Felder zeichnen als künstlerisch-wissenschaftliche Praxis
Elke Bippus im Gespräch
Elke Bippus, Professorin für Kunsttheorie und Kunstgeschichte an der Zürcher Hochschule der Künste, hat in den letzten Jahren ‑ u.a. mit dem von ihr herausgegebenen Werk Kunst des Forschens. Praxis eines ästhetischen Denkens (2009) ‑ die internationale Debatte um ‚Künstlerische Forschung‘ entscheidend mitgeprägt. Ihre Überlegungen zum Begriff des ‚Feldes‘, die sie in ihrem Text Landschaft – Karte – Feld: Felder zeichnen. Modelle der Wissensbildung zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Praxis (2005) formuliert hat, bilden zentrale Referenzen in meinem Forschungsprojekt Feldgänge, das ebenfalls in dieser eJournal-Ausgabe vorgestellt wird. Im Mai 2016 bot sich mir die Gelegenheit, Elke Bippus zu einem informellen Gedankenaustausch zu diesem Thema zu treffen.*1 *(1)
Brigitte Kovacs (BK): Ich freue mich sehr, dass ich die Gelegenheit zu diesem Gespräch mit Ihnen habe. Ihr Aufsatz Landschaft-Karte-Feld war sehr inspirierend für mich. In meinem Forschungsprojekt beschäftige ich mich mit dem Gehen als künstlerische Praxis. Obwohl Sie von einem physischen Feld-Begriff ausgehen und ich von einem abstrakten, scheinen mir Ihre Überlegungen für meine Forschung sehr fruchtbar.
Elke Bippus (EB): Warum der Begriff des Feldes? Ist er nicht zu einengend? Meine Vorstellung vom Feld ist die von etwas Begrenztem oder Begrenzbarem. Ist Ihre Konzeption nicht vernetzter gedacht?
BK: Das Feld ist einerseits begrenzt, andererseits offen für Unvorhersehbares. Es gibt eine Begrenzung, weil ich mich auf eine spezifische künstlerische Praxis beschränke und andererseits ist es auch offen, da es verschiedene Optionen der Auslegung gibt und das Unvorhersehbare in meinen Walking Interviews eine bedeutende Rolle spielt. Durch die Spielregeln, die ich selbst aufgesetzt habe, nämlich dass die Interviewpartner den Ort, die Dauer und die Route unseres Walks bestimmen, bin ich fremdbestimmt und gehe offen in die Begegnungen.
EB: Und gleichzeitig mit gewissen Setzungen, die auch wichtig sind. Das Unvorhersehbare ist ein riesiger Begriff und verspricht sehr viel. Ich glaube aber, damit dieses Unvorhersehbare geschehen bzw. erfahren werden kann, ist eine gewisse Sensibilität notwendig. Unvorhersehbarkeiten können auch sehr kleine, minimale Verrückungen und Verschiebungen sein. Diese können jedoch nur bemerkt werden, wenn eine gewisse Aufmerksamkeit mitgebracht wird. Wenn ich täglich durch meine Straßen gehe, passiert vieles, aber ich nehme davon nur einen Bruchteil wahr. Daher scheint mir Ihr Spiel mit gewissen Rahmensetzungen sehr, sehr wichtig.
BK: Das kann ich nur bestätigen. Auch während der Walking-Interviews gibt es Details, die erst in den Tonaufnahmen für mich hörbar werden. Dann bin ich zum Teil selbst überrascht, was mir während des Gehens nicht bewusst war.
EB: Gibt es dennoch Hinweise, dass sie Einfluss genommen haben auf das Gespräch?
BK: Ja. Wo ich mit meiner/m GesprächspartnerIn gehe und was oder wer uns auf dem Weg begegnet, beeinflusst sowohl unseren Spaziergang als auch unser Gespräch.
EB: Auf welche Kunst und Zeit beziehen Sie sich?
BK: Ich beschäftige mich mit der Thematik des Gehens als Kunst schon sehr lange und konnte in den letzten Jahren einen massiven Interessensanstieg am Gehen von künstlerischer sowie wissenschaftlicher Seite beobachten. Mich interessiert es daher herauszufinden, was die spezielle Faszination in den 2010er Jahren ausmacht, sich wieder verstärkt mit der analogen Alltagspraktik des Gehens auseinanderzusetzen.
EB: Von dieser Materialsammlung ausgehend können ganz unterschiedliche Konzepte verfolgt werden. Ist es eher die beschreibende Ebene, die Sie verfolgen, wollen Sie dieses Feld zu einem Gegenstand werden lassen oder gibt es einen speziellen Fokus, der Sie interessiert?
