„… und dann beginnt aber schon das Unplanbare …“

Ein Interview mit Hansel Sato und Elke Smodics-Kuscher/trafo.K
Von Laila Huber und Elke Zobl

Der Künstler Hansel Sato und die Kunst- und Kulturvermittlerin Elke Smodics von trafo.K waren im Dezember 2013 zu Gast beim Symposium „Künstlerische Interventionen und Kollaboration in antirassistischen und feministischen künstlerisch-edukativen Projekten“ am Programmbereich Contemporary Arts & Cultural Production. Im Interview mit Laila Huber und Elke Zobl sprachen sie über das Intervenieren im öffentlichen Raum sowie in Mehrheitsdiskurse, über das Verhältnis von Kunstinstitutionen und künstlerischen Praxen außerhalb der Institutionen und über kritische Wissensvermittlung.

Inwiefern funktioniert der Begriff „künstlerische Intervention“ für euch und eure Arbeit? Welche Bedeutung hat er für euch?

Hansel Sato: Ich komme aus der Kunst und ich habe in Lateinamerika eine traditionelle Ausbildung gehabt. Aber als ich mit einem Stipendium hierher nach Österreich gekommen bin, habe ich meine Richtung geändert, weil sich die Situation für mich geändert hat und ich zum ersten Mal erfahren habe, wie es ist, fremd zu sein. Die Erfahrung hatte ich in Peru nicht wirklich oder auf jeden Fall war ich nicht Teil einer minoritären Gruppe. Das war eine starke Motivation für mich, Projekte zu machen, die einen Bezug zu Politik haben und die sich mit sozialen Themen auseinandersetzen. Insofern war die Arbeit im öffentlichen Raum sehr wichtig. Denn es gibt viele Projekte, die innerhalb von den Institutionen stattfinden und für mich war das nicht genug. Ich wollte, dass Leute, die überhaupt nichts mit der Kunst oder mit den Kunstinstitutionen zu tun haben, Zugang zu meinen Projekten haben. Da war es notwendig für mich, auf die Straße zu gehen, um das Publikum zu erreichen. Das war eine persönliche und sehr starke Motivation, in den öffentlichen Raum zu intervenieren und damit die „normalen“ Leute mit solchen Themen zu konfrontieren.

Und würdest du deine Arbeit als künstlerische Interventionen bezeichnen oder eher nicht?

Hansel Sato: Das ist die Frage der Kunst: Was ist Kunst? Was ist künstlerisch? Kunst ist eigentlich für mich schwer zu erklären, zu erforschen, was Kunst bedeutet und was künstlerisch ist, denn es gibt momentan eine Verwischung der Grenzen zwischen Kunst und Alltag. Und es gibt so viele neue Technologien, die dem normalen User, dem Publikum, erlauben, auch künstlerisch zu agieren. Man sieht dies zum Beispiel im Internet an diesen kreativen Youtube-Videos, die auch sozialkritisch sein können, oder die Flashmobs sind auch fantastisch dass die Menschen auf die Straße gehen und etwas machen, das ganz kreativ ist. Die Grenze hat sich sozusagen verschoben und insofern ist für mich Kunst, was die Künstler machen und die Frage ist, wer definiert, wer ein Künstler ist. Bist du Künstler, weil du an der Akademie studiert hast oder kannst du auch sagen „Ich bin Künstler“ und das ist legitim, auch wenn du nicht an der Akademie studiert hast?

Elke Smodics: Ich bin Kunst- und Kulturvermittlerin. trafo.K realisiert sehr viele Projekte, die mit Interventionen zu tun haben. Unser Schwerpunkt ist, dass wir nicht von einem Mehrheitsdiskurs ausgehen, sondern diesen in Frage stellen und Gegenerzählungen entwerfen. Mit der kurzen Ausgangsfrage „warum ist das so?“ versuchen wir in unseren Forschungs- und Vermittlungsprojekten bestehende Selbstverständlichkeiten kritisch in den Blick zu nehmen, auch um mögliche alternative Handlungsformen diskutierbar zu machen. Das Intervenieren beginnt bereits mit der Schule als einem öffentlichen Ort. Wir intervenieren in Diskurse. Wir intervenieren mit der Präsentation. Da haben wir unsagbar viele Beispiele der Intervention, von den Großprojekten angefangen. Vom Mozartjahr 2006, wo wir im Mehrheitsdiskurs, im Dominanzdiskurs der Mozart-Narrative eine Gegenerzählung mit den SchülerInnen produzierten. Und die Frage in den Raum stellten, warum das nicht legitim ist, dass auch Nicht-ExpertInnen über Mozart sprechen dürfen wem die Stimme gehört und wem erlaubt ist, sich über Mozart zu äußern und wem nicht. Daraus ist die Ausstellung ›M‹ wie made, mania und mehr entstanden von Jugendlichen für Jugendliche in einem work-in-progress, der erst zu Ende war, als die Ausstellung geschlossen wurde. „RebellInnen“ ist das nächstes großes Thema, wo wir sozusagen in einem partizipativen Prozess im öffentlichen Raum interveniert haben mit teilnehmenden Gruppen, die mit uns gemeinsam drei verschiedene Bustouren entwickelt haben. Das war mit der Kulturhauptstadt Linz09. Dann haben wir beim Projekt Gastarbajteri mehrere Vermittlungsprojekte, wo es immer wieder Dissens in der Öffentlichkeit gegeben hat. Also, ja, wir intervenieren auf unterschiedlichsten Ebenen. Wir öffnen einen Diskussionsprozess und entwickeln gemeinsam mit den Teilnehmenden, wie man das sichtbar machen kann. Das ist natürlich immer im öffentlichen Raum.

