„Behinderung ist kein fixes Konstrukt, sondern wird in unserer Gesellschaftsstruktur gemacht“

Was kritisieren Sie an dem Begriff der Inklusion bzw. inklusiven Tanz?

Allein schon der Begriff des inklusiven Tanzes erweckt den Anschein, dass Exklusion nicht mehr existiere, und verhindert ein Sprechen über bestehende Exklusionsprozesse und deren Analyse. Das heißt ja nicht, dass beispielsweise bei DanceAbility alles nur gut ist. Ich finde, es sollte alles sehr differenziert betrachtet und der Prozess der Inklusion immer wieder hinterfragt werden. Inklusion ist kein festgelegter Prozess, der irgendwann einmal zu Ende ist. Ungerechtigkeit wird nicht beseitigt, wenn man davon ausgeht, dass alles längst inklusiv ist. Diesen kritischen Blick darauf, der ist immer wichtig. Behinderung* ist kein fixes Konstrukt, sondern etwas, dass in unserer Gesellschaftsstruktur gemacht wird, in der es immer um Fähigkeit geht. Und diese Fähigkeit wird für alle immer hergestellt, immer wieder aufs Neue. Eine Fähigkeit, der in Wahrheit niemand entsprechen kann, weil auch (professionelle) Tänzer:innen irgendwann älter werden.

Es ist besonders für Tänzer:innen mit Behinderungen* schwer, einen Ausbildungsplatz oder eine Weiterbildung zu bekommen. DanceAbility ist eine Art Grundbasis der Kontaktimprovisation …

Was soll Ihrer Meinung nach auf struktureller Ebene verändert werden, um die Kulturbetriebe diverser und gerechter zu machen?

Barrierefreie Gebäude sind das kleinste Brösel. Es geht um noch viel mehr, nämlich dass Veranstaltungen, Workshops und Fortbildungen auf mehreren Ebenen zugänglich gemacht werden. Die größten Barrieren sind in den Köpfen der Menschen. Ich wollte letztens Kampfkunst ausprobieren, wollte mir das mal anschauen. Warum auch nicht? Ich tanze schon jahrzehntelang – seit 2004. Ich hatte vorher angerufen, um mich zu erkundigen, wie es mit der Zugänglichkeit steht. Zuerst sagten sie mir, es gäbe eine Rampe, das wäre also kein Problem, schlussendlich scheiterte es an einer Stufe. Ich bin eine Person, die vielleicht länger braucht, um Bewegungen umzusetzen, aber dann kann ich es dafür besonders gut. Und werde dann oft von anderen als Beispiel oder Vorbild genommen. Aber dieses Bild, dass Menschen mit Behinderung* nicht fähig sind, Dinge, besonders Tanz oder Kampfkunst, zu machen, das ist in den Köpfen fest verankert.

Was kann D/Arts Ihrer Meinung nach im Idealfall bewirken?

Bewusstsein für verschiedene Menschen schaffen: Menschen mit Behinderung*, Kunstschaffende mit Behinderung* oder queere Kunstschaffende, People of Color etc. Man muss genau hinschauen, was alle wirklich brauchen. Benachteiligungen in unserer Gesellschaft sind vielfältig und nicht nur auf Behinderung* beschränkt. Privilegien müssten auf allen Ebenen und unter den verschiedensten Menschen geteilt werden. Ich finde ein Zitat von einer Kollegin so schön, die gesagt hat: „Inklusion funktioniert derzeit nur am untersten Layer. Es geht darum, dass Menschen mit Behinderung* überhaupt dabei sein können, in Workshops reinkommen, in Ausbildungen reinkommen. Danach, auf der mittleren und oberen Ebene, geht es um echte Teilhabe und Einbringung. Am mittleren Layer funktioniert das schon ein bisschen, aber es bleibt noch viel zu tun.“

Elisabeth Magdlener, Ielizaveta Oliinyk ( 2022): „Behinderung ist kein fixes Konstrukt, sondern wird in unserer Gesellschaftsstruktur gemacht“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/behinderung-ist-kein-fixes-konstrukt/