BK: Mir ist es wichtig, transdisziplinär zu denken und die unterschiedlichen Zugänge zum Gehen aufzuzeigen. In diesem Sinn habe ich auch KünstlerInnen zum Interview geladen, die ihren Background in Theater und Film haben, deren Arbeiten aber auch im Kontext der bildenden Kunst gezeigt werden. Es sind subjektive Kriterien, die ich anlege.
Ich würde nun gerne mit Ihnen über ihren Text Landschaft-Karte-Feld sprechen. Können Sie mir etwas zur Einbettung des Texts erzählen, was war Ihre Motivation, sich mit dem Feld zu beschäftigen?
EB: Der Text ist im Kontext meines Forschungsprojekts Kunst des Forschens entstanden. Es ging mir dabei primär um eine künstlerisch-wissenschaftliche Praxis. Dieses Forschungsprojekt habe ich in Bremen an der Kunsthochschule begonnen und dabei insbesondere mit den Künstlerinnen Katharina Hinzberg und Beate Terfloth zusammengearbeitet. Beate unterrichtet in der Zwischenzeit hier in Salzburg am Mozarteum Zeichnung, Katharina in Saarbrücken konzeptuelle Malerei. Die Beschäftigung mit dem ‚Feld‘ fand zwischen Katharina und mir statt. Katharina ging es dabei auch um das Zeichnungsfeld, das Feld, das sie durch die Zeichnung aufspannt, wobei ihre Zeichnungen auch ins Dreidimensionale gehen können. Mir ging es um die Frage der Beschränkung und um die Setzung eines Handlungsspielraums. Wir haben jeweils einen Text geschrieben, in dem wir unsere Fragen verfolgen. Diese Texte haben wir in einer performativen Weise aufgeführt. Angezogen waren wir in Schwarz und auf unseren Oberteilen war auf der gleichen Höhe eine rote Linie gestickt, so dass eine imaginäre Verbindung zwischen uns hergestellt wurde und zugleich eine Trennung, weil wir das Dürer‘sche Gitter zwischen uns aufgestellt hatten. So waren wir Modell und Zeichnerin zugleich. Es ging uns um das Verhältnis von Theorie und Praxis, um Fragen der Darstellung und Repräsentation. Katharina Hinzberg hat in ihrem Text Fragen ihrer künstlerischen Arbeit thematisiert, die Verfahren und Praktiken, und ich die Kunstgeschichte. Der Text/die Texte sind insofern Recherche und Kommunikation.
BK: Ist diese Beschäftigung mit dem Feld in Ihr größeres Forschungsprojekt Kunst des Forschens mit eingeflossen?
EB: Als Engführung zum Feld ist es mit der Publikation und unseren Präsentationen abgeschlossen gewesen. Ich denke aber, dass das, was ich mir dadurch klar gemacht habe, immer wieder auftaucht.
BK: Wie würden Sie ein Feld definieren bzw. es von der Landschaft abgrenzen? Was ist der Unterschied zwischen Feld und Landschaft?
EB: In meinem Text habe ich von der Malerei her argumentiert. Eine Landschaft, die man ‚vor sich bringen’ möchte, eine Landschaft also, die als Bild konnotiert ist. Ein Bild, das einen dreidimensionalen Raum vorgibt, sich aber als Fläche zeigt. Etwas, das ich auf Distanz bringen kann. Diese Landschaft kann ich genießen, ohne in Bewegung sein zu müssen. Ich bewege mich durch das Bildliche einer Landschaft. Beim Feld ist es das Durchgehen.
BK: Und bei einer Karte?
EB: Bei der Karte habe ich nochmals eine andere Perspektive. Bei der Landschaft ist es ein Gegenüber und bei der Karte ist es eine Draufsicht. Bei einem Feld stehe ich im Feld und bin vom Raum umfangen. In den jeweiligen Perspektiven oder auch in den jeweiligen Beziehungen zu Landschaft, Karte oder Feld formulieren sich Unterschiede. Um das Feld zu erfassen, bin ich gezwungen mich zu bewegen. Auch um die Grenzen des Felds erfassen zu können. Damit erfahre ich das Feld immer durch eine sich stets veränderte und sich verändernde Bezüglichkeit.
BK: Sie haben auch über die Nähe und Distanz des Forschenden im Feld geschrieben. Geht es dabei um eine/n forschende/n Künstler/n, der/die eine Doppelfunktion einnimmt?
