ENJOY JAZZ

Internationales FESTIVAL für Jazz und Anderes // Daten & Fakten

 

Rainer Kern
© SL

Ausschließlich mittels Sponsorengelder wurde 1999 wahrscheinlich das erfolgreichste europäische Jazzfestival gegründet. Über die Entstehungsphase des Festivals, Erfolgsfaktoren wie Konsistenz und Verlässlichkeit, aber auch die Herausforderung, Zielgruppen exakt anzusprechen, spricht Rainer Kern, der als zentrale Kompetenzen für die Initiierung von Kulturkonzepten “einen langen Atem“ sowie das Festhalten an den eigenen Ideen ansieht.

Das Enjoy Jazz Festival führt den Untertitel „Festival für Jazz und Anderes“. Wie kam es zu diesem Titel und wofür steht er?

Der Titel drückt meine Überzeugung aus, dass die Musikrichtung Jazz die wichtigste der letzten 100 Jahre ist und vieles beeinflusst hat. Um dieser Tiefe des Eindringens in die Kunst- und die gesellschaftlichen Entwicklungen gerecht zu werden, wollte ich es mir von Start an offen lassen, nicht nur reine Jazzthemen, die im Musikladen unter Jazztiteln eingereiht sind, zu präsentieren, sondern auch jene, von denen ich der Meinung bin, dass sie im Umfeld von Jazz, in seinem Kontext, wichtig sind.

„Anderes“ steht somit für den Kontext von Jazz?
Ja, für jene Musik, die im Kontext von Jazz eingeordnet werden kann.

Und wie kam es zu dem programmatischen Titel Enjoy Jazz?
Als ich 1999 die Idee hatte, dieses Festival zu begründen, hatte ich für mich beschlossen, keine öffentlichen Gelder zu beantragen. Ich war damals schon viele Jahre im Kulturbereich tätig, war in zahlreichen Gremien vertreten und mit der Kulturpolitik vertraut. Da werden täglich zig Anfragen eingereicht und ich dachte mir, dann bin ich mit meiner Festivalidee halt einfach der Nächste. Daher war meine Idee immer: Einen Sponsor zu finden und mit ihm gemeinsam das erste Festival realisieren, um dann zu schauen, wie sich alles weiterentwickelt. 1999 hat SAP – mit Sitz in Heidelberg – ihr lokales Sponsoring im Zuge einer Weiterentwicklung ihrer Unternehmenskommunikationsstrategie neu positioniert. Ich las damals in der Zeitung, dass es ab nun die Möglichkeit gäbe, sich bei SAP zweimal jährlich für Sponsoring zu bewerben. Das habe ich gemacht. Am letzten möglichen Tag der Einreichung habe ich noch ein Fax mit dem Konzept zu SAP geschickt.

Also im letzten Moment – warum so spät?
Nun, ich wusste schlicht nicht, wie ich dieses Festival nennen sollte. Denn nur „Jazzfestival“ – das hätte nicht gereicht. Ich hatte Glück bzw. passierte etwas Witziges: Am Tag vor Ende der Einreichfrist fuhr ich im Auto und hörte SWR2 Radio. Es lief gerade eine Wirtschaftssendung zu SAP. Der Inhalt des Berichtes war, dass SAP den in der Mitte der 90er-Jahre aufgekommenen und gerade wachsenden Internetboom fast verschlafen hätte. Deshalb hatte die SAP eine neue Marketingkampagne aufgesetzt, um die Modernisierung und Internettauglichkeit ihrer Software und ihres Konzerns verstärkt publik zu machen. Diese Software hieß bzw. heißt R3. Und der Slogan der Kampagne lautete: Enjoy R3. Als ich das hörte, dachte ich: Das klingt gut – Enjoy Jazz! Das passt zum Sponsor, den ich ansprechen will, drückt aber vor allem auch das aus, worum es mir bei der Konzeption des Festivals ging: Jazz soll Freude machen und nicht – wie oft angenommen – Anstrengung bedeuten.

… und SAP fand diese Idee gut?
Ja. Wir haben dann das erste Festival mit einer Finanzierung von 30.000 DM durch SAP gestartet. Danach – vor allem in den beiden Folgejahren – wurde diese Kooperation mit SAP ausgedehnt, es kamen neue und weitere Sponsoren dazu und erst nach einigen Jahren habe ich mich dann auch an öffentliche Stellen gewandt.

