Zeitungstheater und Forumtheater: Kunst und Beteiligung nach Augusto Boal
Um die Verbindung von Theater und Partizipation zu zeigen, hatten sich die beiden Theaterprojekte des Landestheaters Salzburg und des Friedensbüros Salzburg an den Theatertheorien Augusto Boals orientiert. Dieser hat in seiner Schrift Legislative Theatre: Using Performance to Make Politics auf den Zusammenhang von Performance-Kunst und politischer Partizipation hingewiesen und gilt als Begründer des „Theaters der Unterdrückten“ (siehe Boal 1989). (* 2 ) Hier wird Theater, wird Kunst zum tatsächlich politischen Werkzeug: Aufhänger und Impulsgeber der Theaterszenen sind gesellschaftlich relevante Themen, die in improvisatorischen szenischen Aufführungen thematisiert und bearbeitet werden. Entscheidender Handlungsträger ist dabei das Publikum: Es wird vom bloßen Rezipienten zum Akteur, kann sich mit seinen Bedürfnissen, Gedanken und Meinungen in die Handlung einbringen. In gemeinsamen Reflexionsrunden werden – so Boals grundsätzliche Intention – Schriften aufgesetzt, in denen die Wünsche der Bevölkerung/der Teilnehmenden dokumentiert werden. Um tatsächlich Teil der politischen Entscheidungen in Hinblick auf das bearbeitete Thema zu werden, sollen diese formulierten Papiere anschließend an PolitikerInnen in Entscheidungsfunktionen übergeben werden. Im Rahmen der in diesem Zusammenhang kleinen Projekte von Friedensbüro und Landestheater musste auf den letzten Punkt aus aktuellem Anlass verzichtet werden.*2 *( 2 )
1. „Wem gehört die Stadt?“: Von Obdachlosen und Schauspielern (Friedensbüro Salzburg)
Das Theaterprojekt des Friedensbüros Salzburg wählte mit der Geschichte eines Obdachlosen ein in Salzburg viel und kontrovers diskutiertes Thema. Mit dem Untertitel „Wem gehört die Stadt?“ thematisierte sie den vielgefochtenen Kampf um den öffentlichen Raum, der sich auch im Verlauf dieses Projekts in Form von Anfeindungen der Akteure widerspiegelte.
Ablauf und Umsetzung: Das Team des Friedensbüros erstellte im Vorfeld des Projektes ein Drehbuch, in dem die Entwicklung des Protagonisten Holzer – vom Angestellten zum Obdachlosen – erzählt wird. In kurzen Sequenzen wurde diese Verfallsgeschichte dann am Aufführungstag szenisch an verschiedenen Orten in Salzburg dargestellt. Die Moderatorin unterbrach mehrmals das Geschehen auf der Bühne und befragte das Publikum: „Was ist in der eben gezeigten Szene passiert? Welche Handlungsoptionen bleiben dem Protagonisten bzw. was soll Holzer an dieser handlungsentscheidenden Stelle des Stückes tun?“ Je nach Publikumsentscheid improvisierten die SchauspielerInnen dann die Handlungsvorgabe der ZuschauerInnen, machten damit verschiedene Handlungsalternativen des Protagonisten, aber auch seines Umfeldes (Frau, Chef, Sozialarbeiterin) sichtbar. Das große Interesse am behandelten Thema wurde nochmals in der Reflexionsrunde am Ende des Stückes deutlich, an der sich mehr PassantInnen beteiligten als an der Gestaltung des Stückes.
2. Zeitungstheater (Bürgertheater des Landestheaters Salzburg)
Das Zeitungstheater, initiiert vom Bürgertheater des Landestheater Salzburg, ist wie auch das Forumtheater eine Spielform des „Theaters der Unterdrückten“ Augusto Boals. Anhand von tagesaktuellen Zeitungsartikeln werden hier von einer Laienschauspieltruppe – in diesem Fall dem Bürgertheater des Landestheaters Salzburg – Theaterhandlungen improvisiert. „Ziel des Zeitungstheaters ist es, die sogenannte ‘Objektivität’ des Journalismus zu decouvrieren: Richtig lesen lehren und lernen. […] Das Zeitungstheater stellt die Realität der Fakten wieder her, indem es die einzelne Meldung aus dem Zeitungskontext herauslöst, sie ohne verzerrende Vermittlung direkt vor den Zuschauer stellt“, so Augusto Boal in seiner Schrift Theater der Unterdrückten (Boal 1989: 29). Neben bzw. im Zuge dieser Schulung einer Medienkritik ist bei dieser Form des Theaters wiederum die aktive Beteiligung des Publikums gefragt. Anders als bei dem Projekt des Friedensbüros besteht hier auch die Möglichkeit des aktiven Mitspielens, des Erfindens eines Charakters, des Erdenkens von individuellen Handlungsstrategien. Boal: „Theater ist die menschliche Fähigkeit, sich selbst im Handeln zu betrachten. Die Selbsterkenntnis, die der Mensch auf diesem Weg erwirbt, erlaubt ihm, sich Variationen seines Handelns vorzustellen und Alternativen zu erproben“ (Boal 1999: 24). (*3 ) Die Parallelen zu Jungks Denken werden in diesen Zeilen besonders deutlich (vgl. z.B.: Jungk 2009: 9ff).
(* 9 )
Ablauf und Umsetzung: Kurz vor der Aktion wurden Tageszeitungen auf gesellschaftlich relevante, aktuelle Beiträge hin durchgeblättert, repräsentative Teaser anschließend ausgeschnitten und als Aufhänger/Impuls für die szenischen Darstellungen verwendet. Ausgewählte Themen waren z. B. die anstehende Landtagswahl oder die viel diskutierten Auswirkungen von Pestiziden. Wie auch bei den beiden anderen Projekten wurde durch aktives Zugehen auf das Publikum um MitstreiterInnen geworben. Lehnten PassantInnen ein Mitwirken an der Aktion ab, fragten ModeratorInnen der ZWT nach Motiven von Partizipation- und Antipartizipation. Die Ergebnisse wurden gesammelt, das Projekt dokumentiert und wiederum in einer eigenen Diskussionsrunde reflektiert.
Claudia Höckner ( 2013): Betroffene zu Beteiligten machen. Chancen und Grenzen partzipativer Kunstprojekte. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/betroffene-zu-beteiligten-machen-chancen-und-grenzen-partzipativer-kunstprojekte/