„Unsere Stärke liegt in der Mobilität ‑ wir können in jede Ecke, in jede Siedlung, in jede Nische hinein.“

Onur Bakış im Gespräch mit Dilara Akarçeşme

Onur Bakış, mehrfacher österreichischer Meister im Breakdance, ist Tänzer, Kulturschaffender und Gründer des Vereins Doyobe („do your best“). Seit über 17 Jahren lebt und arbeitet er in Salzburg und verfolgt das Ziel, Jugendliche für die Hip-Hop-Kultur zu begeistern. In seiner Praxis bringt er Personen aus unterschiedlichen Welten zusammen, wie etwa Schuhplattler und Breakdancer. Im Interview erzählt Bakış von Herausforderungen der kulturellen Teilhabe migrantischer Kinder, der Notwendigkeit von Räumen und Mobilität sowie davon, warum in einem Wohn- oder Kinderzimmer keine Kultur gelebt werden kann.

Was bedeutet für dich kulturelle Teilhabe in Salzburg und darüber hinaus?

Kulturelle Teilhabe bedeutet für mich, dass verschiedene Kulturen und Menschen zusammenkommen, ihre Kultur mitbringen, die lokale Kultur entdecken und diese auch formen, begleiten und mitbestimmen dürfen, und zwar immer mit ihrer Kultur gemeinsam. Wir versuchen, verschiedene Maßnahmen mit den Teilnehmern zu treffen, um ihnen die Möglichkeit und Freiheit zu geben, sich in ihren Ideen und in ihrer Welt auszuleben. Sie sollen sagen: „Ich bin hier willkommen“ – nicht nur willkommen im Sinne von Integration, weil sie zu verschiedenen Kulturen gehören, sondern weil sie wirklich willkommen sind. Es soll Organisationen geben, die auf mich zugehen oder auf die ich zugehe. Man soll offen miteinander sein und Projekte, Aktivitäten und Maßnahmen entwickeln, die für alle Seiten Sinn machen.

Wir als Doyobe versuchen, in verschiedene Nischen und Kulturen hineinzukommen. Das gelingt uns natürlich nicht immer, aller Anfang ist schwer. Es gibt eine Warm-up-Phase und nach ein paar Tagen, Wochen oder Monaten, je nachdem wie das Projekt aufgesetzt ist, findet man zueinander, die Barrieren werden abgebaut und man gewinnt eine ganz andere Sichtweise. Das wollen wir schaffen, denn das ist nicht immer selbstverständlich. Man konsumiert Informationen, Daten und Symbole, die in der ganzen Welt herumgestreut werden und nimmt sie zufällig auf. Die stimmen nicht immer überein. So versuchen wir mit Kulturprojekten diese Offenheit von Menschen wirklich darzustellen, damit alle etwas davon haben.

Wir konnten schon viele positive Seiten sehen. Wir haben Jugendliche aus Israel, Marokko, Frankreich, England, der Türkei und den USA eingeladen. Sie haben in der Kulturstadt Salzburg, die eigentlich für Hochkultur bekannt ist, zueinander gefunden. Wir wollten etwas Neues initiieren. Die Hip-Hop-Kultur kommt zwar aus den USA, aber wir formen sie, bringen sie hierher und machen eine Synergie zwischen Mozart, Hip-Hop und der Welt. Bei uns hat es irgendwie geklappt, dass mit der Hip-Hop-Kultur und der Hip-Hop-Szene in Salzburg verschiedene Menschen in Salzburg zueinander gefunden und sich ausgetauscht haben. So konnten wir viele Beobachtungen aufzeichnen.

