Das inklusive Museum ‑ eine Frage von Kooperation und Vernetzung
Nadja Al-Masri-Gutternig und Monika Daoudi-Rosenhammer im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger, Dilara Akarçeşme
Nadja Al-Masri-Gutternig ist Kunsthistorikerin und Sonderpädagogin; sie unterrichtet an einem sonderpädagogischen Zentrum und leitet im Salzburg Museum den Prozess der Inklusion und Barrierefreiheit. Monika Daoudi-Rosenhammer ist im Rahmen der Lebenshilfe Salzburg für den Bereich Fort- und Weiterbildung verantwortlich und beschäftigt sich seit 2011 intensiv mit dem Thema Barrierereduzierung. Im folgenden Interviewgespräch geht es um unterschiedliche Aspekte der Barrierereduzierung im Museum und um die Zusammenarbeit zwischen dem Salzburg Museum und der Lebenshilfe Salzburg.
Was versteht ihr unter „Kultur für alle“ bzw. kultureller Teilhabe in Salzburg und darüber hinaus?
Monika Daoudi-Rosenhammer: Ich verstehe darunter, dass bei allen Menschen das Interesse für Kunst und Kultur geweckt wird. Viele können aufgrund ihrer Biographie oder ihrer Herkunft wenig damit anfangen. Ein Aspekt ist also, dass Interesse geweckt, viel vorgestellt und möglichst viel ausprobiert wird. Ein anderer Aspekt sind die Zugänge. Sie müssen inhaltlich in alle Richtungen offen sein. Es darf nicht nur Hochkultur sein, sondern es muss breit gefächert sein. Bei der Klientel, die ich vertrete, Menschen mit Lernschwierigkeiten, ist das Finanzielle ebenso ein wichtiger Aspekt. Es darf nicht so teuer sein, dass sich eine Person mit wenig Einkommen nicht leisten kann, zu Kultur zu kommen. Die Bandbreite sollte von Kultur machen bis Kultur genießen reichen.
Nadja Al-Masri-Gutternig: Ich kann Monika in allen Punkten, von breit gefächert bis hin zur finanziellen Ebene, nur beipflichten. Kulturelle Teilhabe bedeutet für mich, dass alle Menschen sich im kulturellen Leben in irgendeiner Form wiedererkennen und an diesem ohne große Barrieren teilnehmen können. Dazu muss man es aber schaffen, kulturelle Teilhabe für viele, die bis jetzt ausgeschlossen waren, attraktiv und interessant zu machen, also das Thema positiv zu besetzen. Ergänzen kann ich, dass schon in einem ganz frühen Alter begonnen werden muss, dieses Interesse zu wecken. Viele Angebote sind so gestaltet, dass sie nichts widerspiegeln, was die Menschen kennen. Sie sind fremd und erwecken kein Interesse. Doch Interesse ist die Grundvoraussetzung, um etwas zu machen. Dieses Interesse wiederum muss von beiden Seiten gegeben sein, da ich glaube, dass im Kunst- und Kulturbetrieb früher das Interesse nicht so groß war, etwas für alle zu machen. Es herrscht oft die Meinung vor, dass Interessierte ohnehin kommen würden.
Hier müssen Museen und allgemein Kultureinrichtungen umdenken, da die Konkurrenz auch wesentlich größer geworden ist. Vieles tendiert immer mehr in Richtung Entertainment und Freizeitangebote. Hier müssen die verschiedenen Einrichtungen grundlegend ausloten und festlegen, was sie wollen, was ihre Aufgaben sind und wie sie sich positionieren möchten. Das alles sollte geschehen, ohne banal, oberflächlich oder populistisch zu werden. Das gut umzusetzen ist alles andere als einfach. Ich bin aber dagegen, dass man alles nur noch niederschwellig anbietet. Es muss so abgestuft sein, dass für jede Person etwas dabei ist. Ich denke, in den nächsten Jahren wird es in dieser Hinsicht noch viele Entwicklungen geben. Wir stehen noch ganz am Anfang. Die Frage ist, wie man es niederschwellig macht, aber trotzdem so, dass der Inhalt und die Qualität stimmen. Ich bin aber durchaus auch dafür, dass man einmal etwas einfach ausprobiert und möglicherweise Fehler macht, vielleicht nachjustieren muss und aus den gemachten Fehlern lernt und so eine neue Qualität entwickelt. Das finde ich auf jeden Fall besser, als gar nichts zu machen und damit Stillstand zu riskieren. Man muss Dingen Zeit geben und die Möglichkeit sich zu entwickeln, dann wird sich alles einpendeln und die Qualität steigt. Beispielsweise hat die Museumspädagogik zu Beginn, vor 50 Jahren, viele Fehler gemacht, die sie heute nicht mehr macht.
