Das inklusive Museum ‑ eine Frage von Kooperation und Vernetzung

Nadja Al-Masri-Gutternig und Monika Daoudi-Rosenhammer im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger, Dilara Akarçeşme

Nadja Al-Masri-Gutternig: Bezüglich der Barrieren ist es erstens wichtig, dass Mitarbeiter geschult werden. Zweitens ist es die Aufgabe dieser Einrichtungen, Begegnungsräume zu schaffen. Das ist uns einmal durch Zufall passiert: Wir haben unser Programm als „barrierefrei“ beschrieben und die „Leichte Sprache“ weggelassen. Dadurch sind viele Menschen ohne Beeinträchtigung gekommen. Diese Veranstaltung war sehr spannend. Die Besucher waren zu Beginn entsetzt, da sie nicht wussten, was sie erwartet, doch am Ende gab es einige, die meinten: „Ich wäre nicht gekommen, wenn ich gewusst hätte, welche Veranstaltung das ist, aber jetzt, wo ich da war, komme ich vielleicht das nächste Mal wieder.“ Das sollte unser Ziel sein. Wir können so viel theoretisches Wissen weitergeben, wie wir wollen, doch wenn Menschen wirklich bei einer Führung mit Durchmischung dabei sind, verändert sich im Verhalten dieser Menschen viel. Sie sehen, dass dies nichts Schlimmes ist. Umgekehrt ist es für Menschen mit Beeinträchtigungen sehr vorteilhaft, wenn sie nicht nur innerhalb ihrer Community sind, weil sie so immer selbstsicherer werden. Das Ziel wäre eigentlich, dass das niemand mehr hinterfragt.

Gefährlich wird es bei Angeboten wie bei einer Führung für Blinde und Sehbeeinträchtigte, da ein Paradoxon entsteht. Einerseits sondiert man Menschen damit und andererseits können sie nicht bei einer Führung mitgehen, die nicht für Blinde und Sehbeeinträchtigte gestaltet ist. Es braucht eben spezielle Angebote. Man muss nur aufpassen, dass man nicht alles in eine Ecke schiebt und sagt: „So, ihr seid jetzt die mit geistiger Beeinträchtigung, ihr seid die mit Sehbeeinträchtigung“, und nichts mehr offen gestaltet. Am besten lassen sich Menschen ohne Seheinschränkung auf das Experiment „Blindenführung“ ein. Solche Angebote bieten wir immer wieder an und bekommen gutes Feedback.

Monika Daoudi-Rosenhammer: Bei vielen Behinderungen ist es so, dass man weiß, dass man selbst in diese Situation geraten könnte, weil es schnell passieren kann, dass man etwa Krücken braucht und damit mobiltätseingeschränkt ist. Die Einschränkungen – und die notwendigen Lösungen dazu – sind nachvollziehbar. Bei Menschen mit Lernschwierigkeiten ist es schwieriger, sich in die Situationen, die sie behindern, hineinzuversetzen. Dabei könnten viele Barrieren abgebaut werden, damit Menschen mit Lernschwierigkeiten selbstständiger leben können. Erleichterungen bei Sprache, Schrift oder Orientierung sind zudem auch für viele andere hilfreich. Das ist ein Denkprozess, der sehr schwierig zu vermitteln ist. Die Erfahrung bei unseren Barrierefreiheitschecks zeigt, dass vielen nicht bewusst ist, wie oft mit einfachen Mitteln Barrieren für Menschen mit Lernschwierigkeiten reduziert werden können.

Nadja Al-Masri-Gutternig: Gestern hatten wir zum Beispiel eine Begehung im Museum für die Glastüren, die alle beklebt werden. Im Vorfeld gab es heftige Diskussionen, da in ästhetischer Hinsicht das Museum ‑ luftig leicht, mit Blick nach außen ‑ mit den Beklebungen nicht harmonisiert, denn die einzige Variante, die der Ö-Norm entspricht, verstellt genau diesen Blick. Daher wollte man bei einer Begehung eine Lösung finden. Den Begehenden wurden Brillen aufgesetzt, die zehn Prozent Sehleistung simulieren, und alle waren schnell überzeugt, dass die Ö-Norm doch einen Sinn hat. Hier ist es also wichtig, dass die Häuser einen Mittelweg finden und die Leute, die es betrifft, oder andere Expert*innen mit an Bord holt. Die Blindenbrillen haben den Menschen quasi die Augen geöffnet. Dassselbe geht bei Mobilitätseinschränkungen und vielem mehr. Das lässt sich simulieren. Schwieriger ist es, die Erfahrungen von Menschen mit Lernschwierigkeiten nachzuvollziehen.

Monika Daoudi-Rosenhammer: Natürlich ist das auch eine öffentliche Verantwortung, weil es immer um finanzielle Mittel geht, die gerecht verteilt werden müssen, sodass für alle Bereiche Zugang besteht. Gerade Menschen, die finanziell nicht so gut dastehen, brauchen mehr Projekte, an denen sie gratis teilnehmen können. Umgekehrt muss die Kultur auch stattfinden und kostet etwas. Deswegen muss Finanzierung für Verschiedenstes möglich sein.

Die Festspielaufführung, die aufgrund ihres Aufwands hohe Kosten mit sich bringt, hat ihre Berechtigung genauso wie die vielen kleinen Veranstaltungen. Ich finde es auch tragisch, wenn laut der neuen politischen Ziellinie das „ Gießkannenprinzip“ als obsolet hingestellt  wird und die unterstützten Projekte eingeschränkt werden sollen. Das ist nicht förderlich für unseren Anspruch, dass möglichst viele teilnehmen und auch selbst mitgestalten können. Ich finde es immer spannend, wenn junge Menschen bei einem Theaterprojekt oder einem Kunstprojekt selbst aktiv mitmachen. Das ist oft ihr erster Einstieg, sich dafür zu interessieren. Und auch dafür braucht es finanzielle Mittel.

Die ARGE Rainberg war Anfang der 1980er Jahre eine Protestbewegung von ca. 50 Initiativen und Gruppen gegen die Salzburger Festspielkultur, aus der heraus das heutige unabhängige Kulturzentrum ARGEkultur entstanden ist.

Persson Perry Baumgartinger, Dilara Akarçeşme, Nadja Al-Masri-Gutternig, Monika Daoudi-Rosenhammer ( 2018): Das inklusive Museum ‑ eine Frage von Kooperation und Vernetzung. Nadja Al-Masri-Gutternig und Monika Daoudi-Rosenhammer im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger, Dilara Akarçeşme. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/das-inklusive-museum-%e2%80%91-eine-frage-von-kooperation-und-vernetzung/