EB: Die künstlerische Forschung ist ein schon lange verfolgtes Thema von mir, aber auch ein schwieriges Thema, weil sich die Konstellationen in diesem Feld immer wieder verändern: dementsprechend gibt es Reaktionen etwa auf die Institutionalisierungen von künstlerischer Forschung, auf neue Diskurse und Sichtweisen. Zurzeit versuche ich künstlerische Forschung sehr eng zu führen, damit es nicht alles und nichts ist und möchte ein Forschen in den Künsten davon unterscheiden. Künstlerische Forschung verbinde ich mit künstlerisch-wissenschaftlichen Methoden und dem Anliegen der Wissensproduktion. Von KünstlerInnen, die ihre Arbeitsweise als künstlerisches Forschen verstehen, erwarte ich, dass sie sich von der gängigen Arbeitsteilung in Praxis und Theorie distanzieren und eine Selbstdiskursivierung betreiben. Ich habe mich vor kurzem mit Group Material befasst. Ihre Arbeitsweise begreife ich als künstlerische Forschung, weil sie aktiv die Diskursivierung ihrer Arbeit betreiben: durch Publikationen und Symposien. Der Aspekt der Wissensproduktion ist in ihrer Arbeit zentral. Ebenso die teilnehmende Beobachtung, die sich zwischen Nähe und Ferne bewegt, einer Annäherung an den Gegenstand, ein sich Einlassen und eine Distanznahme, oder die Verschränkung von sinnlicher Erfahrung und Reflexion. Auch als Wissenschaftlerin begegnet mir diese Bewegung: Ich verliere mich in Texten und stoße zufällig auf den Text, von diesem aus auf einen anderen und ebenso auf andere künstlerische Arbeiten, d.h. ich folge nicht notwendig einer vorgängigen Systematik, diese bildet sich vielmehr mit dem Material. Insofern wird man von dem Material, das man untersucht, geführt und lässt sich treiben. Dann versuche ich in die Distanz zu gehen, bringe die mir wichtigen Kriterien und Fokussierungen ein. Ich denke, es gibt vergleichbare Prozesse in der künstlerischen Arbeit, die Bewegung zwischen Nähe und Ferne.
BK: Ich habe Ihre Zuordnung der Landschaft zu einem vertikalen Bildsystem im Vergleich zur Karte und dem Feld als horizontale Bildsysteme als interessant empfunden, denke jedoch, dass sich speziell die Karte durch die fortschreitende Digitalisierung extrem verändert hat. Wenn man google maps aufmacht und sofort den eigenen Standort als zentralsten Punkt auf der Karte sieht, dann ändert sich auch die Rezeption der Karte und damit die Raumwahrnehmung.
EB: Dann hat sich aber auch die Landschaft verändert. Man hat auf google maps gleich eine dreidimensionale Darstellung. Die Landschaft ist nicht mehr ein Gegenüber. Man kann den Adlerblick haben, aber gleichzeitig auch hineingehen. Da kommen verschiedene Darstellungsverfahren stärker zusammen.
BK: Ich habe mich mit dem Verhältnis von Landschaft und Feld intensiv beschäftigt, als ich letzten Sommer eine Serie von Colour Walks unternommen habe. Ich bin dabei durch landwirtschaftlich genutzte Felder in der Umgebung meines Heimatorts gegangen und habe versucht, Farben und Formen fotografisch in verschwommenen Bildern festzuhalten. Diese Bilder wurden dann kontrastierend zu einem wissenschaftlichen Vortrag präsentiert. Vom Publikum bekam ich die Rückmeldung, dass die Fotografien so wahrgenommen wurden, als gäbe es keine klar definierten Wege und als ob man sich permanent im und durch das Feld bewegen würde, währenddessen der Vortrag einem gezielten Pfad/Aufbau folgte. Der wissenschaftliche Teil entsprach somit eher einer Perspektive von außen – auf das Feld blickend, während der künstlerische Teil meine Erfahrungen im Feld widerspiegelte.
Ich muss nun noch einmal nachfragen, was macht für Sie genau den Unterschied zwischen Landschaft und Feld aus?
EB: Wenn man wie bei Barnett Newman im Farbfeld steht, dann steht man in einem Raum. Der Feldbegriff ist wirklich eher ein Raumbegriff.
BK: Wie wichtig ist der physische Raum, den man schafft, wenn man Felder zeichnet? Wie wichtig ist die Raumerfahrung? Es wird ja tatsächlich ein Raum konstruiert.