Es ist zum Beispiel interessant, dass ein marokkanischer Tänzer, der etwas Bestimmtes über Salzburg auf YouTube gesehen hat, nach Salzburg kommt. Er kennt die Künstler und die Szene nicht, mischt aber die gesamte Szene auf. Er mischt Professionelle aus den USA und Korea mit seiner arabischen Tanzkultur auf, verknüpft mit der Hip-Hop-Kultur aus den USA. Die Marokkaner tanzen zum Beispiel extrem gut und dann beten sie plötzlich im Vorraum des Jugendgästehauses. Die Amerikaner schauen dann nur. So brechen Barrieren – etwas, das man über Medien nicht erreichen kann. Man muss schon richtig aufwühlen in der Welt, dass man solche Kulturbarrieren und Sichtweisen überwindet. Dann kann gesagt werden: „Das ist eigentlich ein ganz normaler Künstler.“ Sie haben ihre Sitten und Gebräuche und diese leben sie auch überall. Der Mensch bringt nicht nur seine Kultur, sondern auch seine Sitten und Gebräuche mit. Die transferiert er dann nicht nur nach Salzburg zu den Bürgern, sondern auch in die Welt. Wir laden Künstler aus der ganzen Welt ein, die hier diese Geschehnisse konsumieren und es in ihrem Heimatland verteilen. In Korea oder in den USA wird dann erzählt: „Hey, ich war in Salzburg und da war ein Marokkaner, der extrem gut tanzte.“

Kannst du etwas mehr von diesem Projekt erzählen?

Ich habe getanzt und mir ist aufgefallen, dass es nicht viele Tänzer bzw. Breakdancer in Salzburg gibt. Ich habe mir gedacht, dass etwas passieren muss und bin zu akzente gegangen, die Jugendprojekte machen. Mit ihnen war ich 2003 in Spanien. Ich habe ihnen erklärt, dass ich die Idee habe, Jugendliche aus ganz Europa, die sich besonders mit der Hip-Hop-Kultur beschäftigen, nach Salzburg einzuladen. Sie haben gesagt, dass sie mir gerne helfen und haben ein Programm vorgeschlagen, „Jugend in Aktion Europa“, wo Jugendliche aus Israel, Marokko, der Türkei, England oder Frankreich eingeladen werden können. akzente hat mich bei dem Projektantrag unterstützt, der dann auch genehmigt wurde. Damals habe ich richtig aufgeschrien, als ich in der Arbeit die E-Mail bekommen habe: „Ja! Endlich geschafft!“ Dann waren eben über 40 Jugendliche aus diesen Ländern hier in Salzburg. Jemand hat dann gesagt: „Moment, du brauchst einen Verein. Als Einzelperson geht das nicht.“ So habe ich mir Gedanken gemacht, um was es eigentlich bei uns geht.

Es geht um Künstler, die diese Tänze autodidaktisch lernen. Es gibt keine Zertifikate, keine Ausbildung an der Universität oder sonst etwas, sondern man eignet sich das durch Probieren an. Man schaut sich die Bewegungen im Breakdance an, ist inspiriert und versucht es. Durch immer mehr Versuche verbessert man sich. Man bildet also nicht viel Theorie. Die Theorie ist, glaube ich, eher in der Musikrichtung, im Hip-Hop oder im Funk. Man ist eben von Hip-Hop oder Funk inspiriert. Um das Ganze zu schaffen, braucht man aber schon sehr viel Disziplin und Ehrgeiz. Ich habe mich dann gefragt, wo diese Musik eigentlich herkommt. Die Musik kommt aus der ganzen Welt, aber besonders der Hip-Hop kommt aus den USA, die Afroamerikaner kommen aber wiederum aus Afrika. So habe ich mir einen Künstler ausgesucht: Femi Kuti hatte das Album Do Your Best / Fight To Win. Dabei habe ich mir gedacht, dass wir hier auch unser Bestes tun. Ich wollte auch, dass die Künstler hier in Salzburg ihr Bestes geben. So habe ich das auf Doyobe abgekürzt. Davor habe ich mir auch Inspirationen vom Initiator der Weltmeisterschaften, dem Battle of the Year, Thomas Hergenröther geholt, der mich beraten hat. So habe ich mit einigen Freunden diesen Verein gegründet. Do your best and fight to win! Kämpfe ohne Gewalt, aber mit deiner Kreativität!

Hast du neben akzente mit anderen Institutionen in Salzburg zusammengearbeitet?