Wenn ich z.B. nur die Leichte Sprache herausnehme, sehe ich enormes Entwicklungspotenzial. Innerhalb einiger Monate ändert sich viel und ich würde heute vieles anders machen als am Beginn. Man lernt einfach dazu.
Monika Daoudi-Rosenhammer: Zu diesem Thema finde ich es auch spannend, Kunst aus den Institutionen herauszuholen und im öffentlichen Raum anzubieten. Das ist ein wichtiger Aspekt, um Barrieren loszuwerden. Denn es gibt bei vielen Menschen eine Hemmschwelle, in das Festspielhaus oder ins Museum zu gehen.
Nadja Al-Masri-Gutternig: Bezüglich der Barrieren ist es erstens wichtig, dass Mitarbeiter geschult werden. Zweitens ist es die Aufgabe dieser Einrichtungen, Begegnungsräume zu schaffen. Das ist uns einmal durch Zufall passiert: Wir haben unser Programm als „barrierefrei“ beschrieben und die „Leichte Sprache“ weggelassen. Dadurch sind viele Menschen ohne Beeinträchtigung gekommen. Diese Veranstaltung war sehr spannend. Die Besucher waren zu Beginn entsetzt, da sie nicht wussten, was sie erwartet, doch am Ende gab es einige, die meinten: „Ich wäre nicht gekommen, wenn ich gewusst hätte, welche Veranstaltung das ist, aber jetzt, wo ich da war, komme ich vielleicht das nächste Mal wieder.“ Das sollte unser Ziel sein. Wir können so viel theoretisches Wissen weitergeben, wie wir wollen, doch wenn Menschen wirklich bei einer Führung mit Durchmischung dabei sind, verändert sich im Verhalten dieser Menschen viel. Sie sehen, dass dies nichts Schlimmes ist. Umgekehrt ist es für Menschen mit Beeinträchtigungen sehr vorteilhaft, wenn sie nicht nur innerhalb ihrer Community sind, weil sie so immer selbstsicherer werden. Das Ziel wäre eigentlich, dass das niemand mehr hinterfragt.
Gefährlich wird es bei Angeboten wie bei einer Führung für Blinde und Sehbeeinträchtigte, da ein Paradoxon entsteht. Einerseits sondiert man Menschen damit und andererseits können sie nicht bei einer Führung mitgehen, die nicht für Blinde und Sehbeeinträchtigte gestaltet ist. Es braucht eben spezielle Angebote. Man muss nur aufpassen, dass man nicht alles in eine Ecke schiebt und sagt: „So, ihr seid jetzt die mit geistiger Beeinträchtigung, ihr seid die mit Sehbeeinträchtigung“, und nichts mehr offen gestaltet. Am besten lassen sich Menschen ohne Seheinschränkung auf das Experiment „Blindenführung“ ein. Solche Angebote bieten wir immer wieder an und bekommen gutes Feedback.
Monika Daoudi-Rosenhammer: Bei vielen Behinderungen ist es so, dass man weiß, dass man selbst in diese Situation geraten könnte, weil es schnell passieren kann, dass man etwa Krücken braucht und damit mobiltätseingeschränkt ist. Die Einschränkungen – und die notwendigen Lösungen dazu – sind nachvollziehbar. Bei Menschen mit Lernschwierigkeiten ist es schwieriger, sich in die Situationen, die sie behindern, hineinzuversetzen. Dabei könnten viele Barrieren abgebaut werden, damit Menschen mit Lernschwierigkeiten selbstständiger leben können. Erleichterungen bei Sprache, Schrift oder Orientierung sind zudem auch für viele andere hilfreich. Das ist ein Denkprozess, der sehr schwierig zu vermitteln ist. Die Erfahrung bei unseren Barrierefreiheitschecks zeigt, dass vielen nicht bewusst ist, wie oft mit einfachen Mitteln Barrieren für Menschen mit Lernschwierigkeiten reduziert werden können.