… also zu 100 Prozent aus Sponsorengeldern erstfinanziert? Erstaunlich. Wie sieht die Einnahmenverteilung heute aus?
Heute haben wir zu ca. 60 Prozent private Sponsoren, also Einnahmen durch Unterstützung bzw. Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, etwa 30 Prozent öffentliches Geld und der Rest sind Einnahmen über den Ticketverkauf.

… weiterhin 60 Prozent Einnahmen über Sponsoren! Das ist unglaublich!
Ja, und das mag darin begründet sein, dass wir Sponsoring tatsächlich als Partnerschaft verstehen und nicht als reine Geschäftsbeziehung. Wir beziehen den Partner in die Entwicklung des Festivals mit ein, wir tauschen gegenseitig Kompetenzen aus.

Bedeutet das, dass ihr mit dem Sponsor gemeinsame Aktivitätsfelder entwickelt?
Ja, genau darum geht´s. Wir machen keinen Logoaustausch und dafür gibt’s Geld. Deswegen habe ich auch nie eine Sponsoringmappe oder ein konkretes Angebot, sondern ich sage immer: „Lasst uns gemeinsam entwickeln, was für Sie und uns das Passende ist.“ Und das funktioniert auch immer.

Aber nun wird Enjoy Jazz ja als einziges deutsches Festival im Rahmen des Kulturförderprogramms „Kultur 2007 – 2013″ durch die Europäische Union subventioniert. Was sind deiner Meinung nach die Gründe dafür?
Die Programmatik von Enjoy Jazz und auch die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern und Beteiligten haben sich bei diesem Festival – ohne je auf einen Projektantrag zu schielen – absolut europäisch entwickelt. Und das ist aufgrund des Themas folgerichtig: Da sich der Jazz in den letzen Dekaden hauptsächlich in Europa weiterentwickelt hat, gingen die wesentlichen Impulse von Europa aus. Auch die Vernetzung und die Mitarbeit im Kontext von Enjoy Jazz sind daher europäisch. Die Ausrichtung und Struktur passt folglich exakt zu den Förderkriterien der Ausschreibung. Und aus diesem Grund – davon bin ich überzeugt – hat sich die Jury für das Festival entschieden.

Was sind die Erfolgsfaktoren des Festivals? Denn dass es erfolgreich ist, kann ja kaum bestritten werden …
Dem würde ich jetzt nicht widersprechen (lacht). Zwei Erfolgsfaktoren sind meiner Meinung nach ausschlaggebend: Erstens Konsistenz des Konzeptes. Damit meine ich, dass der einmal eingeschlagene Weg nicht verlassen werden sollte. Wir sind stets auf den eingeschlagenen Pfaden geblieben. Das bedeutet somit Verlässlichkeit in der Qualität für das Publikum. Und zweitens der Fokus auf Enjoy. Es ist einfach ein Spaß zum Festival hinzukommen und das sozusagen bei allem: vom Begrüßungsmoment bis hin zur Musik, die dargeboten wird, den Getränken, die angeboten werden, bis letztlich hin zu jenem Moment, in dem man wieder geht. Man hat einfach einen schönen Abend. Und das soll auch so sein.

Wie würdest du die Zielgruppen des Festivals beschreiben?
Ich tue mir schwer, jetzt mit Milieus oder Altersgruppen zu antworten, da das Festival tatsächlich keine bestimmte Gruppe nach diesen Zugehörigkeitskriterien fokussiert. Natürlich, wenn wir die Programmpunkte z.B. vom Alter der Besucher her betrachten, gibt es schon Inhalte, die sich eher an junge Menschen oder eher erfahrene Personen richten. Aber generell ist die Zielgruppe „Menschen, die sich für Kunst interessieren“. Und bzw. aber auch jene, die “noch für Kunst zu interessieren sind“. Also, wenn ich jetzt sage, „Wir richten uns an alle“, ist das keine Ausrede, sondern meint, dass tatsächlich auf keine bestimmte Zielgruppe hingearbeitet wird. Ausgenommen sind vielleicht jene Programmpunkte, die sich speziell an Kinder und Jugendliche richten.

Zum Beispiel?
Unter diesem Aspekt des Alters gibt es schon eine Differenzierung. Es gibt eine Clubreihe, es gibt eine Party-Reihe. Da sind natürlich junge Leute, ein partyaffines Publikum die Zielgruppe. Trotzdem ist unsere Programmstruktur so verwoben, dass sich auch die Milieus und Altersschichten verweben. Vor allem umso länger das Festival nun besteht, gelingt das immer besser.