Ja. Wir haben gesellschaftliche Probleme angesprochen, die EU-weit bestehen. Daher haben wir uns gedacht, dass die Landesregierung zuständig sein könnte und haben sie kontaktiert. Ich habe nicht einmal gewusst, was eine Word-Datei ist und sollte ohne Ahnung von Buchhaltung oder irgendwas ein Projekt schreiben. Aber ich hatte die Idee. _‑ Die Idee, Künstler aus der ganzen Welt und vor allem aus Europa zusammenzubringen. Ich hatte mit Stolpersteinen und nicht zufriedenen Beamten zu kämpfen, die gesagt haben, dass ich dieses Formular nochmal und nochmal ausfüllen sollte. So habe ich eben gekämpft, bis es gepasst hat. Ich habe auch viel mitgelernt, hatte mit Institutionen und insbesondere Regierungsorganisationen zu tun. So hat es sich eigentlich über die Jahre von 2007 bis heute, 2018, entwickelt. Besonders war, dass ich auch mit der Salzburger Burgen & Schlösser Betriebsführung zusammenarbeiten durfte, weil ich die Idee hatte, eine Opening Party auf der Festung zu machen.

Jeder sagte: „Spinnst du? Wie soll das gehen? Wie sollen die Leute da rauf? Da gibt es nur eine kleine Bahn, die vielleicht 20 Leute raufträgt. Da können doch nicht 300 bis 400 Leute Platz haben.“ Aber es ist geschehen. Wir durften oben ein Fotoshooting machen, im Weltkulturerbe Hohensalzburg. Wir waren auch willkommen und haben eine Förderung dafür bekommen, diese Hip-Hop-Künstler auf die Festung zu bringen, mit ihnen Fotos zu schießen und auch die Pre-Party für unser Hip-Hop-Festival in Salzburg zu machen. Man muss sich das quasi als „vom Bordstein zur Skyline“ vorstellen,. Die Skyline in Salzburg ist eben die Festung. Ich, als türkischstämmiger Junge, der zweimal von der Schule geflogen ist und keine guten Erfahrungen mit der Schule hatte, habe durch die Hip-Hop-Kultur diese Möglichkeiten entdeckt. Ich musste mich natürlich auch herzlich und sehr offen bei der Gesellschaft, nicht nur bei der Politik, bei den Medien, den Bürgern und den Kindern bedanken, die sich einfach für diese Kultur begeistern haben lassen. Sonst hätte ich es nie geschafft. Da müssen irgendwelche Energien da gewesen sein, die die Menschen gespürt haben. Der Geschäftsführer der Salzburger Burgen & Schlösser Betriebsführung hat gesagt: „Ja, Onur, du bist hier willkommen. Bitte geh auf die Burg rauf und mach die Party.“ So waren wir in verschiedensten Organisationen, von der Salzburg AG über das republic bis zum Leopoldskroner Bad. Ich glaube, ich war in jedem Veranstaltungshaus in Salzburg. Ich glaube, Salzburg ist schon zu klein für mich (lacht). So habe ich die Erfahrung gemacht, dass man alles schaffen kann. Nur hatte ich Arbeitszeiten im Verein durchgehend von 7 Uhr morgens bis 10, 11 Uhr am Abend. Ich dachte mir, dass zwei, drei Stunden nicht reichen, sondern war mit so viel Liebe und Motivation dabei, sodass etwas Großes dabei entstehen konnte.

Was bedeutet für dich „alle“? Wer ist in diesem „alle“ enthalten?

Am Anfang waren es für uns die Hip-Hop-Freunde und die, die sich für die Breakdance-Kurse angemeldet haben. Irgendwann haben wir uns dann gedacht: „Moment, das sind doch nur ein paar Menschen, die ohnehin das konsumieren, was sie lieben. Wir brauchen Leute, die sich nicht auskennen oder noch nicht damit in Berührung gekommen sind.“ Anders ausgedrückt: Was tut ein 40-Jähriger mit seiner ganzen Familie auf einer Hip-Hop-Veranstaltung? Der kann sich nur die Tänzer ansehen, sich nur hinstellen oder hinsetzen und nicht bei einer Party mitmachen. Der kann das nur konsumieren. Es war für uns sehr schwer, wirklich jede Schicht von Bürgern und Menschen zusammenzurufen und diese auch dafür zu begeistern, dass diese Kultur eine positive und motivationsvolle Inspiration für alle ist. Natürlich war es davor leichter, ein paar Flyer in Druck zu geben und die dann in den Schulen zu verteilen. Menschen, die noch nie damit in Berührung gekommen sind und normalerweise zum Beispiel Brauchtumskultur in Salzburg konsumiert haben, auch für unser Event zu begeistern – und sei es nur für einen Abend – war viel schwieriger.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es nicht reicht, einfach Informationen in die Hand zu drücken oder in einem Interview im Fernsehen oder im Radio zu sagen: „Wir haben hier eine supertolle Veranstaltung“, sondern dass man es vorleben und auch vorzeigen muss. Wir sind dann einfach auf die Straße gegangen, sei es in der Linzer Gasse oder im Europark, einfach dorthin, wo uns die Leute direkt sehen und anfassen können. So haben wir eine Brücke zu den Menschen gebaut, die noch nie damit in Berührung gekommen sind.

