Exzess der Vermittlung – und wie viel davon vertragen welche BesucherInnen?

Artikel von Maximiliane Buchner, Glossarbeiträge von Marlies Berger, Maximiliane Buchner, Andrea Kurz und Manuela Seethaler – Studierende der praxisorientierten Lehrveranstaltung „Exzess der Vermittlung“ – Lehrende Luise Reitstätter

Diskurs und Institution

Andrea Kurz

Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff ‚Diskurs‘ „Einheiten und Formen geordneter Rede“, bezieht sich auf die „favorisierten Wissensformen in einer Gesellschaft“ und schließt alles mit ein, was zu einem bestimmten Objekt oder Wissensgebiet „denkbar und sagbar ist und was nicht“. Der Diskurs-Begriff repräsentiert die Verselbstständigung und Eigendynamik semantischer und kultureller Prozesse und bildet Macht-Wissenskomplexe (sog. Dispositive), die in einem Netz aus Institutionen, Programmatiken und materiellen Architekturen verwoben sind (Bublitz 2010: 35).star (*17) Für die Kunstvermittlung definiert Carmen Mörsch (2009: 9-13)star (*18) vier Diskurse: den affirmativen (für eine von vornherein interessierte Öffentlichkeit, von autorisierten Sprecherinnen der Institution durchgeführt), den reproduktiven (das Publikum von morgen heranbildenden), den dekonstruktiven (mit institutionskritischem Anspruch) und den transformativen (Ausstellungsorte und Museen als veränderbare Organisationen). In der Vermittlungspraxis wird meist eine Kombination der vier Diskursarten angewendet. So fließen z.B. auch affirmative und reproduktive Teile in eine dekonstruktive oder transformative Vermittlung ein, indem etwa bei Verwendung von konservativeren akademischen Vermittlungsmethoden gleichzeitig Kritikfähigkeit und Selbstreflektion gefördert wird. Die vier Diskurse der (Kunst-)Vermittlung verweisen somit auf unterschiedliche und sich überlagernde Bildungsbegriffe. Im Museum finden Kommunikation, Erziehung und Bildungsprozesse der BetrachterInnen durch die Artefakte selbst sowie durch Erinnern und Wahrnehmen statt (Yi 2013: 223).star (*19)

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Führung im Museum der Moderne Mönchsberg, Salzburg, Foto Manuela Seethaler

Damit erfolgt Bildung im Museum grundsätzlich auf drei Ebenen: Der thematisierten Wirklichkeit, der Materialität der Artefakte und der Ebene der BetrachterInnen (ebd. 222,star (*19) Klein 2004: 52star (*20)). Im Sinne der Besucherentwicklung soll die Besucherin bzw. der Besucher „durch den Einsatz verschiedener Maßnahmen der Kunstvermittlung im Ende seines Museumsaufenthalts etwas entdeckt oder verstanden“ haben, „das ihm vor dem Besuch noch nicht oder nur in geringerem Maße geläufig war; er ist im Idealfall emotional und kognitiv berührt worden und sein Wissen, seine Einstellung, seine Persönlichkeit etc. haben sich weiterentwickelt.“ (Hausmann/Frenzel 2014: 3)star (*21) Da Kunstvermittlung immer im Kontext ihrer Organisation und derer jeweiligen Zielen erfolgt, ist sie stets objektangemessen und sammlungsspezifisch ausgerichtet (ebd.: 1).star (*21) Zudem findet Kunstvermittlung immer innerhalb einer Institution statt und kann deswegen nur in Relation zu dieser entworfen werden (Mörsch 2009: 33).star (*18) So ist z.B. die Vermittlung auf der „ORF Langen Nacht der Museen“ generell auf ein sehr breites Publikum ohne Vorbildung ausgerichtet, wohingegen auf der VIENNA ART WEEK ein explizites Fachpublikum angesprochen wird. Institutionen beeinflussen somit immer die Art und Weise der Vermittlung und Verbreitung von Kunst und Kultur, wobei das Museum als der archetypische Vermittlungsort für repräsentatives Zeigen (Übung, Darstellung, Aufforderung und Rückmeldung; Yi 2013: 224)star (*19) gilt. Begreift man die Ausstellungspraxis als repräsentatives Zeigen, ist es notwendig den Prozess der Ausstellung auf seine Vermittlung hin zu reflektieren. Hierfür muss die „pädagogische Grundentscheidung“ getroffen werden, „welche bedeutenden Artefakte für die Repräsentation ausgewählt werden sollten, wie diese kommunikativ repräsentiert werden sollten und auf welche Weise dies für die Betrachter motivationsstiftend geschehen sollte“ (ebd. 225).star (*19) Nach Michel Foucault handelt es sich beim Diskurs um „durch Regeln geleitete Praktiken und historisch gegebene Wissensformen, die das kulturelle Archiv einer Gesellschaft oder Epoche bilden“, womit er zum „Schauplatz historischer Machtspiele“ wird (Bublitz 2010: 35).star (*17) In der Praxis sind Diskurs, Kunstvermittlung und Institution dicht miteinander verwoben und beeinflussen sich gegenseitig: Der Diskurs bezeichnet alles, was über eine Sache (ein Kunstwerk, eine Epoche, etc.) gedacht und gesagt werden kann, und bedingt gleichzeitig, wie sie vermittelt wird; die Institution (Museum, Galerie, etc.) gibt die Art der Vermittlung vor und wirkt sich wiederum auf den Diskurs aus.

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Wikipedia-Eintrag „Lange Nacht der Museen“. Online unter http://de.wikipedia.org/wiki/Lange_Nacht_der_Museen (02.03.2015).

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Lange Nacht der Museen erlebte Besucheransturm; Vienna online 07.10.2012. Online unter http://www.vienna.at/lange-nacht-der-museen-2012-erlebte-grossen-besucheransturm/3377414 (02.03.2015).

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Booklet der ORF Langen Nacht der Museen 2014

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Presseaussendung Vienna Art Week vom 26.05.2014

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Vienna Art Week: Kunstmarathon startet wieder, ORF.at vom 17.11.2014. Online unter http://wien.orf.at/news/stories/2679688/ (02.03.2015).

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Harrasser, Doris u.a. (2011): Wissen Spielen. Untersuchungen zur Wissensaneignung von Kindern im Museum. Bielefeld: transcript Verlag, S. 274.

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Klein, Hans-Joachim/Bachmayer, Monika (1981): Museum und Öffentlichkeit. Fakten und Daten – Motive und Barrieren. Berliner Schriften zur Museumskunde Band 2. Berlin.

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Hünnekens, Ludger: Weiterbildung. Schwerpunkt-Interview: Kunst verstehen lernen. Interview mit Ludger Hünnekens, ehemaliger Direktor des Museums Frieder Burda, 6/2012. Online unter http://www.personalwirtschaft.de/media/Personalwirtschaft_neu_161209/Produktfamilie/Weiterbildung/Aktuelle%20Ausgabe/Leseproben/WB_0612/126_Interview_H%C3%BCnnekens.pdf (01.03.2015).

Maximiliane Buchner ( 2015): Exzess der Vermittlung – und wie viel davon vertragen welche BesucherInnen?. Artikel von Maximiliane Buchner, Glossarbeiträge von Marlies Berger, Maximiliane Buchner, Andrea Kurz und Manuela Seethaler – Studierende der praxisorientierten Lehrveranstaltung „Exzess der Vermittlung“ – Lehrende Luise Reitstätter. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 06 , https://www.p-art-icipate.net/exzess-der-vermittlung-und-wie-viel-davon-vertragen-welche-besucherinnen/