Nadja Al-Masri-Gutternig: Gestern hatten wir zum Beispiel eine Begehung im Museum für die Glastüren, die alle beklebt werden. Im Vorfeld gab es heftige Diskussionen, da in ästhetischer Hinsicht das Museum ‑ luftig leicht, mit Blick nach außen ‑ mit den Beklebungen nicht harmonisiert, denn die einzige Variante, die der Ö-Norm entspricht, verstellt genau diesen Blick. Daher wollte man bei einer Begehung eine Lösung finden. Den Begehenden wurden Brillen aufgesetzt, die zehn Prozent Sehleistung simulieren, und alle waren schnell überzeugt, dass die Ö-Norm doch einen Sinn hat. Hier ist es also wichtig, dass die Häuser einen Mittelweg finden und die Leute, die es betrifft, oder andere Expert*innen mit an Bord holt. Die Blindenbrillen haben den Menschen quasi die Augen geöffnet. Dassselbe geht bei Mobilitätseinschränkungen und vielem mehr. Das lässt sich simulieren. Schwieriger ist es, die Erfahrungen von Menschen mit Lernschwierigkeiten nachzuvollziehen.
Monika Daoudi-Rosenhammer: Natürlich ist das auch eine öffentliche Verantwortung, weil es immer um finanzielle Mittel geht, die gerecht verteilt werden müssen, sodass für alle Bereiche Zugang besteht. Gerade Menschen, die finanziell nicht so gut dastehen, brauchen mehr Projekte, an denen sie gratis teilnehmen können. Umgekehrt muss die Kultur auch stattfinden und kostet etwas. Deswegen muss Finanzierung für Verschiedenstes möglich sein.
Die Festspielaufführung, die aufgrund ihres Aufwands hohe Kosten mit sich bringt, hat ihre Berechtigung genauso wie die vielen kleinen Veranstaltungen. Ich finde es auch tragisch, wenn laut der neuen politischen Ziellinie das „ Gießkannenprinzip“ als obsolet hingestellt wird und die unterstützten Projekte eingeschränkt werden sollen. Das ist nicht förderlich für unseren Anspruch, dass möglichst viele teilnehmen und auch selbst mitgestalten können. Ich finde es immer spannend, wenn junge Menschen bei einem Theaterprojekt oder einem Kunstprojekt selbst aktiv mitmachen. Das ist oft ihr erster Einstieg, sich dafür zu interessieren. Und auch dafür braucht es finanzielle Mittel.
Nadja Al-Masri-Gutternig: Was ich teilweise bedenklich finde: Früher wurde im Kindergarten das Martinsfest gefeiert und der Nikolaus ist gekommen. Jetzt sagt man, das geht nicht mehr, und wir tun überhaupt nichts. Diese Feste sollen nun in diesen Einrichtungen nicht mehr existieren. Man hätte es umgekehrt machen können, indem man die Feste durch weitere Feste ergänzt. Das finde ich schade, denn da beginnt für mich Kultur. Das geht verloren. Das Gießkannenprinzip hat viel ausgeschüttet, aber natürlich auch viel gefördert. Jetzt, wenn alles so gezielt ist, gehen die Förderungen meistens zu jenen Menschen, die ihre Vorhaben gut beschreiben und den formalen Akt einhalten können. Manchmal geht es bei Projekten mehr darum, eine gute Einreichung zu machen. Ob das Projekt dann gut oder schlecht ist, wird nicht mehr hinterfragt, und das ist teilweise erschreckend. Ein gutes Projekt von einem Menschen mit Beeinträchtigung, der sich wirklich etwas überlegt, aber es nicht in diese Form gebracht hat, hat keine Chance. Es ist schade, wenn es nur mehr um formelle Dinge geht.
Das klingt nach einer gewissen Diskrepanz. Einerseits sagen wir, wir öffnen für alle und andererseits bauen wir Barrieren über Formalia ein. Ist das die Richtung, die du wiedergeben wolltest?
Nadja Al-Masri-Gutternig: Eigentlich nicht. Dass Barrieren abgebaut werden müssen, ist mittlerweile fast in allen Köpfen angekommen. Früher konnte man ein Projekt in verschiedener Form einreichen, doch heute muss das nach genauen Kriterien ablaufen. Das ist schade, da manche Personen diese Kriterien nicht erfüllen können. Aber dass da bewusst Barrieren eingebaut werden, glaube ich nicht. Toll wäre, wenn die Menschen je nach Bedürfnissen Unterstützung für solche Vorhaben bekommen könnten.
