Panoramen der Stadtgesellschaft: Das Projekt Außer Sichtweite – ganz nah
Ich möchte nun exemplarisch auf die im Jahr 2015 entstandene 21-minütige Videoarbeit Außer Sichtweite – ganz nah näher eingehen – eine Kooperation mit Verkäufer*innen der Straßenzeitung Apropos, die auf Einladung des Salzburg Museums im Rahmen der Ausstellung WUNSCHBILDER gestern. heute. morgen. entstanden ist. – Schauplatz und Drehort der Videoarbeit ist das Sattler-Panorama; vor dessen Hintergrund eine Gruppe Verkäufer*innen der Straßenzeitung Apropos als Performer*innen agieren. Die aus dem Off vorgetragenen und von den Verkäufer*innen verfassten Texte beschäftigen sich mit ihren ‚Vorstellungen von Arbeit in Bezug auf die Stadt Salzburg’.
„Die Aproposverkäufer*innen Evelyne Aigner, Georg Aigner, Vasilica Feraru, Ogi Georgiev, Jürgen Kling, Viorica Linguraru, Constantin Miu, Marinella Miu und Luise Slamanig sprechen in ihren Beiträgen von den unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen in denen sie beschäftigt waren. Vom Verlust von Arbeit und der Tätigkeit als Zeitungsverkäufer/in, die ihnen neue Perspektiven eröffnet. Sie versetzen sich in die Zeit Sattlers – gedanklich und physisch – und sprechen von gesellschaftlicher Teilhabe heute. Sei es als Wirtschaftsflüchtlinge, als Arbeitsuchende oder als Menschen die aus dem herkömmlichen Arbeitsmarkt herausgefallen sind. Georg Aigners Resümee bringt es auf den Punkt: „Alles zusammengefasst könnte man das schon als Arbeit betrachten – für mich ist es aber mehr als das, es sind Teile meines eigenen Lebens.“ Und so hat jede/r der Beteiligten versucht eine eigene Sprache zu finden um über sein/ihr Arbeitsleben nachzudenken und zu berichten. Sei es in Form eines Texts, eines Gedichts, eines Spruchs oder im Interview. Am Ende des Films fügen sich alle Beteiligte in ein Tableau Vivant – ein lebendes Gesamtbild – ein. Hier verbinden sich die einzelnen in Form und Inhalt sehr unterschiedlichen Erzählungen und werden zur Äußerung einer Gruppe von Menschen, die die gleiche Tätigkeit teilen.“ (Zoitl 2015: 9) (*3)
Das Spannungsfeld des Projekts basierte auf dem Zusammentreffen eines bürgerlichen Salzburg, das ja auch in hohem Maße durch Institutionen wie jene des Museums repräsentiert wird, und Menschen, die auf der untersten sozialen Stufe stehen und zum Teil langzeitarbeitslos, wohnungs- oder obdachlos sind. Nur eine reiche Stadtgesellschaft kann sich den Erhalt der Räumlichkeiten und den Betrieb eines Museums leisten und so die Erinnerung an eine frühere kulturelle Entwicklung der Stadt konservieren. Das Salzburg-Panorama ist genau so ein kulturgeschichtliches Denkmal. An den Begriff Denkmal „sind zudem Aspekte der Erinnerungskultur und des kulturellen Gedächtnisses ebenso geknüpft, wie Fragen nach dem Begriff der Öffentlichkeit und Dauerhaftigkeit.“ (Menkovic 1998: 10) (*4) Wobei sich der Umgang mit dem Salzburg-Panorama über die Jahrhunderte und vor allem auch in den letzten Jahrzehnten sehr verändert hat. Im 19. Jahrhundert richtete sich das Panorama, das in einer provisorisch aufgeschlagenen Rotunde gezeigt wurde, an ein breites Publikum. Johann Michael Sattler reiste mit seiner Attraktion zehn Jahre lang durch Europa und präsentierte sein Rundgemälde gegen Eintritt an den zentralen Orten der Städte. „Der Erfolg der Panoramen basierte in erster Linie auf der zukunftsweisenden Entdeckung einer vorher noch nicht in Erscheinung getretenen Zielgruppe: des Massenpublikums. “ (Schaffer 2005: 8) (*5) Denn die mobile Präsentation des Sattler-Panoramas wandte sich nicht nur an eine kulturell gebildete Oberschicht, sondern ebenso an die ‚einfachen’ Leute, „eine flanierende Laufkundschaft, die außerhalb der Gotteshäuser noch nie mit Werken der Malerei in Berührung gekommen war.“ (Ebd.) (*5)
Umso interessanter ist der Umstand, dass im 20. Jahrhundert eine sukzessive Rücküberführung des Panoramas in den hochkulturellen Kontext des Museums stattfand. War es von 1977 bis 2001 noch im ehemaligen Café Winkler auf dem Mönchsberg ‑ zugegebenermaßen unter ungünstigen klimatischen Bedingungen ‑ einer breiten Bevölkerung öffentlich zugänglich, wird es heute, nach langen Restaurierungsarbeiten, in einem eigens dafür konzipierten Museum gezeigt. Wodurch das Rundgemälde allerdings auch ein wenig aus dem kulturellen Gedächtnis vieler Salzburger*innen verschwunden ist.
Moira Zoitl ( 2016): „Außer Sichtweite ‑ ganz nah“. Künstlerische Teilhabe praktizieren. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/auser-sichtweite-%e2%80%91-ganz-nah/