The Whole World in Zurich / Die ganze Welt in Zürich

Kollaborative und transformative Strategien der Verhandlung von „StadtbürgerInnenschaft“.

Die Politologin Shpresa Jashari formulierte in ihrer Eröffnungsrede den Spirit einer neu entstehenden, postmigrantischen Politik, die sich vom „ängstlichen Reagieren“ hin zum „selbstbewussten Agieren“ bewegt: „Ich zittere nicht mehr davor, wie der stimmberechtigte Teil der Schweiz diesmal über uns, die wir nicht mitbestimmen dürfen, richten wird. Werden sie unseren Wert diesmal anerkennen? Vielleicht, wenn nicht unseretwegen, so doch um ‚ihres’ Rechtsstaats Willen? Nein, diesmal, statt mich diesen alten Hoffnungen auf Anerkennung durch die angebliche ‚Mehrheitsgesellschaft’ auszuliefern und atemlos auf die nächste Regung des nervösen ‚Volkskörpers’ zu warten, habe ich Lust, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Und anfangen will ich hier, wo ich lebe, in meiner Stadt Zürich.“ Daneben fanden zahlreiche Workshops und Austauschformate zu vorhandenen Kämpfen von MigrantInnenorganisationen und postmigrantischen Kontexten statt.

Die Arbeitsgruppe des Projekts „Wir alle sind Zürich“ inklusive der Figur der „involvierten Kuratorin“ und der Zusammenhang „Wir alle sind Zürich“ (zwischen denen es zahlreiche personelle und inhaltliche Überschneidungen gab), können somit als transformative AkteurInnen im Projektverlauf betrachtet werden. Weiters können das Projekt „Die ganze Welt in Zürich“ und im Speziellen sein Format der Hafengespräche als Pre-Enactments bezeichnet werden, da sie das Thema „Urban Citizenship“ in den Schweizer politischen Diskurs holten und die Formulierung einer gemeinsamen Zukunft für uns alle ohne rassistische Strukturen, Ausbeutung und Diskriminierung ein Stück weit in greifbarere Nähe rückten.

Als Folgeprojekt zeigt die Shedhalle Zürich zwischen Juni und September 2016 die Ausstellung „#urbancitizenship. Stadt und Demokratie“. Im Mittelpunkt stehen die Geschichte und die Methoden des Projekts: Was ist die Idee von Urban Citizenship? Welche Bedeutung kann sie für die Schweiz und für Zürich haben? Mit welchen Methoden wurde gearbeitet und warum mit den Mitteln der Kunst? Und: welche Ergebnisse hat das Projekt bisher? Ein Teil der bisherigen Ergebnisse von Konzepten, Methoden und Narrativen wurde von den auf Informationsgrafik spezialisierten GrafikerInnen Roger Conscience und Carolina Cerbaro in Diagramme und Grafiken übersetzt. Dargestellt werden Konzeptualisierungen von und Begrifflichkeiten in Zusammenhang mit dem Konzept „Urban Citizenship“, seine Anfänge weltweit, seine Ankunft in der Schweiz, und seine Zukunft: eine Stadt für Alle.
Es ist zu erwarten, dass das Projekt „Die ganze Welt in Zürich“ mit seinen drei Folgeprojekten in Form der „City Card Zürich“, in Form des „Salon Bastarde“ und in Form eines öffentlichen Protestes und Prozesses gegen „Racial Profiling“ in der Stadt Zürich tatsächlich nachhaltig wirksame Veränderungen herbeiführen wird.

Eine gleichheitsorientierte Interpretation von Urban Citizenship braucht einerseits Strategien zur Stärkung der zivilen Rechte von BürgerInnen und Noch-Nicht-BürgerInnen. So geht es eben nicht nur darum, mit geringen Mitteln (weil aus einem Kunstprojekt entstanden) ein neues, schickes (weil partizipationsverwandtes) Tool für Migrations- oder Bevölkerungsmanagement zu entwickeln, sondern es geht in erster Linie darum, Politik selbst in die Hand zu nehmen, so wie soziale Bewegungen das immer schon tun. Doch um das Versprechen von Urban Citizenship, das auch ein kosmopolitisches ist, tatsächlich einzulösen, braucht es auch soziale Bewegungen und progressive Politiken auf nationaler und europäischer Ebene, die es verstehen, politische Effekte zu produzieren ‑ dort wo Datenabgleich, Einreise- und Visapolitiken, Zusammenarbeit von Behörden bzw. Polizei, Asyl- und Abschiebestandards usw. verhandelt und entwickelt und strukturelle Veränderungen bewirkt werden können. Dann könnte ein substanzieller, europaweiter Weg in Richtung einer Demokratisierung der Demokratie und einer Ausweitung des Rechts auf Rechte, basierend auf dem Wohnort, beschritten werden.

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Espahangizi, Kijan (2015): Stimm- und Wahlrecht für Ausländer? Nein, danke!, WOZ – Die Wochenzeitung, Nr. 26/2015 vom 25.06.2015

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Foroutan, Naika et al.: Deutschland postmigrantisch I. Gesellschaft, Religion, Identität. Erste Ergebnisse. Forschungsprojekt „Junge Islambezogene Themen in Deutschland (JUNITED) am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), Humbold-Universität zu Berlin, Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät, Berlin 2014

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García, Marisol (2006), Citizenship Practices and Urban Governance in European Cities, Urban Studies, 43 (4): 745–765.

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Kester, Grant (2015): On the Relationship between Theory and Practice in Socially Engaged Art, Fertile Ground, Juli 2015

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Lebuhn, Henrik (2015): Urban Citizenship and the Right to the City: The Fragmentation of Claims, in: International Journal for Urban and Regional Research (Symposium), 39.4, mit Talja Blokland, Christine Hentschel, Andrej Holm & Talia Margalit

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Marchart, Oliver (2014): The Art of Preenactments, Lecture am 9. Juli 2014 am HZT – Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin, Link: https://vimeo.com/114242197, abgerufen am 15. Mai 2016

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Morawek, Katharina (2015): Städte statt Staaten, WOZ – Die Wochenzeitung, Nr. 28/2015 vom 09.07.2015

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Rodatz, Mathias (2014): Migration ist in dieser Stadt eine Tatsache. Urban politics of citizenship in der neoliberalen Stadt. In: suburban 2(3), 35-58.

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Morawek, Katharina (2016): #urbancitizenship. Stadt und Demokratie, in: Shedhalle 2016 (Ausstellungsbroschüre)

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Sternfeld, Nora (2013): Involvierungen. Das post-repräsentative Museum zwischen Verstrickung und Solidarität, Beitrag auf der Website des Bielefelder Kunstvereins, http://www.bielefelder-kunstverein.de/ausstellungen/2013/museum-off-museum-blog/nora-sternfeld.html#.VzuTpFeh6Rs, abgerufen am 15. Mai 2016

Katharina Morawek ( 2016): The Whole World in Zurich / Die ganze Welt in Zürich. Kollaborative und transformative Strategien der Verhandlung von „StadtbürgerInnenschaft“.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/the-whole-world-in-zurich-die-ganze-welt-in-zurich/