Kultur für alle: Wozu?

Zur Karriere einer kulturpolitischen Leitformel

Vorbemerkung

Es gibt eine ganze Reihe kulturpolitischer Slogans, die bestimmte Ziele innerhalb der Kulturpolitik publikumswirksam auf den Punkt bringen sollen. So sprach man im Kontext des Europarates in den 1970er Jahren von einer „Demokratisierung der Kultur“ und sogar von einer „kulturellen Demokratie“, Hermann Glaser (Glaser/Stahl 1983)star (*14) sprach von einem „Bürgerrecht Kultur“. Der bekannteste unter all diesen Slogans dürfte jedoch die auf Hilmar Hoffmann (1979)star (*18) zurückgehende Zielformulierung „Kultur für alle“ sein.

Solche griffigen Zielformulierungen – man kann sie auch Leitformeln nennen (vgl. Fuchs 2010)star (*11) – erfüllen eine wichtige Funktion in der öffentlichen Kommunikation: Sie dienen der prägnanten Formulierung bestimmter Ziele, werben für eine Zustimmung und haben einen legitimatorischen Charakter. Sie gewinnen ihre Prägnanz auf der Grundlage einer bestimmten, von vielen wahrgenommenen Problem-Situation und dienen wiederum der Begründung bestimmter konkreter kulturpolitischer Maßnahmen und Projekte.

Aus dieser Aufzählung einzelner Funktionen solcher Leitformeln wird bereits deutlich, dass sie nur dann funktionieren, wenn es eine gewisse Passfähigkeit zu dem jeweiligen sozialen, politischen und kulturellen Kontext gibt. Da sich diese Kontexte jedoch ändern, kann man nicht davon ausgehen, dass solche Leitformeln eine überzeitliche Gültigkeit haben. Man kann deshalb in einer genetischen Zugriffsweise nach der Entstehung und Entwicklung solcher Leitformeln und ihrer Akzeptanz fragen: Zu welcher Zeit sind sie entstanden? Auf welche Problemlagen reagieren sie? Wer sind die Träger/innen und möglichen Nutznießer/innen der in diesen Formeln artikulierten Ziele? Welche Wirksamkeit haben sie entfaltet? Lassen sich Zeiten unterscheiden, in denen sie mehr bzw. weniger akzeptiert wurden? Gibt es möglicherweise sogar ein Zeitpunkt, von dem an sie ihre Relevanz verloren haben? Hat man Kritik an ihnen geübt und wie wurde diese Kritik begründet? All diese Fragen kann man sinnvollerweise auch in Bezug auf die Leitformel „Kultur für alle“ stellen.

Im Folgenden werde ich zunächst auf Vorläufer dieser Leitformel, insbesondere auf das Ziel einer „Bildung für alle“ (Comenius)star (*6) eingehen. Anschließend werden kurz die sozialen und politischen Rahmenbedingungen und Entstehungskontexte beschrieben (Stichwort: Neue Kulturpolitik). Es wird gezeigt, ob und wie das Ziel einer „Kultur für alle“ umgesetzt wurde. In einem abschließenden Fazit wird gefragt, ob diese Leitformel heute noch aktuell ist.

 

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Alt, Robert (1978): Das Bildungsmonopol. Berlin: Akademie-Verlag.

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Bamford, Ann (2010): Der WOW-Faktor. Münster: Waxmann.

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Bourdieu, Pierre (1987): Die feinen Unterschiede. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

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Bundeszentrale für politische Bildung (2004): Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen. Bonn: BpB.

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Cassirer, Ernst (1949): Vom Mythus des Staates. Zürich: Artemis.

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Comenius, Johan (2008): Große Didaktik. Stuttgart: Klett-Cotta.

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Dux, Günter (2013): Demokratie als Lebensform. Weilerswist: Velbrück.

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Fromm, Erich (1974): Anatomie der menschlichen Destruktivität. Stuttgart: DVA.

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Fuchs, Max (1998): Kulturpolitik als gesellschaftliche Aufgabe. Opladen: Westdeutscher Verlag.

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Fuchs, Max (2008): Kultur macht Sinn. Wiesbaden: VS.

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Fuchs, Max (2010): Slogans und Leitformeln in der Kulturpolitik. Wiesbaden: VS.

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Fuchs, Max (2012): Die Kulturschule. München: Kopaed.

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Fuchs, Max (2017): Kulturelle Schulentwicklung – Eine Einführung. Weinheim/Basel: Beltz-Juventa.

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Glaser, Herrmann/Stahl, Karlheinz (1983): Bürgerrecht Kultur. Frankfurt/M. usw.: Ullstein.

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Göhlich, Michael u. a. (Hrsg.) (2007): Pädagogische Theorien des Lernens. Weinheim/Basel: Beltz.

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Göschel, Albrecht (1991): Die Ungleichzeitigkeit in der Kultur. Stuttgart: Kohlhammer.

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Habermas, Jürgen (1973): Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

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Hoffmann, Hilmar (1979): Kultur für alle. Frankfurt/M.: Fischer.

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König, Helmut (1992): Zivilisation und Leidenschaften. Reinbek: Rowohlt.

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Lohwasser, Diane (2017): Selbstwirksamkeit – ein sozialpsychologisches Konzept der Selbsteinschätzung. In: Taube, Gerd/Fuchs, Max/Braun, Tom (Hrsg.)(2017): Handbuch Das starke Subjekt. München: Kopaed, 309 – 318.

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Meadows, Dennis (1972): Die Grenzen des Wachstums. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt.

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Mitscherlich, Alexander (1965): Die Unwirtlichkeit der Städte. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

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Müller-Rolli, Sebastian (Hrsg.) (1999): Das Bildungswesen der Zukunft. Stuttgart: Klett-Cotta.

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Münchmeier, Richard u. a. (Hrsg.) (2002): Bildung und Lebenskompetenz. Opladen: Leske und Budrich.

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OECD (2001): Lernen für das Leben. Erste Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudie PISA 2000. Parsi: OECD.

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Renz, Thomas (2015): Nicht-Besucher-Forschung. Bielefeld: transcript.

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Thurn, Hans Peter (1996): Kulturbegründer und Weltzerstörer. Stuttgart: Metzler.

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Werkkreis Literatur der Arbeitswelt (Hrsg.) (1974): Der rote Großvater erzählt. Frankfurt/M.: Fischer.

Max Fuchs ( 2018): Kultur für alle: Wozu?. Zur Karriere einer kulturpolitischen Leitformel . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/kultur-fuer-alle-wozu/