EB: Für mich ist Raum sehr wichtig. Wenn ich etwas begreifen möchte, versuche ich es mir räumlich vorzustellen. Das mache ich sehr schnell, wenn ich lese oder auch in der Lehre versuche ich abstrakte Zusammenhänge in ihrer räumlichen Dimension begreifbar zu machen. Es ist für mich eine Form der Konkretisierung.
BK: Ich beschäftige mich auch mit der Methode ‚Loci‘, einer Erinnerungstechnik.
EB: Ich hatte mich in meiner Magisterarbeit damit befasst. Es ging dabei um Fragen der Erinnerung. Man kann sich besser erinnern, wenn man Informationen mit spezifischen Orten verbindet.
BK: Sie haben vorher Barnett Newman erwähnt. In Ihrem Text beginnen Sie Ihre Abhandlung im 17. Jahrhundert und kommen bis in die 1960er Jahre. Können Sie das Thema des ‚Felder Zeichnens‘ auch in der zeitgenössischen Kunst, sagen wir im 21. Jahrhundert, festmachen?
EB: Schwierig.
BK: Ich habe letzte Woche Guido van der Werve getroffen, der großflächige Running Performances macht und ihn gefragt, ob er das als Felder-Zeichnen begreift. Er hatte leider keine klare Antwort für mich. Daher wollte ich Sie fragen, ob Sie künstlerische Positionen dazu nennen können? Passiert das Felder-Zeichnen heute genauso wie in den 60-70er Jahren?
EB: Ich bin mir auch nicht sicher. Ich habe keine Beispiele vor Augen, nur Spekulationen. Katharina Hinsberg oder Beate Terfloth sind eine andere Generation, auch wenn sie jetzt noch arbeiten. Vielleicht geht es jetzt eher um Diagramme? Da könnte man noch schauen und auf eine andere Form der Zeichnung, z.B. in Performances.
BK: Das Schreiben bzw. Zeichnen mit dem Körper als Performance ist etwas, das mich interessiert. Ich behaupte ja, durch meine körperliche Bewegung entstehe eine Linie, die Kontur des zu zeichnenden Feldes. Das bringt mich auch zu Ihren Begrifflichkeiten des Zeichnens und Bezeichnens. Wie wichtig ist Ihnen der Unterschied zwischen dem ‚Zeichnen‘ und ‚Bezeichnen‘ von Feldern?
EB: Relativ wichtig, weil mit dem ‚Zeichnen‘ das performative Element hineinkommt und das ‚Bezeichnen‘ ein anderes Sprachverständnis hat. Ich ‚bezeichne‘ etwas, das vorgängig ist. Ich hatte ein Gespräch mit Maria Eichhorn geführt und dann habe ich es transkribiert und nannte es die ‚Verzeichnung‘ des Gesprächs. Weil ich es aufzeichne und damit bewahre, das Geschehen damit aber auch verändere, es womöglich entstelle, es durch die Entstellung hervorbringe.
BK: Ich finde, diese feine Unterscheidung in ‚bezeichnen‘ und ‚zeichnen‘ trifft es sehr schön. Ich wollte mit Ihnen auch noch über die Medialität der Darstellung bzw. über die Medialität des Felds sprechen. Können Sie Ihre Ideen dazu ausführen?
EB: Auch in diesem Zusammenhang ist mir der Aspekt der Performativität wichtig. Performativität meint u.a., dass eine Bedeutung nicht durch das Subjekt begründet wird, sondern im Vollzug hervorgebracht wird. Mit der Medialität des Feldes meine ich, dass man in einem bestimmten Milieu agiert und Teil dieses Milieus ist; dieses lässt manches zu und verhindert anderes oder schließt es aus. Insofern stellt sich immer auch die Frage, was eine gewisse Medialität zulässt und welche Taktiken zum Zuge kommen können. Taktik verstanden im Sinne von de Certeau (1988) (*1) und unterschieden von Strategie.
BK: Wie wichtig ist die Wahl des Mediums für die Darstellung?
EB: Das Feld wird durch seine Darstellungen hervorgebracht. Von daher sind mit den verschiedenen Medien auch verschiedene Möglichkeiten verknüpft.
BK: Sie sprechen auch von einer Rhetorik der Darstellung. Geht es Ihnen dabei primär um Präsentationsformen oder haben Sie das weiter gedacht?
EB: Nein, schon auch welche Rhetoriken innerhalb einer Darstellungsform möglich sind.
BK: Können Sie mir ein Beispiel geben?