2008 wurde in einer Studienarbeit der Versuch unternommen, die BesucherInnenstruktur altersmäßig und von ihrem Bildungsgrad aus betrachtet zu erfassen. Dabei hat sich herausgestellt, dass 52 Prozent eures Publikums – und fasst man Studierende in diese Gruppe hinzu – fast 70 Prozent einen akademischen Hintergrund haben. Laut einer Studie aus 2009 verfügen etwa 12 Prozent der deutschen Bevölkerung über einen akademischen Hochschulabschluss. So gesehen entspricht eure Publikumsstruktur aber keineswegs einem Querschnitt der Bevölkerung, der eine breitgestreute bzw. für „alle“ repräsentative Spiegelung darstellen würde. Wie erklärst du dir den hohen akademischen Hintergrund eures Publikums?
Dass wir versuchen alle anzusprechen und nicht alle erreichen, sind zwei Paar verschiedene Schuhe. Ich hatte dazu vor ein paar Jahren ein Gespräch mit den beiden Entwicklern der Sigma-Milieu-Theorie, die in Mannheim leben. Aufschlussreich war, dass diese die Meinung vertreten hatten, dass mit einem Konzept wie dem Enjoy Jazz Festival schlichtweg nicht alle Milieus erreichen werden könnten. Das fand ich eine interessante These. Aber wir sprechen ja nicht direkt Milieus – wobei ich diesen Ausdruck und diese Einteilung so gar nicht mag – an, in die Menschen hineingeboren werden, sondern Personen mit einem gewissen Erfahrungshorizont, auf den sie zurückgreifen können. Wir erreichen unser Publikum in einem Umfeld, in dem sie leben und sich bewegen. In diesem hat die Kunstrezeption einen bestimmten Stellenwert. Und da hat der Zugang zu gewissen Kunstsparten wie zum Beispiel eben zum Jazz eine Bedeutung – oder nicht. Und ist daher sozusagen eher Menschen zugänglich, die ein hohes Bildungsniveau haben. Dort, wo diese ihre Bildung erworben haben, haben sie gleichzeitig auch die Möglichkeit dieser Kunstform zu begegnen, erworben. Und genau dem versucht Enjoy Jazz – und vor allem in den letzten Jahren – ein bisschen entgegenzuwirken. Von daher wäre es interessant – die Studie ist ja aus dem Jahr 2008 – wie und ob sich diese Zusammensetzung verschoben hat.

Wenn du sagst, dass du „‘alle‘ zu erreichen versucht hast“: Habt ihr dann die Zielgruppe betreffend, überspitzt formuliert, euer Ziel verfehlt?
Nein. Weil das würde ja bedeuten, ich hätte ein Ziel gehabt, nämlich jenen “repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung“ durch alle Bildungsniveaus zu erreichen. Aber das war es ja nicht und das Ziel könnte ich ja nie erreichen. Ich habe mit meinem Festival nicht dafür gesorgt, dass das Niveau so verteilt ist bzw. dass die Verteilung in Deutschland dieser Zusammensetzung entspricht. Vielmehr bin ich der Überzeugung, dass es, damit Kunst und Kultur weiterhin auf einem hohen Niveau und bei Geldknappheit in Deutschland stattfinden kann, in den nächsten Jahren eine Verschiebung geben muss. Und ich glaube, dass Enjoy Jazz diese Verschiebung unterstützen kann, alleine weil wir über und durch unsere programmatische Vielfalt verschiedene Zielgruppen ansprechen bzw. anzusprechen versuchen. Wir bringen dadurch eine Struktur ein, die Verwebungen, Quer-Zugänge und dadurch eben auch Teilnahme an Veranstaltungen ermöglicht, die sonst von bestimmten Gruppierungen in ihrer kulturellen Auswahl nicht berücksichtigt werden würden. Das heißt aus der Programmatik heraus schaffen wir Nivellierung.

Die öffentliche Kommunikation des Festivals ist sehr umfangreich. Was sind die Eckpfeiler eurer PR-Strategie?
Orientierung zu schaffen und Wegweiser zu sein. Wir legen Wert darauf unterschiedliche Formate unterschiedlich zu kommunizieren. Wir haben unterschiedliche Programmpunkte und -formate und dabei oft auch spezifische Partner wie z.B. Kooperationen mit der Universität oder eben der Wirtschaft. Aus dieser Zusammenarbeit mit Externen ergeben sich dann oft bereits unterschiedliche Kommunikationskanäle und -Formen bzw. Wege der öffentlichen Kommunikation. Also, als Eckpfeiler würde ich formulieren: Das Programm in seiner verwobenen Vielfalt wiederum differenziert öffentlich darstellen und kommunizieren, um so für unterschiedliche Publikumsgruppen Orientierung zu bieten. Denn da die meisten Inhalte, die wir anbieten, unbekannt sind, gilt es Wege und Formen zu generieren, sodass Interesse geschaffen, geweckt wird.

