Grada Kilombas Videoinstallation „While I Write“
Warum es notwendig ist, über alternative und dekolonisierende Formen und Formate der Wissensproduktion nachzudenken
Die Videoinstallation “WHILE I WRITE” (2015) (*4) ist Teil eines Projekts der Autorin und interdisziplinären Künstlerin Grada Kilomba*1 *(1) mit dem Titel Decolonizing Knowledge, Performing Knowledge. Im Rahmen dieses Projekts setzt sie sich mit Formen und Formaten der dekolonialen Wissensproduktion auseinander. Die Installation setzt Schreiben und Performance als alternative Formen der Wissensproduktion ein. Doch warum alternatives Wissen produzieren? Stimmt denn etwas nicht mit dem Wissen, das wir in der Schule oder an der Universität lernen (müssen) oder mit dem wir in Büchern oder den Medien konfrontiert werden?
An diese Frage schließt sich eine weitere an, nämlich die Frage danach, was dieses Wissen möglicherweise ausschließt. Was wird überhaupt als Wissen anerkannt und von wem? Welches Wissen wird gesehen und gelesen und welches nicht? Wer hat überhaupt Zugang zu welchem Wissen und zur Wissensvermittlung? Genau mit diesen Fragen beschäftigt sich Grada Kilomba im Rahmen ihres Projektes Decolonizing Knowledge, Performing Knowledge.
Nach wie vor ist unsere Wissenslandschaft kolonial geprägt und zentriert sich auf weiße AkteurInnen. Stimmen von People of Color oder Refugees als gleichgestellte und eigenständige Subjekte, und nicht als Objekte, sind nur schwer hörbar und werden kaum wahrgenommen. Was außerhalb dieses post/kolonialen Zentrums produziert wird, kann nach Kilomba als „Decolonizing Knowledge“ bezeichnet werden. „Performing Knowledge“ hingegen bezieht sich auf die Vermischung theoretischer und politischer Texte, auf Wissen, das auf die Bühne gebracht wird, performt und visuell sichtbar gemacht wird ‑ auf Wissen, das Grenzen überschreitet. Denn es handelt sich hierbei um einen emotionalen Zugang zu Wissen, was im Gegensatz zur kolonial geprägten Wissensproduktion steht, die ihre wissenschaftliche Rechtfertigung darin begründet, objektiv und universell gültig zu sein, indem sie Objekte von einem gewissen Abstand aus untersucht. Die Biographie des Wissenschaftlers/der Wissenschaftlerin, der/die über etwas schreibt und Wissen produziert, wird bei dieser Sichtweise außer Acht gelassen. Genauso wie die Objekte, die zu untersuchen sind, nicht einbezogen werden. Beim Konzept des „Decolonizing Knowledge, Performing Knowledge“ geht es hingegen genau um das Gegenteil. Wissen ist immer mit der Person verbunden, die über etwas schreibt. Es geht darum, neue emanzipatorische Räume zu schaffen, in denen alternatives Wissen formuliert werden kann ‑ und in denen diesem Wissen auch zugehört wird. Denn Zuhören ist nach Kilomba eine Eigenschaft, die wichtiger ist als eine möglichst schlagfertige ad-hoc Demonstration des eigenen vorgeblich objektiven Wissens:
„Die meisten Menschen sind an klassische Formate gewöhnt. Weiße Männer sprechen und widersprechen sich, und treten als Experten auf. Das ist eine alte patriarchal und kolonial geprägte Form der Kommunikation und Wissensvermittlung. Und dafür interessiere ich mich nicht. Für mich ist es so viel wichtiger, emanzipatorische Räume zu erschaffen und alternativem Wissen zu zuhören, um die Konfigurationen von Macht und Wissen zu ändern.“ (Mayrhauser 2016) (*5)
Denn alternatives Wissen wird meist über-hört. Es geht darum, Wissen zu subjektivieren und der Emotionalität und Spiritualität in der Wissensproduktion ihren Platz zuzugestehen. Denn nur so ist es möglich, die klassische koloniale Wissensproduktion zu verschieben und sich selbst fernab einer Objektivierung Ausdruck zu verleihen.
