Bis dahin und (nicht) weiter. Künstlerisch-kulturelle Befragungen von Grenzen

Ein Symposiumsrückblick

Den nächsten Vortrag hielt die Politologin und Pädagogin María do Mar Castro Varela zu Grenzziehungen. Von Grenzen und Subjekten. Sie setzte das Thema Grenze in Beziehung zu kultureller Bildung, innerhalb derer zunächst über Kriterien nachzudenken sei und über die Frage, welche Rolle die Kunst in Bezug auf Grenzziehungen spiele. Erster Ansatz für derartige Untersuchungen sind postkoloniale Theorien, in denen Auseinandersetzungen mit Raum-Konzepten einen zentralen Bezugspunkt bilden. Kolonisatoren übertrugen ihre geographischen und in der Folge ihre gesellschaftlichen Konzepte auf die eroberten Gebiete und übten massive Gewalt durch willkürliche Grenzziehungen aus. Dadurch wurden nicht nur unterschiedliche traditionell gewachsene Gruppen und Strukturen in Form von Genoziden vernichtet, sondern auch die Tötung von Wissen als Disziplinierungsmaßnahme praktiziert. Castro Varela ging in diesem Zusammenhang auf den Begriff der imaginativen Geographie von Edward W. Said ein und betonte, dass die eroberten Räume so geordnet wurden, dass sie größtmögliche Beherrschung und Unterdrückung ermöglichten.

Ein weiteres Thema ihres Vortrags bildete die Stadt mit den Stadtteilgrenzen, innerhalb derer die Entstehung sozialer Schichtungen zu ganz bestimmten Phänomenen führte. Als Beispiel nannte sie die ‚Bielefelder Bronx‘ oder Berlin-Kreuzberg, die als kriminelle Stadtviertel galten, allerdings im Lauf von Jahrzehnten einen Perspektivwechsel erlebten und heute als besonders chic gelten. Vor dem Hintergrund der neuen Grenzziehungen und der Fluchtbewegungen schlug Castro Varela vor, die bestehenden Narrative und das eurozentristische Wissen zu hinterfragen sowie darüber nachzudenken, dass Wissensvermittlung in beide Richtungen verlaufen muss, um neue Beziehungen zwischen Menschen, die hier leben, und jenen, die ankommen, zu schaffen.

Die Autorin und Künstlerin Anna-Lena Wenzel referierte über Grenzen und Grenzüberschreitungen in der Kunst. Zuerst wies sie auf die Ambivalenz als wesentliches Charakteristikum von Grenzen hin, indem sie einerseits Sicherheit geben, andererseits Freiheitsbeschränkung sind. Sie ging auf territoriale und gesellschaftliche Grenzen und ihre teilweise widersprüchlichen Bedeutungen ein, widmete den Hauptteil des Vortrags aber den Grenzüberschreitungen im Kunstfeld. Während Wenzels – im Hintergrund in Endlosschleife projizierten – eigene künstlerischen Arbeiten das Publikum zu freiem Assoziieren anregten, machte sie acht Kategorien von künstlerischen Grenzbewegungen bzw. -überschreitungen fest: 1. Überschreitung von Gattungs- und Disziplinengrenzen, 2. Hinwendung zu Realität und Alltag, 3. Auflösung des Kunstwerks, 4. neue Räume wie Land Art oder Street Art, 5. Einbeziehung des Betrachters und der Betrachterin, 6. Erweiterung des Begriffs auf ein polytechnisches Berufsfeld, 7. Erweiterung der Wahrnehmung und 8. Skandal und Tabubruch. Abschließend plädierte sie für einen erweiterten Kunstbegriff, der eine permanente Grenzbewegung möglich macht. Das Kunstwerk kann zum Konzept, zur Aktion, zum Prozess werden, wobei die Betrachter_innen zunehmend verstärkt eingebunden werden, wie etwa bei den partizipativen künstlerischen Initiativen. Grenze würde dann nicht mehr eine Linie sein, sondern ein neuer Raum.

Margarete Beling, Monika Urbonaite ( 2017): Bis dahin und (nicht) weiter. Künstlerisch-kulturelle Befragungen von Grenzen. Ein Symposiumsrückblick. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/bis-dahin-und-nicht-weiter-kunstlerisch-kulturelle-befragungen-von-grenzen/