Are 100 Words Enough to Represent Artistic Research?

Ein Selbstinterview

Wie setzt du dies in Bezug zu deinem aktuellen Forschungsprojekt zum Schreiben in und von Bewegung?

Im künstlerisch-wissenschaftlichen Projekt Writing Movement beschäftigen uns ähnliche Fragen, die mit Aufmerksamkeit, Materialität und den Interaktionen mit Dingen zu tun haben. Wie lassen sich zum Beispiel die Bewegungen eines Baumes in Zeichnungen überführen, wenn die Mikrobewegungen der Blätter nicht als einzelne, abgrenzbare Bewegungen wahrnehmbar sind, sondern vielmehr als ein Vibrieren? In welchen Maßstab setzen wir unsere Zeichen- und Schreibbewegungen zu den beobachteten Phänomenen? Dass die Übertragung von Bewegung, eines Vollzugs in eine Aufzeichnung, in ein anderes Medium – des Spürens in eine Spur – selbst eine Bewegung ist, die das Beobachtete notwendigerweise transformiert, scheint klar; unser Forschen richtet sich eher auf die Frage, wie sich diese Transformationen wiederum bemerken und beschreiben lassen, etwa über die Erkundung des Kinetischen der Aufzeichnungen selbst. Oder zurück auf mein Beispiel des Meadow Meander gewendet: Wie schreiben sich die Bedingungen und Bewegungen der Materialitäten in die Zeichnungen ein? In welcher Weise müssen auch unsere Aufzeichnungspraktiken selbst nachhaltig werden, um dieser Interdependenz zwischen Körper und nicht-menschlicher Umwelt Rechnung tragen zu können? Der Begriff der Choreographie spielt dabei eine weit weniger tragende Rolle, als man erwarten würde, weil wir versuchen, unsere Zugänge nicht gleich durch einen so stark besetzten Begriff und den damit verbundenen Vorstellungen der Notation, Sequenzialisierung von Bewegung oder Autorschaft einzuengen.

Workshop “new work”, geleitet von Christina Ciupke, Foto: © Isa Wortelkamp

Wie geht ihr hinsichtlich dieser Fragen vor?

In einem längeren Prozess mussten wir uns zunächst über den Rahmen und die Bedingungen der Kollaboration verständigen. Mit welchen Vorstellungen, vielleicht Vorurteilen, Konzepten und Ansprüchen gehen wir in diese Zusammenarbeit zwischen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen? Wie wollen wir zusammenarbeiten? Welche Formate sind hier passend? Wir haben uns dann entschieden, Austausch wörtlich zu nehmen und uns jeweils die Schreibverfahren als Verfahren zu ‚übergeben‘ und diese gemeinsam in Workshops zu erproben. So haben wir etwa die Frage-Antwort-Struktur aus Christina Ciupkes kollaborativer Arbeit new work von 2015 (mit Mart Kangro und Nik Haffner) auf die Gruppe übertragen, um darüber unserer Frage näher zu kommen, wie eine Schreibpraxis zwischen Tanzwissenschaft und choreographischer Praxis aussehen könnte.

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Bippus, Elke (2005): Landschaft – Karte – Feld. Modelle der Wissensbildung zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Praxis. Bremen: thealit.

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Bippus, Elke (2009): Einleitung. In: Dies. (Hg.): Kunst des Forschens. Praxis eines ästhetischen Denkens. Zürich u. Berlin: diaphanes, S. 7-23.

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Cvejic, Bojana (2015): Choreographing Problems. Expressive Concepts in European Contemporary Dance and Performance. Basingstoke: Palgrave MacMillan.

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O.V. (o.J.): Der Digitale Grimm. Das Deutsche Wörterbuch, Bd. 17, Sp. 235-243. Online unter: woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GS37828#XGS37828.

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Goehr, Lydia (2006): Explosive Experimente und die Fragilität des Experimentellen. Adorno, Bacon und Cage. In: Schramm, Helmar et al. (Hg.): Spektakuläre Experimente. Praktiken der Evidenzproduktion im 17. Jahrhundert. Berlin u. New York: Walter de Gruyter, 477-506.

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Haraway, Donna (1988): Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective. In: Feminist Studies 14.3, S. 575-599.

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Latour, Bruno (1998): From the World of Science to the World of Research? In: Science 280 (1998), S. 208-209.

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Krämer, Sybille (2007): Was also ist eine Spur? Und worin besteht ihre epistemologische Rolle. Eine Bestandsaufnahme. In: Dies./Kogge, Werner/Grube, Gernot (Hg.): Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 11-33.

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Manning, Erin (2016): The Minor Gesture. Durham u. London: Duke University Press 2016.

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Mersch, Dieter (o.J.): Was heißt, im Ästhetischen forschen? Online unter: http://www.dietermersch.de/Texte/PDFs/ (9. Mai 2017).

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Mersch, Dieter (2009): Kunst als epistemische Praxis. In: Bippus, Elke (Hg.): Kunst des Forschens. Praxis eines ästhetischen Denkens. Zürich u. Berlin, S. 27-47.

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Mersch, Dieter (2015): Epistemologien des Ästhetischen. Zürich u. Berlin: diaphanes.

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Schulze, Janine (Hg.) (2010): Are 100 Objects Enough to represent the Dance? Zur Archivierbarkeit von Tanz. München: e-prodium Verlag.

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Kershaw, Baz (o.J.): Earthrise Repair Shop. Online unter: http://performancefootprint.co.uk/projects/earthrise-repair-shop/

Daniela Hahn ( 2017): Are 100 Words Enough to Represent Artistic Research?. Ein Selbstinterview. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/are-100-words-enough-to-represent-artistic-research/