Gab es auch Menschen, die unerwartet zu euch gekommen sind?

Ich glaube, 2013 war der Höhepunkt. Wir hatten eine Veranstaltung, zu der Menschen kamen, die wir noch nie in der Szene gesehen oder angesprochen hatten. Wir fragten uns: „Wie kommen die zu uns? Woher haben sie die Tickets für die Veranstaltung?” Das waren wirklich Leute, denen das erzählt worden ist: „Hey, ich habe das gesehen, das war so geil. Du musst unbedingt mitkommen.“ So spürt man die Energie, die durch Mundpropaganda oder mit den Augen, der Mimik und der Gestik versprüht wird. Da wird nicht gesagt: „Hey, da ist eine Veranstaltung, komm hin“, sondern: „Ich habe das live gesehen. Da dreht sich einer hundertmal auf dem Kopf. Das können doch keine Menschen sein. Da musst du unbedingt hin.“ Es waren auch ältere Menschen dort, über die wir dachten: „Der kann doch niemals mit dieser Kultur oder Kunstform etwas zu tun haben.“ Das begeistert einfach. Wenn wir in die Altstadt gehen, dort Karton oder PVC hinlegen und uns auf dem Kopf drehen oder irgendwelche Kunstbewegungen aus dem Breakdance machen, versammeln sich garantiert bis zu 200 Personen. Wir wissen auch nicht wirklich, warum. Ist es, weil es übermenschlich ist, sich auf dem Kopf zu drehen? Oder ist es die Energie, die wir als Menschen weitergeben? Oder sind es Figuren, die wir machen, die ein Mensch normalerweise nicht macht? Wenn wir schön einen Purzelbaum oder einen Handstand machen, wird es eben mit Sport assoziiert. Wenn wir aber James Brown aufdrehen und ein Türke mit Bart auf dem PVC-Boden mitten in der Mozart-Altstadt tanzt, wird das ganz anders aufgefasst. Dann kommen einfach diese neuronalen Verbindungen im Gehirn zusammen, weil das eigentlich nicht passt. „Doch, es muss passen. Ich sehe es doch.“ So schaffen wir die Verbindungen im Inneren von Menschen, im Herz, im Kopf und in den Augen. Diese Verbindungen zu schaffen ist unser Level, unsere Sache.

Was sind deiner Meinung nach Unterschiede zwischen Stadt und Land Salzburg?

Wir haben verschiedene Projekte im Land Salzburg gemacht. Wir haben gemerkt, dass in der Stadt Salzburg die Kulturen einerseits sehr vermischt sind, es andererseits aber auch Kulturen gibt, die untereinander bleiben. Man kann Parallelgesellschaften sagen. Am Land Salzburg ist es zum Beispiel in St. Johann im Pongau so, dass sich verschiedene Kulturen schon sehr an die dominante Kultur angepasst haben. Ich kann es so erklären: Wenn Sepp und Maria plötzlich Künstler aus verschiedenen Kulturen sehen, wundern sie sich extrem, weil sie das dort noch nie gesehen haben. Wenn wir dorthin gehen, dann können sich Leute aus unseren Kulturen, seien es jetzt Araber oder Asiaten oder wer auch immer, mit uns assoziieren und sagen: „Euch gibt es auch. Ihr macht etwas mit Hip-Hop-Kunst und -Kultur. Oder ihr macht überhaupt irgendetwas, cool.“ Diese Kulturen sind natürlich auch angepasster und fallen nicht so stark auf wie die Parallelgesellschaften in der Stadt Salzburg. Manchmal muss ich mich dann ganz lustig rechtfertigen. Sepp und Maria sagen dann: „A jo du tonzt oder wos? Wer bist ‘n du? Bist du a Türke und du konnst tonzn?“ „Ja, natürlich. So etwas gibt es auf der ganzen Welt. Und ganz neu jetzt auch im Land Salzburg.“ (Lacht) Irgendwo ist es traurig, dass es da noch nichts am Land gibt. Man denkt sich: „Land Salzburg. Was soll ich da im tiefsten Pinzgau oder Pongau? Was soll ich in Ebenau oder Altenmarkt im Pongau? Da wohnen doch nur ein paar Menschen.“ Aber politische Abbildungen oder gesellschaftliche Veränderungen merkt man besonders am Land Salzburg. Es braucht einfach mehr am Land. Im Flachgau wurde uns zum Beispiel ein Riesenprojekt, Wahre Landschaft, genehmigt. Im Pongau wurde uns auch etwas genehmigt. Das heißt, die Landesregierung sieht schon, dass wir etwas machen wollen und dass etwas gemacht werden muss, aber es braucht viel mehr.