Du hast gesagt, ihr interveniert in Diskurse. Könntest du vielleicht genauer erklären, welche Diskurse euer Anliegen sind und weshalb?

Elke Smodics: Es geht darum, Mehrheitsdiskurse zu brechen, dabei kommt es immer auf das Thema an. Flic Flac ist ein schönes Beispiel: Wir intervenieren hier ganz klar in normierende Darstellungsformen, in normierende stereotypisierende Zuordnungen von Geschlechterrollen und versuchen das an verschiedenen Beispielen zu dekonstruieren und sehen dann, was zulässig ist und was nicht zulässig ist. Es ist immer situationsbedingt, was die TeilnehmerInnen zulassen, was sie nicht zulassen, was sie gerne sehen würden und was nicht. Unser Wollen, ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Themen. Bei uns ist das schon sehr impliziert und wird in jüngster Zeit auch immer stärker, aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse: Wer wann wo Zugänge hat, gerade was das Bildungssystem anbelangt. Und es ist uns immer ganz wichtig, dass wir, wenn wir unsere Workshops entwickeln, raus aus der Institution gehen. Oft geht es aber aus budgetären Gründen nicht, Räumlichkeiten zu mieten. Wenn man aber in Bildungsinstitutionen hineingeht, wo die SchülerInnen oder die Studierenden sich tagtäglich aufhalten, haben sie einen institutionell geprägten Habitus, ein Studierenden-, Schulverhalten. Dann besteht eine klare Rollenzuschreibung: „Wir sind die Vortragenden, wir sind die Lehrenden“, und dies erschwert den partizipatorischen Prozess.

Was verändert sich, wenn man aus dem institutionellen Kontext hinausgeht?

Hansel Sato: Es gibt immer dieses Risiko, dass die Leute die Idee nicht annehmen, wie man will, aber das ist einfach offen. Das ist auch notwendig, für mich zumindest. Ich habe dieses Gefühl gehabt, dass ich wirklich raus aus der Institution muss. Denn sogar die Kritik wird integriert. Politische Projekte werden von den Museen aufgenommen: Wir werden sozusagen als progressiv betrachtet, aber eigentlich ändern wir nichts, sondern wir bieten einfach diesen kritischen Diskurs als ein weiteres Angebot an, zusammen mit den kommerziellen Produkten. Das ist die ewige Geschichte der Kunst: Das System integriert den kritischen Diskurs und es ist schwierig, da herauszukommen. Denn es gibt natürlich Künstler, die in den Institutionen arbeiten, das erzeugt kulturelles, symbolisches Kapital.

Vielleicht kannst du (Elke Smodics) noch etwas mehr über eure Bildungsarbeit und Vermittlungsarbeit als „kritische Wissensvermittlung“ sagen?

Elke Smodics: Wir arbeiten immer in interdisziplinären Teams und entwickeln konzeptuell ein Vermittlungsprojekt gemeinsam mit jenen, die wissen, wie das Thema gelagert ist. Kunst spielt für uns eine ganz große Rolle, Künstlerinnen und Künstler sind immer Teil unserer Projekte, aber es können auch HistorikerInnen dabei sein, AktivistInnen oder WissenschaftlerInnen aus unterschiedlichen Bereichen, die wir dazu einladen, um das Projekt konzeptuell zu fassen und ideenmäßig zu entwickeln. Wenn wir das Projekt in Schulen machen, dann versuchen wir das Konzept so zu entwickeln, dass sich dabei ein Raum öffnet. Für uns ist die Einstiegsphase ganz wichtig. Bei der WienWoche machte ich mit Hansel Sato, der Teil der Gruppe WahlweXel war, einen Workshop. Die WienWoche hatte das Thema Demokratie und wir entwickelten einen Fragenkatalog rund um den Demokratiebegriff. Für uns sind die Instrumentarien sehr wichtig, es müssen schöne, ansprechende Instrumentarien sein. Wir formulierten auf Papierstreifen Fragen und jeder konnte eine davon wählen. Das ist immer der Anfang und dann beginnt aber schon das Unplanbare, weil wir nicht wissen, was die Beteiligten sagen werden. Bei Flic Flac ergibt sich, je nachdem welche Bilder gewählt werden, der Diskurs, und ich mache trotzdem die ganze Runde und erzähle von historischen Momenten und gegenwärtigen Momenten. Flic Flac dauert nur drei Stunden, das ist ein Paket, das wir erproben: Wir versuchen in drei Stunden ein offenes Konzept zu realisieren, einen Eindruck über Feminismus zu geben und den Jugendlichen Instrumentarien in die Hand zu geben, um ihnen andere Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Das beginnt damit, dass sie einen differenzierten Blick bekommen oder aufmerksam gemacht werden auf einen differenzierten Blick und sehen, wie gut sie im Bildlesen sind, aber wie stark dieses Bildlesen manipuliert ist. Und das nächste ist, sie darin zu unterstützen zu erkennen, dass Sprache ein Machtinstrumentarium und ein wirklichkeitsproduzierendes Instrumentarium ist. Das funktioniert wiederum über künstlerische Arbeit. Ich erzähle beispielsweise von Adrian Pipers „Calling Cards“, das ist für mich einerseits ein Instrumentarium, um einen Diskursraum zu öffnen, aber auch als Handlungsraum, um Selbstermächtigungsfunktionen hineinzutragen. Und das wird zu einem hohen Prozentsatz angenommen.

Herzlichen Dank für das Interview!

Elke Smodics, Hansel Sato, Laila Huber, Elke Zobl ( 2014): „… und dann beginnt aber schon das Unplanbare …“. Ein Interview mit Hansel Sato und Elke Smodics-Kuscher/trafo.K Von Laila Huber und Elke Zobl . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 05 , https://www.p-art-icipate.net/und-dann-beginnt-aber-schon-das-unplanbare/