EB: Darstellungsformen sind historisch und institutionell bedingt und in ihren strategischen Wirkungen sind sie von kontextuellen Rahmungen abhängig. Wenn man Kunst als ein selbstkritisches Erkenntnismedium versteht, also nicht als bloßes Erkenntnismaterial oder -objekt, sondern als ein Medium des Denkens, dann kommt der Darstellungsweise und der Medialität von Kunst eine bedeutende Funktion zu; die Befragungen von Darstellungsweisen finden sich durch die ganze Kunstgeschichte hindurch. Denken Sie an bildliche Auseinandersetzungen mit der Perspektive, mit dem Farbauftrag, oder dem Verhältnis von Grund und Figur usw. Aber auch die Medialität und Materialität ist Forschungsgegenstand der Kunst. Seit der Modeme bringt Kunst mit Nachdruck das genutzte Medium in seiner Stofflichkeit in den Blick, die Farbe ist nicht länger der Dominanz der Form untergeordnet, nicht der Funktion der Repräsentation, sondern wird in ihrer Materialität selbst bedeutsam, in seiner physischen Präsenz (Turner, van Gogh oder Courbet können für das 19. Jahrhundert, die Kubisten mit ihrer Integration bildfremder Materialien oder Art Brut können hier beispielhaft stehen). Die Reflexion der Materialität und Medialität akzentuiert die Darstellung als solche und stört deren repräsentative Wirkung (das Dargestellte). Diese Reflexionen sind für die rhetorische Kraft der Darstellung wichtig. Rhetorik meint nach Roland Barthes nicht allein die Kunst der Überredung, oder die Wirkmächtigkeit des Bildes, sondern auch die Untersuchung der Kommunikationsfunktion der jeweiligen Darstellung. Dies macht etwa die Rhetorik als Wissenschaft, aber auch die Kunst in ihrer Selbstreflexion.
BK: Sie bezeichnen das Feld als Handlungs- und Aktionsraum. Sie sprechen auch von konstellativen Anordnungen. Man ist nicht mehr Herr der eigenen Handlungen, sondern ist einer Anordnung unterworfen. Man ist Teil eines Ganzen.
EB: Ich beziehe mich da hauptsächlich auf Benjamin, der von der Konstellation des Sternenbilds ausgegangen ist. Man denkt dann nicht mehr in einer Form, sondern in Relationen. Das ist mir das Wichtige dabei. Es geht um die Bezüglichkeiten, die viel stärker in den Blick zu nehmen sind.
Wie geht es Ihnen dabei, wenn Sie das, worüber Sie schreiben, in Ihr methodisches Repertoire einbeziehen? Ist Nähe und Distanz dann eine Herausforderung?
BK: Ja, Nähe und Distanz stellen eine Herausforderung für mich dar. Während ich als Wissenschaftlerin versuche, das Feld aus der Distanz zu beobachten und Rückschlüsse daraus zu ziehen, begebe ich mich als Künstlerin direkt ins Feld, um es durch meine eigene Praxis zu erweitern. Die dabei gemachten Erfahrungen helfen mir, das das Feld von innen heraus zu verstehen. Dabei kommt der Reflexion meiner eigenen Handlungen ein wichtiger Stellenwert zu. In Ihrem Text fordern Sie, dass der Boden, auf dem man sich bewegt, mitgedacht werden muss. Inwieweit gehört die Selbstreflexivität zum Feldbegriff?
EB: Wenn man den Feldbegriff unter performativen Aspekten betrachtet, dann muss man die Selbstreflexivität, die mit einer repräsentationskritischen Sicht verbunden ist, einbeziehen. Ich meine also nicht den persönlichen Boden/Hintergrund, den man hat, sondern die Rahmungen, Perspektivierungen und Konzeptualisierungen, die man übernimmt und die einem erlauben, etwas so und nicht anders zu betrachten. Die Fähigkeit, etwas in einer spezifischen Weise zu betrachten bzw. zu erkennen, ist mit der Reduktion einer Mannigfaltigkeit verknüpft oder mit der Begrenzung formaler und inhaltlicher Möglichkeiten. Eine kritische Selbstreflexion verweist in Brüchen und Kerbungen auf diese latenten Möglichkeiten und versucht, wie es Foucault (2003: 215) (*2) formuliert hat, darauf hinzuweisen wie unsichtbar die Unsichtbarkeit im Sichtbaren ist. In einer gewissen Weise ist die Selbstreflexivität dann auch der Versuch einer Selbstdekonstruktion. Man hat seine blinden Flecken und sollte sich damit konfrontieren.