Kannst du uns von einem Projekt am Land erzählen?

Ja. Eines war in St. Johann im Pongau. Wandel hieß das Projekt, denn die Gesellschaft hat sich seit dem Jahr 2015 sehr stark gewandelt, kulturell wie gesellschaftlich. Wir dachten uns, dass wir Schuhplattler, Breakdancer und Flüchtlinge, also wirklich viele verschiedene Bereiche, miteinander verbinden. Für uns war das eine Videodokumentation. Wir haben sie mit verschiedenen Organisationen erstellt und im Dieselkino in St. Johann präsentiert. Dort durften die Schüler der Volksschule Neue Heimat in Bischofshofen zum ersten Mal im Kino auftreten. Die Eltern waren auch im Kinosaal. Die Flüchtlinge waren auch dort. In der Dokumentation waren die Kinder. Danach wurde eine Funkband in das Flüchtlingsheim eingeladen. Die Leute haben dort plötzlich getanzt, obwohl einige noch nie in ihrem Leben Funk-Musik gehört haben und es darüber hinaus Fastenzeit war. Das heißt, einige haben gefastet und trotzdem mitgetanzt. Eine Funkband im Flüchtlingsheim ist total crossover. So sehen wir die Erfolge. Wenn wir diese schwierigen Sachen schaffen, sehen wir enorm positive Resultate. Im Kinosaal waren zum Beispiel Flüchtlinge, ihre Betreuer, die Kinder, ihre Eltern, die verschiedenen Künstler, auch lokale, wir als Team und völlig unbekannte Gesichter, die mit dieser Dokumentation nichts zu tun hatten. Wir haben uns gemeinsam hingesetzt, gelacht und auch nachgedacht. Es sind auch traurige Sachen erzählt worden. Durch dieses Video, durch bewegte Bilder haben wir verschiedene Menschen und Kulturen zusammengebracht. Das war für alle erstaunlich und einige sind auch zu uns gekommen und haben gefragt: „Wie schafft ihr das?“ Es gab viele Überraschungen, Überraschungskünstler, Gäste, Kulturen und Kunstformen, die eine ganz neue Sichtweise geschaffen haben. Es war super!

Welche Rolle spielt deiner Meinung nach die Gesellschaft bzw. Zivilgesellschaft bzw. Amateure in Bezug auf kulturelle Teilhabe?

Eine sehr große. Zurzeit ist die Szene leider ein bisschen auf Sparflamme. Früher war es so, dass Gruppen im Hip-Hop-Bereich miteinander konkurriert haben. Es gab verschiedene Meinungsverschiedenheiten, wo man gesagt hat: „Du, ich glaube, du bist etwas anderes als ich. Du gehst deinen Weg. Ich gehe meinen.“ So haben sich eben verschiedene Bereiche entwickelt, sei es im Nachwuchsbereich, sei es im Theater- oder Eventbereich oder auch auf der wirtschaftlichen Seite. Wir haben geschaut, dass sich kleine Gruppen bilden und auftreten. Das waren eben unsere Tanzschüler. Das Ziel war, dass die Gruppen auftreten und sich dadurch stärken. So sollte die Kultur weitergetragen und weiter unterrichtet werden, um einfach die Masse zu erreichen. Auch wenn man seiner Lohnarbeit nachging, hatte man seine Gedanken immer im Unterricht, in der Kultur oder in der Szene. „Was mache ich als nächsten Event? Wo mache ich den nächsten Workshop?“ Mit dieser Motivation hat sich die Szene gebildet.