… weitere Eckpfeiler?
Eine klare Botschaft in der Kommunikation: Wir betonen, dass wir das größte und wichtigste Festival in Europa sind, dass wir an Vernetzung und an Jazz als Kunstform glauben. Und dass Jazz für uns eine sehr hochwertige Kunstform ist, die in verschiedenen Bereichen Wirkung für die Gesellschaft hat. Diese Wirkungskreise aufzuzeigen ist ein zentrales Kommunikationsziel. Wir positionieren uns als Vorreiter innerhalb der Festivallandschaft.

Auch dem Bereich Social Media wird u.a. mit einem eigenen Blog, Podcasts, Videos usw. hohe Aufmerksamkeit entgegengebracht? Welchen Stellenwert räumst du bzw. dein Team der Online-Kommunikation ein?
Diese Aktivitäten haben sich in den letzen Jahren stark gesteigert. Wir versuchen in diesem Bereich über Erfahrung laufend effektiver sein zu können. Wir werden diese Kanäle insbesondere ab diesem Jahr verstärkt nutzen..

Nutzt der Aufwand oder habt ihr den Eindruck dabei vorerst einem Trend zu folgen?
Ehrlich gesagt frage ich mich das auch immer wieder. Ich glaube, hier fehlen uns einfach noch die Kennzahlen, um Nutzen im Verhältnis zu Aufwand valide einschätzen zu können. Aber ich denke, auch hier muss man geduldig sein und auch einen langen Atem haben. Das heißt einfach ausprobieren und abwarten, um dann laufend aus den Erfahrungen heraus immer effektiver werden. Unsere Aktivitäten auf Facebook haben zum Beispiel stark zugenommen, nicht nur von der Quantität her. Wenn auf unserer Seite zum Beispiel kommuniziert wird, dieser oder jener Künstler kommt, wird darauf sofort in der Community reagiert und diese Meldung diskutiert. Längerfristig halte ich diese Medien für die Publikumsbindung sehr wichtig.

Nach 13 Jahren Erfolgsgeschichte Enjoy Jazz Festival, das du selbst gegründet hast und seither als Leiter verantwortest: Worin sieht du – wenn überhaupt – noch Optimierungspotential?
Vor allem in der Kommunikation. Ich glaube, dass das Publikum Enjoy Jazz als Marke mittlerweile so ernst nimmt und mag, dass es gerne etwas davon mitnehmen würde, Teil des Ganzen werden würde. Wir haben zum Beispiel begonnen Konzerte aufzunehmen und als CD zu veröffentlichen. In diesem Bereich, im Verkauf von festivalaffinen Produkten, ist noch sehr viel Potential vorhanden.

Was waren deine persönlich schönsten Momente und Höhepunkte in der Festivalgeschichte?
Für mich war tatsächlich einer der Höhepunkte das Ornette Colemen-Konzert 2005, das dann später als CD veröffentlicht wurde und in den USA den Pulitzerpreis bekommen hat. Abseits vom Preis war das für mich das schönste und unglaublichste Konzert, das ich je gehört und gesehen habe. Dies war einer der prägendsten Momente meiner Konzerttätigkeit und umschreibt auch jene Momente in jedem Festival, die ich als Höhepunkte ansehe: Wenn das Publikum so erfüllt wie ich damals nach Hause geht. Wenn das Publikum anders geht, als es gekommen ist. Das ist für mich das Schönste.

Und zum Abschluss: Welchen Tipp kannst du angehenden KulturmanagerInnen noch mit auf den Weg geben?
Durch das Tun – und vor allem auch durch das Scheitern – lernen. Ausprobieren. Und bei den eigenen Ideen und Konzepten bleiben. Die zentrale Botschaft: Glaub an dich und lass dich nicht von deiner Überzeugung abbringen. Also: einen langen Atem haben!

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Weiterführende Links:

Offizelle Website: www.enjoyjazz.de

Auf Facebook unter: www.facebook.com/enjoyjazz

Auf Twitter unter: twitter.com/_enjoyjazz

Videochannel auf Youtube: www.youtube.com/enjoyjazzfestival

Siglinde Lang ( 2012): ENJOY JAZZ. Internationales FESTIVAL für Jazz und Anderes // Daten & Fakten. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 01 , https://www.p-art-icipate.net/ok-enjoy-jazz-internationales-festival-fur-jazz-und-anderes-daten-fakten/