Erlebt ihr einen großen Unterschied zwischen Stadt und Land, wenn es um kulturelle Teilhabe, Zugänglichkeiten, um Öffnung oder auch um Förderungen geht?
Monika Daoudi-Rosenhammer: Ich bin am Land aufgewachsen und finde es toll, dass es dort einfacher ist, etwas zu organisieren. Auch Kulturvereine zu gründen zum Beispiel, wie wir es damals gemacht haben. Es haben sich einige Menschen engagiert, und dann konnten auch Mittel aufgetrieben werden. Diese Eigeninitiative finde ich in der Stadt schwieriger. Du weißt nicht, zu wem du gehst, und kennst den Bürgermeister nicht. Am Land kennst du ihn schon und damit ist vieles leichter. Umgekehrt muss man in der Stadt Salzburg bei der Vielfalt an Möglichkeiten nur „pflücken“ ‑ man muss halt nur wissen, wo was ist. Es gibt mehr Angebote, man muss selber nicht viel tun und kann mehr konsumieren.
Nadja Al-Masri-Gutternig: Es werden immer große Einrichtungen ‑ und die sind meistens in der Stadt ‑ hervorgehoben, wobei im Kleinen oft viel mehr passiert. Ich glaube, dass am Land teilweise die Integration leichter ist, weil es meistens unkomplizierter ist. So wie Monika sagt, ist es weniger anonym und man kennt einander eher. Somit sind schon gewisse Brücken gebaut, die hilfreich sein können, eine Teilhabe für alle zu ermöglichen. Ich glaube nur, es kann auch genau in die Gegenrichtung losgehen. Ein „Dorftrottel“ ist schnell gefunden. Das ist dann genauso schwierig. Man merkt im Museum auch, dass Gruppen, die vom Land kommen, oft eine engere Verbindung zueinander haben.
Heißt das, am Land ist mehr Teilhabe als Teilnahme?
Monika Daoudi-Rosenhammer: Ich weiß nicht, ob ich es idealisiere. Es gibt sicher Gemeinden, in denen nichts stattfindet. In der Stadt passiert über die Bewohnerzentren und die Unzahl an Initiativen umgekehrt wirklich viel, an dem man nicht nur teilnehmen sondern auch teilhaben kann. In der Lebenshilfe definieren wir Teilhabe als einen wichtigen Aspekt der Lebensqualität und sind darum sehr bemüht. Wir können aber auch feststellen, dass das in unseren Einrichtungen am Land in der Regel viel leichter durchzuführen ist als in der Stadt, weil der persönliche Kontakt vorhanden ist. Am Land erfährt man von Initiativen auf direktem Weg, hat einen persönlichen Bezug zu den Akteuren und kann dadurch viel leichter teilhaben. Das ist der Vorteil. Es gibt auch viele, viele Nachteile. Ich, zum Beispiel, wohne bewusst nicht am Land. Ich liebe die Auswahlmöglichkeiten der Stadt, die am Land schon weit eingeschränkter sind. Abgesehen davon ist Teilhabe aber sicher wegen des persönlichen Kontakts leichter möglich.
Nadja Al-Masri-Gutternig: Teilhabe wird oft falsch verstanden. Nämlich als Teilnahme. Dass man jetzt sagt: „Ok, die können auch etwas gestalten, etwas mitmachen oder auch entwerfen und wir schauen zu.“ Das gibt es noch relativ wenig. Die Lebenshilfe hat schon ganz lange Kontakt mit Menschen mit Lernschwierigkeiten und geht deshalb relativ normal damit um. Die meisten anderen Menschen haben diesen noch nicht und man merkt, dass gekünstelt mit ihnen umgegangen wird. Dass man extra vorsichtig ist, um kein falsches Wort zu sagen. Ich war das letzte Mal in einem Angebot von Menschen mit Lernschwierigkeiten, aber sie sind eigentlich in jedem zweiten Wort unterbrochen worden, um Hilfe zu bekommen. Das war skurril. Man hat ihnen eigentlich wieder – und das habe ich noch schlimmer gefunden, weil sie auf dem Präsentierteller waren – ihre Kompetenz abgesprochen. Das war schade, denn die Idee und der Ansatz waren sehr gut. Am Anfang werden diese Fehler gemacht. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir kommunizieren oder kooperieren, weil wir von den Feedbacks viel mitnehmen können. Aber auch hier bei der Teilhabe sehe ich enormes Entwicklungspotenzial in den nächsten Jahren. Es werden in den letzten Jahren durchaus viel mehr Menschen in die Gestaltung des kulturellen Lebens z.B. bei Ausstellungen eingebunden als früher und das ist gut so. Man darf nicht nur Angebote zum Mitmachen schaffen, sondern auch die Möglichkeit geben, selbst Angebote zu gestalten.