Die Künstler zu betreuen ist nicht einfach. Ich habe einen Schüler sogar jeden Tag von zu Hause abgeholt, um ihn ins Training zu fahren; er war dreizehn Jahre alt und konnte nicht vierzig Minuten lang durch die Stadt zum Trainingslager fahren. Aus Personen, die von mir oder anderen persönlich betreut wurden und zu den Events nach Paris oder woandershin in Europa mitgenommen wurden, sind etablierte Künstler geworden. Die haben es geschafft. Diese Nachwuchsarbeit ist enorm wichtig. Es werden immer wieder Kinder unterrichtet. Man kann sagen, dass ca. 100 bis 150 Schüler in der Stadt Salzburg im Hip-Hop-Kulturbereich sind. Diese Szenearbeit, aus diesen Schülern Nachwuchskünstler zu machen, ist extrem schwer. Man muss sie wirklich betreuen und es wird nicht bezahlt. Es soll aus Engagement und Freiwilligkeit passieren. Es passiert ja auch seit zehn Jahren aus Engagement und Freiwilligkeit. Das reicht dann. Irgendwann muss es floppen, weil jeder arbeiten und seine Miete bezahlen muss. Wenn die Kunst nicht bezahlt werden kann, geht sie eben verloren. Vielleicht kommt noch einmal eine mediale Welle, die sagt, dass Hip-Hop-Kultur in ist. Dann laufen wieder alle in die Tanzschulen. So funktioniert das.

Wer kann deiner Erfahrung nach in Salzburg an Kultur teilhaben und wer ist ausgeschlossen?

Ausgeschlossen, kann ich klar sagen, sind die Migrantenkinder. Warum? Weil das Potenzial der Kulturentwicklung des Kindes nicht gesehen wird. Ich bin einer der wenigen Migranten, die diese Hip-Hop-Kultur als Kulturform leben, also nicht als Discotänzer kurz über zwei Monate, sondern die sich mit dieser Kunstform beschäftigen. Ich selbst habe zu 98 Prozent österreichische oder deutsche Kinder unterrichtet, weil die Eltern das Geld für den Kurs hatten. Die, die das lernen wollten und deren Eltern das Geld hatten, kamen in die Tanzschule und haben gelernt. Die Migrantenkinder, die kein Geld hatten, haben das autodidaktisch gemacht. Sie haben sich das selbst beigebracht. Da ist auch vieles entstanden. Allgemein haben diese Familien aber keine finanziellen Mittel, weil der Vater im Lager oder die Mutter als Putzfrau arbeitet. So schafft man eben nur gerade so die Schwelle, dass man die Miete und das Essen, also den Unterhalt bezahlt. Da hat man kein Geld für Kunst und Kultur oder überhaupt die Zeit und die Vitalität, nach der Arbeit das Kind noch da- und dorthin zu bringen. Diese Sachen hat man nicht und deshalb ist diese Gesellschaftsgruppe ausgeschlossen. Wir haben natürlich nicht immer etwas verlangt. Man durfte auch nur die Hälfte zahlen oder mal nur drei oder vier Mal kommen, wenn man gesehen hat, dass Potenzial da ist. Aber es ist natürlich ganz anders, wenn man wirklich jedes Mal dabei sein darf. Und so sind diese Gesellschaftsgruppen auf sich alleine gestellt. Und dann gibt es eben diese leider sehr kurzen Projekte, wo man den Künstler bezahlt, sodass es für die Teilnehmer kostenlos ist. Das muss gestärkt und gefördert werden.

Es ist also hauptsächlich das Geld.

Genau. Es geht ja auch um die Eltern und gesellschaftliche Probleme, die Kunst und Kultur verhindern. Aber Hip-Hop-Kultur entsteht ja auf der Straße und soll dort entstehen, wo viel Freizeit herrscht und man nicht für Gymnasium oder Uni lernen muss. Wenn man in einer Siedlung ist, wo viel herumprobiert wird und auch herumprobiert werden darf, dann macht man das. Aber diese Siedlungen bergen auch viele negative Seiten, das heißt Konsum von Rauschgift, Schmierereien in der Siedlung oder Kämpfe zwischen rivalisierenden Gruppen, weil man einfach den Frust so rauslässt. So bleibt eigentlich nur ein Minimalteil für Kunst und Kultur über.

