Bis dahin und (nicht) weiter. Künstlerisch-kulturelle Befragungen von Grenzen

Ein Symposiumsrückblick

Nach dem theoretischen Teil des Symposiums hielt Can Gülcü, von 2012 bis 2015 Teil der künstlerischen Leitung und Geschäftsführung der Wienwoche (Verein zur Förderung der Stadtbenutzung mit Fokus auf Förderung gesellschaftspolitischer und kultureller Handlungsräume für künstlerische, soziokulturelle und zivilgesellschaftliche Akteur_innen), einen Vortrag mit dem Titel Radikale Grenzüberschreitungen – Beispiele politisch engagierter Kunst und Kulturarbeit. Das Wesen der politischen Kunst ist laut Gülcü, politische und gesellschaftliche Veränderungen bis zu einer gewissen – beispielsweise gesetzlichen – Grenze oder darüber hinaus zu erwirken. Dieses Prinzip spiegelte sich in allen präsentierten Beispielen wider. Innerhalb der Wienwoche 2013 etwa wurde die Initiative BettelLobby Wien unterstützt. Das Ziel war, Menschen mit unterschiedlichen Mitteln (wie z.B. Kasperltheater-Aufführungen) auf absurde Stereotypen und Ausgrenzungen, mit denen Bettler_innen jeden Tag konfrontiert sind, aufmerksam zu machen. Dadurch wurde auch Rechtsaufklärung und soziale Hilfe für die Betroffenen zugänglich gemacht, sowie der gesellschaftliche Dialog über Armut und das Bettelrecht eröffnet. Die Kampagne WahlweXel jetzt! gab vom Wahlrecht ausgeschlossenen Menschen die Möglichkeit, ihre Stimme abzugeben. Das geschah in Form öffentlicher Diskussionen und einer Tauschaktion des Briefwahlformulars zwischen den Wahlberechtigten und den Nichtberechtigten. Die Problematisierung der Tatsache, dass in Österreich fast eine Million Menschen dauerhaft, jedoch ohne Wahlrecht lebt, und die Frage ‚Wer hat Zugang zur Demokratie?‘ wurden zu den Hauptthemen innerhalb der Aktion. Das Motto für die Wienwoche 2014 lautete Migrazija-yeah-yeah. Dieses Projekt entwickelte sich zu einem vielfältigen Programm mit Konzerten, Diskussionen, Performances etc., das danach fragte, was Migration mit der Nation macht und wie sich eine Gesellschaft verändert, wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammen leben, lernen und Rechte erkämpfen. Migration soll nicht nur bürokratisch behandelt werden, sondern eine Chance für eine offene Gesellschaft sein. Als Beispiel für Aktivismus, der an die menschlichen und nicht an die vom Staat vorgegebenen Grenzen appelliert, nannte Gülcü die Aktion Refugee Convoy. In einer blitzschnellen Reaktion auf das Schließen der Grenzen in Ungarn im September 2015 organisierten sich Menschen über Facebook, um Flüchtlinge mit Privatautos über die Grenze Richtung Deutschland zu bringen.

Die Künstlerin Karla Spiluttini präsentierte das gemeinsam mit Korinna Lindinger entworfene Projekt Wild. Ein Kunstprojekt zu menschlicher und tierischer Migration (2016). Die Idee, ein Hybridwesen zu schaffen, das nicht an Grenzen gebunden ist, entstand aus den Auseinandersetzungen mit der Migration von Tieren in Grenzgebieten und historischen Recherchen über die Predigtstuhl-Region an der Grenze Österreichs zu Bayern. Die Biodiversität der Tiere hängt stark vom Verlauf der Migrationswege ab, die durch den Bau von Grenzzäunen negativ beeinflusst werden. Die Bewegungsfreiheit von Tieren bildete für die Künstlerinnen den Hintergrund für eine kritische Beschäftigung mit eingeschränkten Mobilitätsprozessen von Menschen. Das künstlerische Projekt wurde in Form einer Wanderroute mit Objektgruppen im Freien realisiert. Durch die entworfenen Migrationsszenarien und die Arbeit mit einer Wanderkarte wurde das aktuelle Thema der Migration künstlerisch und interdisziplinär an die Teilnehmer_innen vermittelt.

Margarete Beling, Monika Urbonaite ( 2017): Bis dahin und (nicht) weiter. Künstlerisch-kulturelle Befragungen von Grenzen. Ein Symposiumsrückblick. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/bis-dahin-und-nicht-weiter-kunstlerisch-kulturelle-befragungen-von-grenzen/