Monika Daoudi-Rosenhammer: Der Vernetzungsaspekt ermöglicht auch viel Teilhabe. Wir kennen uns, und Nadja hat sicher schon ohne uns den Fokus auf Barrierefreiheit gelegt – aber gemeinsam konnten wir noch mehr weiterbringen. Dadurch funktioniert das. Das ist eine perfekte Zusammenarbeit, die beide Seiten bereichert. Vielleicht ist es deswegen am Land einfacher, weil die Vernetzung automatisch schon vorhanden ist. In Radstadt gibt es zum Beispiel eine Lebenshilfeeinrichtung, wo die Personen über das Musikschulwerk ein Instrument erlernen können und bei verschiedensten kulturellen Ereignissen eingebunden werden. Das hat sich durch Kontakte so ergeben und ist ganz selbstverständlich. Menschen mit Lernschwierigkeiten können deswegen viel mehr teilhaben, weil dort eine gute Vernetzung besteht.
Nadja Al-Masri-Gutternig: Viele bemühen sich um Barrierefreiheit in Institutionen und stoßen auf Widerstände. Da hilft ein gegenseitiger Austausch, um weiterzumachen es ist wichtig dranzubleiben und Strategien auszutauschen. Wir haben auch jemanden, der sich mit der rechtlichen Seite auskennt. Es gibt Argumente für Sachen, die eigentlich umgesetzt werden müssen. Das finde ich ganz wichtig.
Monika Daoudi-Rosenhammer: Einige Leute sind auch auf mich zugekommen und haben gesagt: „Wir haben Ansätze für Barrierefreiheit, aber ie Zielgruppe kommt nicht. Wie erreichen wir das Publikum?“ Hier geht es wieder um Vernetzung.
Nadja Al-Masri-Gutternig: Das ist bei uns ähnlich. Wenn wir zum Beispiel eine barrierefreie Führung in Leichter Sprache ausschreiben, dann kommen höchstens vier Personen. Ohne die Lebenshilfe, die das organisiert, hätten wir viel weniger Besucher. Ich glaube wirklich, dass das eine unterschätzte Sache ist. Du, Monika, sagst immer so schön, dass die Barriere gebrochen ist, wenn du mit jemandem zehnmal wo hin fährst. Irgendwann sagt er: „Oh, heute ist Sonntag, ich habe frei und das Museum hätte offen. Da könnte ich hingehen, weil ich den Ablauf bereits kenne.“ Das ist der spannende Aspekt. Wir bieten jetzt zum Beispiel eine Führung für Menschen mit Demenz an. Ohne die Organisationen, die diese Menschen betreuen, hast du überhaupt keine Chance. Das ist ja immer mit einem organisatorischen Aufwand verbunden. Die Kommunikation mit den Menschen läuft daher sehr oft über Vereine, Einrichtungen oder Institutionen, die in der betreffenden Community gut vernetzt sind.
Wir haben jetzt den Vernetzungs- und Kooperationsaspekt angesprochen. Was können andererseits Einzelpersonen oder Lai*innen in Bezug auf kulturelle Teilhabe beitragen?
Nadja Al-Masri-Gutternig: Ich glaube, hier ist es einfach wichtig, dass man sich viel mit dem Thema auseinandersetzt. Sich mit anderen austauscht, verschiedene Lösungsansätze diskutiert, verschiedene Blickwinkel einnimmt, vieles ausprobiert und kontinuierlich weiterentwickelt. Hier ist es oft sehr hilfreich, wenn Laien mitgestalten, da sie ganz neue Sichtweisen einbringen und außerhalb der Institutionen viel bewirken können. Es ist auch viel gewonnen, wenn viele Einzelpersonen oder Laien dem Thema einfach offen gegenüberstehen und sich auf Angebote einlassen.