BK: Sie haben das Feld als Modell der Wissensproduktion und Wirklichkeitserfassung bezeichnet. Das sind große Begriffe. Wie kann ein Feld zu einem Modell der Wissensbildung werden und um welche Wirklichkeit geht es Ihnen? Welche Wirklichkeit kann überhaupt erfasst werden?
EB: Ich meine damit, dass sich beispielsweise eine WissenschaftlerIn einem (Gegenstands-)Feld zuwendet und dieses mittels verschiedener klassifizierenden und differenzierenden Methoden zu beschreiben sucht. Sie versucht einen Überblick zu gewinnen, indem sie das (Gegenstands-)Feld sozusagen vor sich bringt, es begrenzt, es mit anderen in Beziehung setzt oder abgrenzt. Zugleich agiert sie auf/in dem Feld. Das wissenschaftlich zu beackernde Feld ist insofern fern und nah. Die Gegenstände können als Objekte vor einem liegen und – ist man sozusagen im „Tun“, das heißt im Feld – können sie distanzlos nahe rücken. Wenn ich das Feld als Modell der Wissensbildung denke, dann ist es ein Modell, das sich seiner Grenzen bewusst ist, vielleicht in dem Sinne, wie es Bruno Latour beschrieb: „Die Wissenschaftler beherrschen zwar die Welt aber nur so weit, wie ihnen die Welt in Form zweidimensionaler, überlagerbarer und kombinierbarer Inskriptionen entgegenkommt.“ (Latour 2002: 41) (*3) Zu fragen ist dann, welche ethischen Schlüsse, aber auch welche Methoden die Wissenschaft aufgrund dieser Begrenztheit zieht.
BK: Würden Sie sagen, dass auch in den einzelnen Beispielen, die Sie geben, wie z.B. Richard Long, der durch die Bewegung seines Körpers Felder absteckt, das Feld als Modell der Wissensbildung fungiert?
EB: Richard Long erschließt sich die Landschaft, indem er sich in ihr bewegt. Seine Arbeiten zeigen stets Spuren der Beziehung zwischen seinem Körper und der Landschaft. Das Wissen, das wir als BetrachterInnen von der Landschaft gewinnen, vermittelt sich nicht als objektive Beschreibung eines souveränen Subjekts, aber auch nicht als bloß subjektive Empfindung, sondern als eines, das aus einer Beziehung hervorgeht.
BK: Was er uns anbietet, ist eine Transkription seiner Aktionen, eine Spur der Zustände beim Gehen. Das ist natürlich etwas anderes als der performative Akt selbst.
EB: Die Betrachtung von den Fotos oder Steinen, die er anbietet, ist aber dann doch auch wieder ein performativer Akt, und da gibt es natürlich auch noch eine andere Rahmung.
BK: Sie meinen die Installationen, die er in Museen macht? Ja, die provozieren die räumliche Bewegung der BetrachterInnen oder setzen sie sogar voraus. Das ist ein interessanter Aspekt. Einer Ihrer Punkte ist, dass die Landschaftsmalerei den Erfahrungsraum ausklammert, was beim Feld nicht der Fall ist. Inwieweit ist die Selbsterfahrung der BetrachterInnen von Relevanz?
EB: Ich glaube, mir geht es dabei weniger um die Selbsterfahrung als vielmehr um die Zeitlichkeit. Ich habe mich damit im Zusammenhang der seriellen Arbeiten der Minimal Art befasst. Michael Fried hat die Minimal Art in kritischer Absicht als theatralisch beschrieben, weil sie Dauer thematisiere und nicht die Erfahrung der Augenblicklichkeit (Fried spricht von Gegenwärtigkeit zeitloser Gegenwart, ‚presentness‘). Hierdurch würden die tatsächlichen Umstände berücksichtigt und die BetrachterInnen begegneten den Arbeiten, d.h. sie würden sie in einer spezifischen Situation erfahren. Gerade diesen Aspekt finde ich für die Konzeptualisierung von „Feld“ inspirierend, ich erfahre mich in einer spezifischen, d.h. in einer historisch und institutionell bedingten Situation und als Teil eines Beziehungsgefüges.
BK: Herzlichen Dank für das Gespräch.
Brigitte Kovacs, Elke Bippus ( 2017): Felder zeichnen als künstlerisch-wissenschaftliche Praxis. Elke Bippus im Gespräch. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/felder-zeichnen-als-kunstlerisch-wissenschaftliche-praxis/