Was muss geschehen, damit alle an Kunst und Kultur teilhaben können?

Es müssen Freiräume geschaffen werden, zu denen Nachwuchskünstler Zugang haben. Ich sehe verschiedene Kulturräume in Salzburg, die leer stehen. Aber wenn man dort vorbeigeht und sieht, dass es leer steht, versteht man nicht warum. Dann gibt es eben bestimmte Kulturräume in Salzburg, die man anmieten kann. Die kosten in der Stunde zehn bis zwanzig Euro oder mehr. So bleiben eigentlich nur die Jugendzentren über, die ein wenig Raum haben und wo sich die Jugend auch frei bewegen kann. Wir haben uns als Profikünstlergruppe aus einem Jugendzentrum heraus etabliert. Das heißt, wir haben einmalig die Möglichkeit bekommen: „Hier hast du den Schlüssel und mach was daraus.“ So haben wir einen freien Raum für uns selbst bekommen, den wir nach den Öffnungszeiten nutzen konnten. Der Raum, sich zu entwickeln, existiert aber nicht überall. Es muss immer alles bezahlt werden, weil einfach die Grundkosten gedeckt werden müssen. Irgendwann endet alles im Finanziellen. Deshalb sind die Kids in der Siedlung auf der Straße, entdecken eine Bank und beschmieren sie, um ihr Revier zu markieren. Aber wenn es regnet, sind sie wieder zu Hause. Im Wohn- oder Kinderzimmer kann man keine Kultur leben. Man kann sie am Handy medial konsumieren, aber nicht leben. Wir brauchen Freiräume für die Nachwuchskünstler, damit sie Kultur auch leben können.

Was sind deine Visionen und Wünsche für kulturelle Teilhabe in Salzburg?

Perfekt wäre es für mich vor einem oder zwei Jahren fast geworden. Ich habe damals Stadt und Land Salzburg gebeten, mir doch ein bisschen Budget zu geben, damit ich mich als Künstler bezahlen, den Verein verwalten und die Personalkosten decken kann. So hätte ich eine Basis, denn ich mache das schon seit über zehn Jahren. Das wurde mir leider nicht genehmigt. Ich wollte ein Kulturzentrum in der Stadt Salzburg gründen. Daraus wurde leider auch nichts, weil ich einfach müde wurde, mit der Politik zu kämpfen. Hip-Hop-Kultur ist keine Kultur, die sich in Salzburg verkaufen lässt. Dann wäre es auch nicht mehr Kultur, sondern einfach Konsum. Das wollen wir nicht, denn dann würden wir das nicht leben, was wir leben sollten. Für uns wird es aber immer unverständlich sein, warum ein Künstler für eine Ausstellung oder ein Projekt eine Riesensumme bekommt, nur weil er das einfach auf dem Papier theoretisch gut rechtfertigen kann.

Die Hip-Hop-Kultur schafft das nicht, weil sie sich in dieser Form nicht artikulieren kann. Deswegen habe ich immer noch die Vision, dass die Stadt den Verein mit einer Grundbasis fördert, sodass ich nur noch 20 Stunden Lohnarbeit nachgehe und 20 bis 40 Stunden der Hip-Hop-Kultur widmen kann, die ich liebe. Es werden immer Häuser finanziert, die Fixgebäude sind, die stehen und eben bespielt werden. Unsere Stärke liegt jedoch in der Mobilität. Wir können in jede Ecke, in jede Siedlung, in jede Nische hinein. Das wäre doch etwas Innovatives!

Danke für das Interview!

Dilara Akarçeşme, Onur Bakış ( 2019): „Unsere Stärke liegt in der Mobilität ‑ wir können in jede Ecke, in jede Siedlung, in jede Nische hinein.“. Onur Bakış im Gespräch mit Dilara Akarçeşme. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/unsere-staerke-liegt-in-der-mobilitaet-%e2%80%91-wir-koennen-in-jede-ecke-in-jede-siedlung-in-jede-nische-hinein/