Monika Daoudi-Rosenhammer: Alles Ungewohnte ist natürlich schwierig für unsere Klientel. Wie Nadja beschrieben hat, muss man zuerst Unterstützung anbieten. Wobei ich sagen muss, dass bei den Menschen, die wir unterstützen, Kreativität ein wichtiges Thema ist. In unseren Einrichtungen ist Malen eine beliebte Beschäftigung. Auch Musik ist für viele extrem wichtig. Auch Tanz und Schauspiel. Ungewohnt ist für Menschen mit Lernschwierigkeiten, wenn das im öffentlichen Raum oder in einer Institution passiert. Da muss man sie begleiten und unterstützen, damit das irgendwann selbstverständlich wird. Es ist noch nicht so, dass sie einfach ins Theater gehen, weil sie sagen, dass es sie interessiert. Es ist eine ungewohnte Situation, man muss die Information bekommen, was wann wo passiert und auch schon ein bisschen Übung haben, um zu wissen, wo man die Karten bekommt, wie die Verhaltensregeln sind …
Nadja Al-Masri-Gutternig: Ich glaube, dass trotz alledem der persönliche Kontakt wichtig ist. Der Blindenverband sagte zum Beispiel: „Macht bitte noch Führungen, bevor ihr ein attraktives Leitsystem habt. Das haben wir lieber, da begrüßt uns jemand.“ Die Einrichtungen müssen serviceorientierter werden. Das Personal ist das Gesicht nach außen, sie sind der erste Kontakt mit dem Kunden ‑ es ist also auch wichtig, dass es ihnen gut geht und sie gut geschult sind. In Salzburg gibt es dafür bald eine einheitliche, sehr professionelle Personalschulung.
Fühlen sich eure Zielgruppen durch Inhalte, auf die sie im Museum treffen, selbst repräsentiert?
Monika Daoudi-Rosenhammer: Das ist eigentlich nicht das Thema. Umgekehrt ist es mir passiert, dass ich mit Menschen mit Lernschwierigkeiten in eine Ausstellung von Gugginger Künstlern gegangen bin – weil ich glaubte, dass sie sich dort gut wiederfinden – und einige haben gesagt: „Das soll Kunst sein? Das kann ich auch!“ Mit dem herkömmlichen Kunstbegriff können sie speziell im Museum sehr wohl etwas anfangen. Ich glaube nicht, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten sich ausgeschlossen fühlen, wenn sie einmal (bzw. zweimal oder dreimal) den Fuß über die Schwelle gesetzt haben.
Nadja Al-Masri-Gutternig: Was diesen Punkt betrifft, ist in den letzten Jahren sehr viel passiert. Von vielen Einrichtungen wird versucht, Themen aus den verschiedensten Blickwinkeln zu beleuchten. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sich verschiedene Besucher repräsentiert fühlen. Ich möchte hier ein Beispiel aus der Praxis geben. Bei der in Kürze startenden Ausstellung „Stille Nacht 200“ wird ein großflächiges Video gezeigt, in dem ein Gebärdensprachchor das Lied „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ gebärdet. In einem anderen Bereich werden Videos zu sehen sein, in denen Menschen aus anderen Kulturkreisen erzählen, welche Feste bei ihnen gefeiert werden, die mit Weihnachten vergleichbar sind, wie sie das Weihnachtsfest kennengelernt haben oder wie sie Weihnachten feiern. Diese verschiedenen Blickwinkel ermöglichen verschiedenen Menschen, Anknüpfungspunkte zu den gezeigten Inhalten zu finden. So fühlen auch sie sich als Teil des Dargestellten und repräsentiert.
Was sind eure Visionen in Bezug auf kulturelle Teilhabe in Salzburg?
