihre Werte, werden in den Videos performativ inszeniert, in den Rap-Songs thematisiert und sie spielen im realen Leben der HipHopper eine wesentliche Rolle.
Viele retten ihr Leben mit HipHop. Viele werden mit HipHop von der Straße geholt, wo einer z.B. richtig am Abkacken ist, weil er Drogen vercheckt oder keine gescheiten Freunde hat. […] Da gibt es einen kleinen Jungen […], den ich von der Straße hergeholt habe. Er gehört jetzt zu uns. Wir nennen ihn Adoptivkind. (Esref Balkan)
Als „posttraditionale Form der Vergemeinschaftung“ (vgl. Hitzler et al. 2005 (* 13 ); Pfadenhauer 2011 (* 21 )) reagiert die Crew auf gesellschaftliche Individualisierungsprozesse und agiert als soziales Netzwerk, indem sie u.a. postmigrantische junge Männer aus problematischen sozialen Kontexten in die lokale HipHop-Kultur eingliedert. Im Unterschied zur Selbstorganisation der ersten Generation von MigrantInnen, die Ljubomir Bratic (2001) (* 6 ) als „Defensivorganisation“ beschreibt, die sich in der Gründung von Kulturvereinen, Sport- und ArbeiterInnen-Clubs manifestiert und primär auf die Aufrechterhaltung der Volkstraditionen des Herkunftslandes und die Pflege der Muttersprache abstellt, basiert die Zugehörigkeit zu einer Crew nicht auf diesen traditionell üblichen Bindungen und Verpflichtungen. Die Crews der befragten postmigrantischen HipHopper resultieren aus der Übersetzung der männlich konnotierten Werte der globalisierten HipHop-Kultur in den lokalen Raum und der als „richtig“ erachteten Verhaltensweisen wie die Einhaltung der „street credibility“. Neben diesen Werten und Verhaltenskodizes wird innerhalb der Crew zudem ein Konglomerat aus Wissen und Techniken durch die globale HipHop-Kultur und die lokale HipHop-Szene vermittelt. Diese Kompetenzen sind Bestandteil des Alltagswissens der Crew-Mitglieder und haben vorrangig innerhalb der HipHop-Szene ihre Nützlichkeit. Sie können teilweise aber auch außerhalb der Szene, im Alltag der Rapper eingesetzt werden. Die von Esref Balkan mitbegründete Crew Eastblok Family besteht aus Mitgliedern mit unterschiedlichen Migrationshintergründen. Diese heterogene Zusammensetzung erlaubt es, Wissen über die jeweiligen Herkunftsländer der Eltern zu vermitteln:
Natürlich versucht man, ein bisschen Geschichte beizubringen, wenn jemand was wissen will. Dann versucht man […] ihm weiterzuhelfen, was damals in der Türkei oder […] den ex-jugoslawischen Ländern oder Rumänien und so los war. (Esref Balkan)
Crews fungieren für die postmigrantischen HipHopper als „affinity spaces“ (Gee 2004) (* 10 ), weil sie als informelle Lernorte für den Austausch und die Akkumulation von Informationen, Wissen oder kulturellen Artefakten genutzt werden. Unsere Interviewpartner erwähnten, dass einige HipHopper durch das Verfassen von Rap-Texten ihre Deutschkenntnisse verbessern und u.a. auch detaillierte Einblicke in die Musikproduktion erhalten. Kompetenzen wie diese werden über Face-to-Face-Interaktionen innerhalb der jeweiligen Crew, aber auch durch Kooperationen mit anderen Crews weitergegeben.
Die „Ghetto-Männlichkeit“ der postmigrantischen Rapper, die mit den Songs und Videoclips über die Inszenierung von „street credibility“, Härte und Durchsetzungsvermögen sowie die Abwertung von Weiblichkeit und homosexueller Männlichkeit transportiert wird, korrespondiert jedoch nur in Ansätzen mit dem idealisierten Bild erfolgreicher „hegemonialer Männlichkeit“ (Connell 2000) (* 8 ) in unserer Gesellschaft. Die hierarchischen Relationen gegenüber Weiblichkeit einerseits und homosexueller Männlichkeit andererseits bewirken, dass sich bestimmte Formen von Männlichkeit als hegemonial konstituieren, während durch gesellschaftliche Kategorien wie Ethnizität, Schichtzugehörigkeit oder Sexualität abweichende Männlichkeiten untergeordnet und marginalisiert werden. Das bedeutet, dass der migrantische Hintergrund, die Schichtzugehörigkeit und die Rassismus-Erfahrungen der postmigrantischen Rapper eine Inszenierung von „hegemonialer Männlichkeit“ verhindern. Vor diesem Hintergrund lässt sich die „Ghetto-Männlichkeit“ als integraler Bestandteil des „dritten Raums“ bzw. der „in-between“-Position der postmigrantischen Rapper verstehen.
