Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen

Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer

„Obwohl ich jemand bin, die in armen Verhältnissen aufgewachsen ist, wusste ich schon von klein auf, dass ich Künstlerin bin.“

Welche Rolle spielt eurer Meinung nach Klasse und soziale Herkunft im Hinblick auf Diversität im Kultursektor?

SA: Klasse ist eine sehr dicke Mauer. Die Mauer wird nicht nur dadurch errichtet, welcher Schicht unsere Eltern angehören, sondern auch durch die sozialen Bedingungen, die der Staat, in dem wir geboren und erzogen wurden, uns bietet. Diese beiden Faktoren prägen unsere Sicht auf die Welt und unsere Vorstellungen von unserem Platz in ihr – was ich für die Gemeinschaft, in der ich mich befinde, tun/geben kann und noch mehr, was ich von ihr nehmen/haben darf. Obwohl ich jemand bin, die in armen Verhältnissen aufgewachsen ist, wusste ich schon von klein auf, dass ich Künstlerin bin. Doch bis vor drei Jahren kämpfte ich mit der Idee, eine professionelle Künstlerin zu sein oder wie ich in dieser Welt finanziell überleben kann.

Es gibt eine größere Bewegung, die in den letzten Jahren entstanden ist, um mehr Zugänglichkeit zu schaffen, zum Beispiel kostenlose Zulassungen zu Kunsthochschulen, auch viele andere Methoden, aber es handelt sich bei all dem noch nicht um wirkliche Lösungen. Auch wenn man beispielsweise die Ausbildung als Künstler:in abgeschlossen hat, ist man immer noch auf externe finanzielle Unterstützung angewiesen, um professionelle Künstlerin zu werden, besonders in den ersten Jahren. Das finanzielle Problem ist ein Aspekt, andere aber sind die Klassengewohnheiten und kulturellen Unterschiede, die nicht leicht zu überwinden sind und zu den Steinen gehören, die die Mauer bilden. Das ist der Punkt, an dem ich als Künstlerin Ausgrenzung erfahre.

Ein Beispiel aus meinem Studium, das die Problematik von Klasse und Herkunft spiegelt: An der internationalen Universität, an der ich studiert habe, ist Deutsch die Hauptsprache, in der wir unterrichtet wurden. Es gab wenig Angebote für die internationalen Studierenden und noch trauriger, fast keine in den Theorieabteilungen. Also musste ich mir zusätzlich zum Deutschlernen die sehr wichtigen Englischkenntnisse selbst beibringen. Klasse und Herkunft spielen also eine sehr große Rolle und vielen Menschen wird der Zugang verwehrt oder sie werden in der Ausübung ihres Berufs eingeschränkt. Ich finde das schade, denn als Künstlerin denke ich, dass meine Kunst von meiner Klasse und meinem Hintergrund beeinflusst wird, und wenn wir darauf bestehen, immer nur das Gleiche zu hören und uns darauf zu beziehen, werden wir daran gehindert, neue Blicke auf Kunst und kulturelle Werke zu werfen – und das ist es doch, was wir von der Kunst wollen: Einen neuen Blick, eine neue Sichtweise, eine neue Möglichkeit, eine Herausforderung für das Verständnis unserer Umgebung.

IP: Ich bin da ganz bei Sheri und finde es wichtig, noch genauer auszubuchstabieren, von welcher Ebene wir sprechen. Dass der Kulturbetrieb als bildungsbürgerliches Projekt ein Problem damit hat, Menschen aus anderen sozialen Schichten zu inkludieren, ist klar. Wenn wir in Richtung Stadtgesellschaft, an Österreich und den demographischen Wandel denken, dann vermengt sich schnell die Frage sozialer Schichten mit einer rassistischen Frage; sie voneinander zu trennen, macht wenig Sinn. Österreich ist natürlich – wenn man sich die Schulen und die Städte anschaut – divers, vielfältig und auch migrantisch und postmigrantisch über die zweite und dritte Generation. Entwertung kann sowohl über rassistische Artikulation als auch über klassistische Entwertung passieren.

Im Kulturbereich haben wir das Phänomen, dass wir uns in einem Spektrum bewegen, das sich Internationalität auf die Fahnen heftet. Der Kulturbetrieb wäre prädestiniert dafür, mit unterschiedlichen Menschen zu arbeiten, weil er sich als international, avantgardistisch und offen sieht – und er sollte auch nachvollziehen können, ob und welche Künstler:innen darin profitieren und welche exkludiert werden. Für Drittstaatsangehörige gibt es andere Ausschlussmechanismen, wenn es darum geht, hier zu arbeiten, hier zu leben und hier zu sein. Also auch hier passiert eine Entwertung, die rassistisch ist. Man muss die Debatte im Kulturbetrieb differenzieren, denn es gibt auch noch die dritte Ebene, dass – wenn wir versuchen, an neuen Narrativen zu arbeiten – auf den Bühnen nicht nur ein Klassismus-Problem herrscht, sondern – wenn wir über Blackfacing auf den Bühnen nachdenken und darüber sprechen, wie die Casts sind – eindeutig rassistische Probleme zutage treten. Es ist also ein Kampf auf unterschiedlichen Ebenen, dem man sich widmen muss.

Sheri Avraham, Zuzana Ernst, Ivana Pilić, Anita Moser, Gwendolin Lehnerer ( 2022): Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen. Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/auf-dem-wissen-von-anderen-politischen-kaempfen-aufbauen/