Die Angst vor dem Sprechen und Schreiben als objektiviertes Subjekt und die Notwendigkeit, diese Angst zu überwinden, um zu sich selbst zu finden und sich Gehör und Sichtbarkeit zu verschaffen, drückt Kilomba in ihrer Videoinstallation „WHILE I WRITE“ aus. Einzelne Sätze oder Teile eines Satzes, weiß auf schwarz, werden eingeblendet, vergrößern sich, verschwinden wieder und werden abgelöst vom nächsten Satzteil. Im Hintergrund nimmt man Hintergrundstimmen wahr, die nicht verständlich sind, und kurz darauf Klopfgeräusche. Erst zögerlich, langsam stärker werdend. Bis die Geräusche schließlich zu einem rhythmisch erklingenden Klopfen werden.
Die Auswahl der Farben, weiß auf schwarz, steht meiner Meinung nach symbolisch für die weiße Macht, die ihre Spuren auf schwarzen Körpern hinterlässt, die sich in schwarze Körper macht- und gewaltvoll einschreibt. Schwarz auf weiß wäre zu einfach, da es die Tatsache negieren würde, dass wir alle Teil der uns umgebenden Machtverhältnisse sind und diese nicht so einfach umdrehen können. Zugleich wird durch die Videoinstallation verdeutlicht, dass wir trotz dieser eigenen Verstricktheit in die Machtverhältnisse, die Möglichkeit besitzen, diese wenn auch nur ein klein wenig zu verschieben. Unsere Worte, unser Ausdruck hinterlassen Spuren, werden sichtbar, schreiben sich in den dominanten Diskurs ein und können diesen verschieben. Denn Worte schaffen Realität.
Zuerst hat das lyrische Ich der Videoinstallation Angst vor dem Schreiben, weil es den kolonialen Zuschreibungen nicht entkommt, weil das eigene Wissen in diesem kolonialen System nicht gesehen wird, nicht anerkannt wird, sondern vielmehr entwertet. Das lyrische Ich stellt sich folglich die Frage, warum überhaupt schreiben? Weil es muss. Weil es als Teil einer Geschichte, der Schweigen auferlegt wurde, einer Geschichte voller gequälter Stimmen, zerrissener Sprachen, aufgezwungener Redensarten, schreiben muss, um sich selbst zu finden. Um ‑ bildlich gesprochen ‑ Zugang zu den einen umgebenden weißen Räumen zu bekommen, in die es kaum Eintritt findet. Weil es sich dadurch der Objektifizierung entziehen kann und wieder zum Subjekt werden kann, weil es dadurch die Definitionsmacht über die eigene Geschichte zurückgewinnen kann. Einhergehend mit der geschilderten Selbstwerdung, der Selbstermächtigung und Aneignung der eigenen Geschichte durch das Schreiben werden die Klopfgeräusche stärker und stärker, aber immer noch nicht wahrgenommen. Bis im Schlussteil die Hintergrundstimmen gänzlich verstummen und nur noch das rhythmische Klopfen zu vernehmen ist. Die akustische Begleitung des Geschriebenen verstärkt dessen Wirkung. Anfangs das zaghafte Klopfen und das Nicht-gehört-Werden, langsam aber stetig das stärker und rhythmischer werdende Klopfen, welches immer noch nicht wahrgenommen wird, schlussendlich nur noch das eigene rhythmische Klopfen als Ausdruck des eigenen Selbst oder wie es das lyrische Ich in der Videoinstallation formuliert:
„I become the absolute opposition of what the colonial project has determined. I become me.” (*4)
Veronika Aqra ( 2016): Grada Kilombas Videoinstallation „While I Write“. Warum es notwendig ist, über alternative und dekolonisierende Formen und Formate der Wissensproduktion nachzudenken . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/grada-kilombas-videoinstallation-while-i-write/