Fazit
Am Beispiel der HipHopper der zweiten Generation türkischer MigrantInnen in Österreich diskutierten wir in diesem Artikel, wie postmigrantische männliche Musikschaffende die global zirkulierende HipHop-Kultur in den lokalen Raum übersetzen und einen „dritten Raum“ mit ihrer translokalen kulturellen Praxis hervorbringen. Diese Praxis der HipHopper verweist auf das Spannungsverhältnis von Rassismuserfahrungen, hegemonialen Migrationsdiskursen und Repräsentationen von MigrantInnen einerseits und die Versuche einer selbstbestimmten räumlichen Verortung und identitären Selbstdefinition andererseits. Unsere Ausführungen zeigten, dass sich die Produktion eines „dritten Raums“ als einer dieser Versuche verstehen lässt, weil dieser „dritte Raum“ es den HipHoppern erlaubt, die dominante Vorstellung von PostmigrantInnen als „zerrissene Generation“ zurückzuweisen. Die HipHopper nehmen durch die Entwicklung einer lokalisierten Variante der HipHop Linguistics, die Identifikation mit einem Wiener Bezirk und die Inszenierung einer „Ghetto-Männlichkeit“ eine gesellschaftliche Position ein, die eine Thematisierung hegemonialer Diskurse sowie die Einübung männlicher Verhaltensmuster und die Akkumulation von Wissen ermöglicht.
Gleichzeitig werden in einigen Rap-Songs und -Videos sexistische, misogyne und homophobe Einstellungen glorifiziert und die postmigrantischen HipHopper stilisieren sich als potenziell gewaltbereite junge Männer. Diese visuellen und sprachlichen Inszenierungen einer „Ghetto-Männlichkeit“, wie etwa im Video zu Balkanaken von Platinum Tongue und Mevlut Khan, zogen die Aufmerksamkeit einzelner österreichischer Medien und rechtspopulistischer Politiker auf sich mit dem Ergebnis, dass Zeitungsberichte wie „Sogenannte ,Gangsta Rapper‘ aus dem Ausländermilieu sind Gefahr für unsere Jugend“ (vgl. APA OTS-Presseaussendung 2008) (* 3 ) für eine Neuauflage der „moral panic“ (Cohen 2004) (* 7 ) sorgten, in deren Mittelpunkt die migrantische Herkunft der Rapper steht.
Im Unterschied zu diesen medialen und politischen Diskursen, die den Lebensalltag der postmigrantischen Generation in Österreich ignorieren, verstehen wir die Übersetzung des Gangsta- und Street-Rap in den lokalen Raum und die Darstellung einer „Ghetto-Männlichkeit“ als eine – wenngleich ambivalente – Auseinandersetzung mit der „Dominanzkultur“ (Rommelspacher 1995) (* 23 ) der österreichischen Mehrheitsgesellschaft und ihrer hegemonialen Werte und weniger als einen pathologischen Standpunkt gewaltbereiter postmigrantischer HipHopper (vgl. hooks 1994) (* 14 ). Denn die zentrale Frage, die sich letztlich stellt, ist, wie die ungleiche Verteilung von Ressourcen und Rechten zwischen MigrantInnen und MehrheitsösterreicherInnen und die daraus resultierenden ungleich verteilten Möglichkeiten zur ökonomischen, sozialen und kulturellen Teilhabe an unserer Gesellschaft aufgehoben werden kann.
Wir danken iBos, Esref Balkan und Nasihat Kartal für die Interviews.
This research has been supported as part of the „Popular Music Heritage, Cultural Memory and Cultural Identity“ (POPID) project by the HERA Joint Research Programme (www.heranet.info) which is co-funded by AHRC, AKA, DASTI, ETF, FNR, FWF, HAZU, IRCHSS, MHEST, NWO, RANNIS, RCN, VR and The European Community FP7 2007-2013, under the Socio-economic Sciences and Humanities programme.
Rosa Reitsamer, Rainer Prokop ( 2013): HipHop Linguistics, Street Culture und Ghetto-Männlichkeit. Zur Bedeutung von postmigrantischem HipHop in Österreich. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/hiphop-linguistics-street-culture-und-ghetto-mannlichkeit/