„Behinderung ist kein fixes Konstrukt, sondern wird in unserer Gesellschaftsstruktur gemacht“

Haben Sie vielleicht Ergänzungen?

Ich denke, gerade im Tanz, braucht es mehr Allianzen und Bündnisse zwischen verschiedenen Personengruppen, zwischen professionell Tätigen  und Aktivist:innen, zwischen Männern* und Frauen*, Queers, People of Color, Schwarzen (und andere Menschen). Es braucht viel mehr Bewusstsein für Gemeinsames, um miteinander tätig zu sein in gegenseitiger Fürsorge und Wertschätzung, gerade beispielsweise im Tanz oder in der Kunst. Im Tanz oder in der Kunst geht es viel um Konkurrenz, um ein „Besser-Sein“. Es geht wenig um ein Miteinander und um ein Füreinander-Da-Sein. Ich finde, es ist wichtig, gerade in unserer kapitalistischen Gesellschaft, mehr aufeinander zu schauen und nicht nix zu tun.

Es braucht Veränderungen, ein politisches Umdenken und eine Umgestaltung unseres Denkens. Wir können uns fragen, ob das unrealistisch ist, aber keine Veränderung wird je passieren, wenn sie nicht zuerst in unseren Köpfen entsteht.

Auch in beruflicher Hinsicht ist Persönliche Assistenz (PA) zur Alltagsunterstützung von Menschen mit Behinderung* zentral wichtig. Es gibt eine derartige Pflegekrise, dass Menschen mit Behinderung* (fast) keine Persönlichen Assistent:innen mehr finden. Dafür gehört dringend einfach mehr Geld investiert, denn auch das spielt in den Kunst- und Kulturbetrieb hinein. Momentan wird Behinderung* aber aus der Pflegereform herausgenommen. Die Regelungen sind teils auch so absurd: Es gibt keinen Rechtsanspruch auf Persönliche Assistenz im Alltag und auch nicht am Arbeitsplatz. Die Erfüllung der langjährigen politischen Forderung, dass künstlerische Tätigkeiten Arbeit sind und deshalb hierfür auch Assistenz am Arbeitsplatz finanziert werden soll, ist grundlegend. Künstlerische Tätigkeiten von Menschen mit Behinderungen* dürfen nicht länger als reines Hobby angesehen werden. Für freiberufliche Tätigkeiten bis zur Geringfügigkeitsgrenze oder darunter wird derzeit überhaupt keine Assistenz am Arbeitsplatz finanziert, wenn nicht regelmäßig über 20 Stunden in der Woche an (gut) bezahlter Tätigkeit nachgewiesen werden können.

Also die dringlichste Ebene wären dann die politische und gesetzliche?

Ja, gerade bei dem Thema Inklusion. Österreich hat die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen*schon seit Langem unterschrieben und gerade bei Inklusion geht es um einen rechtlich verbindlichen Ausgleich von Nachteilen, die (beispielsweise) durch eine Behinderung*entstanden sind, nicht um: „Wir sind arm und müssen auch integriert werden.“ Sondern um einen rechtlich verbindlichen Nachteilausgleich und einen Rechtsanspruch. Das wird viel zu wenig gesehen.

Aber nichts passiert in der Welt, wenn es nicht zuerst in unseren Köpfen existiert. Let’s Change Our Minds!

Elisabeth Magdlener, Ielizaveta Oliinyk ( 2022): „Behinderung ist kein fixes Konstrukt, sondern wird in unserer Gesellschaftsstruktur gemacht“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/behinderung-ist-kein-fixes-konstrukt/