„Das Museum als Ort ehrlicher Kommunikation“

Das Studio Geschichte im Salzburg Museum Neue Residenz als Experimentierraum zur dialogischen Kulturvermittlung.
Sandra Kobel im Gespräch mit Timna Pachner

In einem der Konzepte zum Studio Geschichte habe ich gelesen, dass im Rahmen der Konzipierung eine der Überlegungen war, dass ihr – die Kulturvermittler:innen – die Individualbesucher:innen auch als Produzent:innen seht, also dass den Besucher:innen ermöglicht wird, sich aktiv in den Raum miteinzubringen. Wie wurden im ersten Studio-Geschichte-Konzept Formen der Beteiligung vor, während und nach der Ausstellung hergestellt?

Da gab es verschiedene Stufen. Wie du gerade gesagt hast: vorher, nachher und währenddessen. Der Dialog mit den Besucher:innen fing schon weit vor der Eröffnung an. Zum Beispiel gab es eine Aktion, in der wir nach Geschichtenkurier:innen gesucht haben. Wir haben also verschiedene Menschen eingeladen, über ihre ganz persönlichen Erinnerungen zu berichten und ein Objekt auszustellen, das für sie in Bezug auf die Zeit 1938 bis 1945 wichtig ist. Dieser Prozess des Geschichten-Sammelns erfolgte u.a. durch einen Aufruf. Wir fragten dabei nicht nur Zeitzeug:innen an, sondern traten auch mit jungen Menschen in Kontakt. Das, was im Studio Geschichte letztendlich präsentiert wurde, war nur ein kleiner Teil dessen, was im Vorfeld stattfand. Eine andere Fragestellung war: „Orte der Erinnerung heute?“ und „Welche Orte sind für Stadt und Land Salzburg wichtig?“ Dazu gab es im Vorfeld Workshops mit Schüler:innen oder Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen. Die Ergebnisse sind ebenfalls in das Studio Geschichte eingeflossen. Wir als kuratorisches Team, meine Kollegin Karin Wabro und ich, haben Orte aufgegriffen, die uns zugetragen wurden. Und das wiederum bot schon so viele interessante Aspekte, um über das Thema „Erinnerung“ ins Gespräch zu kommen: „Welche Orte spielen im Erinnerungsdiskurs eine Rolle und welche nicht?“ Genauso war es bei den Geschichtenkurier:innen. Insgesamt 13 Menschen zwischen 19 und 104 Jahren aus vier Generationen erzählten letztlich ihre Geschichten. Die Erinnerungen und Erzählungen waren sehr vielseitig. Sie reichten von Familiengeschichten, Opfer- und Tätergeschichten bis hin zu Objekten wie dem Buch Maikäfer flieg von Christine Nöstlinger. Der Raum war wie eine Art Momentaufnahme der Erinnerung 80 Jahre nach dem sogenannten Anschluss.

Teilhabemöglichkeiten gab es dann auch während der Ausstellung, insofern als Dinge interaktiv funktionierten: Man konnte etwa eigene Fragen formulieren und im Raum präsentieren. Darüber hinaus gab es eine Art Befragungsbücher, in die sich Besucher:innen eintragen konnten. Da ging es um Fragen wie: „So klingt Geschichte für mich?“, „So sieht meine Zukunft gezeichnet aus?“ oder „Dieser Mensch hat mich am meisten geprägt?“. Die Antworten der Besucher:innen wurden dann sozusagen wieder in den Raum „zurückgeworfen“ und mittels Graphic Recording visualisiert. Daneben gab es auch noch andere Formen der Teilhabe, Oral History-Projekte zum Beispiel. Wichtig war uns dabei – wie bereits gesagt – gar nicht unbedingt, wie stark der Grad der Teilhabe ist, sondern dass ehrliche Teilhabeprozesse ermöglicht werden und gemeinsam Fragestellungen erörtert werden. Multiperspektivität war ebenfalls ein wichtiger Aspekt für uns.

Jetzt nochmal zum Raum an sich. Du hast Orte der Erinnerung erwähnt. Das war eine Station, die sich mit der Relevanz von geografischen Orten beschäftigt hat. Kannst du kurz erklären, worum es dabei ging und ob im Zusammenhang mit dem Studio Geschichte auch andere Räume des Museums standen, die bespielt wurden?

Genau, Orte der Erinnerung war eine Station im Studio Geschichte. Für diese Station wurden eben verschiedene Personen gefragt, was wichtige Erinnerungsorte in Stadt und Land Salzburg sind, die nicht vergessen werden dürfen. Das Ergebnis waren unterschiedlichste Orte: Der Residenzplatz als Ort der Bücherverbrennung in Salzburg, das Schloss Kleßheim, der kleine Barmstein bei Hallein usw. In Zusammenhang mit dem Studio Geschichte besuchten wir aber auch andere Orte, um in Dialog zu treten. Wir waren etwa gemeinsam mit einer Schulklasse zu Gast in einem Salzburger Seniorenwohnhaus. Ein wichtiger Raum im Museum selbst war natürlich die Kunsthalle, in der die Ausstellung zu sehen war. Sie funktionierte für sich separat, das Studio Geschichte auch. Für uns ist das aber ineinander übergegangen, in der personalen Vermittlung verknüpften wir immer beide Orte miteinander. Die Ausstellung war unser Ausgangpunkt, das Studio Geschichte bot Möglichkeiten für weiteren Diskurs.

Das Salzburg Museum ist Kooperationspartner im Projekt Räume kultureller Demokratie. Ab 8. April 2022 wird das Studio Geschichte unter dem Motto „Nachhaltig genießen“ neu eröffnet und knüpft dabei an Zwischenergebnisse des Projektes an. Auch Vermittlungsformate, die im bisherigen Forschungsprozess entwickelt wurden, sollen erprobt und aufgegriffen werden.

Das Interview wurde vor Beginn der Corona-Pandemie geführt. Mittlerweile gibt es verschiedene digitale Vermittlungsformate am Salzburg Museum, die auch kontinuierlich weiterentwickelt werden: beispielsweise live stattfindende Online-Führungen, digitale Veranstaltungen oder digitale bzw. hybride Workshops für Schulklassen. Seit Mai 2020 produziert das Salzburg Museum darüber hinaus einen Podcast mit dem Titel Museum am Sofa. Jede Woche samstags werden darin Geschichten aus den vergangenen Jahrhunderten erzählt.

Sandra Kobel, Timna Pachner ( 2021): „Das Museum als Ort ehrlicher Kommunikation“. Das Studio Geschichte im Salzburg Museum Neue Residenz als Experimentierraum zur dialogischen Kulturvermittlung.
Sandra Kobel im Gespräch mit Timna Pachner . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 12 , https://www.p-art-icipate.net/das-museum-als-ort-ehrlicher-kommunikation/