Monika Daoudi-Rosenhammer: Ich stelle es mir fröhlicher vor, wenn ich durch die Stadt gehe. Ich mag auch die Festspielzeit, weil sich viel auch außerhalb auf den Straßen und Plätzen tut, es zu der Zeit zum Beispiel besonders viele Straßenkünstler gibt. Ich mag es gern, wenn ich nicht wo reingehen muss, sondern durch die Stadt gehe und viel sehe: Bilder, Musik etc. Ich würde mich freuen, wenn im Supermarkt ein paar schöne Bilder hängen würden. Kunst im öffentlichen Raum ist ganz toll. Ich glaube, dass das die Stimmung einer Gesellschaft völlig verändern würde. Das würde auch die Kreativität viel mehr anregen, mehr Zusammenkünfte ermöglichen, sodass man sich beteiligen und aktiv werden kann. Die Hemmschwelle sollte ganz niedrig angesetzt werden, sodass man sich einfach wo dazustellen und ausprobieren kann. Natürlich sollen qualitativ wahrscheinlich weit hochwertigere tolle Konzerte, Theater- und Opernaufführungen und Ausstellungen beibehalten werden. Ich würde mir noch viel mehr aktive Kunst wünschen. Ich kann mich daran erinnern, als die ARGE Rainberg[1] ihr Haus im Nonntal bekommen hat. Das war toll, weil ganzunterschiedliche Leute aus verschiedensten Initiativen mitgearbeitet haben, das Haus beziehbar zu machen. Jeder leistete einen Beitrag dazu und damit wurde einfach auch wieder eine Identität gestiftet, die ich sehr wichtig finde. Ich wünsche mir mehr Präsenz im Alltag, sodass ich durch die Stadt gehe und weiß, es ist eine Kunststadt.
Nadja Al-Masri-Gutternig: Eine sehr schöne Vorstellung wäre natürlich, dass alle Aspekte, über die wir heute gesprochen haben, nicht mehr diskutiert werden müssen, sondern kulturelle Teilhabe und Kultur für alle selbstverständlich wäre. Also dass alle Menschen sich in kulturellen Angeboten und im kulturellen Leben wiederfinden würden und für sie geeignete Zugänge nützen könnten. Ich bin auch sehr für Begegnungsräume. Ich glaube, es ist wichtig, dass es mehr Durchmischung gibt. Dass sich zum Beispiel der*die Universitätsprofessor*in mit dem*der Elektriker*in trifft. Ich habe deshalb Lokale gern, wo alle hineingehen, weil sich dort meistens alles an der Bar trifft und es funktioniert. Ich bin mir sicher, dass ein großer Teil der Menschheit offen wäre. So wie du, Monika, sagst, würde das alles fördern. Oft ändert das beim Menschen viel, wenn Musik auf der Straße ist oder wenn ein*e Künstler*in dort ist, der*die porträtiert. In Hamburg gibt es zum Beispiel ein tolles Hotel, wo Menschen mit und ohne Beeinträchtigung arbeiten. Das verändert etwas bei der Haltung der Besucher. Wir haben mittlerweile eine perfektionistische Welt, sodass alles schnell gehen muss. Bei Führungen mit der Lebenshilfe dauert es eben einfach eine Weile, bis wir im ersten Stock sind, aber man kommt auch selbst wieder ein bisschen zur Ruhe. Man lernt, dass es nicht ganz so schnell und ganz so perfekt laufen muss. Deshalb wünschte ich mir, dass sich alle zusammen mehr begegnen.
Monika Daoudi-Rosenhammer: Mir ist bei deiner Schilderung das Bild von Gemeinschaftsgärten eingefallen, die so ein tolles Beispiel sind – also weit besser als jede Schulungsmaßnahme, als jede moderierte Veranstaltung – um Menschen aus verschiedenen Kulturen und Altersgruppen zusammenzubringen. Genau das bräuchten wir. Ich denke, vielleicht kann man das auch bei ganz niederschwelligen Kunstprojekten ansetzen. Oder Kochen und Brotbacken, solche Sachen. Das hat alles mit Kunst und Kultur zu tun. Ich finde es auch wichtig, dass man kulturelle Teilhabe als etwas Wichtiges für die Gesellschaft betrachtet, das der Gesellschaft sehr viel bringt, wenn es unterstützt wird.
Danke für dieses Gespräch!
Persson Perry Baumgartinger, Dilara Akarçeşme, Nadja Al-Masri-Gutternig, Monika Daoudi-Rosenhammer ( 2018): Das inklusive Museum ‑ eine Frage von Kooperation und Vernetzung. Nadja Al-Masri-Gutternig und Monika Daoudi-Rosenhammer im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger, Dilara Akarçeşme. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/das-inklusive-museum-%e2%80%91-eine-frage-von-kooperation-und-vernetzung/